Offensive der Türkei im Nordirak gescheitert

von Rudolf Bürgel

03/08

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Nach einer Woche zog sich das türkische Militär am 1. März aus dem Nordirak nach schweren Gefechten mit der PKK zurück. 10.000 Soldaten türkischer Eliteeinheiten hatten zuvor versucht mitten im tiefen Winter gegen die PKK vorzugehen. Die ausgegebenen Kriegsziele – eine deutliche Schwächung oder gar Zerschlagung der PKK und eine Destabilisierung des irakischen Föderationsstaates Kurdistan – wurden nicht erreicht.

Schon seit Oktober marschierten türkische Truppen bis zu einer Stärke von
50.000 Soldaten an der Grenze auf, die Armee ging in den kurdischen Grenzprovinzen zu einem Dauereinsatz gegen die Guerillakräfte über und begann ab Dezember mit andauernden Bombenangriffen auf PKK-Stellungen im Nordirak. In der letzten Februarwoche überschritten dann Spezialeinheiten unterstützt von Panzern, Artillerie und Luftangriffen die Grenze nach Südkurdistan. Israel unterstützte den Angriff mit Luftaufklärung. Wahrscheinlich hatte es sich die Militärführung einfach vorgestellt, durch die tief verschneiten Täler und Schluchten blitzschnell in das Gebiet Zap vorzustoßen, in dem die Führungskader der PKK vermutet werden. Die Generäle setzten darauf, die Guerilla zu überraschen, dass die kurdischen Kämpfer sich zurückziehen und offene Kämpfe vermeiden. Und gerade diese Taktik ging nicht auf. Schon nach ein, zwei Kilometern saß der türkische Vorstoß fest. Die großen Camps direkt an der Grenze waren schon lange geräumt. Starke Guerillakräfte setzten der türkischen Armee tagsund nachtsüber einen derart heftigen Widerstand entgegen, dass ganze Militärverbände völlig demoralisiert ausgetauscht werden mussten. Mehrere Panzer wurden zerstört, ein Hubschrauber abgeschossen. Die eisige Kälte in den Bergen tat das übrige.

Der türkische Generalstab erklärte, dass um die 50 Guerillakämpfer getötet wurden und ihre eigenen Verluste 7 Mann betragen. Jetzt wüsste die PKK, dass der Nordirak für sie keine sichere Region sei. Weitere Angriffe auf den Nordirak behielt sich der Generalstabschef vor. Es ist interessant, dass die türkischen Medien den Erfolg im Nordirak anzweifeln. Sie zitieren auch die Angaben der PKK-Führung. Murat Karayilan sagte in Roj TV: „Sie haben Verluste gehabt, die Moral liegt am Boden.“ Die türkische Armee sei hinter der Grenze kaum zwei Kilometer vorwärtsgekommen. Von über 100 getöteten türkischen Soldaten seien viele im Schnee erfroren. „Die beiden Brigaden an der vordersten Front, die angesichts des Widerstandes der Guerilla einen schweren Schlag und Schock erlitten, wurden am dritten Tag ausgewechselt. Die türkische Armee wollte mit neuen Kräften weitermarschieren. Dagegen unternahm die Guerilla in der Nacht vom 6. auf den 7. Februar einen umfassenden Angriff, der zu schweren Verlusten der Kräfte der türkischen Armee und einer Bewegungsunfähigkeit führte. Am Morgen des 8. Februar gab die türkische Armee den Angriff auf und zog ihre Kräfte eine Etappe zurück. Gleichzeitig unternahm die Guerilla einen Gegenschlag von zehn Seiten aus, woraufhin die Armee ihre Kräfte ganz aus dem Einflussgebiet der Guerilla abzog.

… Wenn dieser erster Angriff auf das Hauptquartier der HPG Erfolg gehabt hätte, wären die bereitgestellten Truppen in Bewegung versetzt und die Gebiete Haftanin und Xakurke besetzt worden. Somit wäre der Plan, eine Pufferzone zu errichten, frühzeitig umgesetzt worden und die türkische Armee hätte gleich zu Beginn des Jahres 008 an moralischer und strategischer Überlegenheit gegenüber der Guerilla gewonnen. Aber dem Kräfteungleichgewicht zum Trotz wurde … die türkische Armee in eine große Niederlage geführt.“ Es handele sich möglicherweise um die härteste Niederlage, die die türkische Armee in dem 5 Jahre währenden Krieg erlitten habe, was für die Guerilla in Bezug auf Initiative und Moral den Vorteil großer Überlegenheit bedeute. Bei den Gefechten seien insgesamt neun Guerillakämpfer gefallen. Die USA versorgten die türkischen Militärs mit Geheimdienstinformationen gegen die PKK. Sie warnte aber seit Monaten vor einer Invasion in den Nordirak. Als die Armee den Angriff startete, sprach die US-Regierung von tiefem Verständnis für das Vorgehen gegen die PKK, aber die Türkei solle ihren Vorstoß möglichst rasch beenden. Am 9. Februar wurde die Forderung, die Türkei solle aus dem Nordirak abziehen, der US-Regierung und des US-Militärs, die Türkei solle aus dem Nordirak abziehen, ultimativ. Die USBesatzungsmacht im Irak sympathisiert mit einer Dreiteilung des Irak in einen schiitischen, einen sunnitischen und einen kurdischen Teil. Die kurdische Region ist die stabilste im Irak. Dort muss die US-Armee keine Kräfte binden.

Nach dem Vorstoß der türkischen Armee und den heftigen Widerstandskämpfen der PKK-Guerilla kam es dann auch zu Unterstützungsdemonstrationen im Irak. Das veranlasste die irakische Regierung ein Ende der Invasion zu verlangen. Irakisch-kurdische Peshmergaeinheiten wurden nicht in die Kämpfe verwickelt. Ein Sprecher des irakischen Staatspräsidenten Talabani betonte die Aussichtslosigkeit eines Militärschlages in diesem Gebiet und wiederholte das Angebot, zwischen der Türkei und der PKK zu vermitteln.

In der Türkei kam es in allen größeren Städten zu Demonstrationen und Kundgebungen, an denen sich Zehntausende Menschen beteiligten. Die Regierung Erdogan und die AKP gehen geschwächt aus dieser Auseinandersetzung hervor. Sie wollten gerade in den kurdischen Provinzen in den kommenden Kommunalwahlen die dort dominierende pro-kurdische DEP schlagen. Die Niederlage im Nordirak stärkt der kurdischen Bewegung den Rücken. Insgesamt zeichnet sich in der Türkei eine tiefe Spaltung zwischen Türken und Kurden ab. Immer häufiger kommt es im Westen der Türkei zu Übergriffen türkische Nationalisten auf kurdische Geschäfte und auf Wohngebiete, wo mehrheitlich Kurden wohnen. Die Stimmung in der Türkei ist massiv aufgeheizt.

Es wird nicht der letzte Vorstoß der türkischen Armee in den Nordirak gewesen sein. Die türkische Armee hatte bisher vier festungsartig ausgebaute Stützpunkte in Südkurdistan. Dazu sind jetzt weitere sieben Stützpunkte an der Grenze gekommen. Das in der Öffentlichkeit angeschlagene türkische Militär wird weiter versuchen, den Nordirak zu destabilisieren und den innertürkischen Konflikt mit der kurdischen Bevölkerung und der PKK mit Sicherheitskräften und Militäroperationen zu lösen.

Ein PKK-Sprecher erklärte: „Letztlich hat diese Kriegspraxis ein weiteres Mal deutlich gemacht, dass mit Militäroperationen und gewalttätigen Methoden keine Ergebnisse zu erzielen sind. Es ist offensichtlich gewordenen, dass die Strategie des türkischen Staates, die Befreiungsguerilla Kurdistans auszuschalten und unter Einsatz militärischer Kraft Einfluss über Südkurdistan zu gewinnen, keine leicht umsetzbare Strategie ist … Der türkische Staat muss davon absehen, die kurdische Frage mit gewalttätigen Methoden zu lösen … Das ist nur über eine Konfrontation des türkischen Staates mit seiner eigenen Realität und Zugeständnisse möglich. Ohne eine Berücksichtigung des Willens des kurdischen Volkes ist es nicht möglich. Eine gesellschaftliche Versöhnung verläuft über eine gegenseitige Anerkennung und Respektierung. Zunächst muss der türkische Staat und seine Führung dies erkennen.“

Ein nächster Kulminationspunkt dieser Auseinandersetzung werden die Newrozfeiern am 1. März sein, am 5. und 6. März flogen schon wieder türkische Kampfbomber über dem Nordirak.
 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel entnahmen wir per OCR-Scan der  Nr. 3/08 der Zeitschrift

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