Betrieb & Gewerkschaft
Die Rolle von Gewerkschaft und Betriebsrat in zwei Arbeitsgerichtsprozessen bei Opel

Ein Kommentar von Wolfgang Weber

03/06

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Unmittelbar nach dem einwöchigen Streik in den Bochumer Werken im Herbst 2004 hatte die General-Motors-Tochter Adam Opel GmbH gegen zwei Arbeiter fristlose Kündigungen ausgesprochen, die eine gegen den Lagerarbeiter Richard Kaczorowski, die andere gegen das Betriebsratsmitglied Turhan Ersin.

Zu beiden Kündigungen liefen vor dem Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht monatelang Verfahren, die vor zwei Monaten ihren Abschluss gefunden haben. Das eine Gerichtsverfahren endete mit einer bitteren Niederlage des Arbeiters Richard Kaczorowski. Er bleibt nach 24 Jahren unbeanstandeter Arbeit ohne jede Abfindung entlassen. Im zweiten Verfahren wurde die fristlose Kündigung des Betriebsratsmitglieds Turhan Ersins aus rein formalen Gründen für unwirksam erklärt.

Beide Gerichtsentscheidungen waren in hohem Maße politisch, und in beiden spielten der Betriebsrat und die IG Metall eine Schlüsselrolle.

Die fristlose Kündigung von Richard Kaczorowski war eine Strafmaßnahme, die sich gegen alle Arbeiter richtete, die im Herbst 2004 an der einwöchigen Arbeitsniederlegung und den Protestaktionen im Bochumer Opelwerk teilgenommen hatten. Weil die Unternehmensleitung nicht alle Mitarbeiter entlassen konnte, griff sie einen Arbeiter heraus, um an ihm ein Exempel zu statuieren, mit dem Ziel alle anderen Arbeiter einzuschüchtern.

Obwohl ein derartiges Herausgreifen und Abstrafen von Einzelnen im Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich untersagt ist - es heißt dort, dass "alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt" werden müssen und dass "jede unterschiedliche Behandlung von Personen... unterbleibt". (§ 75 Absatz 1 BetrVG) -, haben sich das Arbeitsgericht in Bochum und die Berufungsinstanz, das Landesarbeitsgericht in Hamm, uneingeschränkt auf die Seite der Geschäftsleitung gestellt.

Richard Kaczorowski wurde im Kündigungsschreiben vorgeworfen, er habe durch die Diskussion mit einer Gruppe von Kollegen, die am Samstag während der Protestwoche gearbeitet haben, den Betriebsfrieden gestört - unter Bedingungen, wo die gesamte Produktion bereits stillgelegt war! Außerdem wurde ihm vorgeworfen, die Mitarbeiter "bedroht" und "zum Vertragsbruch aufgefordert" zu haben.

Der Richter der ersten Instanz hatte sich diesem Vorwurf angeschlossen, die Entlassung für rechtmäßig erklärt und lediglich die fristlose in eine fristgerechte Kündigung umgewandelt. Dies, obwohl die Aussagen der Zeugen, die den Vorwurf der Geschäftsführung belegen sollten, sich als höchst widersprüchlich erwiesen und den angeführten Kündigungsgrund - Bedrohung von Mitarbeitern - keineswegs gestützt hatten.

Nachdem Richard Kaczorowski dieses Urteil angefochten hatte, wurde er von dem Richter und den Beisitzern der Berufungsinstanz im Landesarbeitsgerichts Hamm gezwungen einem Vergleich zuzustimmen, mit dem das Urteil der ersten Instanz im Wesentlichen bestätigt wurde. Der Richter verhinderte eine erneute Vernehmung der Zeugen von Opel und eine gründliche, objektive Auswertung ihrer Aussagen, indem er und seine Beisitzer drohten, Kaczorowski müsse sogar mit der Bestätigung der fristlosen Kündigung rechnen und am Ende auch noch sämtliche Prozesskosten des Opel-Konzerns tragen, wenn er weiterhin auf seiner Klage und auf der Fortsetzung des Prozesses bestehe. Für sie stünde das Urteil ohnehin schon so gut wie fest.

Die ausführlichen Schriftsätze, die der Rechtsanwalt von Richard Kaczorowski eingereicht hatte und in denen die Kündigungsgründe detailliert widerlegt waren, fanden vor Gericht keine Beachtung. Die Tatsache, dass der Betriebsfrieden, den Kaczorowski angeblich gestört habe, bereits seit mehreren Tagen nicht mehr bestand, weil nahezu die ganze Belegschaft mit Protestaktionen auf die angekündigten Massenentlassungen reagiert hatte, interessierte das Gericht nicht. Auch der Sachverhalt, der nach den Zeugenaussagen, die Koczorowski benannt hatte, zweifelsfrei feststand, dass es keinerlei Tätlichkeiten gegeben hatte, niemand bedroht worden war und die Gruppe von Arbeitern, die zusammen mit Kaczorowski im Betrieb war, nach wenigen Minuten gemeinsam und ruhig die Werkshalle wieder verlassen hatte, blieb vom Gericht völlig unberücksichtigt.

Stattdessen bezeichnete der Richter in seinen abschließenden Worten den spontanen Streik als "wilde, rechtswidrige Aktion" und ließ keinen Zweifel daran, dass der wahre Grund für Kaczorowskis Entlassung darin bestand, dass er sich an diesen Protestaktionen beteiligt und andere zur Teilnahme ermuntert hatte. Doch das hatte die große Mehrheit der 7.000 Beschäftigten bei Opel - allen voran die Vertrauensleute - auch getan. Wie immer man diese Gerichtsentscheidung betrachtet, es bleibt die Maßregelung eines Einzelnen zur Einschüchterung der Mehrheit, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht erlaubt ist.

Betrachtet man die Rolle des Betriebsrats in diesem Gerichtsverfahren, so wird schnell deutlich, dass ein derartiger Bruch mit der bisherigen Rechtssprechung ohne seine aktive Mitarbeit nicht möglich gewesen wäre. Schon die fristlose Kündigung selbst war eine Reaktion darauf, dass der Betriebsrat und die IG Metall anders als bei sonstigen Streiks und Auseinandersetzungen keine so genannte "Maßregelungsklausel" verabschiedet hatten. Seit Anfang der siebziger Jahre war bei Opel und auch in allen anderen Großbetrieben im Anschluss an Arbeitskämpfe immer eine Vereinbarung getroffen worden, dass kein Beschäftigter wegen seiner Teilnahme am Arbeitskampf bestraft oder gemaßregelt werden dürfe.

Dass eine solche Vereinbarung im Herbst 2004 nicht getroffen wurde, war kein Flüchtigkeitsfehler im Eifer des Gefechts, wie einige Betriebsräte behaupten, sondern ein Ergebnis der Tatsache, dass Betriebsrat und IG Metall gegen den Besetzungsstreik waren. Nachdem sie ihn nicht hatten verhindern können, versuchten sie mit allen Mitteln die Aktion zu begrenzen und abzuwürgen. Sie hielten sogar an der Genehmigung der Samstagsarbeit mitten während der Arbeitsniederlegung fest und organisierten eigenhändig den Transport von Fertigungsmodulen durch die besetzten Werkstore. Die Unterlassung einer "Maßregelungsklausel" schließlich war eine Einladung an die Geschäftsleitung, Abstrafungen vorzunehmen, um künftige Aktionen außerhalb der Kontrolle von Betriebsrat und Gewerkschaft zu verhindern.

Auch dass Richard Kaczorowski nach der Kündigung monatelang sich selbst überlassen wurde und aus den vom Betriebsrat verwalteten Spendengeldern bis zum Gerichtstermin keinen Cent bekommen hat, war kein Zufall sondern Teil der Abstrafung.

Ganz anders war das Verhalten des Betriebsrats im Fall von Turhan Ersin.

Auch er war mit der Begründung, er habe andere Beschäftigte zur Arbeitsniederlegung aufgefordert und dabei angeblich "genötigt" und "bedroht", entlassen werden. Als Betriebsratsmitglied konnte er aber nicht wie Richard Kaczorowski sofort auf die Straße gesetzt werden. Nachdem der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hatte, musste die Adam Opel AG einen Prozess anstreben, um die Entlassung durchzusetzen.

Das Gericht nutzte einen Formfehler, um die Kündigung zurückzuweisen. Es fehlte eine von zwei notwendigen Unterschriften unter dem Kündigungsschreiben, dadurch war die Rechtswirksamkeit der Entlassung von Anfang an ausgeschlossen. Die Frist zur Behebung dieses Rechtsfehlers war inzwischen verstrichen.

Turhan Ersin hatte den Streik und seine Ziele unterstützt und nicht wie die meisten anderen Betriebsratsmitglieder offen zur Rückkehr an die Arbeit aufgerufen. Später hatte er sich in einem Interview mit der World Socialist Website für eine stärkere Verteidigung von Richard Kaczorowski durch den Betriebsrat eingesetzt.

Dennoch wies der gesamte Betriebsrat seine Entlassung zurück. Mehrmals betonte der Betriebsratsvorsitzende Rainer Einenkel, der Angriff auf Turhan Ersin sei ein Angriff auf den gesamten Betriebsrat, und engagierte sich sogar bei der Verteidigung von Ersin vor Gericht. Einenkel saß während der Verhandlung als Vertreter des Betriebsrats neben Ersin und dessen Rechtsanwalts auf der Verteidigerbank. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Ersins Anwalt Michael Dornieden, der betonte, sein Mandant habe sich genauso verhalten wie der gesamte Betriebsrat und immer das Gemeinwohl des Unternehmens vertreten.

Als Beweis dafür führte er an, dass der Betriebrat nach dem Ende des Streiks - das gegen den Widerstand vieler Beschäftigten durchgesetzt worden war - von der Geschäftsführung ausdrücklich für sein "besonnenes Verhalten" während und am Ende der Arbeitsniederlegung belobigt worden sei. Auch Turhan Ersin habe dieses Lob gegolten, deshalb sei seine Entlassung völlig ungerechtfertigt. Der Opel-Vertreter bestritt vor Gericht diese Belobigung nicht, sondern behauptet nur, Turhan Ersin sei damit nicht gemeint gewesen.

Soweit sich die Argumente der Verteidigung nicht auf rein formale Verfahrensfragen beschränkten, die dann letztlich den Ausschlag gaben, waren sie inhaltlich darauf ausgerichtet, die mäßigende und beschwichtigende Rolle zu betonen, die der Betriebsrat im Interesse der Unternehmensleitung gespielt habe und an der auch Turhan Ersin als Betriebsratsmitglied beteiligt gewesen sei.

Obwohl die inhaltliche Argumentation für das Urteil letztlich nicht entscheidend war, machten Anwalt, Betriebsratsvorsitzender und bis zu einem gewissen Grad auch der Richter im Verfahren gegen Turhan Ersin deutlich, dass die Betriebsräte auch in kommenden Auseinandersetzungen gebraucht würden und eine wichtige Rolle im Sinne der Geschäftsleitung spielen, um selbstständige Aktionen der Beschäftigten zu unterbinden, beziehungsweise schnellstmöglich zu beenden. Dabei müsse auch hingenommen werden, dass im Betriebsrat eine gewisse Arbeitsteilung bestehe und einige Mitglieder radikaler als andere aufträten, weil sonst der Betriebsrat insgesamt keinen Einfluss mehr auf die Belegschaft ausüben könne.

War also die Gerichtsentscheidung gegen Richard Kaczorowski eine brutale Abstrafung, um ein Exempel zu statuieren und jeden einzuschüchtern, der sich künftig an eigenständigen Aktionen der Beschäftigten zu beteiligen beabsichtigt, so war die Kündigung von Turhan Ersin ein Schuss vor den Bug des Betriebsrats. Er sollte der Betriebsratsleitung die Möglichkeit geben, alle Mitglieder des Betriebsrates an die Kandare zu nehmen. Vor allem denjenigen, die unter dem Einfluss der mobilisierten Belegschaft das Verhalten der Betriebsratsmehrheit kritisierten, sollte klar gemacht werden, wie schnell sie fallengelassen werden und ihren Kündigungsschutz verlieren können, wenn sie sich nicht der Betriebsratsmehrheit fügen.

Für die Opelbelegschaft und die Arbeiterklasse insgesamt beinhalten beide Urteile wichtige politische Lehren. Vor allem ist es notwendig, das angepasste und opportunistische Verhalten der Betriebsräte nicht nur als persönliche Charakterschwäche zu betrachten, die schon durch die Wahl von "kämpferischen Kollegen" gelöst werden könne. Vielmehr muss man das politische Programm sehen, auf das sich die Gewerkschaftsführung und die Betriebsräte stützen. Ihre beschränkte, nationalistische Orientierung der Standortverteidigung macht sie zu Komplizen der Geschäftsleitung, die einen Standort gegen den anderen ausspielt und die Beschäftigten zu immer größeren Zugeständnissen erpresst.

Es ist schon einige Jahre her, dass der ehemalige Betriebratsvorsitzende von Opel-Bochum, Breuer, gesagt hatte: "Wir sind erpressbar bis zur Kinderarbeit!" Angesichts der Globalisierung der Produktion gewinnt diese Aussage große Aktualität. Heute werden deutsche und westeuropäische Arbeiter mit Billiglöhnen in Polen, der Ukraine und China konfrontiert. Um sich der Erpressung durch die Geschäftsführung und deren Vertreter in den Betriebsräten zu widersetzen, ist eine neue politische Orientierung notwendig, die von den gemeinsamen Interessen aller Arbeiter an allen Standorten ausgeht und sich der Logik des kapitalistischen Profitsystem widersetzt.

Es gibt keinen kurzen Ausweg aus einer Krise, die zu immer neuen Hiobbotschaften führt, wie jüngst die Ankündigung von 20.000 gefährdeten Arbeitsplätzen bei VW. Notwendig ist der Aufbau einer neuen sozialistischen Partei, die international arbeitet und organisiert ist. Wir wenden uns daher an jeden Arbeiter bei Opel, aber auch darüber hinaus an jeden Leser, Diskussionsgruppen über die WSWS aufzubauen und mit der Redaktion Kontakt aufzunehmen.

 

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am 3. März 2006 bei  wsws.org
Wir spiegelten von: www.wsws.org/de/2006/mar2006/proz-m03.shtml