Die enge Verbindung zwischen Kapitalismus
und Sozialdarwinismus zeigt sich besonders darin, dass sich der
ideologische Gehalt des Sozialdarwinismus parallel und adäquat
zu den Bedingungen des Kapitalismus und den daraus
resultierenden ideologischen Bedürfnissen der Bourgeoisie
veränderte. So ist eine deutliche Differenzierung
zwischen frühen und späteren Formen des
Sozialdarwinismus zu erkennen. Die erste (frühe) Phase spiegelt
die ideologischen Bedürfnisse des noch aufsteigenden
Kapitalismus der freien Konkurrenz wider. Seine Verfechter
(Spencer und die ihm unmittelbar folgenden Sozialdarwinisten)
suchten das Laisser-faire-Prinzip zu erklären und den
Kapitalismus gegen das aufstrebende Proletariat zu
rechtfertigen. Sie vertraten einen Forschungsoptimismus. Danach
führt die als naturgesetzmäßiger Vorgang aufgefasste
Gesellschaftsentwicklung automatisch zum Fortschritt. Unter
solcher Sicht können menschliche Aktionen die
Gesellschaftsentwicklung nur unwesentlich hemmen oder stören.
Der Akzent lag in dieser Phase noch auf der Begründung des
Existenz- und Konkurrenzkampfes der (bürgerlichen) Individuen.
Die spätere zweite Phase entwickelte sich
mit dem Übergang des Kapitalismus un sein reaktionäres,
monopolistisches Stadium. In dem Maße, wie die anwachsenden
Aktionen der Arbeiterklasse, Krisen und Klassenkampf den Glauben
des Bürgertums an eine automatische Aufwärtsentwicklung des
Kapitalismus zerstörten, traten mehr und mehr pessimistische
Auffassungen von der Gesellschaftsentwicklung in den
Vordergrund. Die Angst des Bürgertums vor dem Untergang der
eigenen Klasse kam besonders in der Prophezeiung einer drohenden
Entartung der entwickelten Völker zum Ausdruck, die mit einer
zivilisationsbedingten Einschränkung der natürlichen Auslese
begründet wurde. Sie verlieh dem Sozialdarwinismus zugleich in
wachsendem Maße brutale und aggressive Züge. Der Kampf ums
Dasein wurde noch stärker betont und vorrangig auf die
Auseinandersetzung zwischen überindividuellen Einheiten - vor
allem biologisch gewerteten sozialen Klassen, Rassen und Völkern
- bezogen. Der Sozialdarwinismus blieb nicht mehr bei
biologistischer Rechtfertigung der bestehenden
Ausbeutungsverhältnisse stehen, sondern er propagierte
barbarische Programme einer künstlichen Auslese, um den
angeblich gestörten sozialen Auslesemechanismus wieder in
Ordnung zu bringen.
Später als in den westeuropäischen Ländern
erreichte dieser Sozialdarwinismus unmittelbar vor und kurz nach
der Jahrhundertwende in Deutschland seine aggressivste,
brutalste und reaktionärste Stufe, die schließlich in die
verbrecherische Ideologie des Faschismus einmündete. Das ergibt
sich folgerichtig aus der besonderen Aggressivität des deutschen
Imperialismus, vor allem aber aus seinem verschärften Kampf
gegen die deutsche Arbeiterbewegung, deren Partei zur stärksten
politischen Vereinigung geworden war und in den neunziger Jahren
bereits mehr als 20 Prozent der Wählerstimmen erhielt. In dieser
Zeit erschienen vor allem die sozialdarwinistischen Schriften
der Zoologen Schallmayer und Ziegler, des Arztes Alfred Plötz,
des Soziologen Otto Ammon und des Ökonomen Alexander Tille und
schließlich das Handbuch der Rassisten von Houston Stewart
Chamberlain. Das Interesse der Großbourgeoisie offenbart sich in
dem Preisausschreiben, das Alfred Friedrich Krupp anonym als ein
„ungenannt bleibender Gönner der Wissenschaft“ in Höhe von
30.000 Mark veranstaltete.(25) Das Thema lautete: „Was lernen
wir aus den Prinzipien der Deszendenztheorie in bezug auf die
innenpolitische Entwicklung und Gesetzgebung der Staaten?“(26)
Die Hauptthesen der Sozialdarwinisten
lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Erstens gingen sie - wie schon
Platon - von einer natürlichen Ungleichheit der Menschen aus.
Sie leiteten diese aus der Zugehörigkeit der Menschen zu
verschiedenen Rassen ab oder bzw. Und unter Berufung auf Galton
aus der erblichen Verschiedenheit der körperlichen, geistigen
und charakterlichen Anlagen.
Zweitens behaupteten sie, dass die
von Darwin in der lebenden Natur nachgewiesenen Prinzipien der
„natürlichen Auslese“, des „Kampfes ums Dasein“ als universelle
Naturgesetze auch im gesellschaftlichen Bereich wirkten und die
Entwicklung aller sozialen Erscheinungen einschließlich der
politischen, juristischen Normen und Einrichtungen bestimmten.
Für einen Sozialdarwinisten galt, „dass die Auslese die
Bedingung für jeden Fortschritt ist“.(27)
Ausgehend von diesen
pseudowissenschaftlichen Prinzipien haben die Sozialdarwinisten
nun grundsätzlich alle beliebigen Erscheinungen der
kapitalistischen Gesellschaft als Resultate des Waltens von
Naturgesetzen, als „naturgemäß“ hingestellt:
- Die soziale Ungleichheit der Menschen,
denn „alle soziale Gliederung und Ordnung“ habe der
Auslesemechanismus aus der „natürlichen Ungleichheit physischer
und geistiger Eigenschaften“ der Menschen geschaffen.(28) „Der
untere Stand ... stellt ... nur den Bodensatz dar, aus welchem
die wertvollsten Bestandteile herausdestilliert sind“,
behauptete Ammon.(29) Die Klassenteilung pries er als
Wohltäterin der Menschheit: „Die Ständebildung setzt das Werk
der natürlichen Auslese beim Menschen fort und begründet eine
natürliche Züchtung.“(30)
- Der erbarmungslose kapitalistische
Konkurrenzkampf wurde als Auslesemechanismus dargestellt und der
monopolistische Konzentrationsprozess als sein Ergebnis: „Im
Wachstum eines großen Geschäftsunternehmens drückt sich
lediglich das Überleben der Tauglichsten aus ... Das ist keine
üble Tendenz im Business. Es ist bloß die Äußerung eines Natur-
und eines göttlichen Gesetzes“, schrieb Rockefeller.(31)
- Ebenso rechtfertigten sie die Eroberung
fremder Territorien, die Ausrottung oder Ausbeutung sozialer
Schichten, fremder Rassen und Völker als „das Recht der
stärkeren Rassen, die niederen zu vernichten“, denn, so
behauptete Tille: „Der Mensch gehört ebenso gut zur Natur wie
Pflanze und Tier, und die Natur kennt ein Erbarmen nicht.“(32)
Drittens prophezeit der spätere
Sozialdarwinismus die „Entartung“ der entwickelten Völker, die
„Verschlechterung der Rasse“. Die Rassenanthropologen führten
sie vorwiegend auf die Vermischung der Rassen zurück.(33)
Vertreter der Vererbungshygiene beklagten vor allem, dass die
„hervorragende auslesende Wirkung“ von Hungerperioden,
Tuberkulose, Cholera- und Typhusepidemien, Kindersterblichkeit,
die stets die „Kränklichen“ und „Anfälligen“ „ausgemerzt“
hätten, durch soziale Errungenschaften stark behindert werde.
Selbst die Kindersterblichkeit, die
Schallmayer für 1875 mit 10 bis 25 Prozent (unterschiedlich nach
sozialen Ständen) angab, war ihm nicht hoch genug, und er
verteufelte die Fortschritte bei der Geburtshilfe, der
Säuglingspflege und der Kinderernährung.(34) De Lapouge erfand
den Begriff „rückschreitende Auslese“(35) und Plötz den der „Kontraselektion“(36).
Ziegler und Schallmayer leiteten auch bereits aus niedrigerer
Kinderzahl in oberen „Ständen“ und größerer Fruchtbarkeit der
„Minderwertigen“ einen „generativen Niedergang“ ab.(37)
Solche Entartungsthesen verstärkten sich
mit der Zuspitzung der Widersprüche im Kapitalismus und sind
bekanntlich heute in der bürgerlichen Ideologie weit verbreitet.
Viertens entwickelten die
Sozialdarwinisten barbarische Programme, um die „strenge
Auslese“ in der Gesellschaft durch Aufhebung jeglicher sozialer
Fürsorge für Kranke und Schwache wieder durchzusetzen und durch
eine „bewusste Auslese“ zu vervollkommnen. Schallmayer empfahl
dem Staat, „den generativ Tüchtigeren die Fortpflanzung zu
erleichtern, den anderen stufenweise zu erschweren“.(38) Eine
„Entwicklungsethik“ sollte Moral und Recht der menschlichen
Zuchtwahl unterordnen.
Die sozialdarwinistische Lehren hatten den
Kapitalismus als „naturgemäß“ und die marxistische Theorie sowie
alle sozialen und politischen Errungenschaften und Forderungen
der Arbeiterklasse als „naturwidrig“ hinzustellen. Der
Geschäftsführer industrieller Verbände, A. Tille, sah - nachdem
alle politischen Maßnahmen sich als „unzureichende Mittel zur
Eindämmung der sozialistischen Bewegung erwiesen“ hatten -
allein im Sozialdarwinismus noch Rettung.(39) Die Angst vor der
Arbeiterbewegung spiegelte sich zum Beispiel in den häufig
wiederholten wütenden Attacken Tilles, Zieglers, Schallmayers
und Ammons gegen das allgemeine Stimmrecht, gegen die
Forderungen nach Wohlstand für alle, nach Abschaffung des
Privateigentums an Produktionsmitteln wider, die als mit den
„natürlichen Grundlagen einer jeglichen Gesellschaftsordnung
unvereinbar“(40) verleumdet wurden.
Ganz selbstverständlich versuchten
bürgerliche Ideologen sowie Revisionisten und Opportunisten in
den Kreisen der Arbeiterbewegung, auch die sozialistische
Ideologie unter dem Vorwand der Modernisierung durch den
Sozialdarwinismus zu verfälschen. So wollten in Deutschland
Friedrich Albert Lange und Ludwig Woltmann den Marxismus auf
eine biologische Grundlage stellen. Woltmann führte nicht nur
den Kampf der Arbeiterklasse auf einen Rassenkampf zurück,
sondern er machte auch den „Kampf ums Dasein“ zur „Naturbasis
des Mehrwertes“, die „Aneignung des Mehrwerts“ zu einer
„intellektuellen und moralischen Leistung“ der herrschenden
Klasse und diffamierte den proletarischen Internationalismus als
gegen den „Kampf ums Dasein“ gerichteten „widernatürlichen
Wahn“.(41)
Es entspricht daher einer bewussten
Irreführung, wenn Zmarzlik (BRD) den Eindruck zu erwecken sucht,
dass der Sozialdarwinismus sich gegen die „moderne
Industriegesellschaft“ und die bürgerliche Demokratie gewandt
habe.(42) Der Sozialdarwinismus diente dem Kapitalismus der
freien Konkurrenz und später auch dem Monopolismus zum
ideologischen Kampf gegen die Arbeiterbewegung und den
wissenschaftlichen Sozialismus. Er sollte die Unterordnung der
Menschen unter die kapitalistischen Verhältnisse fördern und den
Kampf der Arbeiterklasse lähmen. Der rassenhygienische und
rassenanthropologische Sozialdarwinismus wurden nach der
Jahrhundertwende unter anderen von F. Lenz, H.F.K. Günther und
H. Weinert fortgeführt, die auch nach dem zweiten Weltkrieg ihre
Auffassungen in der Bundesrepublik Deutschland ungehindert
verbreiten konnten. Als Bestandteil der faschistischen Ideologie
diente er der Rechtfertigung und Vorbereitung und grausamsten
Massenvernichtung von Antifaschisten und „Fremdrassigen“. Der
Imperialismus der Bundesrepublik Deutschland verzichtete auch
unmittelbar nach dem Kriege nicht auf sozialdarwinistische
Stützen seiner Herrschaft. Davon zeugt zum Beispiel die nach
1945 ohne jeglichen wissenschaftlichen Anlass mehrfach besorgte
Neuauflage des 1936 erstmalig erschienenen, mit übelsten
Biologismus durchsetzten Buches von A. Carrel „Der Mensch, das
unbekannte Wesen“(43) sowie die fast unveränderte Auflage von
Schriften des Rassisten Günther(44). Solche Schriften scheinen
offensichtlich für „populäre biologische Bildung“ in einem
staatsmonopolistischen System bestens geeignet.
Marxistische Kritik des
Sozialdarwinismus
(von Alexander Wernecke)
Marx und Engels, die die Darwinsche
Evolutionstheorie als „naturhistorische Grundlage“ ihrer
Weltanschauung begrüßten und gegen verschiedene Angriffe
verteidigten, traten ebenso energisch gegen jeden
biologistischen Missbrauch des Darwinismus in der
Gesellschaftstheorie auf. Sie legten die Klassenwurzeln des
Sozialdarwinismus bloß und wiesen seine Unwissenschaftlichkeit
nach. Engels ging dabei vom qualitativen Unterschied zwischen
tierischer und menschlicher Daseinsweise aus: „Der wesentliche
Unterschied der menschlichen von der tierischen Gesellschaft ist
der, dass die Tiere höchstens sammeln, während die
Menschen produzieren. Dieser einzige, aber kapitale
Unterschied allein macht es unmöglich, Gesetze der tierischen
Gesellschaft ohne weiteres auf menschliche zu übertragen.“(45)
Karl Marx betonte in der Auseinandersetzung mit F.A. Lange, dass
durch die unwissenschaftliche Übertragung des Darwinschen
Begriffes „Kampf ums Dasein“ auf alle gesellschaftlichen
Erscheinungen die wissenschaftlichen biologischen Begriffe ihres
wesentlichen Inhalts entkleidet und „in dieser Anwendung bloße
Phrase“ werden. „Statt also den ,struggle for life’, wie er sich
geschichtlich in verschiedenen bestimmten Gesellschaftsformen
darstellt, zu analysieren, hat man nichts zu tun, als jeden
konkreten Kampf in die Phrase ,struggle for life’ ...
umzusetzen. Man muss zugeben, dass dies eine sehr einbringliche
Methode - für gespreizte, wissenschaftlich tuende, hochtrabende
Unwissenheit und Denkfaulheit ist.“(46)
Lenin hob in seiner Kritik des
Bogdanowschen Biologismus die Allgemeingültigkeit dieser Aussage
hervor: „... die Anwendung der Begriffe ,Auslese’, ,Assimilation
und Desassimilation’ der Energie, der energetischen Bilanz usw.
usf. auf das Gebiet der Gesellschaftswissenschaften ist nichts
als Phrasendrescherei. Tatsächlich ist es unmöglich,
mit Hilfe dieser begriffe eine Untersuchung der
gesellschaftlichen Erscheinungen, eine Klärung der Methode
der Gesellschaftswissenschaften zu bewerkstelligen. Nichts
ist leichter, als ein ,energetisches’ oder
,biologisch-soziologisches’ Etikett auf solche Erscheinungen wie
Krisen, Revolutionen, Klassenkampf usw. zu kleben, aber nichts
ist auch in stärkerem Maße unfruchtbar, scholastisch, tot als
diese Betätigung ... Das Wesen der Kritik an Lange besteht bei
Marx ... darin, dass überhaupt die Übertragung
biologischer Begriffe auf das Gebiet der
Gesellschaftswissenschaften eine Phrase ist. Ob diese
Übertragung in ,guter’ Absicht geschieht oder zu dem Zweck,
falsche soziologische Schlussfolgerungen zu bekräftigen - die
Phrase hört dadurch nicht auf, Phrase zu sein.“(47)
Von den Führern der deutschen
Sozialdemokratie haben besonders August Bebel und Franz Mehring
den Sozialdarwinismus konsequent bekämpft - anfangs auch Karl
Kautsky, der jedoch später teilweise selbst in biologistische
Spekulationen verfiel.
Im Gegensatz zum Sozialdarwinismus haben
Marx und Engels die wirklichen spezifischen Bewegungsgesetze der
menschlichen Gesellschaft und die Wurzeln der sozialen
Ungleichheit der Menschen aufgedeckt. Sie wiesen nach, dass die
soziale Ungleichheit der Menschen, dass antagonistische soziale
Klassen und Klassenkampf, dass Ausbeutung des Menschen durch den
Menschen historisch bestimmten Entwicklungsstufen der Produktion
entsprechen, die auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln
beruhen. Auf der Grundlage des Gemeineigentums an
Produktionsmitteln gab es in der urgesellschaftlichen
Gentilordnung keine sozialen Unterschiede zwischen den
Mitgliedern einer Gruppe, keine Ausbeutung und Unterdrückung.
Erst als verbesserte Arbeitsmittel und wachsende
Arbeitsproduktivität es dem einzelnen ermöglichten, mehr zu
erzeugen, als sein eigener Lebensunterhalt erforderte, als sich
allmählich die gesellschaftliche Arbeitsteilung und
Privateigentum an Produktionsmitteln in Wechselwirkung
miteinander herausbildeten, spaltete sich die Gesellschaft als
notwendige Folge in soziale Klassen. „Die erste große
gesellschaftliche Teilung der Arbeit zog mit ihrer Steigerung
der Produktivität der Arbeit, also des Reichtums, und mit ihrer
Erweiterung des Produktionsfeldes, unter den gegebenen
geschichtlichen Gesamtbedingungen, die Sklaverei mit
Notwendigkeit nach sich. Aus der ersten großen
gesellschaftlichen Arbeitsteilung entsprang die erste große
Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen: Herren und Sklaven,
Ausbeuter und Ausgebeutete.“(48)
Die soziale Ungleichheit der Menschen mit
allen daraus resultierenden Folgen wurde also durch
gesellschaftliche Faktoren hervorgerufen. Es ist durchaus
anzunehmen - darauf weist W.P. Alexejew hin (49) -, dass vor
allem zu Beginn dieser Differenzierung der Menschen in soziale
Gruppen auch teilweise biologisch bedingte Merkmale und
Eigenschaften (Körperkraft usw.) und folglich biologische
Prinzipien der Auslese (etwa bei der Bildung von Rangordnungen
in den Gruppen der Gentilgesellschaft) eine begrenzte Rolle bei
der Zuordnung der konkreten Menschen gespielt haben. In dem
Maße, wie sich die sozialen Gruppen und schließlich Klassen
festigten, wurden sie jedoch weitgehend durch gesellschaftliche
Normen (Vererbung von besitz, Vorrechte der Geburt, kriegerische
Auseinandersetzungen zwischen Stämmen und Sklavenraub) in den
Hintergrund gedrängt.
Das Verhältnis der Klassen und Schichten
zu den Produktionsmitteln bestimmt letztlich die vielfältigen
spezifischen Merkmale der Klassen und Schichten, die
sozialökonomische Lage, die daraus resultierenden vielfältigen
gegensätzlichen Interessen, Ziele und Aktionen der Menschen,
denn „die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den
sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess
überhaupt“.(50) Soziale Ungleichheit, Ausbeutung und
Unterdrückung, Hunger und Nor auf der einen, Reichtum und
Verschwendung auf der anderen Seite, Konkurrenzkampf der
Kapitalisten untereinander, der Klassen, Völker und Rassen
gegeneinander in der kapitalistischen Gesellschaft haben
folglich nichts mit biologischen Merkmalen und Prinzipien zu
tun, sondern sie entspringen gesetzmäßig der kapitalistischen
Produktionsweise. Daraus folgt zugleich, dass alle diese
Erscheinungen keineswegs ewige und unveränderliche Attribute des
gesellschaftlichen Lebens sind, sondern dass sie sich
gesetzmäßig mit der Produktionsweise verändern und schließlich
mit der Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln
ebenso gesetzmäßig aus dem Leben der Menschen verschwinden
werden, wie sie aufgetreten sind. In der Arbeiterklasse
erkannten Marx und Engels die gesellschaftliche Kraft, die dazu
berufen ist, diese historische Mission zu erfüllen.
Fußnoten
25 Siehe H.E. Ziegler: Die Vererbungslehre
in der Biologie und Soziologie, S. XIII.
26 Von den etwa 60 eingegangenen Arbeiten
erhielt W. Schaltmayers Buch „Vererbung und Auslese im
Lebenslauf der Völker“ den 1. Preis. - Da im Zusammenhang mit
dem Sozialdarwinismus in Deutschland und dem
Krupp-Preisausschreiben häufig Ernst Haeckel erwähnt wird, seien
hierzu einige Bemerkungen eingefügt: Im Gegensatz zu häufigen
Angaben gehörte Haeckel nicht zu den drei Preisrichtern des
Preisausschreibens. Es waren dies der Nationalökonom Conrad, der
Historiker D. Schäfer und der Zoologe H.E. Ziegler. (Siehe H.E.
Ziegler: Die Vererbungslehre in der Biologie und Soziologie, S.
XIV.) - Haeckel ließ sich aber auch zu einigen
sozialdarwinistischen Äußerungen verleiten. Sie standen stets im
Zusammenhang mit seiner Begeisterung für den Darwinismus, dessen
Begründung oder beabsichtigten Verteidigung. Sie entsprachen
aber auch seiner mit reaktionären gesellschaftspolitischen
Auffassungen gepaarten Abneigung gegenüber dem Sozialismus, von
dem er sich abgrenzen wollte. Im übrigen warnte er vor
biologistischer Politik und gestand seine politische Unkenntnis
vorbehaltlos ein. (Siehe zum Beispiel E. Haeckel: Freie
Wissenschaft und freie Lehre [1878]. In: E. Haeckel:
Gemeinverständliche Werke, Bd. V, Jena 1924, S. 268 ff.) - Für
Haeckel als Gelehrten sind nicht gelegentliche biologistische
Andeutungen und reaktionäre gesellschaftspolitische Auffassungen
typisch, sondern die Tatsache, dass er während seines ganzen
Lebens unerschrocken gegen Agnostizismus und Idealismus und für
die Durchsetzung seiner weitgehend materialistischen
Auffassungen gekämpft hat. (Siehe dazu auch W.I. Lenin:
Materialismus und Empiriokritizismus. In: Werke, Bd. 14, S. 353
ff.)
27 W. Schallmayer: Vererbung und Auslese
im Lebenslauf der Völker, S. 95/96. - Ammon sang folgendes
Loblied auf die Auslese: „Und wir können bei dieser
Betrachtungsweise nur ahnen, wie verwickelt das ganze
gesellschaftliche Getriebe ist, in dem sich menschlicher
Verstand gar nicht zurechtfinden würde, in welchem aber die
natürliche Auslese sozusagen ,blind’ doch den Weg findet, der
für die gesamte Spezies ,Mensch’ zu den vorteilhaftesten
Ergebnissen führt ... wie unendlich fein, wie wunderbar ist das
genau abgestufte Walten dieser Gesetze!“ (O. Ammon: Die
Gesellschaftsordnung und ihre naturwissenschaftlichen
Grundlagen, Jena 1895, S. 25.)
28 L. Woltmann: Politische Anthropologie,
S. 192.
29 O. Ammon: Die Gesellschaftsordnung und
ihre naturwissenschaftlichen Grundlagen, S. S. 65.
30 Ebenda, S. 94/95.
31 Zit. in: I.S. Kon: Der Positivismus in
der Soziologie, Berlin 1968, S. 38.
32 A. Tille: Volksdienst, Berlin/Leipzig
1893, S. 27/28.
33 So behauptete Ammon, in Europa hätte
„die knechtisch gesinnte Rasse“ der „Rundköpfe das europäische
Blut nahezu verdrängt“. (O. Ammon: Die Gesellschaftsordnung und
ihre naturwissenschaftlichen Grundlagen, S. 164.)
34 Dadurch werde sich zum Beispiel, so
behauptete Schallmayer, „die Zahl an Frauen erhöhen, deren
Brüste zum Stillen untauglich sind“. (Siehe W. Schallmayer:
Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker, S. 148 ff.)
35 Zit. in: O. Ammon: Die
Gesellschaftsordnung und ihre naturwissenschaftlichen
Grundlagen, S. 166.
36 Zit. in: H. Conrad-Martius: Utopien der
Menschenzüchtung. Der Sozialdarwinismus und seine Folgen, S. 68.
37 Siehe W. Schallmayer: Vererbung und
Auslese im Lebenslauf der Völker, S. 166 ff. - H.E. Ziegler: Die
Vererbungslehre in der Biologie und Soziologie, S. 370.
38 W. Schallmayer: Vererbung und Auslese
im Lebenslauf der Völker, S. 325.
39 Siehe A. Tille: Volksdienst, S. 3 ff.
40 O. Ammon: Die Gesellschaftsordnung und
ihre naturwissenschaftlichen Grundlagen, S. 363 ff. - „Der
eigentliche Kern des Sozialismus“, schrieb Tille, „... stellt
doch die Umwandlung der Arbeitsmittel - Grund und Boden,
Bergwerke, Gruben ... in Gemeineigentum der Gesellschaft dar ...
und darum Kampf dem Sozialismus ...“ (A. Tille: volksdienst, S.
78/79.)
41 Siehe L. Woltmann: politische
Anthropologie, S. 294, 309 ff.
42 Siehe H.G. Zmarzlik: Der
Sozialdarwinismus in Deutschland als geschichtliches Problem.
In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1963, S. 256.
43 Siehe A. Carrel: Der Mensch, das
unbekannte Wessen, München 1955, zum Beispiel S. 235 ff.
44 Siehe H.F.K. Günther: Gattenwahl zu
ehelichen Glück und erbliche Ertüchtigung, München 1951.
45 Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow,
12.-17. November 1975. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 34, S. 170.
46 Marx an Ludwig Kugelmann, 27. Juni
1870. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 32, S. 685/686.
47 W.I. Lenin: Materialismus und
Empiriokritizismus. In: Werke, Bd. 14, S. 331/332.
48 Friedrich Engels: Der Ursprung der
Familie, des Privateigentums und des Staats. In: Marx/Engels:
Werke, Bd. 21, S. 157.
49 Siehe W.P. Alexander: Der Mensch:
Biologie und soziologische Probleme. In: Priroda, 1971, Heft 8,
S. 37-53, besonders S. 51 ff.
50 Karl Marx: Zur Kritik der Politischen
Ökonomie. Vorwort. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 13, S. 8/9.
Editorische
Anmerkungen
Den Text erhielten wir
als OCR-Scan von
Reinhold Schramm.
Alexander Wernecke: Biologismus und
ideologischer Klassenkampf.
Quellenauszug: 2. Kapitel, Zum
Sozialdarwinismus. Hier: 3. Der Sozialdarwinismus - Ideologie
der Bourgeoisie, S. 65-71, und: 4. Marxistische Kritik des
Sozialdarwinismus, S. 72-75.
Dietz Verlag Berlin 1976.