Nord-Irland
Britische Heuchelei

von
Workers Power (Britannien)

03/09

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Die Tötung zweier britischer Soldaten und eines Polizisten sowie die Verletzung von zwei Unbeteiligten in Nordirland haben die Verurteilung dieser Anschläge durch die britische Regierung nach sich gezogen. Als „barbarische Kriminelle“ beschimpfte der Nordirlandminister Shaun Woodward die Täter. Ähnlich reagierten alle Parteien, die das Abkommen zur Beilegung des Konflikts unterzeichnet haben. Sie verurteilten die „Real IRA“ (Irische Republikanische Armee) und die “Continuity IRA“ für ihre Aktionen. Der Minister der Sinn Fein-Partei nannte die Angreifer „Verräter der Insel Irland“ und drängte die Nationalisten zur Unterstützung der Polizei.

SozialistInnen und AntiimperialistInnen dürfen nicht in diesen heuchlerischen und reaktionären Chor einstimmen, der von einer imperialistischen Regierung dirigiert wird, die sich einen Dreck um das Leben der von ihnen nach Irak, Afghanistan oder Irland entsandten Truppen schert. Es ist pure Heuchelei der britischen Regierung, die ihre Instrumente zur Unterdrückung perfektioniert hat und seither gegen andere besetzte Länder wie Irak, Afghanistan einsetzt: Folter, Inhaftierung und Verurteilung ohne ordentliches Gerichtsverfahren, Zusammenarbeit mit rechten Todesschwadronen und gezielte Todesschüsse.

Britannien hat kein Recht, andere Länder zu besetzen. Wir fordern den sofortigen Rückzug aller britischen Truppen, GeheimagentInnen und Polizei aus diesen Regionen und aus Nordirland! Schließlich ist Nordirland Britanniens ältestes Kolonialgebiet, wo nur eine kleine und abnehmende Minderheit diesen Zustand mit der künstlichen Grenzziehung beibehalten möchte. Wenn britische Truppen nicht zur Besetzung dieses Landes dort wären, würden sie nicht getötet werden. Alle Regierungen, auch die von Gordon Brown, die sie für diese Zwecke einsetzen, tragen allein Schuld am Tod der Soldaten.

Als revolutionäre SozialistInnen müssen wir uns aber auch völlig klar darüber sein, dass diese Erschießungen durch radikale irische Republikanergruppen den irischen ArbeiterInnen keinen Weg im Kampf gegen den britischen Imperialismus weisen können. Die kleinen bewaffneten Gruppen, die sich nur auf den Kampf mit der Waffe konzentrieren, sind dazu verdammt, dem selben tragischen Irrtum aufzusitzen wie die Kampagne der „Provisional IRA“.

Heute haben sie dafür sogar noch weit weniger Rückhalt in der irischen Bevölkerung. Sie verstärken damit nur ihre Isolation zu einer Zeit, in der keine Massenbewegung dagegen besteht und bieten einen Vorwand für weitere Repression.

Doch jeder Versuch, den Widerstand mit Polizei und Armee im Anschluss an die Attentate zu „befrieden“, könnte Proteste hervorrufen. Durch Massenmobilisierung kann der Nord’staat’ wieder erschüttert werden und früher oder später die Notwendigkeit von Selbstverteidigung gegen staatliche Willkür und deren Helfershelfer demonstrieren.

Die angegriffenen Gemeinschaften müssen dabei auf demokratische Organe der Selbstverteidigung setzen und nicht auf die Polizeikräfte von Nordirland (PSNI) und erst recht nicht auf die britische Armee. 

Hintergrund 

Doch warum ist es überhaupt zu einem Wiederaufleben des bewaffneten Kampfes gekommen - nach 11 „friedlichen“ Jahren?

Die brutale Geschichte der britischen Besetzung in Irland ist bekannt. Dieses Erbe besteht weiter in Form des in sechs Grafschaften unterteilten Miniseparatstaates und der Verweigerung des Rechts für das irische Volk als ganzes, über sein Schicksal selbst zu bestimmen. Das ist Grund genug, um verstehen zu können, warum die irischen Republikaner weiter gegen die britische Besatzung kämpfen.

Die nationale Unterdrückung der Iren in Nordirland legte den Grundstein für die Massenrevolte, welche die britische Herrschaft in den 70er und 80er Jahren bedrohte. Diese Periode fand ihren Abschluss mit dem Friedensabkommen von Belfast 1998. Dessen Unterzeichnung bedeutete eine Niederlage für die Ziele der Sinn Fein-Partei und der IRA, ein vereinigtes Irland zu erlangen. Die IRA erklärte im Juli 2005 das Ende des bewaffneten Kampfes und gab ihre Waffen ab, anders als die paramilitärischen Organisationen der Anhänger der Besatzung, und ohne Rückzug der britischen Truppen. Nach vielen Zugeständnissen an die britische Regierung und die Unionisten, darunter v. a. die Anerkennung der PSNI-Polizeigewalt, wurden die Republikaner mit ihrer Sinn Fein-Partei im März 2007 in die Regierung als Juniorpartner von Ian Paisleys DUP (Demokratische Unionistenpartei, dem verlängerten Arm britischer Interessen in Nordirland) inkorporiert.

Nichtsdestotrotz erklärte Sinn Fein dies als Sieg. Doch die Idee, dass diese Liste von Zugeständnissen ein vereinigtes Irland fördern könne, erwies sich als grausamer Trugschluss. Niemand kann bezweifeln, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung von Nordirland erleichtert war, als der 30jährige Konflikt endete, denn die Republikaner waren ihrem Ziel, durch Kleinkrieg die Briten zu vertreiben, keinen Schritt näher gekommen, weil diese Taktik auch niemals zum Erfolg führen konnte. Nur eine Massenbewegung in Nord und Süd, die auf direkter Aktion der Arbeiterklasse fußt und mit Beistand durch eine Massenbewegung in Britannien selbst, die den Abzug der Truppen aus Nordirland fordert, hätte das erreichen können. Natürlich hätte sich die Bewegung auch bewaffnet verteidigen müssen, und der Konflikt hätte in einen Aufstand der Massen münden müssen, welcher nicht nur die nationale, sondern auch die soziale Frage hätte aufwerfen können. 

Bilanz einer falschen Strategie 

Doch 11 Jahre nach dem Friedensabkommen fragen viele Nationalisten trotz Furcht vor einem erneuten Krieg ihre Sinn Fein-Führer: Was nutzt uns diese „Einheitsregierung“ aus DUP und Sinn Fein? Warum arbeitet Sinn Fein mit an den Kürzungen, Entlassungen und Verschlechterungen des öffentlichen Dienstes? Warum beteiligen wir uns an der Polizeigewalt, wenn unkontrolliertes antisoziales Verhalten unsere Gemeinden ruiniert? Warum dürfen die Briten und PSNI-Chefs SRR-Spezialkommandos einsetzen, die uns drangsalieren, wenn die neuen Polizeistrukturen doch die britischen Einmischungen beenden sollten? Wo bleibt das vereingte Irland, das angeblich vor der Tür stand?

Sinn Fein ist unter enormen Druck geraten. Die Führung wird die Etablierung der SRR als zu weit gehend ankreiden, aber ihr Verrat wird sichtbarer, wenn sie gegen andere Republikaner vorgeht. Abweichende, radikalere republikanische Stimmen könnten aus dieser Enttäuschung wieder an Kraft gewinnen, trotz der bitteren Erinnerungen an die Bomben von Omagh. Daran könnte das Friedensabkommen scheitern.

Wie alle Verfechter der Guerrillastrategie hoffen sie, dass die Armee- und Polizeirepression und ihre Aktionen dagegen die Gemeinschaft wachrütteln und ihnen frische Kräfte zuführen werden. Darin steckt eine durch und durch elitäre und arbeiterfeindliche Sicht. Verschärfte Unterdrückung führt nicht automatisch zu gesteigertem Kampf. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen hat es der britischen Seite eher Propagandamunition geliefert, als wären sie die Opfer und die Regierungsparteien die wirklichen Wächter des Friedens.

Der Kern des Denkens von „Wahrer IRA“ und „Kontinuität der IRA“ ist die Illusion, dass kleine Gruppen von KämpferInnen ohne Verbindung zur Masse der ArbeiterInnen die britischen Streitkräfte vertreiben könnten.

Nicht alle Republikaner unterstützen jedoch solche Attacken. Sozialistisch-republikanische Organisationen wie IRDP oder Eirigi verurteilen zwar das Friedensabkommen als historischen Ausverkauf, haben aber die Notwendigkeit einer Feuereinstellung erkannt und streben den Aufbau einer Massenbewegung an, die die britische Herrschaft in Frage stellen kann. 

Perspektive 

Workers Power hat stets für eine antiimperialistische Einheitsfront plädiert, um ArbeiterInnen gegen Repression und britische Besatzung zu mobilisieren. Die langfristige Verarmung großer Bevölkerungsteile auch während der Jahre relativen Wohlstands ist gewiss der Teilung der Insel und dem britischen Regime - direkt im Norden, indirekt im Süden - geschuldet. Die kapitalistische Krise hat das wacklige Fundament erschüttert, auf dem die „keltische Tigerökonomie“ auch im Süden steht.

Die nationale Frage wird nicht einfach verschwinden, denn sie ist nicht nur in der Geschichte verwurzelt, sondern auch in der Wirtschaftsstruktur und den ausbeuterischen Beziehungen zwischen dem britischen Hauptland und dem irischen Norden und Süden. Die irische Republik bleibt eine Halbkolonie, auch wenn ihre imperialistischen Herren etwas zahlreicher geworden sind durch den Einfluss etlicher deutscher und amerikanischer Großkonzerne.

Nichtsdestotrotz kann der nationale Befreiungskampf nicht in glorreicher Isolierung von allen anderen klassenmäßigen und sozialen Inhalten für die heutige Arbeiterschaft verfolgt werden. Er kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Arbeiterklasse als gesellschaftliche Hauptkraft die Führung eines verbundenen antikapitalistischen und antiimperialistischen Kampfes übernimmt.

Während einer kapitalistischen Krise von geschichtlichem Ausmaß wie heute ist ein solcher Ansatz besonders notwendig. Die Liga für die 5. Internationale (LFI) befürwortet seit langem, dass im Falle von Angriffen revolutionäre ArbeiterInnen sich für eine Arbeitereinheitsfront einsetzen, die die sektiererische Enge überwinden kann. Die einheitliche Arbeiteraktion kann, wie schon merhrmals in der Vergangenheit, nationalistische und probritische ArbeiterInnen im Kampf gegen ihre gemeinsamen Ausbeuter zusammenführen. Aber revolutionäre SozialistInnen, die natürlich auch AntiimperialistInnen sind, müssen zugleich solche Perioden der Einheit nutzen, um die proimperialistische Kultur, die bei vielen protestantischen Arbeiterinnen noch vorherrscht, zu bekämpfen, statt sie herunterzuspielen oder zu leugnen, wie es die Sozialistische Partei in Irland und ihre Schwesterorganisation in Britannien (in Deutschland SAV) tut.

Es ist jedoch auch nicht damit getan, zu hoffen, dass der ökonomische Kampf das Sektierertum automatisch und endgültig überwinden wird, wie die Socialist Workers Party (in Deutschland Marx21, vormals Linksruck) stets glauben machen will.

Doch in Irland, das beiderseits der Grenze durch eine Rezessionskrise aufgerollt wird, ist es geboten, dass die ArbeiterInnen eine revolutionäre Alternative zum britischen Imperialismus wie auch zur irischen kapitalistischen Herrschaft im Süden aufbauen. Im Norden muss das Friedensabkommen zurück gewiesen werden, weil es das pro-britische Nein gegen ein vereintes Irland enthält. Sinn Feins Koalition mit den Unionisten bedeutet nicht nur Verrat der irischen Einheit und eine Missachtung der Interessen ihres eigenen Arbeiteranhangs, sondern Verrat an allen ArbeiterInnen.

Der Eintritt in eine bürgerliche Regierung ist prinzipiell falsch und schädigt die Interessen der Arbeiterschaft, v. a. durch Zusammenarbeit mit einer reaktionären Partei wie der DUP, die die britische Herrschaft und protestantische Privilegien verteidigt. Die nationale Unterdrückung wie die soziale Ungleichheit werden damit nicht überwunden.

Obendrein will die Regierung nun die Arbeiterklasse zur Kasse bitten für die Bezahlung der Kosten der kapitalistischen Krise. Alle ArbeiterInnen, gleich ob katholischer oder protestantischer Konfession, müssen zusammen kommen für eine aktive Kampagne gegen Entlassungen und Kürzungen. Besetzungen, wie durch die Belegschaft von Derry Calcast im vergangenen Jahr, sind beispielgebend. Wenn die ArbeiterInnen des Südens ihre Muskeln spannen, sind Solidarität und Verbindung zu ihren KollegInnen im Norden lebensnotwendig.

Ein sich andeutender Generalstreik am 30. März im Süden wäre eine ausgezeichnete Gelegenheit, den ArbeiterInnen im Norden vor Augen zu führen, dass Massenaktionen der Schlüssel zum Sieg sind, wenn die kapitalistische Offensive schon im Keim erstickt werden soll. Das riesige Ausmaß der Krise erfordert eine Arbeiterregierung in Nord und Süd, die - gestützt auf Arbeiteraktionsräte - auf Seiten der ArbeiterInnen gegen die Bosse steht. Das würde bedeuten: eine Arbeiterregierung, die auf eine Arbeitermiliz zurückgreifen kann und bewaffnet gegen den Kapitalismus vorgehen kann.

Eine neue Arbeiterpartei in Irland muss sich der Aufgabe stellen, ein antikapitalistisches und antiimperialistisches Programm für den Übergang zum Sozialismus zu erarbeiten. Jetzt ist der Zeitpunkt dafür!

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir von

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 413
17. März 2009

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