Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Zwischen ‚Neuem Antikapitalismus’ und vereinigter „Linkfront“
Die französische Linke sortiert sich um.

 

03/09

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Es bleibt die Frage, wer welche strategischen Ziele verfolgt – zwischen den Optionen auf Regierungsbeteiligung respektive außerparlamentarischer Opposition

Frankreichs Linke befindet sich im Umbruch. Dass nicht Alle mit der Richtung, die diese Entwicklung dabei nimmt, zufrieden sind, versteht sich von selbst. Die vielleicht kurioseste Kritik kam aber vor wenigen Wochen von der Online-Zeitung Rue89, die von entlassenen früheren Redakteuren der linksliberalen Zeitung Libération gegründet wurde.  

Reformistische’ Kritik am NPA gibt sich ganz rrrradikal  

Im Chat mit ihrer Lesern hatte Olivier Besancenot, als Sprecher der am 8. Februar o9 frisch gegründeten „Neuen Antikapitalistischen Partei“ – des NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste) - angekündigt: „Ich bin Kandidat für die Revolution“.Durch die fesche Formulierung grenzte er sich von Vorstellungen, er könne Anwärter auf einen Ministerposten sein und auf eine künftige Regierungsbeteiligung schielen, ab. Der junge Postbedienstete und studierte Historiker Besancenot, der im April dieses Jahres 35 Jahre alt wird und schon zweimal als Präsidentschaftskandidat antrat – 2002 und 2007 – ist nicht nur der bekannteste Briefträger Frankreichs. Er ist auch das mit Abstand prominenteste Gesicht der neuen Partei, die nach einem dreitägigen Gründungskongress in der Pariser Vorstadt Saint-Denis offiziell entstanden ist, als Ergebnis eines anderthalbjährigen Gründungsprozesses. 

Der Redaktion schien das Profil, das sich aus seiner Antwort herausschälte, aber nicht radikal genug. So jedenfalls der oberflächliche Eindruck. In einem Beitrag wurde gescholten, „die Anführer des NPA“ seien „nicht auf der Höhe der Anforderungen der Zeit“. Zu defensiv seien sie, weil sie ihre Partei als „neue antikapitalistische“ bezeichneten. Sehr viel offensiver hätte der Verfasser – der Blogbetreiber ‚Yéti’ - es sich gewünscht. (Vgl. http://www.rue89.com/tag/npa ) 

Auf den zweiten Blick enthüllt sich das scheinbare Geheimnis freilich. Denn hinter der Kritik steht die Vorstellung der Rue89-Redakteure, den Kapitalismus, ja, den gebe es doch eigentlich schon fast gar nicht mehr. Historisch zu spät komme der NPA mit seinem Antikapitalismus: Durch die Verwerfungen der jüngsten Finanzkrise sei dessen Gegenstück, der Kapitalismus, doch quasi schon ad acta gelegt. Längst seien die Alternativen am Durchbrechen. Ja, wenn das so einfach wäre: Die Idee, dass das globale Wirtschaftssystem bereits ein anderes geworden wäre, nur weil ein paar Banken verstaatlicht werden – um dem System in Krisenzeiten das Weiterfunktionieren zu ermöglichen -, dürfte sich jedenfalls sehr schnell als dramatischer Irrglaube erweisen.... 

„Jetzt sollten sie lieber mithelfen, nach dem Sturm das Dach zu reparieren“, hält die Redaktion unterdessen Besancenot und den Leuten von der Neuen Antikapitalistischen Partei entgegen. Und das soll bedeuten: Nun sollen sie mal (jedenfalls sobald es bündnispolitisch möglich wird) in die Regierung eintreten, um dort die Krise und ihre Folgen zu verwalten. Genau davon aber versprechen sich Oilivier Besancenot und die MitgründerInnen des neuen NPA sich nicht unbedingt etwas. Nicht, dass sie kein politisches und soziales Programm hätten, dessen Umsetzung sie sich wünschten und für das sie sich nach Kräften einsetzten. Die neue Partei verfügt über ein Sofortprogramm, in dem Dringlichkeitsmabnahmen gefordert werden. Etwa die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns (SMIC) auf 1.500 Euro netto – was bei Pariser Preisen tatsächlich als ein Minimum erscheint, um ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu führen -, die Stärkung der Services publics statt ihrer Privatisierung, den Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie und die Beendigung des französischen Neokolonialismus in Afrika.  

Primat für soziale Kämpfe 

Gleichzeitig aber erhoffen sie sich im Sinne dieser Dringlichkeitsforderungen mehr Ergebnisse von der Teilnahme an sozialen Kämpfen für ihre Durchsetzung, als von einer Regierungsbeteiligung unter gegebenen Umständen. Zugleich treten sie, wie sich aus dem Namen der Parteigründung unschwer ablesen lässt, für das historische Projekt einer Überwindung des kapitalistischen Systems ein. Die Konturen der gesellschaftlichen Alternative, deren nähere Beschaffenheit aus sozialen Kämpfen hervorgehen müsse, werden unterdessen definiert: Starke Selbstverwaltungselemente müsse ein „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ enthalten, die ökologische Dimension stark berücksichtigen – in einigen Passagen des Grundsatzprogramms wird die anzustrebende Gesellschaft auch als „Ökosozialismus“ bezeichnet -, feministische und antirassistische Gleichheitsforderungen beinhalten. Kurz, der angestrebte Sozialismus soll nicht frühere gescheiterte Modelle des 20. Jahrhunderts nachahmen, sondern den Zielen der universellen menschlichen Emanzipation dienen. 

Soziale Kämpfe haben also, zumindest in der aktuellen historischen Situation, aus Sicht des NPA Vorrang vor der parlamentarischen Parteipolitik. Das Profil Olivier Besancenots steht genau dafür, für die Verankerung in gesellschaftlichen Kämpfen, die an der Basis geführt werden. Der 33jährige ist nicht nur Mitglied der linken Postgewerkschaft SUD-PTT, die zu den mit Abstand stärksten unter den alternativen Basisgewerkschaften – die meist den Namen SUD (Solidarires, Unitaires, Démocratiques) tragen – gehört und in nunmehr zwanzig Jahren Existenz zur zweitstärkten Gewerkschaft bei der Post aufgestiegen ist. Er reiste auch in den letzten Jahren kontinuierlich zu den Schauplätzen sozialer Konflikte, und wurden sie noch so isoliert und „mit dem Rücken zur Wand“ geführt wie im Falle der Abwehrkämpfe gegen Massenentlassungspläne. Seine aktiven Solidaritätsbekundungen werden gut aufgenommen. Regelmäbig werden sie auch eingefordert. Bei Solidaritätsdemonstrationen für den Generalstreik auf den französischen Antillen im Februar o9 in Paris ertönte vielfach der Ruf: „Olivier nach Gouadeloupe! Olivier nach Gouadeloupe!“ Das trifft sich gut: Just am 18. Februar reiste Besancenot auch in die französischen „Überseebezirke“ – Guadeloupe und La Martinique -, um die dortigen massiven Kämpfe gegen Armut und postkoloniale Unterdrückung zu unterstützen. Dort drückten sich unterdessen allerdings auch eine Delegation der französischen KP oder José Bové – der frühere Sprecher einer internationalistischen Bauerngewerkschaft (Confédération paysanne) und jetzige Kandidat der französischen Grünen zu den Europaparlamentswahlen vom o7. Juni – die Klinke in die Hand.  

Besancenot, von der LCR zum NPA 

Das jugendliche, von bürgerlichen Journalisten mitunter als „knabenhaft“ bezeichnete Gesicht Besancenots ist zu einer Art Verkörperung des Strebens nach Radikalität, nach Emanzipation durch soziale Kämpfe geworden. Schon in jungen Jahren, 1991, stieb der damalige Schüler zur Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR). Zehn Jahre später wurde er einer ihrer drei gleichberechtigten SprecherInnen, und ihr Präsidentschaftskandidat 2002. Damals und erneut fünf Jahre später erhielt er deutlich über eine Million Stimmen und gut vier Prozent. Angesichts des Erfolgs und des Zulaufs vor allem junger Menschen beschloss die LCR daraufhin, das Wagnis einzugehen und sich in einer breiteren, radikal linken Sammelbewegung aufzulösen. Daraus entstand, nach fast zweijähriger Vorbereitungsphase, nun der NPA.  

Im Gegensatz zur früheren LCR bezieht die neue Partei als solche sich nicht überwiegend auf die historische Traditionslinie des Trotzkismus und der „Linken Opposition“ in den Kommunistischen Parteien während der Frühphasen der Sowjetunion. Vielmehr sollen neben TrotzkistInnen auch „libertäre KommunistInnen“ (AnarchokommunistInnen), enttäuschte AnhängerInnen der etablierten Linksparteien, GewerkschafterInnen und AktivistInnen sozialer Bewegungen ihren Platz finden. Von zuvor rund 3.000 Mitgliedern der LCR konnte die neue politische Kraft schon in der Entstehungsphase auf über 9.000 Gründungsmitglieder anwachsen. Angesichts eines erfolgreichen Kongresses – auf dem auch die Minderheit, etwa jener Flügel der früheren LCR, der statt einer antikapitalistische eine weniger radikale und breitete „anti-neoliberale“ Sammlung anstrebt, zu Wort kam und Plätze im neuen Leitungsgremium einnehmen kann – und eines starken Medienechos wird nun mit einer neuen Beitrittswelle gerechnet. 

In der Öffentlichkeit wird die neue Partei stark mit Besancenot identifiziert. Dies bleibt nicht ohne Probleme, und führte auch intern in der Vergangenheit zu mancher Kritik an der „Personalisierung“ der Politik. Letztere resultiert jedoch weit weniger aus dem Willen Besancenots – der seinem „Normalberuf“ weiterhin nachgeht und gern auch noch ein Stückchen Privatleben bewahren möchte -, sondern aus der Funktionsweise der Medien und einem französischen Politikbetrieb, der aufgrund des Präsidialsystems stark auf Personen zugeschnitten ist. Als Besancenot im Mai 2008 an einer bekannten Talkshow im französischen Fernsehen – ‚Chez Drucker’ – teilnahm, rümpften intern viele Mitglieder der damaligen LCR die Nase. Allerdings wuchs die Zustimmung zu Besancenots Positionen, die er trotz des entpolitisierenden Stils der Talkshows durchaus „rüberzubringen“ vermochte, danach in der Öffentlichkeit nochmals an. Sprungartig stiegen die Zustimmungswerte zu ihm und seinen Positionen, innerhalb einer Woche, in den Umfragen von 36 auf 43 Prozent.   

Derzeit gilt Besancenot einer Mehrheit der Befragten als „der profilierteste Oppositionelle gegen Nicolas Sarkozy“. Dies führt natürlich nicht nur zu Neidern, sondern auch zu politischer Kritik. Der frühere Parteichef der französischen Sozialdemokratie, François Hollande, schimpfte etwa im Februar o9 über Besancenot und den NPA - diese betrieben nur „die Spaltung der Linken“ und würden sich „nicht die Hände schmutzig machen wollen“, gemeint war: im Regierungsgeschäft. Eine andere Strategie, um Besancenot zu diskreditieren, verfolgt  Nicolas Sarkozy: Er sprach ihm mehrfach öffentlich seine Anerkennung als „fähigster Oppositioneller“ aus. Dadurch versucht er freilich seinerseits, die Sozialdemokratie unter Druck zu setzen, die nun vor dem strategischen Dilemma steht: Bündnissuche auf ihrer Linke, oder fortgesetzte Zuwendung zur politischen Mitte? Aber auch mit dem faulen Lob vom politischen Erzfeind muss der Revolutionär leben können.

Linkspartei à la française 

Soziale Kämpfe haben also, zumindest in der aktuellen historischen Situation, aus Sicht des NPA Vorrang vor der parlamentarischen Parteipolitik. Das unterscheidet diese Partei der radikalen Linken von einer anderen Linksformation, die ebenfalls am selben Wochenende gegründet worden ist, dem Parti de gauche (PG) unter Anführung des Abgeordneten Jean-Luc Mélenchon.  

Dessen Name bedeutet so viel wie „Linkspartei“. Auch sonst lehnt sich die neue Kraft unter Mélenchon - die in ihrer öffentlichen Darstellung tatsächlich stark auf die Person des Parlamentariers zugeschnitten ist – in erheblichem Ausmab an deutsche Vorbilder an. Nicht zufällig nahm Oskar Lafontaine sowohl an der Grobverstaltung Ende November 2008 im Pariser Vorort Saint-Ouen, mit der die Schaffung der neuen Partei lanciert wurde, als auch am Gründungskongress des PG am 7./8. Februar o9 teil. Ansonsten stehen aber auch Hugo Chavez und Eva Morales auf der Liste der offiziellen Vorbilder.

 Die Neugründung unter Jean-Luc Mélenchon ähnelt insofern entfernt der früheren deutschen WASG – die nach einer Fusion mit der ehemaligen PDS vor zwei Jahren in der Partei DIE LINKE aufging -, als es sich auch bei ihr um eine Linksabspaltung von der Sozialdemokratie handelt. Allerdings treten beim zweiten Blick auch erhebliche Unterschiede hervor. Die deutsche „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ hatte es geschafft, ein eigenes thematisches Feld zu besetzen, indem sie als Partei der Ablehnung der Hartz-Gesetzgebung entstand.  

Hingegen erscheint die Schaffung der neuen französischen „Linkspartei“ unter Mélenchon eher als Kopfgeburt, die sich aus der inneren Situation der Sozialistischen Partei ergibt. Die „offizielle“ Sozialdemokratie, die seit Ende vergangenen Jahres durch die frühere Arbeitsminister Martine Aubry angeführt, hatte vom 12. bis 14. November o8 einen Parteitag in Reims durchgeführt, der in breiten Kreisen den Eindruck eines Desasters hinterlieb. Heftig wurde – vor, auf und auch noch nach dem Parteikongress – um Personen und Posten gestritten, aber nicht um Inhalte und Strategien gerungen. Daraufhin beschloss ein Teil des früheren linken Parteiflügels um Mélenchon, es sei nunmehr an der Zeit, sich abzuspalten, um dem Vorbild von WASG und PDS in Deutschland nachzueifern. (Allerdings hatte diese Parteifraktion um Mélenchon in Wirklichkeit schon seit 2005, und dem heftigen innerparteilichen Streit um den damals in Frankreich zur Abstimmung stehenden EU-Verfassungsvertrag, eigene organisatorische Strukturen geschaffen. Durchaus im Hinblick darauf, dass man sich später möglicherweise organisatorisch selbständig machen könnte. Die anti-neoliberalen Gegner des Verfassungsvertrags vom linken Flügel, jedenfalls jene um Jean-Luc Mélenchon, sammelten sich so schon ab 2005 in der Vereinigung PRS, ‚Pour une République Sociale’, deren Name so viel wie „Für eine soziale Republik“ bedeutete. Es handelte sich um die Keimzelle des jetzigen Versuchs, eine Art französischer „Linkspartei“ als Pendant zu DIE LINKE zu schaffen.) 

Ähnlich wie in Deutschland die letzteren beiden - also WASG und PDS - sich einander annäherten, nachdem die Anti-Hartz IV-Fraktion die SPD verlassen hatte, hat auch Mélenchon sich nun stark an die französische KP angenähert. Er ist Mitglied ihrer Parlamentsfraktion – ansonsten würde er allein auf den Abgeordnetenbänken sitzen -, und beide Formationen zusammen werden mit einer gemeinsamen Liste in die Europaparlamentswahlen vom o7. Juni o9 ziehen. Allerdings ist der Platz zu ihrer Linken nicht einfach leer, wie in Deutschland, wo es links von der PDS ein Vakuum gab, jedenfalls was von der Gröbenordnung her relevante Organisationen betrifft.  

Dort, also links von der – regierungswilligen, seit 1994 (und dem damals, spät, erklärten „Bruch mit dem sowjetischen Modell“) de facto zu einer linkssozialdemokratischen Partei gewandelten – französischen KP, hat es schon in den letzten dreizehn Jahren radikalere Kräfte gegeben. Und diese waren im französischen Falle durchaus auch bei Wahlen erfolgreich. Dies galt zunächst, von 1995 bis Anfang dieses Jahrzehnts, für die orthodox-trotzkistische Partei Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf), deren langjährige Präsidentschaftskandidatin Arlette Laguiller wichtige Achtungserfolge erzielt hatte, aber nun inzwischen überaltert erscheint. Laguiller wurde jüngst als Sprecherin durch die 38jährige Nathalie Arthaud abgelöst, aber ihre Partei befindet sich tendenziell eher im Niedergang. 

Seit Anfang dieses Jahrzehnts schaffte es dann zunächst die trotzkistische, im Vergleich zu LO wesentlich undogmatischere LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire), Stimmen von enttäuschten Wählern der gröberen Linksparteien zu gewinnen. Gleichzeitig erkannte ein politisch radikalisierungswilliger Teil der jüngeren Generationen und der Aktivisten sozialer Bewegungen sich in ihrem jungen Kandidaten wieder. Daraufhin beschloss die LCR, sich zugunsten der Bildung einer breiteren antikapitalistischen Partei aufzulösen.  

Zusammenarbeit möglich – und auf welcher Grundlage? 

Nun stellt sich die Frage einer eventuellen Zusammenarbeit mit der anderen Linkskraft, die zur selben Zeit gegründet worden ist. Linkspartei und KP hatten zunächst auf die Bildung einer gemeinsamen Liste mit dem NPA zu den Europaparlamentswahlen geschielt.  

Doch die neue Partei von Olivier Bensancenot erhob dafür auf ihrem Gründungskongress Bedingungen, aufgrund derer eine Einigung für gemeinsame Listen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zustande kommen dürfte. Der NPA fordert, es müsse „erst eine Einheit in den sozialen Kämpfen“ geben, bevor man an eine gemeinsame Liste denken könne. Und falls man gemeinsam Sitze im Europaparlament besetze, dann müsse es auch eine Zusammenarbeit über den Wahltag hinaus geben. Dadurch will der NPA verhindern, dass Teile einer gemeinsamen Fraktion sich alsbald als Minister in einer etwaigen künftigen sozialdemokratischen Regierung wieder finden – Mélenchon selbst war bis 2002 Berufsschulminister -, während man selbst eine Regierungsbeteiligung ablehnt.  (Als leicht fadenscheinig erscheint hingegen die Anforderung an mögliche Bündnispartner/innen, diese sollten sich auch zum Ausstieg aus der Atomkraftnutzung bekennen, um eine Allianz mit ihnen zu ermöglichen. An dieser Stelle trifft die Kritik vom rechteren Parteiflügel der früheren LCR – der eher für eine anti-neoliberale denn eine antikapitalistische Sammlung eintritt – zu, die ihr Anführer Christian Piquet Anfang März im KP-nahen Organ ‚Humanité Dimanche’ votrug: Als die LCR sich im Winter 1998/99 mit der damals wahlpolitisch stärkeren radikal-linken Kraft – Lutte Ouvrière – auf eine Listenverbindung zur Europaparlamentswahl vom 13. Juni 1999 einigte, habe man LO auch nicht zur Vorbedingung gemacht, sie müsse sich zum Abschied von der Atomenergie bekennen. Diese Aussagte trifft zu. Heute hingegen ist diese Forderung, die von der LCR an potenzielle Bündnispartner erhoben wird, eher ein rotes Tuch, das für die französische KP – die noch immer ein relativ unkritisches Verhältnis zu Atomindustrie „ihres“ Landes hat – geschüttelt wird.) 

Auf dieser Grundlage wird man wohl aber seitens der KP und der „Linkspartei“ Mélenchons eine Zusammenarbeit ablehnen. Derzeit wird in den Umfragen der NPA bei neun Prozent der Stimmen zu den Europaparlamentswahlen gehandelt, eine gemeinsame Liste von KP und Mélenchon im Moment mit vier Prozent. Im Augenblick honorieren die linken Wähler also eher das radikalere Profil, wobei Umfragen für eine – hyptotheisch bleibende – gemeinsame Liste dieser Anfang Februar noch Werte um 14,5 Prozent vorhersagten. (Es geistert auch eine Umfrage durch den Raum, wonach eine solche einheitliche „linke Liste“ angeblich mit bis zu 25,5 Prozent rechnen könne. Dabei war jedoch die Frage nach dem politischen Profil dieser Liste äuberst vage formuliert geblieben.) 

 Der frühere LCR-Parteiflügel um Christian Piquet, der das Konzept einer antikapitalistischen Partei eher ablehnt und stattdessen weitaus eher einer anti-neoliberalen Sammlung das Wort redet, wird sich allerdings möglicherweise abspalten. Um vom NPA zum ‚Front de gauche’ (also der „Linksfront“), den die französische KP und die „Linkspartei“ unter Jean-Luc Mélenchon zur Europaparlamentswahl gegründet bzw. ausgerufen haben, überzutreten. Sein „Kopf“, Christian Piquet, war jedenfalls auf der ersten Wahlkampfveranstaltung der „Linksfront“ – am 1. März im Pariser Konzertsaal Le Zénith – als Redner präsent. 

Welche strategische Perspektive? 

Längerfristig wird sich auch die Frage nach den strategischen Zielen stellen. Bei den Alltagsforderungen können die verschiedenen Linkskräfte durchaus kooperieren. So waren sowohl Besancenot als auch Mélenchon und ihre Anhänger bei den Pariser Solidaritätsdemonstrationen für Generalstreik auf den Antillen in der ersten Reihe präsent. Beide unterstützten das zentrale Anliegen der Streikenden: 200 Euro Lohnerhöhung. Aber auf die Dauer stellt sich die Frage, wie man strategisch vorgehen muss, um den eigenen Forderungen zum Durchbruch zu verhelfen. 

Mélenchon baut dabei längerfristig auf eine Rückkehr der staatlichen Politik zu „echter“ sozialdemokratischer Politik, die durch die Sozialistische Partei aufgrund ihres Abgleitens in den Wirtschaftsliberalismus und in die Akzeptanz der „Sachzwänge“ aufgegeben worden sei. Gleichzeitig setzt sich Mélenchon seit längerem für protektionistische Mabnahmen auf EU-Ebene ein. Darin erblickt er eine notwendige Voraussetzung, um politische Handlungsspielräume innerhalb der Union gegenüber dem „freien Spiel der Marktkräfte“ behaupten zu können. Protektionismus lehnt der NPA hingegen ab, der stattdessen auf eine Internationalisierung der Klassenkämpfe setzt und im Protektionismus eine Gefahr der Zunahme zwischenstaatlicher Konflikte sieht. Er vertritt die Auffassung, die Lohnabhängigen in China ebenso wie in Europa sollten dafür sorgen, dass ein Kräfteverhältnis geschaffen wird, in dem die jeweils Herrschenden nicht „die Kosten der Krise auf ihren Rücken abwälzen“ können.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.

Jeweils Teile dieses Manuskripts erschienen, redaktionell bearbeitet und gekürzt, in der Wochenzeitung (WoZ) in Zürich und in der Berliner Wochenzeitung ‚Jungle World’. Das Gesamtmanuskript wurde vom Verfasser nochmals aktuell überarbeitet