Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Staatsbegräbnis für den CNE (Vertrag ohne Kündigungsschutz)
Arbeitsminister kündigt an, alle CNE in ‚normale’ unbefristete Arbeitsverträge umzuwandeln

03/08

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Die Neuigkeit an und für sich ist positiv, aber sie dient gleichzeitig dazu, neue anderweitige Rückschritte zu verschleiern: Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand kündigte am 26. Februar an, alle Arbeitsverträge vom Typ CNE (Contrat nouvelle embauche, „Neueinstellungsvertrag“) würden automatisch rechtlich in „normale“ unbefristete Arbeitsverträge umgewandelt. Die Meldung machte am Mittwoch (27. Februar) überall Schlagzeilen und schmückte die Seite Eins der Wirtschaftstageszeitung ‚Les Echos’, der (ungefähren) französischen Entsprechung zum deutschen ‚Handelsblatt’.  

Der CNE ist ein besonderer Arbeitsvertrag, der in den ersten 24 Monaten seiner Laufzeit keinen Kündigungsschutz enthält und in kleinen und mittleren Unternehmen mit höchstens 20 Beschäftigten (was freilich auf 90 % der eingetragenen französischen Unternehmen zutrifft) abgeschlossen werden kann. Er wurde am 2. August 2005 per Regierungsdekret eingeführt und blieb heftig umstritten. Zu Anfang des darauffolgenden Jahres sollte er als Vorbild für die Schaffung des CPE (Contrat première embauche, „Ersteinstellungsvertrag“) dienen: Letzterer sollte für die jungen Lohnabhängigen unter 26 Jahren bestimmt sein und nach demselben Strickmuster funktionieren wie der „ältere Bruder“ CNE. Heftige Straßenproteste und Streiks verhinderten daraufhin jedoch die Einführung des „Ersteinstellungsvertrags“ (CPE), jedoch blieb der CNE oder „Neueinstellungsvertrag“ weiterhin in Kraft. 

 Im Juli 2007 wurde er durch die französische Justiz faktisch verurteilt, da er im Widerspruch zur Richtlinie Nummer 158 der International Labour Organisation (ILO) stehe, die für Kündigungen einen triftigen Grund fordert, während eine Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen des CNE ohne Nennung von Rechtfertigungsgründen erfolgen kann. Im November 2007 erteilte die ILO offiziell Frankreich eine Rüge aufgrund der Einführung des CNE. (Vgl. Näheres: http://www.labournet.de/internationales/fr/cpe.html

Es blieb die Frage im Raum stehen, was aus den übrigbleibenden, bereits abgeschlossenen Arbeitsverträgen vom Typus CNE nun werden würde. Sollten die Beschäftigten dennoch weiterhin 24 Monate in einem kündigungsschutzlosen Arbeitsverhältnis bleiben, so lange, bis die zweijährige Super-Probezeit auch für den letzten abgeschlossenen CNE abgelaufen sein wird? Oder wäre im Falle einer Kündigung ein Arbeitsgericht dennoch zuständig? 

Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand hat nun, laut der Sprachregelung der französischen Presse vom Donnerstag, die „radikale Lösung“ gewählt. Ab dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur „Modernisierung des Arbeitsmarkts“, das bis im April dieses Jahres vom Parlament verabschiedet werden und die Bestimmungen des Abkommens der „Sozialpartner“ vom 11./18. Januar dieses Jahres zum Thema umsetzen soll (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd0208/t190208.html ),  werden dann die noch vorhandenen CNEs in „normale“ unbefristete Arbeitsverträge umgewandelt werden. Damit wird der Wegfall des Kündigungsschutzes für diese Arbeitsverhältnisse explizit aufgehoben. 

Die Negativseite: Diese, an und für sich positive, Neuigkeit dient vorwiegend zur gesellschaftlichen Legitimierung eines neues Gesetzes, das faktische Rückschritte - die freilich durch die Mehrzahl der Gewerkschaftsverbände (vier von fünf nationalen Gewerkschaftsbünden) durch ihre Unterschrift abgesegnet worden sind - absegnen wird. In ihrer Donnerstagsausgabe zitiert die Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ zudem den Staatssekretär Eric Besson, dem zufolge das Abkommen bzw. das kommende Gesetzeswerk nur den Anfang einer „Reform“ auf dem Weg zur so genannten ‚Flexisécurité’ („Flexibilisierung des Arbeitsmarkts bei gleichzeitiger Absicherung der Lohnabhängigen“) bilden werde. Aber noch lange nicht ausreiche…  

Zu einem der offenen Punkte der Gesetzesnovelle erklärte Minister Bertrand, dass die  Probezeiten (die durch das Abkommen verlängert werden, auf bis zu vier Monate für Arbeiter und ‚einfache’ Angestellte sowie bis zu acht Monate für Führungskräfte und höhere Angestellte) nunmehr im Gesetz festgeschrieben würden. Bislang waren sie nicht im Gesetz verankert, sondern konnten nur durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag vorgesehen werden - dann musste aber nachweisbar sein, dass sie explizit vereinbart worden waren. Künftig werden damit die kündigungsschutzfreien Perioden auf alle Arbeitsverhältnisse anwendbar sein. 

Einen weiteren, eher bitteren Beigeschmack enthält die Ankündigung von Xavier Bertrand dadurch, dass eine Umwandlung aller CNEs in „Normalarbeitsverträge“ demnach erst ab dem (Früh)Sommer 2008 auf dem Programm steht, d.h. wenn das geplante neue Gesetz erst einmal durch alle parlamentarischen Lesungen gegangen sein wird. Die allermeisten CNEs haben dann ohnehin nur noch wenige Monate bis zum Ende ihrer Probezeit zu durchlaufen, da seit dem Urteil vom Juli 2007 kaum noch Arbeitsverträge dieses Typus unterschrieben worden sind. 

Insgesamt sollen, laut ‚Les Echos’ in ihrer Mittwochsausgabe, eine Million CNE-Verträge unterzeichnet worden sein. Allerdings entsprächen (nur) „10 Prozent“ davon „geschaffenen Arbeitsplätzen“, was bedeutet, dass zum überwiegenden Teil - in 90 Prozent der Fälle - der Mitnahmeeffekt überwiegt und durch den Wegfall des Kündigungsschutzes keine neue Stellen geschaffen, sondern nur ohnehin ‚bereit stehende“ Arbeitsplätze besetzt worden sind. Ferner fügt ‚Les Echos’ hinzu, dass unbekannt sei, wie viele CNE bislang schon (während der jeweiligen Probezeit) wieder aufgekündigt worden seien, da es keinerlei Statistik darüber gibt.  

Dennoch dürfte die geplante Umwandlung der CNEs in „Normalarbeitsverträge“ im Moment noch einige Zehntausend Beschäftigte betreffen. Im Prinzip. Denn noch bleibt die Frage, ob die Arbeitgeber nicht die verbleibende Zeit bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes nutzen werden, um sich von abhängig Beschäftigten, gegenüber denen sie „Zweifel“ hegen, ohne Angabe von Rechtfertigungsgründen (wie es der CNE ausdrücklich erlaubt) zu trennen. Ganz so einfach dürfte es freilich dennoch nicht werden, da die Arbeitsgerichte in der Regel darauf achten dürften, dass aufgrund der erfolgten politischen und juristischen „Verurteilung“ des CNE auch in diesen Fällen dennoch eine richterliche Kontrolle der Entlassung(sgründe) stattfindet. 

Unverhohlene Drohung seitens der Kapitalseite 

Ein Teil der Arbeitgeberverbände beschwert sich nunmehr lautstark darüber, „übergangen“ worden zu sein bzw. „die Pistole auf die Brust gesetzt zu bekommen“, und bezeichnete die Information über die Umwandlung der CNEs in Normalarbeitsverträge als „schlechte Neuigkeit für die Beschäftigung“. Die CGPME (Allgemeiner Verband der kleinen und mittelständischen Unternehmen), der „mittlere“ der drei französischen Arbeitgeberverbände – dessen Organisationsbereich die Hauptbetroffenen der Einführung bzw. Abschaffung des CNE, die kleineren Unternehmen, angehören – drohte relativ unverhohlen mit einer Kündigungswelle vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes. Ihr „Verantwortlicher für soziale Fragen“, Jean-François Veysset, erklärte dazu: „(Arbeitsminister) Xavier Bertrand ist ein unbedachtes Risiko eingegangen. Das wird besorgniserregende Auswirkungen auf der Ebene der Beschäftigung haben.“ Die Wirtschaftstageszeitung ‚Les Echos’ berichtete darüber an diesem Donnerstag (28. 02.) unter dem Titel „Kündigungsdrohunen vor der Umwandlung der CNEs in unbefristete Verträge“. (Das ist juristisch  betrachtet übrigens unexakt, da es sich beim CNE theoretisch bereits um einen unbefristeten Arbeitsvertrag handelt, bei dem nur für die ersten 24 Monate der Kündigungsschutz ausgesetzt ist.)  

Um ihrer kaum verhüllten Drohung Nachdruck zu verleihen, behaupte die CGPME, die CNE-Arbeitsverträge beträfen im Moment noch „800.000 Beschäftigte“, über denen also  potenziell das Damoklesschwert der alsbald erfolgenden Kündigung schwebe. Hingegen spricht die Regierung beruhigend von „unter 100.000“ Betroffenen. Der enorme Unterschied in den Zahlenangaben könnte freilich auch darauf beruhen, dass es sich im einen Falle um die Gesamtzahl der irgendwann mal abgeschlossenen Arbeitsverträge vom Typ CNE handelt – im anderen Falle hingegen um die (weitaus niedrigere) Anzahl solcher Verträge, die noch in Kraft, also ungekündigt sind UND für welche die kündigungsschutzlose zweijährige Periode noch nicht ausgelaufen ist. 

Im Namen des Gewerkschaftsbunds CGT erklärte Maryse Dumas (ebenfalls in ‚Les Echos’ vom Donnerstag): „Ich warne die Unternehmen: Wir werden alle jenen durch die Justiz verurteilen lassen, die sich überstürzt und ohne rechtfertigende Gründe von ihren abhängig Beschäftigten trennen werden.“ Gut möglich, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit (die in Frankreich aus paritätisch mit Gewerkschafts- und Arbeitgeber—Vertretern besetzten Laiengerichten besteht) ebenfalls eher in diese Richtung tendieren werden wird.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Text am 28.2.08 vom Autor zur Veröffentlichung.