Es bleibt die Frage, wer welche
strategischen Ziele verfolgt – zwischen den Optionen auf
Regierungsbeteiligung respektive außerparlamentarischer
Opposition
Frankreichs Linke befindet sich im Umbruch. Dass nicht Alle mit
der Richtung, die diese Entwicklung dabei nimmt, zufrieden sind,
versteht sich von selbst. Die vielleicht kurioseste Kritik kam
aber vor wenigen Wochen von der Online-Zeitung Rue89, die von
entlassenen früheren Redakteuren der linksliberalen Zeitung
Libération gegründet wurde.
‚Reformistische’
Kritik am NPA gibt sich ganz rrrradikal
Im
Chat mit ihrer Lesern hatte Olivier Besancenot, als Sprecher der
am 8. Februar o9 frisch gegründeten „Neuen Antikapitalistischen
Partei“ – des NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste) - angekündigt:
„Ich bin Kandidat für die Revolution“.Durch die fesche
Formulierung grenzte er sich von Vorstellungen, er könne
Anwärter auf einen Ministerposten sein und auf eine künftige
Regierungsbeteiligung schielen, ab. Der junge Postbedienstete
und studierte Historiker Besancenot, der im April dieses Jahres
35 Jahre alt wird und schon zweimal als Präsidentschaftskandidat
antrat – 2002 und 2007 – ist nicht nur der bekannteste
Briefträger Frankreichs. Er ist auch das mit Abstand
prominenteste Gesicht der neuen Partei, die nach einem
dreitägigen Gründungskongress in der Pariser Vorstadt
Saint-Denis offiziell entstanden ist, als Ergebnis eines
anderthalbjährigen Gründungsprozesses.
Der Redaktion schien das Profil, das sich aus seiner Antwort
herausschälte, aber nicht radikal genug. So jedenfalls der
oberflächliche Eindruck. In einem Beitrag wurde gescholten, „die
Anführer des NPA“ seien „nicht auf der Höhe der Anforderungen
der Zeit“. Zu defensiv seien sie, weil sie ihre Partei als „neue
antikapitalistische“ bezeichneten. Sehr viel offensiver hätte
der Verfasser – der Blogbetreiber ‚Yéti’ - es sich gewünscht.
(Vgl. http://www.rue89.com/tag/npa )
Auf den zweiten Blick enthüllt sich das scheinbare Geheimnis
freilich. Denn hinter der Kritik steht die Vorstellung der
Rue89-Redakteure, den Kapitalismus, ja, den gebe es doch
eigentlich schon fast gar nicht mehr. Historisch zu spät komme
der NPA mit seinem Antikapitalismus: Durch die Verwerfungen der
jüngsten Finanzkrise sei dessen Gegenstück, der Kapitalismus,
doch quasi schon ad acta gelegt. Längst seien die Alternativen
am Durchbrechen. Ja, wenn das so einfach wäre: Die Idee, dass
das globale Wirtschaftssystem bereits ein anderes geworden wäre,
nur weil ein paar Banken verstaatlicht werden – um dem System in
Krisenzeiten das Weiterfunktionieren zu ermöglichen -, dürfte
sich jedenfalls sehr schnell als dramatischer Irrglaube
erweisen....
„Jetzt sollten sie lieber mithelfen, nach dem Sturm das Dach zu
reparieren“, hält die Redaktion unterdessen Besancenot und den
Leuten von der Neuen Antikapitalistischen Partei entgegen. Und
das soll bedeuten: Nun sollen sie mal (jedenfalls sobald es
bündnispolitisch möglich wird) in die Regierung eintreten, um
dort die Krise und ihre Folgen zu verwalten. Genau davon aber
versprechen sich Oilivier Besancenot und die MitgründerInnen des
neuen NPA sich nicht unbedingt etwas. Nicht, dass sie kein
politisches und soziales Programm hätten, dessen Umsetzung sie
sich wünschten und für das sie sich nach Kräften einsetzten. Die
neue Partei verfügt über ein Sofortprogramm, in dem
Dringlichkeitsmabnahmen
gefordert werden. Etwa die Anhebung des gesetzlichen
Mindestlohns (SMIC) auf 1.500 Euro netto – was bei Pariser
Preisen tatsächlich als ein Minimum erscheint, um ein halbwegs
menschenwürdiges Leben zu führen -, die Stärkung der Services
publics statt ihrer Privatisierung, den Ausstieg aus der Nutzung
der Atomenergie und die Beendigung des französischen
Neokolonialismus in Afrika.
Primat für soziale Kämpfe
Gleichzeitig aber erhoffen sie sich im Sinne dieser
Dringlichkeitsforderungen mehr Ergebnisse von der Teilnahme an
sozialen Kämpfen für ihre Durchsetzung, als von einer
Regierungsbeteiligung unter gegebenen Umständen. Zugleich treten
sie, wie sich aus dem Namen der Parteigründung unschwer ablesen
lässt, für das historische Projekt einer Überwindung des
kapitalistischen Systems ein. Die Konturen der
gesellschaftlichen Alternative, deren nähere Beschaffenheit aus
sozialen Kämpfen hervorgehen müsse, werden unterdessen
definiert: Starke Selbstverwaltungselemente müsse ein
„Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ enthalten, die ökologische
Dimension stark berücksichtigen – in einigen Passagen des
Grundsatzprogramms wird die anzustrebende Gesellschaft auch als
„Ökosozialismus“ bezeichnet -, feministische und
antirassistische Gleichheitsforderungen beinhalten. Kurz, der
angestrebte Sozialismus soll nicht frühere gescheiterte Modelle
des 20. Jahrhunderts nachahmen, sondern den Zielen der
universellen menschlichen Emanzipation dienen.
Soziale Kämpfe haben also, zumindest in der aktuellen
historischen Situation, aus Sicht des NPA Vorrang vor der
parlamentarischen Parteipolitik. Das Profil Olivier Besancenots
steht genau dafür, für die Verankerung in gesellschaftlichen
Kämpfen, die an der Basis geführt werden. Der 33jährige ist
nicht nur Mitglied der linken Postgewerkschaft SUD-PTT, die zu
den mit Abstand stärksten unter den alternativen
Basisgewerkschaften – die meist den Namen SUD (Solidarires,
Unitaires, Démocratiques) tragen – gehört und in nunmehr zwanzig
Jahren Existenz zur zweitstärkten Gewerkschaft bei der Post
aufgestiegen ist. Er reiste auch in den letzten Jahren
kontinuierlich zu den Schauplätzen sozialer Konflikte, und
wurden sie noch so isoliert und „mit dem Rücken zur Wand“
geführt wie im Falle der Abwehrkämpfe gegen
Massenentlassungspläne. Seine aktiven Solidaritätsbekundungen
werden gut aufgenommen. Regelmäbig
werden sie auch eingefordert. Bei Solidaritätsdemonstrationen
für den Generalstreik auf den französischen Antillen im Februar
o9 in Paris ertönte vielfach der Ruf: „Olivier nach Gouadeloupe!
Olivier nach Gouadeloupe!“ Das trifft sich gut: Just am 18.
Februar reiste Besancenot auch in die französischen
„Überseebezirke“ – Guadeloupe und La Martinique -, um die
dortigen massiven Kämpfe gegen Armut und postkoloniale
Unterdrückung zu unterstützen. Dort drückten sich unterdessen
allerdings auch eine Delegation der französischen KP oder José
Bové – der frühere Sprecher einer internationalistischen
Bauerngewerkschaft (Confédération paysanne) und jetzige Kandidat
der französischen Grünen zu den Europaparlamentswahlen vom o7.
Juni – die Klinke in die Hand.
Besancenot, von der LCR zum NPA
Das jugendliche, von bürgerlichen Journalisten mitunter als
„knabenhaft“ bezeichnete Gesicht Besancenots ist zu einer Art
Verkörperung des Strebens nach Radikalität, nach Emanzipation
durch soziale Kämpfe geworden. Schon in jungen Jahren, 1991,
stieb
der damalige Schüler zur Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR).
Zehn Jahre später wurde er einer ihrer drei gleichberechtigten
SprecherInnen, und ihr Präsidentschaftskandidat 2002. Damals und
erneut fünf Jahre später erhielt er deutlich über eine Million
Stimmen und gut vier Prozent. Angesichts des Erfolgs und des
Zulaufs vor allem junger Menschen beschloss die LCR daraufhin,
das Wagnis einzugehen und sich in einer breiteren, radikal
linken Sammelbewegung aufzulösen. Daraus entstand, nach fast
zweijähriger Vorbereitungsphase, nun der NPA.
Im
Gegensatz zur früheren LCR bezieht die neue Partei als solche
sich nicht überwiegend auf die historische Traditionslinie des
Trotzkismus und der „Linken Opposition“ in den Kommunistischen
Parteien während der Frühphasen der Sowjetunion. Vielmehr sollen
neben TrotzkistInnen auch „libertäre KommunistInnen“
(AnarchokommunistInnen), enttäuschte AnhängerInnen der
etablierten Linksparteien, GewerkschafterInnen und AktivistInnen
sozialer Bewegungen ihren Platz finden. Von zuvor rund 3.000
Mitgliedern der LCR konnte die neue politische Kraft schon in
der Entstehungsphase auf über 9.000 Gründungsmitglieder
anwachsen. Angesichts eines erfolgreichen Kongresses – auf dem
auch die Minderheit, etwa jener Flügel der früheren LCR, der
statt einer antikapitalistische eine weniger radikale und
breitete „anti-neoliberale“ Sammlung anstrebt, zu Wort kam und
Plätze im neuen Leitungsgremium einnehmen kann – und eines
starken Medienechos wird nun mit einer neuen Beitrittswelle
gerechnet.
In
der Öffentlichkeit wird die neue Partei stark mit Besancenot
identifiziert. Dies bleibt nicht ohne Probleme, und führte auch
intern in der Vergangenheit zu mancher Kritik an der
„Personalisierung“ der Politik. Letztere resultiert jedoch weit
weniger aus dem Willen Besancenots – der seinem „Normalberuf“
weiterhin nachgeht und gern auch noch ein Stückchen Privatleben
bewahren möchte -, sondern aus der Funktionsweise der Medien und
einem französischen Politikbetrieb, der aufgrund des
Präsidialsystems stark auf Personen zugeschnitten ist. Als
Besancenot im Mai 2008 an einer bekannten Talkshow im
französischen Fernsehen – ‚Chez Drucker’ – teilnahm, rümpften
intern viele Mitglieder der damaligen LCR die Nase. Allerdings
wuchs die Zustimmung zu Besancenots Positionen, die er trotz des
entpolitisierenden Stils der Talkshows durchaus „rüberzubringen“
vermochte, danach in der Öffentlichkeit nochmals an. Sprungartig
stiegen die Zustimmungswerte zu ihm und seinen Positionen,
innerhalb einer Woche, in den Umfragen von 36 auf 43 Prozent.
Derzeit gilt Besancenot einer Mehrheit der Befragten als „der
profilierteste Oppositionelle gegen Nicolas Sarkozy“. Dies führt
natürlich nicht nur zu Neidern, sondern auch zu politischer
Kritik. Der frühere Parteichef der französischen
Sozialdemokratie, François Hollande, schimpfte etwa im Februar
o9 über Besancenot und den NPA - diese betrieben nur „die
Spaltung der Linken“ und würden sich „nicht die Hände schmutzig
machen wollen“, gemeint war: im Regierungsgeschäft. Eine andere
Strategie, um Besancenot zu diskreditieren, verfolgt Nicolas
Sarkozy: Er sprach ihm mehrfach öffentlich seine Anerkennung als
„fähigster Oppositioneller“ aus. Dadurch versucht er freilich
seinerseits, die Sozialdemokratie unter Druck zu setzen, die nun
vor dem strategischen Dilemma steht: Bündnissuche auf ihrer
Linke, oder fortgesetzte Zuwendung zur politischen Mitte? Aber
auch mit dem faulen Lob vom politischen Erzfeind muss der
Revolutionär leben können.
Linkspartei à la française
Soziale Kämpfe haben also, zumindest in der aktuellen
historischen Situation, aus Sicht des NPA Vorrang vor der
parlamentarischen Parteipolitik. Das unterscheidet diese Partei
der radikalen Linken von einer anderen Linksformation, die
ebenfalls am selben Wochenende gegründet worden ist, dem Parti
de gauche (PG) unter Anführung des Abgeordneten Jean-Luc
Mélenchon.
Dessen Name bedeutet so viel wie „Linkspartei“. Auch sonst lehnt
sich die neue Kraft unter Mélenchon - die in ihrer öffentlichen
Darstellung tatsächlich stark auf die Person des Parlamentariers
zugeschnitten ist – in erheblichem Ausmab
an deutsche Vorbilder an. Nicht zufällig nahm Oskar Lafontaine
sowohl an der Grobverstaltung
Ende November 2008 im Pariser Vorort Saint-Ouen, mit der die
Schaffung der neuen Partei lanciert wurde, als auch am
Gründungskongress des PG am 7./8. Februar o9 teil. Ansonsten
stehen aber auch Hugo Chavez und Eva Morales auf der Liste der
offiziellen Vorbilder.
Die
Neugründung unter Jean-Luc Mélenchon ähnelt insofern entfernt
der früheren deutschen WASG – die nach einer Fusion mit der
ehemaligen PDS vor zwei Jahren in der Partei DIE LINKE aufging
-, als es sich auch bei ihr um eine Linksabspaltung von der
Sozialdemokratie handelt. Allerdings treten beim zweiten Blick
auch erhebliche Unterschiede hervor. Die deutsche
„Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ hatte es
geschafft, ein eigenes thematisches Feld zu besetzen, indem sie
als Partei der Ablehnung der Hartz-Gesetzgebung entstand.
Hingegen erscheint die Schaffung der neuen französischen
„Linkspartei“ unter Mélenchon eher als Kopfgeburt, die sich aus
der inneren Situation der Sozialistischen Partei ergibt. Die
„offizielle“ Sozialdemokratie, die seit Ende vergangenen Jahres
durch die frühere Arbeitsminister Martine Aubry angeführt, hatte
vom 12. bis 14. November o8 einen Parteitag in Reims
durchgeführt, der in breiten Kreisen den Eindruck eines
Desasters hinterlieb.
Heftig wurde – vor, auf und auch noch nach dem Parteikongress –
um Personen und Posten gestritten, aber nicht um Inhalte und
Strategien gerungen. Daraufhin beschloss ein Teil des früheren
linken Parteiflügels um Mélenchon, es sei nunmehr an der Zeit,
sich abzuspalten, um dem Vorbild von WASG und PDS in Deutschland
nachzueifern. (Allerdings hatte diese Parteifraktion um
Mélenchon in Wirklichkeit schon seit 2005, und dem heftigen
innerparteilichen Streit um den damals in Frankreich zur
Abstimmung stehenden EU-Verfassungsvertrag, eigene
organisatorische Strukturen geschaffen. Durchaus im Hinblick
darauf, dass man sich später möglicherweise organisatorisch
selbständig machen könnte. Die anti-neoliberalen Gegner des
Verfassungsvertrags vom linken Flügel, jedenfalls jene um
Jean-Luc Mélenchon, sammelten sich so schon ab 2005 in der
Vereinigung PRS, ‚Pour une République Sociale’, deren Name so
viel wie „Für eine soziale Republik“ bedeutete. Es handelte sich
um die Keimzelle des jetzigen Versuchs, eine Art französischer
„Linkspartei“ als Pendant zu DIE LINKE zu schaffen.)
Ähnlich wie in Deutschland die letzteren beiden - also WASG und
PDS - sich einander annäherten, nachdem die Anti-Hartz
IV-Fraktion die SPD verlassen hatte, hat auch Mélenchon sich nun
stark an die französische KP angenähert. Er ist Mitglied ihrer
Parlamentsfraktion – ansonsten würde er allein auf den
Abgeordnetenbänken sitzen -, und beide Formationen zusammen
werden mit einer gemeinsamen Liste in die Europaparlamentswahlen
vom o7. Juni o9 ziehen. Allerdings ist der Platz zu ihrer Linken
nicht einfach leer, wie in Deutschland, wo es links von der PDS
ein Vakuum gab, jedenfalls was von der Gröbenordnung
her relevante Organisationen betrifft.
Dort, also links von der – regierungswilligen, seit 1994 (und
dem damals, spät, erklärten „Bruch mit dem sowjetischen Modell“)
de facto zu einer linkssozialdemokratischen Partei gewandelten –
französischen KP, hat es schon in den letzten dreizehn Jahren
radikalere Kräfte gegeben. Und diese waren im französischen
Falle durchaus auch bei Wahlen erfolgreich. Dies galt zunächst,
von 1995 bis Anfang dieses Jahrzehnts, für die
orthodox-trotzkistische Partei Lutte Ouvrière (LO,
Arbeiterkampf), deren langjährige Präsidentschaftskandidatin
Arlette Laguiller wichtige Achtungserfolge erzielt hatte, aber
nun inzwischen überaltert erscheint. Laguiller wurde jüngst als
Sprecherin durch die 38jährige Nathalie Arthaud abgelöst, aber
ihre Partei befindet sich tendenziell eher im Niedergang.
Seit Anfang dieses Jahrzehnts schaffte es dann zunächst die
trotzkistische, im Vergleich zu LO wesentlich undogmatischere
LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire), Stimmen von enttäuschten
Wählern der gröberen
Linksparteien zu gewinnen. Gleichzeitig erkannte ein politisch
radikalisierungswilliger Teil der jüngeren Generationen und der
Aktivisten sozialer Bewegungen sich in ihrem jungen Kandidaten
wieder. Daraufhin beschloss die LCR, sich zugunsten der Bildung
einer breiteren antikapitalistischen Partei aufzulösen.
Zusammenarbeit möglich – und auf welcher Grundlage?
Nun stellt sich die Frage einer eventuellen Zusammenarbeit mit
der anderen Linkskraft, die zur selben Zeit gegründet worden
ist. Linkspartei und KP hatten zunächst auf die Bildung einer
gemeinsamen Liste mit dem NPA zu den Europaparlamentswahlen
geschielt.
Doch die neue Partei von Olivier Bensancenot erhob dafür auf
ihrem Gründungskongress Bedingungen, aufgrund derer eine
Einigung für gemeinsame Listen mit hoher Wahrscheinlichkeit
nicht zustande kommen dürfte. Der NPA fordert, es müsse „erst
eine Einheit in den sozialen Kämpfen“ geben, bevor man an eine
gemeinsame Liste denken könne. Und falls man gemeinsam Sitze im
Europaparlament besetze, dann müsse es auch eine Zusammenarbeit
über den Wahltag hinaus geben. Dadurch will der NPA verhindern,
dass Teile einer gemeinsamen Fraktion sich alsbald als Minister
in einer etwaigen künftigen sozialdemokratischen Regierung
wieder finden – Mélenchon selbst war bis 2002
Berufsschulminister -, während man selbst eine
Regierungsbeteiligung ablehnt. (Als leicht fadenscheinig
erscheint hingegen die Anforderung an mögliche
Bündnispartner/innen, diese sollten sich auch zum Ausstieg aus
der Atomkraftnutzung bekennen, um eine Allianz mit ihnen zu
ermöglichen. An dieser Stelle trifft die Kritik vom rechteren
Parteiflügel der früheren LCR – der eher für eine
anti-neoliberale denn eine antikapitalistische Sammlung eintritt
– zu, die ihr Anführer Christian Piquet Anfang März im KP-nahen
Organ ‚Humanité Dimanche’ votrug: Als die LCR sich im Winter
1998/99 mit der damals wahlpolitisch stärkeren radikal-linken
Kraft – Lutte Ouvrière – auf eine Listenverbindung zur
Europaparlamentswahl vom 13. Juni 1999 einigte, habe man LO auch
nicht zur Vorbedingung gemacht, sie müsse sich zum Abschied von
der Atomenergie bekennen. Diese Aussagte trifft zu. Heute
hingegen ist diese Forderung, die von der LCR an potenzielle
Bündnispartner erhoben wird, eher ein rotes Tuch, das für die
französische KP – die noch immer ein relativ unkritisches
Verhältnis zu Atomindustrie „ihres“ Landes hat – geschüttelt
wird.)
Auf dieser Grundlage wird man wohl aber seitens der KP und der
„Linkspartei“ Mélenchons eine Zusammenarbeit ablehnen. Derzeit
wird in den Umfragen der NPA bei neun Prozent der Stimmen zu den
Europaparlamentswahlen gehandelt, eine gemeinsame Liste von KP
und Mélenchon im Moment mit vier Prozent. Im Augenblick
honorieren die linken Wähler also eher das radikalere Profil,
wobei Umfragen für eine – hyptotheisch bleibende – gemeinsame
Liste dieser Anfang Februar noch Werte um 14,5 Prozent
vorhersagten. (Es geistert auch eine Umfrage durch den Raum,
wonach eine solche einheitliche „linke Liste“ angeblich mit bis
zu 25,5 Prozent rechnen könne. Dabei war jedoch die Frage nach
dem politischen Profil dieser Liste äuberst
vage formuliert geblieben.)
Der frühere LCR-Parteiflügel um Christian Piquet, der das
Konzept einer antikapitalistischen Partei eher ablehnt und
stattdessen weitaus eher einer anti-neoliberalen Sammlung das
Wort redet, wird sich allerdings möglicherweise abspalten. Um
vom NPA zum ‚Front de gauche’ (also der „Linksfront“), den die
französische KP und die „Linkspartei“ unter Jean-Luc Mélenchon
zur Europaparlamentswahl gegründet bzw. ausgerufen haben,
überzutreten. Sein „Kopf“, Christian Piquet, war jedenfalls auf
der ersten Wahlkampfveranstaltung der „Linksfront“ – am 1. März
im Pariser Konzertsaal Le Zénith – als Redner präsent.
Welche strategische Perspektive?
Längerfristig wird sich auch die Frage nach den strategischen
Zielen stellen. Bei den Alltagsforderungen können die
verschiedenen Linkskräfte durchaus kooperieren. So waren sowohl
Besancenot als auch Mélenchon und ihre Anhänger bei den Pariser
Solidaritätsdemonstrationen für Generalstreik auf den Antillen
in der ersten Reihe präsent. Beide unterstützten das zentrale
Anliegen der Streikenden: 200 Euro Lohnerhöhung. Aber auf die
Dauer stellt sich die Frage, wie man strategisch vorgehen muss,
um den eigenen Forderungen zum Durchbruch zu verhelfen.
Mélenchon baut dabei längerfristig auf eine Rückkehr der
staatlichen Politik zu „echter“ sozialdemokratischer Politik,
die durch die Sozialistische Partei aufgrund ihres Abgleitens in
den Wirtschaftsliberalismus und in die Akzeptanz der
„Sachzwänge“ aufgegeben worden sei. Gleichzeitig setzt sich
Mélenchon seit längerem für protektionistische Mabnahmen
auf EU-Ebene ein. Darin erblickt er eine notwendige
Voraussetzung, um politische Handlungsspielräume innerhalb der
Union gegenüber dem „freien Spiel der Marktkräfte“ behaupten zu
können. Protektionismus lehnt der NPA hingegen ab, der
stattdessen auf eine Internationalisierung der Klassenkämpfe
setzt und im Protektionismus eine Gefahr der Zunahme
zwischenstaatlicher Konflikte sieht. Er vertritt die Auffassung,
die Lohnabhängigen in China ebenso wie in Europa sollten dafür
sorgen, dass ein Kräfteverhältnis geschaffen wird, in dem die
jeweils Herrschenden nicht „die Kosten der Krise auf ihren
Rücken abwälzen“ können.
Editorische
Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir
vom Autor für diese Ausgabe.
Jeweils Teile dieses
Manuskripts erschienen, redaktionell bearbeitet und gekürzt,
in der Wochenzeitung (WoZ) in Zürich und in der Berliner
Wochenzeitung ‚Jungle World’. Das Gesamtmanuskript wurde vom
Verfasser nochmals aktuell überarbeitet
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