Betrieb & Gewerkschaft
Mit Schienbeinschützer gegen Streikende
Mit Pressekampagnen, Anzeigen und Polizeieinsätzen soll der Streik im öffentlichen Dienst unterlaufen werden


von Peter Nowak
03/06

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Der Streik im öffentlichen Dienst lockt immer mehr Gewerkschaftsfeinde aus der Reserve. „Mit Horrorgeschichten von nicht operierten Babys und ansteckenden Müllbergen versuchen die öffentlichen Arbeitgeber Stimmung gegen den Streik im Öffentlichen Dienst zu machen“, klagt der DGB-Bezirk Südbaden-Hochrhein. Die Stimmungsmache zeigt Folgen. So wurde der ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger im Bezirk Stuttgart-Ludwigsburg von dem Vater einer Tochter angezeigt, deren Routineoperation wegen des Streiks verschoben werden musste. „Die Story ist von Bild und anderen Medien groß aufgegriffen worden, um den Streik als unmoralisch darzustellen“, kommentierte Riexinger.

Doch es blieb nicht bei solchen symbolischen Aktionen. In Freiburg wurde der Streik der Müllabfuhr unterlaufen, weil die zu 49 % private Gesellschaft für Abfallbeseitigung und Stadtreinigung (ASF) über 100 Leiharbeiter als Streikbrecher einsetzte. Der Vorsitzende der DGB-Region Südbaden-Hochrhein Jürgen Höfflin erklärt, dass der Einsatz von Streikbrechern große Verärgerung in der Belegschaft und eine „Jetzt erst – Recht- Stimmung bei den Streikenden ausgelöst habe.

Erpressung mit Streikbruch wirft ver.di auch dem Mannheimer Oberbürgermeister Gerhard Widder (SPD) vor. Der hatte erklärt, dass er eine Privatfirma mit der Müllabfuhr beauftragen werde, falls die Dienstleistungsgewerkschaft nicht zum Abschluss von Notdienstvereinbarungen bereit sei.

Besonders sauer ist man in Gewerkschaftskreisen, dass in mehreren Städten Baden-Württembergs und Niedersachsen neben ABM-Kräften auch Ein-Euro-Jobber zum Unterlaufen des Streiks eingesetzt werden. Insgesamt 70 bis 130 Ein-Euro-Jobber und Leiharbeiter seien bisher in Baden-Württemberg zu Streikbrecherdiensten herangezogen worden, erklärte der Leiter der Rechtsabteilung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in
Baden-Württemberg, Carsten Scholz. Er erinnerte daran, dass Ein-Euro-Jobber wegen ihrer sozialen Situation leichter erpressbar seien. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Kommunalen Arbeitgeberverbands Baden-Württemberg (KAV) Andreas Stein verteidigt hingegen den Einsatz von Leiharbeitern und Ein-Euro-Jobbern als Streikbrecher: „Wenn uns jemand gegen das Schienbein tritt, dürfen wir Schienbeinschützer anziehen“.

Bei einer verbalen Aufrüstung blieb es allerdings nicht überall. Im niedersächsischen Osnabrück wurden in der vergangenen Woche gewerkschaftlichen Streikposten bei einem Polizeieinsatz die Arme verdreht und die Megaphone beschlagnahmt. Die Gewerkschafter wollten die Durchfahrt von mit Ein-Euro-Jobbern besetzten Müllwagen blockierten. Einen solch massiven Polizeieinsatz gegen Streikende habe er noch nicht erlebt, monierte der Osnabrücker ver.di-Bezirksgeschäftsführer Jürgen Humer. Er „habe in seinen langen Jahren "noch nie erlebt, dass ein solch massiver Polizeieinsatz vom Arbeitgeber angefordert wurde".
Mehrere für die Müllabfuhr eingesetzten Ein-Euro-Jobber berichteten, dass ihnen die Vorgesetzten mit der Meldung beim Arbeitsamt gedroht hätten, wenn sie nicht ordentlich arbeiten. Die Specherin des Verdi-Bundesvorstands Cornelia Haß hält einen Einsatz von Ein-Euro-Jobbern als Streikbrecher für rechtswidrig. Schließlich dürfen die nach dem Gesetz nur zu nicht durch reguläre Planstellen abgedeckte Tätigkeiten herangezogen werden. Sie rät den Betroffenen sich an ihre Gewerkschaft zu werden.  Heftige Kritik an dem Einsatz von Ein-Euro-Jobbern als Streikbrecher übte der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag Ulrich Maurer.

Und die Linke ?

Die Außerparlamentarische Linke hat sich bisher hingegen kaum zu den Streiks und den Streikbrechern positioniert. Von lobenden Ausnahmen wie der FAU und der Organisierten Autonomie Nürnberg abgesehen, war weder der Streik im Öffentlichen Dienst noch der mehrwöchige AEG-Streik bisher bei der außerparlamentarischen Linken scheinbar kein Thema. Mensch würde sich mal wünschen, die würde sich mit solcher Verve über die Verteidigung von Streikposten gegen Bullen und Streikposten unterhalten, wie sie vor einigen
Jahren über das Pro- und Contra des Mitführens von Nationalfahnen irgendwelcher Lieblingsstaaten gestritten hat.

Eine andere Falle, in die auch manche sozialpolitisch engagierte Linke tappen, ist das ausschließliche Rekurrieren auf prekär Beschäftigte. Die Debatte über prekäre Arbeitsverhältnisse ist notwendig und zeigt, dass sich zumindest ein Teil auch der radikalen Linken wieder den sozialen Verhältnissen zuwendet. Doch es ist falsch, hier eine Frontstellung zwischen prekär und sogenannten Normalbeschäftigten aufzumachen. Lohnarbeit ist immer ein Ausbeutungsverhältnis und damit immer auch prekär. Selbst wenn mensch den Prekaritätsbegriff stärker eingrenzt, könnte ,man allenfalls davon sprechen, sich die Kernarbeiterschaft im „goldenen Zeitalter“ des Keysianismus in bestimmten Metropolen Arbeitsbedingungen erkämpft hatte, die das Ausbeutungsverhältnis des Kapitalismus nicht so deutlich zum Vorschein kommen ließ Doch ungelernte oder angelernte Lohnabhängige waren ebenso immer prekär beschäftigt, wie die Lohnabhängigen im größten Teil der Welt. Richtig ist aber, dass sich die Zahl der Prekär Beschäftigten immer mehr in breite Teile der Kernarbeiterschaft auch in den Metropolen ausdehnt.

Deswegen sollte die Solidarität mit den streikenden Belegschaften selbstverständlich sein, egal ob man vom Prekarität oder vom Proletariat ausgeht.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor am 1.3.2006 zur Verfügung gestellt.

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