Erklärung des bisherigen geschäftsführenden Kreisvorstandes- zum Ablauf und zu den Ergebnissen der WASG-Kreismitgliederversammlung in München am 13. März 2006 03/06

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Am 13. März 2006 fand die Kreismitgliederversammlung (KMV) des WASG Kreisverban- des München statt. Sie hatte unter anderem den satzungsmäßigen Auftrag, einen neuen Kreisvorstand zu wählen und zwar auf Basis eines Strukturvorschlages für die weitere Arbeit des Kreisverbandes München.

Im Verlauf der KMV erklärten wir, der bisherige geschäftsführende Kreisvorstand der WASG München, – Marina Dietweger, Elke Hahn, Frank Rehberg, Sigi Siegel und Georg Wäsler – entgegen unserer ursprünglichen Absicht, nicht mehr für eine weitere Amtsperi- ode zu kandidieren.

Wir (die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner) stellen zunächst fest:

  • Es gibt weder einen erkennbar oder ausgesprochenen tiefgehenden Dissens über die politische Linie innerhalb des Kreisverbandes, insbesondere nicht in Bezug auf das gemeinsame Projekt einer gesamtdeutschen fortschrittlichen linken Partei, mit den Kernen WASG und Linkspartei.PDS, noch um die Frage der aktuell laufenden Urab- stimmung. Die unter der Überschrift „WASG Linke Bayern“, auch von einem ehemali- gen Kreisvorstandsmitglied ausgegebene Parole, die Urabstimmung zu boykottieren, stellt eine Minderheitsmeinung dar. Dieses Kreisvorstandsmitglied kandidierte erneut, wurde jedoch nicht wiedergewählt.
  • Dem Kreisverband ist bewusst, dass die bisherigen Ansätze für Bündnisse mit den sozialen Bewegungen, neuen (z.B. Attac, Sozialforum) wie traditionellen (z.B. Wohl- fahrtsverbände, Kirchen, VdK, Gewerkschaften) Kräften verstärkt und verstetigt wer- den müssen.
  • Der Kreisverband muss seine Anstrengungen verstärken, Menschen in unterschiedli- chen sozialen Lebenslagen, mit unterschiedlichem Bildungshintergrund und politischer Erfahrung zu integrieren (siehe unten).
  • Die Mitglieder des bisherigen geschäftsführenden KV werden sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiterhin konstruktiv in die Entwicklung der WASG und in den Formierungsprozess einer neuen linken Partei einbringen.

Unser Entschluss, nicht mehr zur Wahl anzutreten, war Ergebnis des Ablaufs der KMV:

In der Aussprache zum Bericht des Kreisvorstandes und den Untergliederungen der WASG in München wurden von Mitgliedern der WASG Vorwürfe gegen den bisherigen (geschäftsführenden) Kreisvorstand erhoben, die in ihrer Abfolge und ihrem Inhalt darauf hindeuteten, dass dieses Vorgehen geplant war, was auch bestätigt wurde. Diese Vorwür- fe sind z.T. unwahr und deutlich denunziatorisch. Sie offenbaren einen Grad der Vergif- tung der Atmosphäre im Kreisverband München, die eine Weiterarbeit für uns persönlich und für die WASG München abträglich erscheinen lassen musste.

Nach den vorgetragenen Beschuldigungen hätten die „KritikerInnen“ konsequent die Ent- lastung des alten Vorstandes ablehnen müssen, was allerdings unterblieb (der Kreisvor- stand wurde bei einer Gegenstimme und vier Enthaltungen entlastet!).

In den Redebeiträgen wurden u.a. folgende Vorwürfe erhoben: Ver- und Behinderung der Entwicklung der WASG in München, unzureichendes Engagement, zu wenig Öffentlich- keitsarbeit, Durchführung von WASG Veranstaltungen, die nicht als solche zu erkennen gewesen seien, keine bzw. unzureichende Information der Mitglieder, Behinderung von Aktivitäten der Mitglieder, Untätigkeit während des Bundestagswahlkampfes. Dies kulmi- nierte in dem mehrfach geäußerten Vorwurf, an der angeblichen Stagnation der Mitglie- derzahlen in München, trage der KV die alleinige Verantwortung (zur Information: wäh- rend der Amtszeit des alten KV hat sich die Mitgliederzahl von 114 auf knapp 250 erhöht). Daneben wurden nachweisliche Lügen verbreitet, so bspw. die, der Kreisvorstand hätte die WASG Jugend finanziell nie unterstützt und Aktivitäten zur Schließung des WASG Landesbüros und zum Aufbau eines Kreisbüros entwickelt.

Dass nach diesen Beiträgen zu Anfang der Aussprache Redebeiträge folgten, die sich positiv-kritisch mit der bisherigen Arbeit der WASG in München auseinandersetzten, kann nicht über die offensichtlich gewordene Vergiftung der Atmosphäre im Kreisverband hin- weg trösten.

Dies ist umso bedauerlicher, als ein wesentlicher Teil der Auseinandersetzungen der letz- ten Monate die Struktur der Organisation der Münchner WASG betrafen und das kon- struktive Ergebnis dieser Auseinandersetzungen durch einen gemeinsam getragenen Antrag in die KMV eingebracht wurde, der auch mit großer Mehrheit verabschiedet wurde.

Es ging den „KritikerInnen“ aber um eine persönliche Abrechnung mit Mitgliedern des Kreisvorstandes. Eine solche Abrechnung hatte der Landesparteisekretär Albert Lochner bereits vier Tage vor der KMV öffentlich angekündigt. Er war federführend am Aufbau der
„Opposition“ beteiligt, die aber offensichtlich keine inhaltlich politisch anderen Positionen vertritt als der bisherige KV. Dieses Verhalten reiht sich ein in zahlreiche Versuche, die Albert Lochner bereits in der Vergangenheit unternommen hatte, am Kreisvorstand vorbei und gegen die Voten der KMV eigene Vorstellungen und Interessen durchzusetzen.

Der kolportierte Vorwurf, der geschäftsführende Vorstand wäre aus Angst um seine Wie- derwahl nicht mehr angetreten, entbehrt jeder Grundlage. Dies zeigt sich nicht zuletzt an den Stimmenergebnissen für die jetzigen geschäftsführenden Kreisvorstandmitglieder. Nachdem zur Wahl noch 88 stimmberechtigte Mitglieder anwesend waren, erreichte nur eine Kandidatin im ersten Wahlgang mit 35 Stimmen das notwendige Mandat (in diesem Wahlgang wurden nur 72 Stimmen abgegeben, davon fünf ungültige). Die übrigen geschäftsführenden Mitglieder des KV wurden mit Stimmenzahlen unter 30 gewählt. 18 Stimmen reichten noch für ein Mandat.

Wir bedauern diese Entwicklung und sehen in ihr den Ausdruck eines tiefen Risses in der Münchner WASG. Die Ursachen hierfür müssen schnell und gründlich analysiert und be- hoben werden. Dazu gehören unserer Ansicht nach auch personelle Konsequenzen, soll die Münchner WASG nicht Opfer von persönlichen und Einzelinteressen werden.

In der Diskussion sind aber auch folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  • Es bildet sich in München – wie wohl durchgängig in der Partei – ein prinzipielles Misstrauen gegenüber FunktionärInnen und deren Tätigkeit ab.
  • Dass „soziale Abstiegsängste feindselige Mentalitäten fördern“ – wie dies der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer in seiner Analyse über „Deutsche Zustände“ feststellt, scheint sich leider auch für die und in der WASG zu bewahrheiten.
  • Die WASG muss sich intensiv mit der Mitgliederstruktur und daraus resultierenden Konsequenzen auseinandersetzen. Die WASG hat Mitglieder, die auf staatliche Beihilfen angewiesen sind und in der WASG eine Partei suchen, in der sie sich aufgehoben fühlen und die sich in erster Linie für die Belange von Menschen in prekären Situationen einsetzt („Auf der Suche nach einer Beschäftigungslosenpartei“). In der WASG sind aber auch Mitglieder aktiv, die berufsmäßig (noch) abgesichert sind, in dauerhaf- ten politischen Zusammenhängen stehen, lange politisch aktiv und erfahren sind, vor dem Hintergrund einer Gesellschaftsanalyse die Verteilungsfrage stellen und die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern wollen. Dies sind zwei Mitgliedertypen unter verschiedenen weiteren, die zueinander objektiv nicht in Gegnerschaft stehen, wohl aber Pole darstellen, zwischen denen sich ein solidarisches Parteileben und die Politikentwicklung herausbilden muss.
  • Von dem Grundprinzip „solidarischer Umgang miteinander“, wie in anderen politischen Zusammenhängen, so z.B. in Gewerkschaften, in der Friedensbewegung, Frauenbewegung, Antiglobalisierungsbewegung gelernt, erlebt und gewohnt, kann innerhalb der WASG (derzeit) nicht ausgegangen werden.
  • Die gegenseitige Anerkennung der politischen Arbeit muss ein eigener Stellenwert eingeräumt werden. Jeder noch so kleine Beitrag, das Ziel einer gerechten und solidarischen Gesellschaft zu erreichen, ist notwendig und anerkennenswert. Dies gilt für al- le Ebenen und Gliederungen der Partei. Niemand kann ohne Anerkennung leben oder politisch konstruktiv arbeiten.

Wir halten die Diskussion dieser Thesen für notwendig und werden uns auch konstruktiv in diese Diskussion einbringen.

München im März 2006

Marina Dietweger, Elke Hahn, Frank Rehberg, Sigi Siegel, Georg Wäsler


 

Editorische Anmerkungen

Die Erklärung wurde und von Frank Rehberg am 25.3.2006 zugeschickt. In seinem Begleitschreiben hieß es:

Liebe KollegInnnen,

nachdem ihr ja nun eine Schilderung von Alexandra Cohen über die
Mitgliederversammlung der WASG München
veröffentlicht habt, die ihre
Sicht der Dinge wiedergibt, was ich nicht zu kritisieren habe, würde ich
es fair finden, wenn ihr die Erklärung des alten geschäftsführenden
Kreisvorstandes veröffentlichen würdet, wie er an die Mitgleider des
Kreisverbandes gegangen ist.

Mit freundlichen Grüßen
Frank Rehberg