Agnostizismus
[griech]
- Name für erkenntnistheoretische Lehren, die das Wesen des
jeweiligen Erkenntnisgegenstandes und in letzter Instanz der
objektiven Realität für unerkennbar erklären.
LENIN (14,
122) definiert wie folgt: «Agnostiker ist ein griechisches
Wort: a bedeutet griechisch nicht, gnosis - Wissen. Der
Agnostiker sagt: Ich weiß nicht, ob es eine objektive
Realität gibt, die durch unsere Empfindungen
widergespiegelt, abgebildet wird, ich erkläre, daß es
unmöglich ist, dies zu wissen ... Hieraus folgt die
Verneinung der objektiven Wahrheit durch die Agnostiker und
die Toleranz, die spießerhafte, philiströse, feige Toleranz
gegenüber der Lehre von Waldteufeln, Hausgeistern,
katholischen Heiligen und ähnlichen Dingen.» |
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«Agnostizismus»
wird das erste Mal von HUXLEY als Gegensatz zu «Gnostizismus»
gebraucht. Der Sache nach ist die Erkenntnistheorie HUMES, wenn
man von den agnostischen Momenten in den Lehren der
altgriechischen Sophisten und Skeptiker absieht, der erste
ausgeprägte Agnostizismus. HUME gründet seine Erkenntnistheorie
auf die Behauptung, daß dem Verstand nie etwas anderes
gegenwärtig sei als Impressionen. Aus diesem Grunde sei die
Existenz materieller Dinge außerhalb des Bewußtseins, die
objektive Realität überhaupt, nichts weiter als eine Annahme,
die sich aus Gewohnheit herleite. Hieraus ergebe sich -
theoretisch - die Nichtexistenz der materiellen Dinge und damit
zugleich ihre Nichterkennbarkeit.
Im Anschluß an
HUME haben im 19. Jahrhundert HUXLEY, MILL, SPENCER
agnostizistische Erkenntnistheorien ausgebildet.
Eine weitere
Gestalt des Agnostizismus entwickelte KANT mit seiner Lehre vom
Ding an sich. KANT geht von der These aus: die Erkenntnis erfaßt
nur Erscheinungen und nicht Dinge an sich, der Erkenntnis
zugänglich (erkennbar) sind nur die Erscheinungen von Dingen,
die Dinge, wie sie an sich selber sind, bleiben ihr dagegen
unzugänglich (unerkennbar). «Die transzendentale Analytik hat
demnach dieses wichtige Resultat: daß der Verstand a priori
niemals mehr leisten könne, als die Form einer möglichen
Erfahrung überhaupt zu antizipieren, und, da dasjenige, was
nicht Erscheinung ist, kein Gegenstand der Erfahrung sein kann:
daß er die Schranken der Sinnlichkeit, innerhalb denen uns
allein Gegenstände gegeben werden, niemals überschreiten könne»
(A 246). Das Wissen von einem Gegenstand kann so - nach KANT -
immer nur ein Wissen darüber sein, wie uns der Gegenstand in der
Empfindung als Erscheinung gegeben wird, niemals ein Wissen vom
Gegenstand selber. Die Leugnung der Erkennbarkeit der Dinge an
sich schließt für KANT jedoch nicht ihre Nichtexistenz ein. Im
Gegenteil. «Es folgt natürlicherweise aus dem Begriff einer
Erscheinung überhaupt, daß ihr etwas entsprechen müsse, was an
sich nicht Erscheinung ist, weil Erscheinung nichts für sich
selbst und außer unserer Vorstellungsart sein kann, mithin das
Wort Erscheinung schon eine Beziehung auf etwas anzeigt, dessen
unmittelbare Vorstellung zwar sinnlich ist, was aber an sich
selbst, auch ohne diese Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit,
etwas, d.i. ein von der Sinnlichkeit unabhängiger Gegenstand
sein muß» (A 251). Diesen von der Sinnlichkeit unabhängigen
Gegenstand nennt KANT Ding an sich. Mit dem Begriff «Ding an
sich» will KANT die Grenze der menschlichen Erkenntnis
markieren. Der Begriff eines Dinges, «welches gar nicht als
Gegenstand der Dinge, sondern als ein Ding an sich selbst,
lediglich durch einen reinen Verstand gedacht werden soll», ist
ein notwendiger Begriff, «um die sinnliche Anschauung nicht bis
über die Dinge an sich selbst auszudehnen, und also, um die
objektive Gültigkeit der sinnlichen Erkenntnis einzuschränken»
(B 309). Indem KANT davon ausgeht, daß die menschliche
Erkenntnis nur Erscheinungen erfassen kann und nicht die Dinge,
wie sie an sich selber sind, gibt er seiner Erkenntnistheorie
die Gestalt des Agnostizismus.
Eine umfassende
Einschätzung und Kritik des Agnostizismus gaben ENGELS in Die
Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft und
Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen
Philosophie und LENIN in Materialismus und Empiriokritizismus.
ENGELS und LENIN weisen in ihrer Kritik vor allem darauf hin,
daß mit erkenntnistheoretischen Mitteln allein dem Agnostizismus
nicht beizukommen ist, sondern die Praxis als das entscheidende
Kriterium der Wahrheit zu seiner Widerlegung ins Spiel gebracht
werden muß. «Die schlagendste Widerlegung (des Agnostizismus)
wie aller ändern philosophischen Schrullen ist die Praxis ...
Wenn wir die Richtigkeit unsrer Auffassung eines Naturvorgangs
beweisen können, indem wir ihn selbst machen, ihn aus seinen
Bedingungen erzeugen, ihn obendrein unsern Zwecken dienstbar
werden lassen, so ist es mit dem Kantschen unfaßbaren ,Ding an
sich' zu Ende» (MARX/ENGELS 21, 276). Indem der Mensch seine
Erkenntnisse in Technik, Industrie, Wissenschaft, nicht zuletzt
im gesellschaftlichen Leben erfolgreich anwendet, werden sie von
der Praxis bestätigt, wodurch zugleich bewiesen wird, daß es
sich um Erkenntnisse handelt, die das Wesen des jeweiligen
Erkenntnisgegenstandes widerspiegeln.
Der
Agnostizismus HUMES und KANTS resultiert weitgehend aus dem
Entwicklungsstand der Wissenschaft ihrer Zeit und ist von diesem
her historisch zu verstehen und zu erklären. Wenn jedoch seit
dem Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart angesichts der
immensen Fortschritte, die die Wissenschaft seit der Zeit HUMES
und KANTS gemacht hat, innerhalb der bürgerlichen Philosophie
immer wieder Versuche unternommen werden, besonders von den
verschiedenen Spielarten des Positivismus, den Agnostizismus als
ernsthafte erkenntnistheoretische Lehre neu zu beleben, so sind
das reaktionäre philosophischtheoretische Unternehmen, die mit
Philosophie und Wissenschaft nur noch den Namen gemein haben.
>>Ding an sich
>>Erkenntnis.
Editorische
Anmerkungen
Der Text wurde entnommen
aus:
Buhr, Manfred,
Klaus, Georg
Philosophisches Wörterbuch Band 1, Berlin 1970, S.47f
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