Betrieb & Gewerkschaft
Ein Besuch bei den Airbus-Werken in Méaulte
Arbeiter lehnen Nationalismus der Gewerkschaften ab

von Andreas Reiss

03/07

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Verfolgt man die Geschehnisse um die geplante Sanierung des Airbus-Konzerns, so tritt eine entscheidende Lehre bereits jetzt in aller Deutlichkeit hervor: Je weiter die Integration der Produktion über die Grenzen des Nationalstaates hinweg voranschreitet, je dringender sich die Notwendigkeit des Aufbaus einer ebenso internationalen Bewegung der Arbeiterklasse zur Verteidigung von Löhnen und Lebensstandards stellt - desto verzweifelter klammern sich die Gewerkschaftsbürokratien an den Nationalstaat, desto engstirniger und damit untauglicher wird ihre Perspektive.

Airbus betreibt Produktionsstätten in vier europäischen Ländern, Zulieferbetriebe nicht einberechnet. Die Arbeiter dieser Werke sind Bestandteil ein- und desselben Produktionsprozesses. Und auch der Sanierungsplan "Power 8" stellt ganz offensichtlich einen Angriff auf die Gesamtheit der Beschäftigten dar.

Ein Besuch bei den Airbus-Werken von Méaulte in Nordfrankreich gab Reportern der World Socialist Web Site die Gelegenheit, die Anschauungen der dortigen Beschäftigten aus erster Hand kennen zu lernen - hinsichtlich der Angriffe der Konzernführung, aber auch in Bezug auf das Verhalten der Gewerkschaften.

Die Arbeiter, mit denen wir sprachen, gaben durchweg an, sie seien in keiner Weise über den derzeitigen Stand der Dinge informiert - weder über den Gegenstand der aktuellen Verhandlungen, noch über geplante Gegenaktionen von Seiten der Gewerkschaften.

Crôchet, ein etwa 45 Jahre alter Arbeiter, erklärte: "Alles, was wir wissen, haben wir aus den Medien. Und die sagen eben, die Schuld liege bei den Deutschen." Für die Politik der Gewerkschaften hatte er wenig übrig, diese seien damit beschäftigt, "sich gegenseitig zu bekriegen". Auch die Äußerungen des örtlichen Sekretärs von Force Ouvrière (FO), Claude Cliquet, konnte er nicht unterstützen. Dieser hatte eine Woche zuvor im Rahmen einer Demonstration der Beschäftigten des Airbus-Werkes in Méaulte den deutschen Aktionären die Schuld an der Krise bei Airbus zugeschrieben.

Das Hauptproblem der FO mit Power 8 ist die Verteilung der Lasten - sie strebt eine für die französische Seite "günstigere" Verteilung der Stellenstreichungen an. Ihre Mobilisierung richtet sich insbesondere gegen die Verlegung der Produktion des A 320 von Toulouse nach Hamburg.

Auf einer Protestdemonstration in Toulouse am 6. März hatte der FO-Vertreter im Namen aller Gewerkschaften erklärt: "Wir müssen unsere Firma vor der Fresssucht der deutschen Aktionäre verteidigen. Der neue A320 wird ganz unter deutscher Verantwortung stehen. Der französische Staat muss seine Rolle als Aktionär wahrnehmen und als Gegengewicht zum gewaltigen Appetit Daimlers [des deutschen Aktionärs] wirken."

Die FO hat in den vergangenen Wochen wiederholt zu einem stärkeren Engagement des französischen Staates aufgerufen und diese Forderung auch in Gesprächen mit Regierungsvertretern geäußert.

Alle Gespräche, die wir in Méaulte führten, zeigten unmissverständlich, dass eine derart nationalistische Orientierung und die alleinige Sorge um den eigenen Standort nicht von den Arbeitern herrührt, wie dies in Medienberichten häufig nahegelegt wird. Keiner der von uns Befragten teilte die Sichtweise und die Propaganda der Gewerkschaften. Vielmehr fiel auf, mit welcher Sympathie sie auf die Tatsache reagierten, dass wir eigens aus Deutschland angereist waren. Der Widerspruch zu den Bemühungen der Bürokraten, die Wut über die Stellenstreichungen in nationalistische Kanäle zu lenken, war nicht zu übersehen.

Guillaume und drei junge Kollegen dachten ähnlich über die Rolle der Gewerkschaften, besonders der in Méaulte führenden Force Ouvrière. Alles, was diese täten, sei "gegeneinander zu kämpfen". Er selbst sei einst Mitglied gewesen, jedoch ausgetreten, da er darin keinen Sinn gesehen habe.

Wie schon erwähnt, war der Mangel an Information unter den Arbeitern Méaultes frappierend. Sie wussten lediglich, dass für den kommenden Freitag eine Arbeitsniederlegung von zwei Stunden vorgesehen sei.

Auf die Anregung, den Kampf gegen Power 8 grenzüberschreitend zu organisieren, reagierten Guillaume und seine Kollegen äußerst positiv. Eine gemeinsame Demonstration mit den Kollegen aus Deutschland, Spanien und England, sagten sie, könnte eine gute Gelegenheit bieten, um Kontakte zu knüpfen und zu gemeinsamen Aktionen zu schreiten.

Für den 16. März hatte es ursprünglich Pläne für eine gemeinsame Protestversammlung der Airbus-Arbeiter aus allen beteiligten Ländern in Brüssel gegeben. Doch der Europäische Metallgewerkschaftsbund wies dies in einer Presseinformation vom 13. März zurück: Entgegen "falscher Pressemitteilungen" wurde klargestellt, dass es keine gemeinsame Veranstaltung am selben Ort geben werde.

Stattdessen gibt es einen "europaweiten", aber getrennten "Aktionstag" an den einzelnen Standorten. Hier bieten die Gewerkschaften den rechtesten nationalistischen Kräften eine Plattform.

So hat die deutsche IG Metall zu einer Kundgebung in Hamburg, zu der 20.000 Teilnehmer erwartet werden, neben IG-Metall-Chef Jürgen Peters und Airbus-Betriebsratchef Rüdiger Lütjen auch die Ministerpräsidenten Christian Wulff (Niedersachsen), Günther Oettinger (Baden-Württemberg) und den Hamburger Bürgermeister Ole von Beust eingeladen. Alle drei gehören der CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel an und sind für ihre arbeiterfeindliche Politik bekannt.

Ähnlich nationalistisch verhalten sich die französischen Gewerkschaften, allen voran Force Ouvrière.

Ein Airbus-Arbeiter aus Nantes berichtete uns in einer Mail über seine vergeblichen Bemühungen, gemeinsame Aktionen aller Arbeiter zu organisieren: "Angesichts der Art und Weise, wie die Gewerkschaften vorgehen, ist es nicht wahrscheinlich, dass das Management seine Pläne ändert. Das betrifft besonders die [christliche Gewerkschaft] CGC und FO, die ständig Nationalismus und Spaltungen schüren und die Kampfbereitschaft unterhöhlen."

In Nantes würden sämtliche Schichten zu unterschiedlichen Zeitpunkten protestieren, und mit Ausnahme der CGT weigerten sich alle Gewerkschaften, eine Massenversammlung der Arbeiter zu organisieren. "Sie sind für Verhandlungen und nicht für Kampf", schreibt er.

Der Konzern fühlt sich durch das Verhalten der Gewerkschaften ermutigt, Power 8 ohne Einschränkungen durchzupeitschen. Am Mittwoch empfing Airbus-Chef Louis Gallois alle im Konzern vertretenen europäischen Gewerkschaften in Toulouse, um ihnen klar zumachen, dass es keine Abstriche am Sanierungskonzept geben werde.

"Wir haben keine Fortschritte gemacht. Der Vorstand ist bereit, mit uns zu sprechen, aber er gibt uns keinen Manövrierraum", kommentierte anschließend der französische Gesamtbetriebsratsvorsitzende Jean-François Knepper (FO) das Treffen.

Dennoch halten die Gewerkschaften an ihren dezentralen Aktionen fest. In Spanien sollen etwa 9.000 Arbeiter von EADS und Zulieferbetrieben in den befristeten Ausstand treten; in Paris werden französische Airbus-Arbeiter vor die Konzernzentrale ziehen, um gegen Power 8 zu demonstrieren.

Diese zersplitterten Aktionen dienen der Gewerkschaftsbürokratie einerseits als Alibi. Sie sollen zeigen, dass sie nicht völlig untätig ist. Andererseits sollen sie verhindern, dass sich die Arbeiter über die Grenzen hinweg zusammenschließen und einen effektiven Kampf gegen den Sanierungsplan führen. Im Namen der Verteidigung einzelner "Standorte" werden die Beschäftigen gegeneinander ausgespielt.

Den meisten Arbeitern ist eine solche Haltung völlig fremd. Wir sprachen in Méaulte zuletzt mit zwei jungen Zeitarbeitern aus dem nahegelegenen Amiens. Beide haben einen Teilabschluss als Produktionsingenieure und sind auf 18 Monte befristet bei Airbus eingestellt. Was danach kommt, wissen sie nicht - sie würden allerdings gerne bei dem Unternehmen bleiben.

Es gebe, so berichteten sie, etwa 150 befristet angestellte Arbeiter im Werk von Méaulte - das seien aber nur die Übriggebliebenen, einst seien es viel mehr gewesen.

Auch diese beiden äußerten sich höchst misstrauisch über die Rolle der Gewerkschaften. Diese hätten prompt den Rückzug angetreten - auf keinen Fall sei ihnen zu trauen. Sie kümmerten sich ausschließlich um sich selbst und hätten alle "ihre Finger in der Schüssel".

Mit dem Aufwiegeln von französischen gegen deutsche Arbeiter müsse jetzt Schluss sein, sagten sie. Betrachtet man die Gegend rund das Werk, wo Zehntausende deutsche, französische und englische Soldaten in Gräbern aus dem Ersten Weltkrieg liegen, eine verständliche und sehr richtige Aussage.

Der Besuch bei Airbus Méaulte machte zweierlei deutlich: Zum ersten die Rolle der Gewerkschaften, die den Beschäftigten die elementarsten Informationen vorenthalten und sie spalten; und zum anderen, wie weit die Arbeiter sich von eben diesen Organisationen bereits entfernt haben.

 

Editorische Anmerkung

Den Artikel erschien am 16. März 2007 bei wsws.org und ist eine Spieglung von www.wsws.org/de/2007/mar2007/meau-m16.shtml