Never Work Alone.
Wir alle sollten Organizer sein
von Peter Nowak

03/08

trend
onlinezeitung

Ein Sammelband gibt einen Überblick über die gewerkschaftliche Organizing-Debatte und regt zu kritischen Fragen an.

„Von den USA lernen, heißt siegen lernen“, lautet zur Zeit die Devise einiger  Gewerkschafter. Das Zauberwort heißt Organizing, eine professionell geplante Form der Mitgliedergewinnung. Zunehmend wird das Konzept nicht nur von  aktiven Gewerkschaftern mit Interesse verfolgt. Jetzt gibt ein von drei ver.di-Gewerkschaftern herausgegebenes Buch einen gutenÜberblick über das Konzept und seine Umsetzung im In- und Ausland.

Der gewerkschaftsnahe Sozialwissenschaftler Heiner Dribbusch fasst die bisherige Organizing-Debatte zusammen. Der Begriff ist nicht einheitlich definiert, obwohl sich viele Gewerkschaften darauf beziehen. Zu den Grundelementen zählt die Aktivierung der Mitgliedschaft, die über den Status  als passive Beitragszahler herauskommen sollen. Die Gewerkschaft soll wieder eine soziale  Bewegung mit Verankerung in den Betrieben werden. Dadurch soll die Kampagnenfähigkeit der Gewerkschaften gesteigert werden. In den USA gelang es damit, den  rapiden  Mitgliederverlust zu stoppen. In Australien und Irland waren allerdings die Ergebnisse von Organizing-Ansätzen bescheidener.

Als bekanntestes  Organizing-Projekt in Deutschland kann die von ver.di initiierte Lidl-Kampagne gelten. In der Auseinandersetzung mit den gewerkschaftsfeindlichen Praktiken des Billig-Discounters wurde die gesamte Palette der Aktionsmöglichkeiten, bis zu Lidl-kritischen Einkaufsbeuteln, ausprobiert. „Die Lidl-Kampagne hat bis heute vieles erreicht. Doch noch verweigert Lidl seinen Beschäftigten elementare Grundrechte und die Bildung von Betriebsräten“, lautet der ehrliche Zwischenstand des ambitionierten       Projekts. Weniger bekannt sind die Organizing-Bemühungen beim Hamburger Wach- und Sicherheitspersonal. In den Berichten  werden die Widersprüche benannt.  So fühlte sich ein Teil der Betroffenen bisher von den Gewerkschaften nicht vertreten. Die Berliner Organizing-Koordinatorin Franziska  Bruder erwähnt, dass  Teile des   Sicherheitsgewerbes an der sozialen Kontrolle und Ausgrenzung von einkommensschwachen Menschen beteiligt sind und dabei selbst  am unteren Ende der Lohnskala stehen. Höhepunkt der Organizing-Arbeit  war eine Pressekonferenz, am 1. Juni 2006 in Hamburg, auf der das Sicherheitspersonal maskiert nach Art der Überflüssigen  ihre schlechten Arbeitsbedingungen anprangerten und  „Respekt und bessere Jobs“ forderte. Allerdings blieb die Mitgliederentwicklung in der Branche am Ende hinter den Erwartungen der Organizer.

Die Berichte über  diese konkreten Erfahrungen  sind die Stärke des Buches. Dagegen sind die ersten beiden Kapitel  im Verlautbarungston  des Gewerkschaftsapparates verfasst.  Am schwächsten aber ist das letzte Kapitel, in dem der ver.di-Jugendsekretär Ringo Bischoff gemeinsam mit dem Kommunikationsberater Frank Kornberger ein Loblied auf das Organizing singen wollen. Dabei kommen das Duo über   Floskeln nach dem Motto „Fit in die Zukunft – mit Organizing“ nicht hinaus. Neben werden linke Gewerkschafter als altmodisch abgewatscht.  

Kritische Fragen

Diese  negativen Ausreißer sollten allerdings da Verdienst des Buches nicht schmälern. Es benennt Möglichkeiten und Grenzen  einer  gewerkschaftlichen Organisierungsmethode,  die Bildungsarbeit und politische Inhalte nicht ersetzen kann.  Für eine Diskussion auch unter Linken ergeben sich viele Diskussionen, die das Buch nicht anschneidet. Wieso  redet der erwähnte ver.di-Jugendsekretär Ringo Bischoff in seinem Beitrag völlig inhaltsleer und ideologiefrei in der Sprache der Managementschulungen? Warum gibt sich der gleiche Ringo Bischoff in einem Interview mit der Zeitung der VVN/Bund der Antifaschisten als kämpferischer Antifaschist, der eben auch mehr will, als  inhaltsleere Marketingstrategien? Eigentlich   sollten Linke auch innerhalb der Gewerkschaften versuchen, ihre Inhalte reinzubringen. Das war ja auch jahrzehntelang erprobte  linke Gewerkschaftspolitik. Ist in dieser Hinsicht das Organizing-Konzept nicht eher ein Hindernis? Eine andere Frage drängt sich auf? Wer organisiert die Organizer? Wie  werden sie bezahlt? Wie ist ihre Verbindung zu den Menschen, die sie organisieren sollen Und schließlich die Grundfrage:  Wer hat denn die ganzen Jahrzehnte über  die Kollegen in den Gewerkschaften organisiert, als es das Organizing-Konzept noch nicht gab? Das waren die Aktivisten innerhalb der Arbeiterklasse selber. Warum sollte das heute nicht mehr möglich sein? Die Devise müsste lauten: Wir alle sollten Organizier der Lohnabhängigen werden, weil es schließlich um  unsere eigenen Interessen handelt. Und die können wir nur selber vertreten. Vielleicht sollte eine Strophe der Internationale  zeitgemäß umgeschrieben werden: „Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Organizer, kein Tribun....“

Peter Bremme/Ulrike Fürniß/Ulrich Meinecke (Hrsg.):
Never Work Alone. Organizing – ein Zukunftsmodell für Gewerkschaften,

VSA Verlag, Hamburg 2007, 19,80 Euro, 280 Seiten, ISBN 978-3-89965-239-0