Betrieb & Gewerkschaft
Häufung von Selbstmorden bei Renault

Von Françoise Thull

03/07

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Am 20. Februar - fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Präsentation des Projekts "Renault Contrat 2009" durch Renault-Chef Carlos Ghosn - hat die Staatsanwaltschaft von Versailles strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Es geht um die "Überprüfung der Arbeitsbedingungen" eines Renault-Angestellten, der sich am 16. Februar im Alter von erst 38 Jahren das Leben genommen hatte. Nachdem er in einen Abschiedsbrief auf die Schwierigkeiten am Arbeitsplatz aufmerksam gemacht hatte, erhängte er sich in seiner Wohnung.

Es war dies schon der dritte Suizid innerhalb von drei Monaten, bei dem sich ein Angestellter des Forschungszentrums Technocentre Renault in Guyancourt (Yvelines) das Leben nahm. Erst drei Wochen davor fand ein Schweigemarsch von Kollegen für zwei weitere Angestellte statt, die sich kurz zuvor umgebracht hatten. Am 20. Oktober vergangenen Jahres hatte sich ein Ingenieur, der am Projekt für das Modell Logan arbeitete, aus dem fünften Stock des Hauptgebäudes gestürzt, und ein anderer Kollege, der die technische Dokumentation des neuen Renault-Twingo mit erstellte, hatte sich am 24. Januar in einem Teich auf dem Werksgelände ertränkt.

Als der dritte Selbstmord bekannt wurde, haben sich Frauen weiterer Angestellter an die Gewerkschaft gewandt, weil sie befürchten, dass ihre Ehemänner den gleichen Schritt tun könnten. Der CGT-Sekretär Vincent Neveu berichtete: "Ihre Ehemänner weisen ähnliche Symptome wie die unserer Kollegen auf, die sich das Leben genommen haben. Sie kommen nachts erst nach 22 Uhr nach Hause und machen den Eindruck, dass sie durch die Arbeitsanforderungen überfordert sind. Eine der Frauen ist in Tränen ausgebrochen. Sie hat sich nicht getraut, ihrem Mann zu sagen, dass sie sich an die Gewerkschaft gewandt hat."

Das Technocentre Renault von Guyancourt ist 1998 in der Region Paris gegründet worden, um Forschung, Entwicklung, Einkauf und Projektmanagement unter einem Dach zu vereinen. In diesem ultramodernen Zentrum arbeiten 12.000 Personen (Subunternehmen, Zuliefererbetriebe und Renault-Filialen mitgerechnet) auf einer Fläche von 400.000 Quadratmetern. Das oberste Ziel des Technologiezentrums besteht darin, die Montagezeit jedes einzelnen Modells auf fünfzehn Stunden herunterzudrücken. Gegenwärtig beträgt beispielsweise die Montage eines VW-Golfs in Wolfsburg 47 Stunden, während ein Mégane-Renault im spanischen Palencia in nur 17 Stunden zusammengebaut wird. Aber wie die Fakten zeigen, wirkt sich diese Produktionsbeschleunigung nicht nur auf die Montagearbeiter aus, sondern unterwirft auch die Techniker dem Druck der Zielvorgaben, die durch einen weltweiten Wettlauf um niedrigste Produktionszeiten diktiert werden.

Obwohl der Automobilmarkt weltweit stagniert und Fabrikschließungen und Stellenstreichungen an der Tagesordnung sind, hat Renault-Chef Carlos Ghosn Anfang Februar für das Jahr 2006 positive Ergebnisse veröffentlicht. Im Rahmen des Projekts "Renault Contrat 2009", das er im vergangenen Jahr einleitete, sollen in den nächsten drei Jahren 26 verschiedene Modelle realisiert werden, dreizehn davon anstelle heute bestehender Modelle und dreizehn weitere als Neuheiten. Damit will Renault zum profitstärksten europäischen Universalkonzern aufsteigen und bis 2009 seine Gewinnspanne von heute 2,5 Prozent auf 6 Prozent steigern.

Laut einem offiziellen Kommuniqué strebt Renault eine Ausweitung seiner Verkäufe außerhalb Europas um achtzig Prozent an und will 37 Prozent seiner Autoverkäufe bis zum Jahr 2009 außerhalb Europas erzielen. Nach einem Nettogewinn von 1,6 Milliarden Euro trotz Verkaufsrückgang im ersten Semester 2006 soll der Ghosn-Plan den Renault-Aktionären in den kommenden drei Jahren eine Dividendenerhöhung von heute 1,8 Euro auf 4,5 Euro pro Aktie bescheren.

Unter Berücksichtigung der Weltsituation ist völlig klar, dass der "Contrat 2009" nicht ohne dramatische Folgen für die gesamte Belegschaft durchgesetzt werden kann. Nicht nur in Frankreich, sondern weltweit werden sich die Arbeitsbedingungen der Renault-Beschäftigten und der Zulieferbetriebe extrem verschlechtern. Auf allen Ebenen der Produktion, Entwicklung und Verwaltung werden die Anforderungen und der Arbeitsdruck systematisch erhöht. Bereits jetzt sind sinkenden Löhne und Gehälter, Erhöhung der Arbeitszeit und unbezahlter Mehrarbeit an der Tagesordnung. Die Beschäftigten werden regelrecht erpresst. Wer die Ziele und Vorgaben nicht erreicht wird für einen drohenden Arbeitsplatzabbau verantwortlich gemacht. Bei der Vorstellung seines Projekts drohte Renault-Chef Ghosn wenn seine Zielvorgaben nicht verwirklicht würden, sei die Zukunft von Renault und damit alle Arbeitsplätze in Gefahr.

Laut der Website Roumanie.com, plant die Renault-Gruppe, die weltweit mehr als dreißig Produktionsstätten unterhält, hundert Millionen Euro in ein neues Zentrum für Konzeption, Entwicklung und Testanlagen in Dâmbovita nahe der Hauptstadt Bukarest zu stecken, wo rumänische Ingenieure einen Teil der zukünftigen Modelle entwickeln und testen werden. Zwei weitere vergleichbare Zentren werden in Südkorea und Brasilien gebaut. Die Konsequenzen solcher neuen Entwicklungszentren in Billiglohnländern liegen auf der Hand. Der mörderische Konkurrenzkampf wird noch weiter verschärft werden.

Die Ängste der Ehefrauen sind sehr wohl begründet, wie Pascal Bahnweg von der CFDT in Medienberichten bestätigte: "Seit zwei Jahren hat sich der Druck auf die Beschäftigten stark erhöht. Die Umorganisierung beeinträchtigt viele Beschäftigte, deren Situation oft schwer zu erkennen ist."

Es geht keineswegs um Einzelfälle oder komplexe persönliche Schicksale, wie die Direktion nahe legt. In Wirklichkeit handelt es sich um die skrupellosen Entscheidungen einer Konzernleitung, die angesichts des wachsenden internationalen Konkurrenzkampfs und Handelskriegs die Beschäftigten terrorisiert und auspresst, um möglichst hohe Profite zu erzielen.

Was die Gewerkschaften betrifft, so beschränken sie sich ausschließlich auf die Empfehlung, ein unabhängiges Komitee psychosozialer Experten zur Vorbeugung zu schaffen. Sie appellieren an die Direktion, "ihrer Verpflichtung nachzukommen und alles zu tun, um zu verhindern, dass sich ein derartiges Drama noch einmal in unserer Einrichtung wiederholt".

Sowohl die CGT - die der Kommunistischen Partei nahe steht - als auch die CFDT - die sich an der Sozialistischen Partei orientiert - tragen ein hohes Maß an Mitverantwortung für die dramatische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und die Tragödien die sich daraus ergeben. Ihre nationalistische Orientierung führt nicht nur dazu Arbeiter international zu spalten und gegeneinander auszuspielen, sondern war auch mit einer engen Zusammenarbeit und Komplizenschaft mit der Geschäftsleitung verbunden. Viele Betriebsvereinbarungen über Rationalisierungsmaßnahmen, Abbau von Pausen und Steigerung der Arbeitshetze tragen die Unterschrift der Gewerkschaftsdelegierten.

Es ist diese Politik der Gewerkschaften, die es der Geschäftsleitung ermöglicht den internationalen Konkurrenzkampf und wachsenden Handelskrieg zur Eroberung größerer Marktanteile auf dem Rücken der Beschäftigten auszutragen. Je schärfer die internationale Konkurrenz wird, desto brutaler werden die Zielvorgaben der Geschäftsführung, um die Arbeitsbedingungen zu verschärften.

Die einzige Möglichkeit, dieser höllischen Spirale zu entkommen, besteht darin, mit der opportunistischen und nationalistischen Politik der Gewerkschaften zu brechen und sich mit den Kollegen an allen Standorten überall auf der Welt zusammenzuschließen. Ein prinzipieller Kampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen ist nur auf der Grundlage eines internationalen, sozialistischen Programms möglich. Nur so kann die kapitalistische Profitjagd, mit ihren mörderischen Ausbeutungsbedingungen, überwunden und durch eine geplante Wirtschaft ersetzt werden, die den Bedürfnissen der Bevölkerung Rechnung trägt.

Editorische Anmerkungen

Der Text ist eine Spiegelung von www.wsws.org. Er schien dort am 1. März 2007 aus dem dem Französischen übersetzt.