Nach einer Woche zog sich das türkische
Militär am 1. März aus dem Nordirak nach schweren Gefechten mit
der PKK zurück. 10.000 Soldaten türkischer Eliteeinheiten hatten
zuvor versucht mitten im tiefen Winter gegen die PKK vorzugehen.
Die ausgegebenen Kriegsziele – eine deutliche Schwächung oder
gar Zerschlagung der PKK und eine Destabilisierung des
irakischen Föderationsstaates Kurdistan – wurden nicht erreicht.
Schon seit Oktober marschierten türkische
Truppen bis zu einer Stärke von
50.000 Soldaten an der Grenze auf, die Armee ging in den
kurdischen Grenzprovinzen zu einem Dauereinsatz gegen die
Guerillakräfte über und begann ab Dezember mit andauernden
Bombenangriffen auf PKK-Stellungen im Nordirak. In der letzten
Februarwoche überschritten dann Spezialeinheiten unterstützt von
Panzern, Artillerie und Luftangriffen die Grenze nach
Südkurdistan. Israel unterstützte den Angriff mit
Luftaufklärung. Wahrscheinlich hatte es sich die Militärführung
einfach vorgestellt, durch die tief verschneiten Täler und
Schluchten blitzschnell in das Gebiet Zap vorzustoßen, in dem
die Führungskader der PKK vermutet werden. Die Generäle setzten
darauf, die Guerilla zu überraschen, dass die kurdischen Kämpfer
sich zurückziehen und offene Kämpfe vermeiden. Und gerade diese
Taktik ging nicht auf. Schon nach ein, zwei Kilometern saß der
türkische Vorstoß fest. Die großen Camps direkt
an der Grenze waren schon lange geräumt. Starke Guerillakräfte
setzten der türkischen Armee tagsund nachtsüber einen derart
heftigen Widerstand entgegen, dass ganze Militärverbände völlig
demoralisiert ausgetauscht werden mussten. Mehrere Panzer wurden
zerstört, ein Hubschrauber abgeschossen. Die eisige Kälte in den
Bergen tat das übrige.
Der türkische Generalstab
erklärte, dass um die 50 Guerillakämpfer getötet wurden und ihre
eigenen Verluste 7 Mann betragen. Jetzt wüsste die PKK, dass der
Nordirak für sie keine sichere Region sei. Weitere Angriffe auf
den Nordirak behielt sich der Generalstabschef vor. Es ist
interessant, dass die türkischen Medien den Erfolg im Nordirak
anzweifeln. Sie zitieren auch die Angaben der PKK-Führung. Murat
Karayilan sagte in Roj TV: „Sie haben Verluste gehabt, die Moral
liegt am Boden.“ Die türkische Armee sei hinter der Grenze kaum
zwei Kilometer vorwärtsgekommen. Von über 100 getöteten
türkischen Soldaten seien viele im Schnee erfroren. „Die beiden
Brigaden an der vordersten Front, die angesichts des
Widerstandes der Guerilla einen schweren Schlag und Schock
erlitten, wurden am dritten Tag ausgewechselt. Die türkische
Armee wollte mit neuen Kräften weitermarschieren. Dagegen
unternahm die Guerilla in der Nacht vom 6. auf den 7. Februar
einen umfassenden Angriff, der zu schweren Verlusten der Kräfte
der türkischen Armee und einer Bewegungsunfähigkeit führte. Am
Morgen des 8. Februar gab die türkische Armee den Angriff auf
und zog ihre Kräfte eine Etappe zurück. Gleichzeitig unternahm
die Guerilla einen Gegenschlag von zehn Seiten aus, woraufhin
die Armee ihre Kräfte ganz aus dem Einflussgebiet der Guerilla
abzog.
… Wenn dieser erster
Angriff auf das Hauptquartier der HPG Erfolg gehabt hätte, wären
die bereitgestellten Truppen in Bewegung versetzt und die
Gebiete Haftanin und Xakurke besetzt worden. Somit wäre der
Plan, eine Pufferzone zu errichten, frühzeitig umgesetzt worden
und die türkische Armee hätte gleich zu Beginn des Jahres 008 an
moralischer und strategischer Überlegenheit gegenüber der
Guerilla gewonnen. Aber dem Kräfteungleichgewicht zum Trotz
wurde … die türkische Armee in eine große Niederlage geführt.“
Es handele sich möglicherweise um die härteste Niederlage, die
die türkische Armee in dem 5 Jahre währenden Krieg erlitten
habe, was für die Guerilla in Bezug auf Initiative und Moral den
Vorteil großer Überlegenheit bedeute. Bei den Gefechten seien
insgesamt neun Guerillakämpfer gefallen. Die USA versorgten die
türkischen Militärs mit Geheimdienstinformationen gegen die PKK.
Sie warnte aber seit Monaten vor einer Invasion in den Nordirak.
Als die Armee den Angriff startete, sprach die US-Regierung von
tiefem Verständnis für das Vorgehen gegen die PKK, aber die
Türkei solle ihren Vorstoß möglichst rasch beenden. Am 9.
Februar wurde die Forderung, die Türkei solle aus dem Nordirak
abziehen, der US-Regierung und des US-Militärs, die Türkei solle
aus dem Nordirak abziehen, ultimativ. Die USBesatzungsmacht im
Irak sympathisiert mit einer Dreiteilung des Irak in einen
schiitischen, einen sunnitischen und einen kurdischen Teil. Die
kurdische Region ist die stabilste im Irak. Dort muss die
US-Armee keine Kräfte binden.
Nach dem Vorstoß der
türkischen Armee und den heftigen Widerstandskämpfen der
PKK-Guerilla kam es dann auch zu Unterstützungsdemonstrationen
im Irak. Das veranlasste die irakische Regierung ein Ende der
Invasion zu verlangen. Irakisch-kurdische Peshmergaeinheiten
wurden nicht in die Kämpfe verwickelt. Ein Sprecher des
irakischen Staatspräsidenten Talabani betonte die
Aussichtslosigkeit eines Militärschlages in diesem Gebiet und
wiederholte das Angebot, zwischen der Türkei und der PKK zu
vermitteln.
In der Türkei kam es in
allen größeren Städten zu Demonstrationen und Kundgebungen, an
denen sich Zehntausende Menschen beteiligten. Die Regierung
Erdogan und die AKP gehen geschwächt aus dieser
Auseinandersetzung hervor. Sie wollten gerade in den kurdischen
Provinzen in den kommenden Kommunalwahlen die dort dominierende
pro-kurdische DEP schlagen. Die Niederlage im Nordirak stärkt
der kurdischen Bewegung den Rücken. Insgesamt zeichnet sich in
der Türkei eine tiefe Spaltung zwischen Türken und Kurden ab.
Immer häufiger kommt es im Westen der Türkei zu Übergriffen
türkische Nationalisten auf kurdische Geschäfte und auf
Wohngebiete, wo mehrheitlich Kurden wohnen. Die Stimmung in der
Türkei ist massiv aufgeheizt.
Es wird nicht der letzte
Vorstoß der türkischen Armee in den Nordirak gewesen sein. Die
türkische Armee hatte bisher vier festungsartig ausgebaute
Stützpunkte in Südkurdistan. Dazu sind jetzt weitere sieben
Stützpunkte an der Grenze gekommen. Das in der Öffentlichkeit
angeschlagene türkische Militär wird weiter versuchen, den
Nordirak zu destabilisieren und den innertürkischen Konflikt mit
der kurdischen Bevölkerung und der PKK mit Sicherheitskräften
und Militäroperationen zu lösen.
Ein PKK-Sprecher erklärte:
„Letztlich hat diese Kriegspraxis ein weiteres Mal deutlich
gemacht, dass mit Militäroperationen und gewalttätigen Methoden
keine Ergebnisse zu erzielen sind. Es ist offensichtlich
gewordenen, dass die Strategie des türkischen Staates, die
Befreiungsguerilla Kurdistans auszuschalten und unter Einsatz
militärischer Kraft Einfluss über Südkurdistan zu gewinnen,
keine leicht umsetzbare Strategie ist … Der türkische Staat muss
davon absehen, die kurdische Frage mit gewalttätigen Methoden zu
lösen … Das ist nur über eine Konfrontation des türkischen
Staates mit seiner eigenen Realität und Zugeständnisse möglich.
Ohne eine Berücksichtigung des Willens des kurdischen Volkes ist
es nicht möglich. Eine gesellschaftliche Versöhnung verläuft
über eine gegenseitige Anerkennung und Respektierung. Zunächst
muss der türkische Staat und seine Führung dies erkennen.“
Ein nächster
Kulminationspunkt dieser Auseinandersetzung werden die
Newrozfeiern am 1. März sein, am 5. und 6. März flogen schon
wieder türkische Kampfbomber über dem Nordirak.
Editorische
Anmerkungen
Den Artikel entnahmen wir
per OCR-Scan der Nr. 3/08 der Zeitschrift
Politische Berichte
Zeitung für linke Politik
Herausgegeben
vom Verein für politische Bildung,
linke Kritik und Kommunikation,
Venloer Str. 440, 50825
Köln.
Herausgeber: Barbara
Burkhardt, Christoph Cornides,
Ulrike Detjen, Emil Hruška, Claus-Udo
Monica, Brigitte Wolf.
Bezugsbedingungen: Einzelpreis 4,00 €. Ein
Halbjahresabonnement kostet 29,90 € (Förderabo
42,90 €), ein Jahresabo kostet 59,80 € (Förderabo
85,80 €). Ein Jahresabo für Bezieher aus
den neuen Bundesländern: 54,60 €, Sozialabo:
46,80 €. Ausland: + 6,50 € Porto. Buchläden und
andere Weiterverkäufer erhalten 30 % Rabatt.
GNN Verlag
Süd GmbH Stuttgart