Hartz IV-Verschärfung schafft bürgerliche Rechte zweiter Klasse

Pressemitteilung vom 10. März 2006 der Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen
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Bundesarbeitsgemeinschaft der
Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen e.V. (BAG-SHI)
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Betroffenenorganisationen warnen vor der Benachteiligung junger Erwerbslosen und ihrer Familien. Bis zum 31. März ist Auszug unter erleichterten Bedingungen noch möglich!

Am heutigen Freitag beschließt der Bundesrat über das erste Änderungsgesetz von Hartz IV. Die Signale seitens der Ländervertreter sind klar: Verschärften Unterhaltspflichten gegenüber unter 25-jährigen Erwerbslosen und einer Kürzung ihrer Leistungsansprüche wird sich die Länderkammer genauso wenig in den Weg stellen, wie höheren Zugangsbarrieren für ausländische Erwerbslose und einer Halbierung der Rentenbeiträge für Arbeitslosengeld II (Alg II) -BezieherInnen. Die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS), die Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen  e.V. (BAG-SHI) und der Erwerbslosenverein Tacheles e.V. verurteilen in einer gemeinsamen Erklärung die Gesetzesänderung. Die Verbände sehen in dem Gesetz eine rechtliche und materielle Benachteiligung vor allem junger Erwerbsloser.

Schwerwiegende Folgen habe das Änderungsgesetz für die Gruppe der  18- bis 25-jährigen Erwerbslosen, die noch bei den Eltern wohnen. Sie zählen künftig zur Bedarfsgemeinschaft der Eltern. „Per Gesetz wird eine uneingeschränkte Unterhaltverpflichtung von Eltern gegenüber ihren erwachsenen ‘Kindern’ konstruiert, die mit dem bürgerlichen Gesetzbuch  nicht zu vereinbaren ist“, beurteilt Angelika Klahr von der KOS das Vorhaben.  „Der Gesetzgeber schafftdamit ein spezielles Armenrecht für Erwerbslose, das zum Ziel hat, die Lasten einer verfehlten Arbeitsmarktpolitik bei den Familien abzuladen“.

Während viele unter 25-jährige ihren Anspruch auf Alg II ganz verlieren  werden, erwarte den Rest der jungen Erwerbslosen ab 1. Juli eine drastische Leistungskürzung. Der Regelsatz für 18- bis 25-jährige, die im Haushalt der Eltern leben, werde um 20 Prozent auf 276 Euro monatlich gekürzt. Wird die materielle Belastung dieser Familien weiter erhöht, führe das zu Spannungen und psychischen Problemen. „Die jungen Erwachsenen unterliegen in solchen Situationen quasi einem Auszugsverbot“, erklärt Frank Jäger von der BAG-SHI. „Der Alg II-Träger soll den Auszug der erwachsenen ‘Kinder’ nämlich nur genehmigen, wenn schwerwiegende soziale Gründe oder Ähnliches bereits vorliegen. Wer  dagegen ab April ohne Zustimmung des Amtes von den Eltern wegzieht, wird mit einer gekürzten Regelleistung bestraft und bekommt die Kosten der neuen Unterkunft gar nicht mehr bezahlt.“

Dieser verfehlten Familienpolitik sowie der Einschränkung der Freizügigkeit  und Selbstbestimmung von jungen Erwachsenen, die auf Alg II angewiesen sind, wollen die Erwerbslosenverbände nicht tatenlos zusehen.

Eltern seien schließlich keine Rabeneltern, wenn sie sich den Trennungsprozess  von ihren erwachsenen „Kindern“ nicht vom Amt verbieten lassen. Die gemeinsame Empfehlung erläutert Harald Thomé von Tacheles e.V. „Die Eltern sind nicht verpflichtet, ihre erwachsenen ‘Kinder’ zu beherbergen und zu versorgen. Wenn sie diese vor die Tür setzen,
wird der Alg II Träger zwar alles tun, um weitere Zahlungen zu umgehen, die Betroffenen können sich dann allerdings gegen das Auszugsverbot wehren.“ Die Erwerbslosenverbände empfehlen denjenigen, die in Zukunft zu Hause ausziehen wollen, ihr Anliegen gegenüber dem Amt selbstbewußt zu vertreten und sich dabei von einer unabhängigen Beratungsstelle
unterstützen zu lassen, um ihre Rechte gegebenenfalls auch  durch eine Klage vor Gericht erfolgreich durchzusetzen.

Allen jungen Erwerbslosen, die ihren Auszug schon fest im Blick haben,  rufen die Betroffenenorganisationen auf das „Projekt“ noch vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes abzuschließen. Wer jetzt schnell handele, könne einer langwierigen Auseinandersetzung um die Übernahme der kompletten Alg II-Leistungen aus dem Weg gehen. Die Regierung selbst habe den 31. März schließlich zum Stichtag erhoben und damit zum „Auszugstag“ für junge Erwerbslose gemacht.

Angelika Klahr (für Rückfragen: 030 / 86 87 67 00)
Frank Jäger (für Rückfragen: 0160 / 4 25 89 10)
Harald Thomé (für Rückfragen: 0179 / 76 14 426)

Weitere Informationen unter:

Editorische Anmerkungen

Die PM wurde uns am 10. März 2006 zugemailt.