Betrieb & Gewerkschaft
Europa-Aktionstag bei Opel
Opel-Sanierung auf dem Rücken der Belegschaft geplant

von Helmut Arens

03/09

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Die IG-Metall und der Opel-Betriebsrat inszenierten am gestrigen Donnerstag mit Unterstützung von Vizekanzler und SPD-Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier ein groß angelegtes und zynisches Manöver, um die amerikanischen und europäischen Belegschaften von General Motors zu spalten und ihre nationalistischen und protektionistischen Konzepte zu propagieren.

Der Europa-Aktionstag diente vor allem dazu einen Keil zwischen die GM-Beschäftigten diesseits und jenseits des Atlantiks zu treiben und einen gemeinsamen Kampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze zu verhindern. Stattdessen wurden die Opel-Beschäftigten auf Zugeständnisse in Form von Lohnsenkung und "sozialverträglichem Arbeitsplatzabbau" vorbereitet.

Zehntausende Beschäftigte von Opel und Vauxhall strömten zu Kundgebungen, um gegen die Bedrohung ihrer Arbeitsplätze und ihrer Existenz zu protestieren. Alleine beim Rüsselsheimer Stammwerk von Opel versammelten sich ca. 10.000 Arbeiter und Angestellte nicht nur aus Rüsselsheim, sonder auch aus Bochum. Selbst eine Delegation von VW-Arbeitern aus Baunatal war gekommen, um ihre Solidarität zu zeigen.

Aber die protestierenden Arbeiter wurden vom Betriebsrat und der IG-Metall nur als Staffage missbraucht, um einen Plan zu propagieren, auf den sie sich offenbar hinter den Kulissen mit der Regierung geeinigt haben. Unisono beschworen der IGM Vorsitzende Berthold Huber, BR-Vorsitzender Klaus Franz und Vizekanzler Steinmeier als Hauptredner auf der Kundgebung in Rüsselsheim eine Herauslösung von Opel und Vauxhall aus dem GM-Konzern und die Gründung einer Europa AG aus diesen Firmen als "einzig tragfähige Lösung".

Dem diente auch ein fast unüberschaubarer Medienauftrieb mit zahllosen Kameras und Übertragungswagen.

Um erst gar keinen Gedanken an einen gemeinsamen Kampf mit den amerikanischen GM-Arbeitern gegen die Folgen der internationalen Krise in der Autoindustrie, gegen Betriebstilllegungen und Massenentlassungen, aufkommen zu lassen, schimpften sämtliche Redner in einer Weise über GM, die sich zu nationalistischen Hetztiraden auswuchs.

IGM-Chef Huber giftete, es sei eine Lumperei, wenn die Opel-Beschäftigten die Zeche für Fehlentscheidungen und Missmanagement von GM zahlen müssten. Deren verantwortungslose Manager und Eigentümer hätten immer nur möglichst kurzfristig mehr Profite gewollt. Huber: "Wir sind es leid, die verlängerte Werkbank von General Motors zu sein". Deshalb müsse Opel aus GM herausgelöst werden.

Vizekanzler Steinmeier klagte, dass "GM lange gut an Opel verdient hat, und es ist unanständig, die europäischen Standorte jetzt wie eine ausgepresste Zitrone wegzuwerfen".

Am schlimmsten trieb es der BR-Vorsitzende Franz. Er warf GM ekelerregende Arroganz vor und sagte: "Nicht Opel ist das Desaster, sondern GM ist das Desaster." Verluste von den USA seien auf Europa abgewälzt worden. Opel sei in den letzten Jahren systematisch behindert und klein gehalten worden. So sei Händlern in Nordafrika verboten worden, Opel zu verkaufen, sie hätten statt dessen in den USA produzierte Chevrolets verkaufen müssen. GM habe kein Konzept und drohe Europa mit in den Abgrund zu reißen.

Keinem der Redner war es eine Erwähnung wert, dass auch Zehntausende Arbeiter von GM in den USA entlassen, Dutzende Betriebe geschlossen, die Löhne halbiert und die Krankenversicherung und Renten gekappt werden sollen. Systematisch versuchten sie den wachsenden Widerstand in der Belegschaft in nationalistische Bahnen zu lenken. Wobei ihr "Protest gegen Detroit" zwei Ziele verfolgt: Während sie die Beschäftigten, die seit Jahren im selben Konzern zusammenarbeiten, spalten, streben sie gleichzeitig eine enge Zusammenarbeit mit dem europäischen Management und der Regierung an.

Den "Co-Managern" in Betriebsrat und Gewerkschaft und der Regierung schwebt eine gemeinsame Gesellschaft von Opel und der britischen Schwestermarke Vauxhall vor. Diese neue Firma solle Bürgschaften und staatliche Kapitaleinlagen erhalten und könne sich neue Miteigentümer, z.B. Opelhändler, suchen.

Berthold Huber und Klaus Franz propagierten beide zusätzlich ein Modell der "Mitarbeiterkapitalbeteiligung". Die Beschäftigten sollen die neue europäische Gesellschaft nicht nur mit Lohnverzicht und Arbeitsplatzabbau flott machen, sondern auch noch weitere Lohnbestandteile und ihr Erspartes in die Firma investieren. An den Eigentumsverhältnissen und der kapitalistischen Profitwirtschaft ändert sich allerdings nichts, so dass Arbeiter den Totalverlust ihrer Einkommen riskieren. Ziel dieser "Mitarbeiterkapitalbeteiligung" ist es vor allem Arbeiter mit Haut und Haaren an den Betrieb zu binden.

Klaus Franz brachte ganz nebenbei die Idee ins Spiel, dass GM ja bei der neuen europäischen Firma als Minderheitsgesellschafter mit im Boot bleiben könne, damit man weiter von Kostenvorteilen im Einkauf und von Technologietransfer profitieren könne.

Alle Redner machten klar, dass die Schaffung einer europagestützten neuen Firmenstruktur für die neuen Aktionäre nur profitabel sein könne, wenn die Belegschaft Opfer bringe. Sie versicherten im Namen der Beschäftigten, dass diese selbstverständlich dazu bereit seien.

Klaus Franz betonte, es werde ohne Einschnitte wohl nicht gehen, und angesichts der Überkapazitäten in der europäischen und weltweiten Autoindustrie werde man um Personalreduzierung nicht herumkommen.

Der Vorsitzende Huber erklärte den Arbeitern und Angestellten gleich mehrfach, dass sie bereit seien, Opfer zu bringen und solidarisch die Lasten zu tragen.

Die Reden riefen keinerlei Begeisterung hervor, sondern wurden mit großer Skepsis aufgenommen. Zahlreiche Sanierungsrunden, die jedes Mal zum Teil massiven Arbeitsplatzabbau, verschärfte Arbeitsbedingungen und Lohnabbau gebracht haben, sind den Arbeitern noch gut in Erinnerung.

Arbeiterstimmen

Reporter der World Socialist Web Site verteilte 1000 Flugblätter und warnten darin: "IG Metall und Betriebsrat spalten die Belegschaft von GM und Opel". Viele Arbeiter äußerten völlig andere Ansichten als die Politiker und Gewerkschaftsbürokraten.

Tufan ist seit geraumer Zeit Opel-Arbeiter, er sagte: "Die Arbeiterklasse kann man überhaupt nicht national sehen. Egal was wir für Hautfarbe oder Nationalität haben, egal ob ich in Deutschland oder in Amerika arbeite - wir sind doch vom gleichen Schicksal betroffen. Wir müssen wie Brüder sein. Kein Arbeiter hat Einfluss auf die Entscheidungen des Managements: Deshalb können doch auch in Amerika die Arbeiter von General Motors nichts dafür, wenn GM falsche Entscheidungen trifft."

Tufan meinte, es sei notwendig, als internationale Gewerkschaft zusammen zu arbeiten. Früher sei die Arbeiterbewegung doch international gewesen. "Es ist notwendig, dass sich die Arbeiter international organisieren", sagte er. "Aber dafür braucht man weitsichtige Menschen, politische Vordenker, um gegen die kapitalistische Ideologie zu kämpfen. Die Gewerkschaft hat keine Vordenker mehr", sagte er. Seit Rosa Luxemburg ermordet worden sei, habe es keine aufrechten Politiker mehr gegeben, um die Arbeiterbewegung zu organisieren. "Wir haben zugelassen, dass man uns spaltet. In den letzten Jahren hat es nur Niederlagen gegeben. Wir Arbeiter haben geschlafen. Es wird Zeit, dass wir aufwachen", sagte Tufan.

Viele Rentner aus Rüsselsheim waren auf der Kundgebung dabei, um sich mit ihren früheren Kollegen solidarisch zu zeigen. Sie sprachen vor allem darüber, wie stark die Belegschaft schon abgebaut worden ist. Ein Arbeiter berichtete, er habe 1955 die Arbeit im Betrieb Adam Opel aufgenommen und hier 45 Jahre gearbeitet. Es habe auch mal schlechtere Zeiten gegeben, aber "so wie es jetzt läuft", sagte er, "mit dieser Weltwirtschaft, wie das seit letztem Oktober abwärts geht, so war es doch bisher nie". "Wir waren hier einmal 48.000 Arbeiter", berichtete er. "Und es waren richtige Opel-Arbeiter, keine Leiharbeiter; das gab’s damals nicht."

Ein anderer Rentner, der 35 Jahre bei Opel gearbeitet hatte, wies darauf hin, dass heute, wo es nur noch etwa 18.000 Beschäftigte gibt, wovon etwa nur ein Drittel Produktionsarbeiter sind, viele Arbeiter nur noch als Leiharbeiter eingestellt werden. "In den letzten zehn Jahren hat das hier so überhand genommen. Früher hat man das nicht gekannt", sagte er.

Ein jüngerer Arbeiter, der seinen Namen nicht nennen wollte, sagte dazu: "Die Leiharbeiter müssten alle regelrecht bei Opel eingestellt werden. Leiharbeit gehört verboten. Für gleiche Arbeit muss es gleichen Lohn geben.

"Der Staat dürfte Leihfirmen gar nicht unterstützen", ergänzte sein Kollege, der schon seit 1979 im Betrieb arbeitet. "Aber die Arbeitsagenturen fördern das offiziell, wie auch die Minijobs. Die SPD hat das selbst eingeführt. Der Steinmeier hat gar kein Recht, hier zu sprechen. Der steckt doch da mit drin. Wegen solcher Leute ist die ganze Misere mit der Leiharbeit überhaupt erst entstanden."

Auf die Frage, was die IG Metall für die Leiharbeiter tue, sagen sie: "Wie es heißt, ist die IG Metall für die Leiharbeiter nicht zuständig. Die IG Metall ist ja mittlerweile selbst ein Unternehmen wie andere auch. Das ist keine IG Metall mehr, wie man sie früher kannte. Seit 1984 hat sie keinen richtigen Streik mehr organisiert. Wir sind zwar organisiert und bezahlen Beiträge. Aber das Geld wird an der Börse verzockt. Das ist grundsätzlich falsch."

Der Aktionstag in Eisenach

Auch in Eisenach hatte die IG Metall kurzfristig zum so genannten europäischen Opel-Aktionstag aufgerufen. Die Kundgebung auf dem Eisenacher Marktplatz "5 vor 12" war eher schwach besucht. Von den etwa 1.000 Demonstranten kamen nicht sehr viele aus dem Eisenacher Opel-Werk, in dem noch etwa 1800 Arbeiter beschäftigt sind. Auf Grund von Kurzarbeit ist das Werk gegenwärtig komplett geschlossen.

Mit einem Streik oder auch nur einer ernsthaften Protestaktion, als Ausgangspunkt für einen wirklichen Kampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze bei Opel und GM, hatte diese Kundgebung nichts gemein. Im Gegenteil, stattdessen wurden reichlich Vertreter von Funk und Presse eingeladen, um die "tragfähige Lösung" der IG Metall zu verkünden. Die Arbeiter wurden als reine Kulisse betrachtet und mussten sich wie Statisten vorkommen. Nicht Protestschilder und Transparente schmückten die Bühne, sondern riesige Opel Werbefahnen wurden angebracht.

Auf der Rednertribüne standen sämtliche Spitzenpolitiker des Landes Thüringen. Für die SPD Christoph Matschie, für die Linke, Bodo Ramelow, beide streben für die nächsten Landtagswahlen das Amt des Ministerpräsidenten an. Gesprochen haben der IG Metall Bezirksleiter Armin Schild, der im Aufsichtsratsmitglied von Opel sitzt und der Betriebsratsvorsitzender Harald Lieske.

Beide bemühten sich für ein "Konzept zu werben" für das die IG Metall und Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz seit Wochen verhandeln. Lieske betonte: "Nur ein eigenständiges Unternehmen Opel kann und muss funktionieren." Er rief dazu auf: "Positioniert euch für Opel..." und wandte sich dabei an neue Investoren und Partner die doch bei Opel einsteigen sollen. Am Schluss sagte Lieske wörtlich: "Verzicht und Einschnitte" sind unvermeidbar", aber sie sollten eigenständig und ohne Bevormundung von GM in den USA stattfinden. Mit anderen Worten, der Sinn der Veranstaltung bestand darin, die Opel-Arbeiter auf einen "dornigen Weg" (Lieske) einzustimmen, für den es angeblich keinen Alternative gebe.

WSWS-Reporter sprachen mit mehreren Opel-Arbeitern auf der Eisenacher Kundgebung. Der Standpunkt, dass das Management von GM in den USA eine Hauptverantwortung für die Krise bei Opel trägt, ist weit verbreitet. "Warum sollen die Arbeiter hüben wie trüben des Teichs für die Fehler der Manager bezahlen." Sagte ein Arbeiter, der sonst ausdrücklich nicht mehr sagen wollte, weil er sichtlich geladen war.

Reik Hahn, 39 Jahre alt, arbeitet seit 1993 im Opel-Werk Eisenach im Karosseriebau. Opel hatte seine Produktion in Eisenach 1992 begonnen und lässt dort das Modell Corsa produzieren. Er sagte zur WSWS : "Eines ist zunächst mal klar, im Kapitalismus bleiben Betriebe auf der Strecke, die nicht mehr rentabel genug sind. Wir haben überall erlebt, wie in den letzten Jahren die Kluft zwischen den Managergehälter und den Arbeitereinkommen immer größer geworden ist."

Reik Hahn sagte er könne einfach nicht glauben, dass eine Traditionsfirma wie Opel, an der so viele weitere Arbeitsplätze hängen, einfach zugemacht wird. "Die Vorstände von GM und Opel und auch die der Banken haben sich unglaublich bereichert, wollen aber überhaupt keine Opfer bringen. Ich sehe nicht mehr ein, warum wir für alles aufkommen sollen. Wir sind für diese Misere nicht verantwortlich."

Editorische Anmerkungen

Den Artikel spiegelten wir von der Website des Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI)