Rente mit 67

von Janusz Goldschmidt

 
03/06

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Die schwarz-rote Koalition in Berlin hat beschlossen, das gesetzliche Renteneintrittsalter sukzessive über einige Jahre von 65 Jahren auf 67 Jahren anzuheben. Kaum war es beschlossen, hob eine Debatte an, angestoßen von der sozialen Front der bürgerlichen Parteien.

Die einen, wie Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit kritisierten, dass man doch zunächst dafür sorgen solle, dass die Alten tatsächlich erst mit 65 Jahren in Rente gehen, und nicht schon mit 58 oder gar 55 Jahren. Flankierend werden die in den letzten Jahren exorbitant angestiegenen Kosten der aus der Rentenkasse finanzierten Frühpensionierungen und Altersteilzeiten u.ä. problematisiert. Die anderen, wie z.B. der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Struck, fordern, dass bestimmte Berufsgruppen wie Dachdecker, Altenpfleger oder Bauarbeiter von der Heraufsetzung des Renteneintrittsalters ausgenommen werde, da man ihnen a) wegen der körperlichen Schwere der Arbeit eine Beschäftigung bis 67 Jahren nicht zumuten könne, und b) die Lohnarbeiter dieser Berufszweige in der Regel schon weit vor der 60 körperlich so verbraucht sind, dass sie gar nicht mehr in der Lage sind, ihren Beruf auszuüben, geschweige denn bis 67. Worum geht es bei diesem Streit?

1.

Die Rentenkasse ist die Solidarkasse der Lohnabhängigen. Sie soll sie bei Einkommenslosigkeit wegen des Alters und ihrer nicht mehr gegeben Verwendbarkeit fürs Kapital davor schützen, drauf zu gehen. Jedem Lohnabhängigen mit einem  Einkommen unterhalb einer bestimmten Grenze (sog. Versicherungspflichtgrenze) zieht der Staat an der Quelle einen bestimmten Prozentsatz ab, der die Kasse füttert (Zwangskasse). Die jährlichen Einnahmen werden genutzt, um die aktuelle Rentnergeneration zu unterstützen (Umlageverfahren) und ihnen ein bestimmtes (niedriges) Einkommen zu sichern.

2.

Ideologisch verschleiernd wird so getan, als zahlten Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch in die Kasse ein. Letztlich ist aber auch der so genannte Arbeitgeberbeitrag ein Teil des Preises der Arbeitskraft und somit ein Abzug vom Lohn des Arbeitnehmers, den der Arbeitgeber zahlt, weil und solange er den Arbeitnehmer gewinnbringend, also rentabel, beschäftigen kann. Das Gejammer um die angeblich zu hohen Lohnnebenkosten ist also nichts weiter als eine sehr praktische Kritik am Einkommen der auf Lohnarbeit angewiesenen Bürger und ihren Lebensstandard, ob sie nun arbeiten oder Rentner sind.

3.

Die Einnahmen der Rentenkasse ergeben sich also als Produkt der Anzahl der rentabel eingesetzten Lohnabhängigen und ihrem Durchschnittsverdienst. Das ist die Seite der „Wirtschaft“. Der Staat vergleicht die Einnahmen mit der Anzahl der zu versorgenden Rentner und legt einen Prozentsatz fest, der das Einkommen des aktiven Arbeitnehmers zugunsten der Rentenkasse mindert und Einnahmen und Ausgaben der Rentenkasse zum Ausgleich bringt.

Die Rentenkasse als ein Bereich der Sozialversicherung trägt also mit dazu bei, die Arbeiterklasse zu erhalten. Den Verdienenden werden zwangsweise Mittel entzogen, um ihre chronisch eigentums- und mittellosen alten Klassengenossen durchzufüttern. Weil das (Lebens-)Einkommen des einzelnen Lohnarbeiters nie hinreicht, in allen Lebensphasen über zumindest das nackte Überleben sichernde Geldmittel zu verfügen, organisiert der Staat die zwangsweise Solidarität der Arbeiterklasse, indem er ihre aktiven Mitglieder zwingt, einen Teil ihres Einkommens den inaktiven zu spendieren. Rationaler und kostengünstiger kann im Kapitalismus Armut nicht bewirtschaftet werden: Die, die wenig haben, unterstützen die, die gar nichts haben.  

4.

In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit erreichen die Einnahmen der Kassen jedoch nicht mehr das erforderliche Niveau, weil einerseits weniger Arbeiter beschäftigt werden und einzahlen. Andererseits zwingt der Druck des Arbeitslosenheeres die (noch) Beschäftigten zu materiellen Zugeständnissen, die auch die Einnahmen der Kasse schmälern.

Gleichzeitig haben die heutigen Rentner durch ihre Einzahlungen in ihrer aktiven Zeit Zahlungsversprechen erhalten, die die staatliche Versicherung immer weniger aus den eintrudelnden Einnahmen bedienen kann. Hinzu kommen die frühzeitig in Rente geschickten, deren Unterhaltskosten die Rentenkasse von den Unternehmern, die sie feuerten, übernimmt (Sozial verträgliche Rationalisierungen).

Aus diesem Missverhältnis zwischen schwindenden Einnahmen und gewachsenen Rentenansprüchen ergibt sich der permanente Reformbedarf der Rentenkassen.

Der Staat hat nur zwei Möglichkeiten, die Solidarkasse, die die alten Arbeitsleute mehr schlecht als recht am Leben hält, zu reformieren.

Erstens könnte er die Einnahmen erhöhen, in dem er den Prozentsatz des Lohnabzuges zugunsten der Rentenkasse anhebt. Einfache Sache. Schlichtes Gesetz erforderlich. Problem dabei ist jedoch, und deswegen versucht der Staat es soweit wie möglich zu vermeiden, dass sich dadurch der Preis der Arbeit erhöht, was die Rentabilität der deutschen Arbeit und damit die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf den internationalen Märkten in Mitleidenschaft zieht. Das Überleben der Arbeiterklasse ist nun einmal eine schwer zu akzeptierende Kost für den Unternehmer, die möglichst klein gehalten werden muss, will man auch morgen noch Exportweltmeister sein.

Die zweite Möglichkeit, und in den letzten Jahren die beliebteste, ist, die Leistungen, sprich die Auszahlungen zu senken. Hier ist der Kreativität der Sozialpolitiker keine Grenze gesetzt. Man kann einen demografischen Faktor einführen, der die Auszahlungen an die Anzahl der Arbeitnehmer koppelt, also zu Senkungen führt, wenn die Erwerbstätigkeit stagniert oder zurückgeht. Man kann eine „Nullrunde“ durchsetzen, also den Rentnern keinen Inflationsausgleich zahlen, so dass sie real weniger in der Tasche haben. Man kann aber auch gleich die Zahlungsansprüche mindern, in dem man die aus der staatlichen Kasse zu erwartenden Rentenzahlungen mindert und den Arbeitnehmer verpflichtet, freiwillig durch geförderte Kapitalanlagen fürs Alter vorzusorgen (Riester-Rente).

5.

Eine andere Möglichkeit praktiziert die neue Berliner schwarz-rote Koalition. Sie setzt das gesetzliche Renteneintrittsalter herauf, erhöht es von 65 Jahren auf 67. Ergebnis: Erstens erhalten Rentner bei gleichbleibendem Lebensalter weniger Rentenzahlungen, da sie später in Rente gehen, also weniger Kosten für die Kasse. Zweitens müssen die Frührentner, also die, die wegen Arbeitslosigkeit oder Vernutzung aus dem aktiven Erwerbsleben ausscheiden müssen, mit höheren Abschlägen rechnen, da sie zwei Jahre länger nicht einzahlen, also erhalten sie de facto weniger Rente. Drittens dürfen die nicht vergessen werden, die zwischen dem 65. und 67. Lebensjahr ins Gras beißen. Für diese Lohnarbeiter fallen zukünftig überhaupt keine Kosten mehr an, wenn sie alt sind. Sie sterben, bevor sie Ansprüche realisieren können. Bei zunehmender Arbeitshetze ein nicht zu unterschätzender Faktor. Viertens erhöhen sich die Einnahmen, schafft es tatsächlich jemand, bis 67 Jahren durchzuhalten.

6.

Der Lebensstandard der Arbeiterklasse wird also weiter abgesenkt. Und die einzigen Proteste die man vernehmen kann, sind die eingangs zitierten Klagen. Was fordern denn nun die sozialen Sozialdemokraten? Der Berliner Regierende wünscht sich, dass die Arbeiter erstmal bis 65 Jahre arbeiten sollen. Das faule Pack scheint immer schon früher in Rente gehen zu wollen. Das erhöht nicht nur die Ausgaben der Kassen. Nein, auch die Einnahmen leiden darunter. Also, liebe Arbeiter, nehmt Euch ein Herz und schuftet bis 65. Der andere, der ehemalige Verteidigungsminister, will die ausnehmen, die schon mit unter 60 Jahren körperliche Wracks sind. Sehr sozial, ihre Rente nicht weiter zu mindern. Auch aus Kassensicht einigermaßen akzeptabel, da diese Kostgänger sicherlich nicht besonders lange Rentenzahlungen aus der staatlichen Kasse erhalten. Aber aufgepasst, die Gruppe der Betroffenen sollte nicht zu groß werden. Wenn man erstmal Altenpfleger, Bauarbeiter und Dachdecker „privilegiert“, fühlen sich dann nicht ganz schnell andere Berufsgruppen mit gleichfalls schwerer körperlicher Arbeit berufen, gleiches einzufordern, z.B. Krankenschwestern, Landwirte, Spargelstecher, Gerüstbauer oder Müllmänner und –frauen?

7.

Das sind so die Fragen, mit denen sich soziale Reformpolitiker herumschlagen. Die Arbeiter verdienen entweder zuviel, so dass sie unrentabel sind, nichts verdienen, aber unterstützt werden wollen, und dummerweise auch nichts in die Kasse einzahlen. Oder sie verdienen zuwenig, so dass sie zwar in die Rentenkasse einzahlen, aber nicht genug, so dass die Sozialpolitiker, „leider“, gezwungen sind, ihnen von dem weniger werdenden Lohn mehr abzuziehen, die private Verantwortung des Einzelnen für seine Altersvorsorge zu stärken, um den Preis der Arbeit wettbewerbsfähig zu halten, oder die Leistungen zu kürzen.

Sozial ist, was Arbeit schafft. Auch wenn die potentiellen Rentner länger arbeiten dürfen. Was spricht also dagegen?

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor am 2.3.2006 zur Verfügung gestellt.