Revolution im Alstertal?
Die Oktoberereignisse 1923 im Oberalstergebiet

von Hans-Kai Möller

03/08

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Die Bredel-Gesellschaft führte am 22. Oktober 2003 eine gut besuchte Veranstaltung in Erinnerung an den Hamburger Aufstand vor 80 Jahren mit dem Titel „Hamburg auf den Barrikaden“ durch. Es wurde der Versuch unternommen, die politische und wirtschaftliche Situation im Herbst 1923 sowohl im Deutschen Reich als auch in Hamburg lebendig zu machen: Es herrscht eine katastrophalen Lage, die durch Hyperinflation und Massenelend gekennzeichnet war. Die neugebildete Reichsregierung der großen Koalition drohte den Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen mit der „Reichsexekutive“, also der offenen Reichswehrdiktatur. In der Hoffnung, dass die KPD-SPD-Koalitionsregierungen in Mitteldeutschland zum militärischen Widerstand aufrufen würden, sollte der Aufstand in Hamburg Reichswehrtruppen binden und möglichst das Signal zu reichsweiten Widerstandsaktionen geben. Die Aufstandsplanung in Hamburg und in seinen Vororten sowie die konkreten Aufgaben des Fuhlsbüttler Ordnerdienstes standen im Mittelpunkt des Abends. Abgerundet wurde die Veranstaltung durch ein Tonbandinterview mit dem Aufstandsteilnehmer Otto Gröllmann und Ausschnitten aus dem Film von Klaus Wildenhagen über den Hamburger Aufstand.
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Wenn über den „Hamburger Aufstand“ von 1923 gesprochen oder geschrieben wird, stehen meist seine Vorgeschichte und die Kämpfe in Barmbek und Schiffbek im Mittelpunkt des Interesses. Nur wenig bekannt ist, dass es damals auch im Oberalstergebiet und im Norden Hamburgs Ereignisse gab, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Aufstandsplan standen. So war es geplant, den Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel noch vor dem eigentlichen Aufstandsbeginn durch die örtliche Parteigruppe oder eine Gruppe des Ordnerdienstes der KPD (OD) zu besetzen.[ 1 ] Der Flughafen sollte nicht nur besetzt werden, um die Logistik des Gegners zu schwächen, sondern auch, um das dort befindliche Waffen- und Munitionslager, das nur von wenigen Polizisten bewacht wurde, zu erobern.[ 2 ] Angesichts des Waffenmangels bei den Aufständischen ist es nur schwer nachvollziehbar, warum diese Maßnahme nicht durchgeführt wurde. Die Fuhlsbüttler Kommunisten beteiligten sich stattdessen mit einer Hummelsbüttler Kampfgruppe und Langenhorner OD-Mitgliedern an der Erstürmung der Langenhorner Wache.Das Versäumnis, den Flughafen zu besetzen, sollte sich zwar nicht als kampfentscheidend jedoch als außerordentlich negativ für die Revolutionäre in Barmbek und Schiffbek auswirken. Vor und während des Angriffes der Polizei in Barmbek am 24.10. kreisten von der Polizei gecharterte Flugzeuge über dem Stadtteil.[ 3 ] Auf Grund der hohen und engen Bebauung im Kampfgebiet konnten die Flugzeuge jedoch nur zu Aufklärungszwecken eingesetzt werden. In Schiffbeck dagegen griff am Mittag des 24.10. ein Flugzeug der Gesellschaft für Luftverkehrsunternehmungen sowohl wahllos Wohnhäuser als auch gezielt Aufständische mit Maschinengewehrfeuer an.[ 4 ]

Sehr wichtig für das Gelingen des Aufstandes war die Sperrung von größeren Zufahrtsstraßen nach Hamburg, um möglichen Nachschub für die Polizei fernzuhalten. In den meisten Hamburger Vororten scheiterten diese Sperraktionen aus unterschiedlichen Gründen. Anders in Hummelsbüttel: Die KPD-Mitglieder planten sowohl die unmittelbar bevorstehenden Aktionen als auch die wichtigsten Maßnahmen, die nach dem Sturz der bürgerlichen Regierung notwendig sein würden, sehr genau. Dabei stand insbesondere die Versorgung mit Brot und Lebensmitteln im Vordergrund. Aus diesem Grunde stellten die Aufständischen bei den örtlichen Bäckern den Brotbestand fest. Danach sperrten sie die Hummelsbütteler Landstraße mit Draht und durchsuchten jedes Auto, das vorbeikam, nach Waffen.[ 5 ] Im ebenfalls preußischen Nachbardorf Wellingsbüttel beschaffte sich der KPD-Stoßtrupp, der aus Sasel Unterstützung erhielt, Waffen aus Privatbeständen. Den Kommunisten, die auch von der örtlichen Sozialdemokratie unterstützt wurden[ 6 ], gelang es am späten Vormittag, den S-Bahn-Verkehr zwischen Ohlsdorf und Poppenbüttel zu unterbrechen.[ 7 ]

Die einzige Wache, die im Norden Hamburgs gestürmt wurde, war die Langenhorner Polizeistation. Fuhlsbüttler und Hummelsbüttler Revolutionäre radelten unter Führung des Hummelsbüttler Jungkommunisten Hermann Beckbye nach Langenhorn. In der Tangstedter Landstraße trafen sie auf den „Schutzmann“ Behnke, der mit der KPD sympathisierte und sich widerstandslos entwaffnen ließ. Die Aufständischen überrumpelten die drei Polizisten in der Wache mit Hilfe eines defekten Revolvers, bei dem der Abzugsbügel fehlte.[ 8 ] Auch diese Ordnungshüter ließen sich widerstandslos entwaffnen. Sie trugen lediglich Pistolen. Als ein Polizist um eine Quittung über die requirierten Waffen bat, soll er von Hermann Beckbye die trockene Antwort „Es ist Revolution, da gibt es keine Bescheinigungen!“ bekommen haben. Die drei älteren Familienväter waren anscheinend froh, so glimpflich davongekommen zu sein, gingen sofort nach Hause und begaben sich an die Gartenarbeit.[ 9 ] Allerdings nicht ohne vorher die Fuhlsbüttler Polizeiwache zu informieren. Die telefonisch vorgewarnten Fuhlsbüttler Ordnungshüter räumten eilig ihre Wache und versteckten sich in der Umgebung. Zu einem Angriff auf diese Wache kam es jedoch nicht.[ 10 ]

Einen Monat nach dem Hamburger Aufstand, am 23.11.1923, wurde die KPD reichsweit verboten. Die Lage für die Partei in Hamburg verschärfte sich bereits am 7.11.1923, als die Bürgerschaft die Immunität aller KPD-Bürgerschaftsabgeordneten aufhob. In dieser angespannten Situation fand am 9. November eine Gedenkfeier für die während des Aufstandes gefallenen Arbeiterinnen und Arbeiter auf dem Ohlsdorfer Friedhof statt. Vor dem Friedhof standen Lastkraftwagen mit schwer bewaffneten Polizisten, berittene Polizei war aufgeboten, auf dem Friedhof schlichen Kripo-Beamte und Polizeispitzel umher.[ 11 ] Überraschend erschien plötzlich der per Haftbefehl gesuchte Ernst Thälmann, der durch einen zehnfachen Ring von OD-Kräften geschützt war. Der ehemalige Hamburger Gesundheitssenator Fiete Dettmann schrieb über den weiteren Verlauf dieser Gedenkfeier: Thälmann „sah die vergeblichen Versuche, an ihn heranzukommen. Jeder dieser Bullen wurde von Genossen umringt. So isoliert verhielten sie sich sehr still und entblößten ohne Nachhilfe ihre Häupter zu Ehren der Revolutionsopfer der Jahre 1918 bis 1923. Nach der Rede Ernst Thälmanns ehrten die Genossen im stillen Gedenken die gefallenen proletarischen Kämpfer. Es gab keine Verhafteten an diesem Tag.“[ 12 ] Fast unbemerkt wie er gekommen war, verschwand Thälmann auch wieder. In Anbetracht der für sie ungünstigen Situation auf dem Friedhof verzichtete die Polizei auch nach der Feier auf jeglichen Festnahmeversuch.

Weniger glimpflich verlief eine Gedenkfeier für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die am [ 13 ]. 1. 1924 am Denkmal für die Revolutionsopfer auf dem Friedhof Ohlsdorf stattfand. Der Redner bei dieser Gedenkkundgebung war überraschenderweise der polizeilich gesuchte Leiter des KPD-Bezirks Wasserkante, Hugo Urbahns. Nachdem er seine Rede beendet und den Friedhof verlassen hatte, nahm die Kriminalpolizei ihn auf der Fuhlsbüttler Straße fest und brachte ihn in das Gefängnis Fuhlsbüttel.13 Erst ein ganzes Jahr später verurteilte die Strafkammer7 des Hamburger Landgerichts Urbahns zu zehn Jahren Festungshaft. Er wurde im Oktober 1925 bereits wieder freigelassen, da er im Dezember 1924 in den Reichstag gewählt worden war.[ 14 ]

Die jährliche Gedenkfeier für die gefallenen Oktoberkämpfer von 1923 auf dem Ohlsdorfer Friedhof entwickelte sich während der Weimarer Republik zu einer festen Tradition der Arbeiterbewegung in Hamburg.

Anmerkungen

[ 1 ] (Neuberg, A.) d.i. Kippenberger, Hans, Der bewaffnete Aufstand, Versuch einer theoretischen Darstellung. Eingeleitet von Erich Wollenberg, Frankfurt am Main 1971, S. 77.

[ 2 ] Der Militärische Leiter bei der Zentrale der KPD, Valdemar Roze („W.R.“): Bericht über den Hamburger Aufstand, Berlin, Freitag, 26. Oktober 1923, Ein Revolutionsplan und sein Scheitern, Herausgegeben von Bernhard H. Beyerle in (u.a.), 1. Auflage Berlin 2003, S. 250.

[ 3 ] (Neuberg, A.), Kippenberger, Hans, S. 90.

[ 4 ] Vgl. Reissner, Larissa, Hamburg auf den Barrikaden, Berlin 1. Auflage 1960, S. 67, Habedank, Heinz, Zur Geschichte des Hamburger Aufstandes, Berlin 1958, S. 178 und Zeitzeuge Otto Gröllmann in: „… sie werden diesen Augenblick niemals vergessen!“, Schweriner Volkszeitung, 23.10.1953, sowie mündliche Mitteilung an den Verfasser am 23.10.1993.

[ 5 ] Habedank, S. 111 u. S. 127.

[ 6 ] Biehl, Karl Heinrich, Der Thälmann-Putsch in Hamburg und Umgebung, Hamburg 2000, S. 98.

[ 7 ] Voß, Angelika, Büttner, Ursula, Weber, Hermann, Vom Hamburger Aufstand zur politischen Isolierung, Kommunistische Politik 1923–1933 in Hamburg und im Deutschen Reich, Hamburg 1983, S. 11.

[ 8 ] Sammlung Hans-Kai Möller, Handschriftl. Brief von Helmuth Warnke an Hans-Kai Möller v. 4.10.1993 und Warnke, Helmuth, Der Verratene Traum, Langenhorn – Das kurze Leben einer Hamburger Arbeitersiedlung, Hamburg 1995, S. 92.

[ 9 ] Sammlung Möller, Handschriftl. Mitschrift einer Veranstaltung mit Helmuth Warnke in der Bücherhalle Fuhlsbüttel am 23.9.1993.

[ 10 ] Bürgerverein Fuhlsbüttel, Hummelsbüttel, Klein Borstel, Ohlsdorf von 1897 e.V., Blick auf Fuhlsbüttel und das Alstertal, Bilder und Berichte, Hamburg 1973, S. 57.

[ 11 ] Thälmann, Irma, Erinnerungen an meinen Vater, Berlin o.J., S. 11.

[ 12 ] Autorenkollektiv unter Leitung von Günter Hortschansky, Ernst Thälmann, eine Biographie, Frankfurt am Main 1979, S. 188.

[ 13 ] Staatsarchiv Hamburg, 135-1: Staatliche Pressestelle I, B VI, Band 3a, Hamburger Nachrichten 14.1.1924.

[ 14 ] Voß, S. 38 und Biehl, S. 145.

 

Editorische Anmerkungen

Wir spiegelten den Text von  der Seite der Willi-Bredel-Gesellschaft. Er erschien dort im Rundbrief 2004, 15. Jahrgang.