Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Neben dem Front National und Co.: Auch multiethnische Antisemitenliste tritt in Frankreich zu den EP-Wahlen an
 

03/09

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Der französische Front National (FN) hat in diesem Jahr mit mehreren Abspaltungen zu kämpfen, die ihm einen „Aderlass“ bei den Kadern und Parteifunktionären bescherten. (Vgl.den TREND-Artikel Am kommenden Wochenende in Arras)  Unerwartet kam hingegen die Präsenz einer zusätzlichen Liste, die zur Europaparlamentswahl vom o7. Juni dieses Jahres in der Hauptstadtregion Ile-de-France antreten möchte.

Ihre Aufstellung gab der Theatermacher französisch-kamerunischer Herkunft - und prominente Antisemit - Dieudonné M’bala M’bala am Samstag, 21. März o9 in dem ihm gehörenden Theater im elften Pariser Bezirk bekannt. Der Name der Liste ist noch nicht bekannt. Wohl aber, an wen der durch antisemitische und geschichtsrevionistische Äuerungen auffällig gewordene Künstler appellieren möchte. Neben der Lancierung einer „Aufrufs an alle Verfemten und Ausgegrenzten“ (appel à tous les infréquentables), die wie er selbst Opfer einer angeblichen Gedankenpolizei geworden seien, nannte er auch konkrete Namen.

Höchstwahrscheinlich neben ihm auf der Liste stehen wird der „Rot-Braune“ und frühere Linke Alain Soral, der im Februar 2006 offiziell dem Front National beigetreten war, ihn aber am 02. Februar 2009 wieder verlassen hat. Niemand anders als Soral ist es, der (zeitweise als Berater Jean-Marie Le Pens firmierend) für eine Annäherung zwischen dem FN-Chef und Dieudonné in den Jahren von 2006 bis 08 gesorgt hatte. Im Zeichen eines angeblichen „republikanischen Nationalismus“, der bei Alain Soral jedoch in Wirklichkeit stark antisemitisch grundiert ist, hatte der Schriftsteller und intellektuelle Provokateur von einer – wie Rechtsextreme sagen würden – „gemischtrassigen“ nationalistischen Partei geträumt.

Zusätzlich rief Dieudonné M’bala M’bala auch den schwarzen Rassisten und Antisemiten ‚Kémi Séba’ (mit bürgerlichem Namen Stellio Capochichi) zur Präsenz an seiner Seite auf – ‚Kémi Séba’, der früher als Chef der inzwischen verbotenen Splittergruppe ‚Tribu K’ auftrat und jetzt eine neue Splittergruppe unter dem Namen „Bewegung der Verdammten des Imperialismus“ (MDI) anführt. ‚Kémi Séba’ kann als prominentester Vertreter – in Frankreich - eines offen rassistischen Ethnodifferenzialismus seitens eines Angehöriger einer „ethnischen Minderheit“ gelten. -Ferner appellierte er ebenfalls an, einen früheren antifaschistischen Journalisten während der 1990er Jahre, der ab dem 11. September 2001 in verwegene Verschwörungstheorien abdriftete und sich darüber an rechtsextreme Intellektuelle annäherte. Dieudonné M’bala M’bala, Thierry Meyssan und Journalisten der rechtsextremen Wochenzeitung ‚Minute’ hatten zusammen im August 2006 den – kurz zuvor von Israel bombardierten – Libanon bereist.

Alles in allem: eine hübsche Ansammlung von gefährlichen Verrückten.

Ob der prominente Auschwitzleugner Robert Faurisson – ihm hatte Dieudonné am 26. Dezember 2008 einen ‚Prix de l’infréquentabilité’ (Preis für Verfemt- und Ausgegrenztheit) verliehen – mit von der Partie sein wird, mochte der Theatermacher nicht bestätigen. „Normalerweise nicht“ äuerte er auf der Pressekonferenz vom Sonnabend, 21. März in seinem Theater, um dann aber hinzuzufügen, mitunter könne es „Überraschungen geben“.

„Antikommunitarismus und Antizionismus“

Als inhaltliche Grundlage für die künftige Liste nannte Dieudonné M’bala M’bala bei der Pressekonferenz „den Antikommunitarismus“ und „den Antizionismus“. Unter ersterem Begriff versteht man üblicherweise eine Abgrenzung von der Selbstbezogenheit qua Herkunft definierter Bevölkerungsgruppen, im Sinne einer Bevorzugung universalistischer Prinzipien. Bei Dieudonné ist der einzige Kommunitarismus, den er auf seiner Pressekonferenz kritisierte, jedoch konkret der jüdische: Er forderte dazu auf, die Republik von „mafiösen Organisationen vom Typ CRIF“ zu befreien. Der CRIF ist der französische Zentralrat der Juden, der sicherlich seit einigen Jahren – seit dem Abgang seines eher sozialdemokratischen früheren Präsidenten Theo Klein - fest in der Hand von politischen Strömungen eher stark rechtsorientierter Juden ist und eine sehr engstirnige Politik vertritt (welche das Engagement für die Interessen französischer Juden mit einem oft nuancenlosen Eintreten für die israelische Staatspolitik verknüpft). Aber er hat selbstverständlich weder etwas „Mafiöses“ an sich, noch ist er – wie Dieudonné allen Ernstes behauptet – eine Bedrohung für die Republik, sondern lediglich eine konservative Lobbyorganisation wie viele andere auch.

Was „den Antizionismus“ – den Dieudonné in jüngerer Zeit zum Quasi-Welterklärungsersatz und zur zentralen Hauptideologie erhoben hat -, so bezeichnet der Begriff als solcher jegliche Form von Gegnerschaft zu einer Definition Israels als jüdischen Nationalstaat (unter Ausschluss der palästinensischen Nation). Dies muss keineswegs auf antisemitischer Grundlage geschehen; das wäre etwa bei jüdischen oder arabischen Befürworter/inne/n eines „binationalen“ oder sonst wie gemischten Staates im historischen Palästina (für den innerhalb Israels beispielsweise die Chadash, die frühere KP, eintritt) durchaus nicht der Fall. Aber bei Dieudonné, der in seinem Diskurs seit Jahren konsequent Juden und „Zionisten“ mit Sklavenhaltern assoziiert (während es zur Zeit der Sklaverei in Frankreich – bis 1848 - noch keinen politischen Zionismus gab!, wodurch klar wird, dass er von „jüdischen Interessen“ als solchen spricht), steht das antisemitische Fundament seiner Ideologie völlig auer Zweifel. Dass Dieudonné nun behauptet, er wolle auch „antizionistische Juden“ für seine Liste gewinnen, stellt vor diesem Hintergrund nicht viel anderes als eine Schutzbehauptung dar.

Systematisch setzt Dieudonné Judentum mit „finanziellen Interessen“ – in der Regel besonders finsterer Art – gleich und stellt beide in eine Reihe mit „Sklavenhaltertum“ und „Kolonialismus“. In seiner Antrittsrede auf der Pressekonferenz vom 21. März o9 sprach Dieudonné denn auch von „diesem zionistischen System“, das in Frankreich herrsche (sic!). Und er redete im Anschluss von einer angeblichen Wesensgleichheit zu dem – tatsächlich auf dem historischen Erbe der Sklaverei beruhenden – postkolonial-rassistischen System auf den Antillen (französ. Karibikinseln). Dieudonné dazu: „Das ist genau dasselbe: Sie sind die Sklavenhalter, und wir sind die Sklaven!“ Völlig missbräuchlich setzte er sich selbst mit dem Anführer des jüngsten Streiks auf der zu Frankreich gehörenden Antilleninsel Guadeloupe im Januar/Februar 2009 – Elie Domota – gleich, um damit fortzufahren, „der Zionismus“ bilde „ein Geschwür, eine Gefahr in Frankreich“. Der unverschämte Vergleich, den Dieudonné zwischen sich selbst und dem mutigen Streikführer Elie Domota anstellt, trägt dabei nicht einen Millimeter weit: Jener ist ein universalistisch und antikolonial agierender Antirassist und Gewerkschaftsführer, Dieudonné hingegen ein reichlich durchgeknallter Antisemit und gefährlicher Polit-Irrer, der noch dazu aufgrund solcherlei Äuerungen gerichtlich verurteilt worden ist.

Anknüpfen an ‚EuroPalestine’ (2004)?

„Dieudonné“ – sein Vorname ist auch sein Künstlername, unter dem er in der Vergangenheit bekannt wurde – hatte im Juni 2004 für eine kommunitaristisch ausgerichteten Liste unter dem Namen ‚EuroPalestine’ kandidiert. Diese EP-Wahlliste, die unter dem ‚Single Issue’-Thema „Solidarität mit Palästina“ antrat, war damals als solche (noch) nicht als antisemitisch zu bezeichnen, sondern gehörte – wenngleich mit zum Teil zweifelhaften Inhalten – noch in den Bereich „internationale Solidarität“ im Sinne der traditionellen Dritte Welt-Bewegung. Ihre Protagonisten waren entweder (im weiteren Sinne) Franzosen migrantischer Herkunft und/oder Linke, respektive gescheiterte o. frustrierte Linke. Gleichzeitig war aber bei manchen ihrer Protagonisten schon ein starker ethnisierender Selbstbezug – auf die „eigene“ (arabischstämmige) Community – unter Abkehr von einem universalistischen Anspruch abzulesen. Das gilt nicht für alle ihre Leitfiguren, denn eine ihrer zentralen Persönlichkeiten war etwa die linksgerichtete französische Jüdin Olivia Zemmor. Und auch der renommierte jüdische Historiker Maurice Rajfus – ein historischer Antiautoritärer, der viel u.a. zu Judenverfolgungen in Frankreich im 20. Jahrhundert forschte – konnte damals vorübergehend gewonnen werden, bevor er wieder absprang. Es zeichnete aber doch wesentliche Teile des politischen Phänomens ‚EuroPalestine’ aus.

Nicht zuletzt war auch damals schon Alain Soral präsent, der zwar noch nicht offen seine Wende hin zur extremen Rechten vollzogen hatte, aber bereits durch äuerst üble Sprüche auffiel. Eine Aussage von ihm führte damals, um Juni 2004, zur Polemik: Es sei „doch kein Zufall, wenn niemand sie“ – die Juden – „ausstehen kann, wo immer sie seit 2.500 Jahren hinkommen“, also kurz: ihre eigene Schuld. Späterhin war Dieudonné dann innerhalb von ‚EuroPalestine’ – die Struktur existiert weiterhin, ohne gröere Bedeutung aufzuweisen – zur Distanzierung von Alain Soral aufgefordert, und infolge seiner Weigerung ausgeschlossen. Dies war zwar eine positive Klärung, erfolgte aber erst nach einigen Monaten erbitterten Streits hinter den Kulissen.

Abzuwarten bleibt, in welchem Ausma die nun zu erwartende „multiethnische“ Antisemiten-Liste unter Dieudonné, sofern sie wirklich zustande kommt, an den damaligen (sehr relativen) Wahlerfolg anknüpfen oder ihn wiederholen kann. Die Liste ‚EuroPalestine’, die im Juni 2004 nur in einem einzigen der acht französischen Wahlkreise zur Europaparlamentswahl – der Hauptstadtregion Ile-de-France (Groraum Paris) – vertreten war, konnte dort damals im Durchschnitt o1,83 % der Stimmen erzielen. Vielerorts waren ihre Ergebnisse eher mikroskopisch geblieben. Allerdings hatte sie in insgesamt zwölf Städten des Verwaltungsbezirks Seine-Saint-Denis (nördliche Pariser Trabantenstadtzone) über 5 Prozent der Stimmen erhalten. Ihr höchstes Ergebnis erzielte sie seinerseits in der – teilweise von Hochhaussiedlungen und Sozialghettos geprägten – Stadt Garge-lès-Gonesse, im Verwaltungsbezirk Val-d’Oise, rund zehn Kilometer auerhalb von Paris in nordöstlicher Richtung. Dort stimmten damals 10,75 % der Wählenden für die ‚Liste EuroPalestine’, mutmalich vor allem Französinnen und Franzosen migrantischem Hintergrund.

Abzuwarten bleibt, ob Dieudonné – der ungleich offener antisemitische und verschwörungstheoretische Inhalte anbietet, die freilich in Teilbereichen des politischen Phänomens ‚EuroPalestine’ schon angelegt waren – daran anknüpfen können wird. Und ob sozial marginalisierte Milieus sich in seiner Statur des „vom System Verfolgten und Ausgegrenzten“ wiederzuerkennen vermögen. Es bliebe zu hoffen, dass dies nur in geringem, randständigem Ausma der Fall sein wird. Die Auflösung erfolgt am Abend des o7. Juni dieses Jahres...
 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.