1968 und Götz Aly
von Harry Waibel03/08
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onlinezeitungZu dem Thema „1968 und Götz Aly“ äußere ich mich als einer der durch und mit der Revolte ab 1967 politisiert worden ist, und als Historiker. Doch zuvor möchte ich eine Voraussetzung für diese historisch-politische Debatte klären, die in der schlichten Tatsache begründet ist, dass auch proletarische Jugendliche und junge Arbeiter, Angestellte und Schüler der Bewegung von 1968 angehörten. Auch gehören diejenigen Frauen und Männer dazu, die bereits ab den 1950er Jahren gegen Restauration und gegen Wiederbewaffnung und Notstandsgesetze gekämpft haben und die zum Teil, nach dem Verbot der KPD 1956, im politischen Untergrund aktiv waren. Dass die Studenten, wie fast überall, geschuldet ihrer gesellschaftliche Stellung, und durch die Beherrschung relevanter Kulturtechniken, mehr anhaltende Aufmerksamkeit auf sich ziehen können als andere soziale Gruppen, versteht sich von selbst. Das Erkennen und die korrekte Einordnung solcher Differenzen im Geschichtsbild über die Bewegung von 1968 sind daher von Interesse gekennzeichnet, weil die meisten Texte zur Revolte, so auch die von Aly, dieses Faktum verschweigen.
Der Politikwissenschaftler Götz Aly hofiert in seinen Aussagen zur Bewegung von 1968 in gefälliger Art und Weise Kurt Georg Kiesinger, der sowohl in der NSDAP als auch in der CDU organisiert war, und der es auf seiner Karriereleite vom Ministerpräsident von Baden-Württemberg, zum Vorsitzenden der CDU und zum Bundeskanzler der ersten großen Koalition von 1966 bis 1969 gebracht hatte. In den Unterlagen des Bundeskanzleramtes findet Aly unveröffentlichte Sätze von Kiesinger, die ihm eine Grundlage geben, um seine abstrusen Thesen vorzutragen. In einer unerhörten Geschichtsklitterung stellt er mit Kiesinger einen bis zum Schluss treuen faschistischen Parteigänger von Hitler und Konsorten auf eine Stufe mit dem jüdischen Flüchtling Max Horkheimer.[1] Auf demselben geschichtsrevisionistischen Niveau der Verharmlosung der deutschen Faschisten bewegt sich seine Gleichsetzung der Bewegung von „33“ mit der von „68“. Seine Aussagen triefen vor falschen Inhalten und unhaltbaren Vergleichen, gerade dann, wenn er die faschistischen Studenten der 1920er Jahre und folgende mit denen von 1968 gleich setzt. Bei Aly verschmelzen die faschistische Bewegung und die 68er Studentenbewegung, wenn er versucht die Behauptung zu verkaufen, beide Bewegungen wären gegen den „Muff von tausend Jahren“ angetreten. Weiß er denn nicht, dass es doch im letzteren Fall darum ging, die für Krieg und Massenmorde verantwortlichen faschistischen Deutschen, die sich wieder an den Universitäten breit gemacht hatten, anzuklagen. Das „Tausendjährige Reich“, schon vergessen? Auf Altachtundsechziger wie Dutschke oder Enzensberger schüttet Aly, durch das Bundesverdienstkreuz seines Verehrers Köhler sozusagen geadelt, Kübel voller Scheiße. Geht man von Alys Behauptungen aus, dann waren seine Väter Mao Tse Tung, Pol Pot, das Unbedingte, das Doktrinäre und der deutsche Furor, die ihm die chinesische Kulturrevolution nahe gebracht haben. Vom Anti-Semitismus schweigt er. Welche Positionen hatte er damals als Mitglied der „Roten Hilfe“ eingenommen zu dem Konflikt zwischen Israel und den Arabischen Staaten? Er schweigt sich aus. Von ihm, der seit 20 Jahren Geschichtsforschung zum Holocaust betreibt, wäre es doch gut zu wissen.
Peinlich für ihn selbst sind seine Sympathien für die Massenmörder Pol Pot in Kambodscha und Mao Tse Tung in der VR China. Das stellte er dann in „wir“-Form da, und jedes Mal frage ich mich, was will er denn nun wieder verschleiern, seine eigene Beteiligung oder die der Anderen, wer immer das auch sein mag. Im Grunde genommen geht es hier bei dieser Debatte um die Einschätzung des deutschen Faschismus und vor allem seiner Folgen für die west-deutsche Gesellschaft und wie die Kräfte zu beurteilen sind, die vorgeben gegen Faschisten und Neo-Faschisten antreten zu wollen. Alles dieses fehlt bei Aly. Er spricht nicht explizit vom Faschismus, er nennte Goebbels und zitiert ihn, er spricht nicht explizit vom Neo-Faschismus, er nennt Kiesinger und zitiert ihn und weil er als Anhänger der etablierten Geschichtsforschung davon keinen Begriff hat, entgeht ihm diese, für die Thematik wesentliche Struktur, der sozialen Realität. Aly befragt seine Interviewpartner danach, was sie damals gewusst hätten über NS-Prozesse, um dann großspurig seine nachgelesenen Kenntnisse darüber zum Besten zu geben. Dass der nationale und internationale Faschismus, seine Ursachen und Verläufe, bis dahin, und noch lange darüber hinaus, kaum öffentlich wahrgenommen worden sind, von den fehlenden Bildungsinhalten ganz zu schweigen, ist eine Binsenweisheit. Er irrt scheinbar ziellos in den aus seinen Erinnerungen und aus Regierungsakten des Bundesarchivs gewonnen Zitaten hin und her und findet keinen Halt. Dass „wir“ nichts wussten und von nichts eine Ahnung hatten, ist für die meisten völlig klar, aber daraus einen erkenntnistheoretischen Gewinn schlagen zu wollen, erscheint mir ebenso absurd wie die Aktivitäten der Bürger im schwäbischen Schilda. Eine der wichtigsten Folgen des Zivilisationsbruchs von 1933 bis 1945, war doch die Vertreibung jedes kritischen und emanzipatorischen Geistes aus diesem Land, die Systematik des Unwissens und der Verdrängung der massenpsychologischen Folgen. Aly ist anscheinend überhaupt nicht bewusst, dass die Wiederaneignung der bis dahin untergegangenen Literatur mit sozialistischen und psychoanalytischen Themen, gerade für den studentischen Flügel der Revolte von 68, aber nicht nur für ihn, einen unerwarteten Zuwachs an Wissen und Einsicht über politische und historische Ereignisse bedeutete. Dieser Lückenschluss ist wesentlich für die Betrachtung der 68er Zeiten, weil seit dem kritische Analysen der Ursachen und Verläufe von Faschismus und Kapitalismus, fern von sozialdemokratischem Reformismus und stalinistischem Revisionismus, wieder möglich geworden sind, und weil emanzipatorische Ideen und Theorien in das Bewusstsein vieler Teilnehmer der Bewegung einsickern konnten. Gerade für den studentischen Flügel der Außerparlamentarischen Opposition (Apo) bedeuteten die damit verbundenen intellektuellen Möglichkeiten einen maximalen Input an historischen und emanzipatorischen Inhalten für sozialistische und kommunistische Aufklärung. Durch die Wiederentdeckung antagonistischer Standpunkte und Perspektiven in Teilen der Revolte von 1968, konnte eine politische und philosophische Perspektive gewonnen werden, die über den eigenen beengten Horizont hinaus wies. Sieht man einmal von emanzipatorischen Zuwächsen einzelner Frauen und Männern ab, die davon direkt oder indirekt angesprochen wurden. Von alledem ist bei Aly nichts zu lesen; er ist seit 1968 einen Weg gegangen den viele vor ihm schon gegangen sind, sozusagen als Tiger gesprungen und als Verehrer von Kiesinger und Adenauer gelandet. Auf seinem Weg von ganz links hat er schon die Mitte durchstreift und macht sich auf den Weg in eine rechte Heimat, wo er schon von Mahler, Kraushaar, Rabehl u.v.a.m. erwartet werden wird. Aly ist ein opportunistischer Karrierist, der darüber enttäuscht worden ist, nicht in den Kreis der Großen aufgenommen worden zu sein. Den einzige Vertreter der etablierten Geschichtswissenschaft in diesem Land, der bei ihm wohl gelitten ist, ist W. Benz vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, übrigens mein ehemaliger Doktorvater, den er zum Oberleiter aller Gedenkstätten in Deutschland machen will: „Wir müssen Wolfgang Benz zum zentralen Leiter der Gedenkstätten machen, der macht das zwei, drei Jahre, und dann kommt einer aus München, sehr talentierter Mann, der wird sein Nachfolger“.[2] Möglicherweise entwickelt Aly diese Fantasie weil er darauf aus ist, dann als Nachfolger von Benz, die Leitung des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin übertragen zu bekommen?
Zum Teufel mit allen Renegaten.
Lumpen und Verräter haben keine Moral.
Berlin, den 15. Februar 2008
Anmerkungen[1] Götz Aly: Machtübernahme. Die Väter der 68er, in: www.fr-online.de 2008; Interview von Wolfgang Schneider mit Götz Aly, in: www.boersenblatt.net/178419/ 11. Februar 2008; Gespräch zwischen Katharina Rutschky und Götz Aly, in: taz.de/nc/1archiv/, 29.12.2007.
[2] Zit. Christoph Amend: Der Streit, in: Die Zeit, 19.05.2005.Editorische Anmerkungen
Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.