Peter Trotzig Kommentare zum Zeitgeschehen

Rente mit 67?

E
in Fall typischer kapitalistischer Gleichmacherei
03/06

trend
onlinezeitung

Wer kennt ihn nicht, den Vorwurf, Sozialismus bedeute Gleichmacherei. Doch gerade der Kapitalismus hat seine ihm eigene Gleichmacherei. Beispiel: Rente.

Der Schrei nach längerer Lebensarbeitszeit, nach Rente ab 67, wird zumeist hinausposaunt von Leuten, die mit 8 Jahren „Arbeit“ als Politiker einen Pensionsanspruch erworben haben, der keine Wünsche übrig lässt.

„Wir müssen alle länger arbeiten!“ so lautet das Motto bürgerlicher Gleichmacherei. Dass das kein Problem sei, dass betonte Altbundeskanzler Helmut Schmidt mal vor laufender Kamera mit dem Verweis darauf, dass er ja schließlich im Alter von über 80 Jahren noch täglich mehrere Stunden „arbeite“. Bravo! Zeitungen und Bücher lesen, Schreiben und Vorträge halten. Ja, das möchte ich auch noch in hohem Alter. Was aber würde der gute Mann wohl sagen, wenn man ihn in irgend eine scheiß Fabrik stellen würde – wortwörtliche, nämlich stundenlang stehen - , und er von dem dort verdienten Geld auch tatsächlich leben müsste? (Keine dicke Pension im Hintergrund!)

Der Schrei nach längerer Arbeit für alle trägt Züge eines abstoßenden sozialen Zynismus. Würde die Rente ab 67 tatsächlich für alle durchgesetzt, müssten alle bis 67 arbeiten, dann wäre das so eine Art Euthanasie-Programm, um Menschen, die heute schon mit Mitte 55 von ihrer schweren Arbeit in Fabrik und Handwerk verschlissen sind, den Rest zu geben. (Aber der demographischen Kurve täte das sicher gut!) Die Jobs hier alle aufzuzählen, die zum „vorzeitigen Ausscheiden aus dem Berufsleben“ zwingen(!), würde zu weit führen. Unsere sauberen politischen Ökonomen könnten sich ja mal bei den Berufsgenossenschaften ein paar arbeitsmedizinische Erkenntnisse anlesen und nachschauen welchen enormen Belastungen und gesundheitlichen Gefährdungen die Menschen in vielen Berufen ausgesetzt sind.

Ich glaube, niemand hätte etwas dagegen über 80 Jahre alt zu werden, noch immer recht fit, um dann ein paar Stunden zu lesen, zu schreiben oder zu sprechen. Das alles in ansehnlichem Wohlstand, den man sich mit paar Jahren in Staatsdiensten „verdient“ hat.

(Apropos: Eine neuere Untersuchung aus SPD-Kreisen weist übrigens nach, dass die Bezieher niedriger Renten, die ihre Leben lang oft schwer körperlich arbeiten mussten, im Schnitt ca. 9 Jahre eher versterben. Ihre Beiträge in die Rentenkassen, sorgen dann dafür, dass die länger lebenden Betuchten auch ordentlich was von der Rente haben.)

Immerhin, man freut sich schon, wenn da ein paar Zwischentöne zu hören sind, etwa vom Rheinland-Pfälzischen Ministerpräsidenten Beck, dem doch wenigstens der Dachdecker einfiel, der vielleicht mit 67 doch etwas überfordert wäre, sollte er noch auf Dächern herum turnen und Ziegel durch die Luft werfen und fangen. Oder auch der IGM Typ, der anlässlich der neuen Vorruhestandsregelung bei VW darauf hinwies, dass Fließbandarbeit mit 67 vielleicht nicht mehr geht. Aber diese Zwischentöne gehen unter in Mitten des Schreis nach längerer Arbeit. Ganz so dumm, wie sie tun, sind unsere Politiker und Unternehmer aber in Wirklichkeit nicht. Sie wissen sehr wohl, dass das Arbeiten bis 67 für sehr viele Menschen nicht geht. Sie wollen gerade diesen am härtesten arbeitenden Menschen die Rente kürzen.

Sie bejammern die demographische Kurve und meinen, alles sei nicht mehr bezahlbar. „Deutschland“ sei verschuldet. „Deutschland“ ist nicht verschuldet, vielmehr ist „das Ausland“ bei „Deutschland“ verschuldet. „Wir“ sind Exportweltmeister! Verschuldet ist nur der Staat und die Frage, bei wem er verschuldet ist, wagt kaum jemand zu fragen. Wo ein Schuldner ist, da ist aber auch ein Gläubiger. In diesem Fall ist es eine stolze Zahl von privaten Gläubigern, bei denen Vater Staat verschuldet ist. Die Reichtümer in der Privathand einer kleinen radikalen Minderheit quellen über. Sie wissen nicht wohin damit und zocken mittlerweile immer häufiger an der Börse oder leihen es dem armen Staat, um Zinsen dafür zu kassieren.

Die demographische Kurve hat nicht verhindert, dass das Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Wohnbevölkerung (!) bis in die 90iger Jahre hinein ungebrochen anstieg (aktuelle Zahlen liegen mir nicht vor.) Wohlgemerkt, pro Kopf der Wohnbevölkerung, nicht der Erwerbstätigen! Man könnte also darauf verweisen, dass genug da ist, auch für Kinder und alte Menschen, und man es nur umverteilen bräuchte, damit es allen stetig immer besser geht. Aber so einfach ist die Sache nicht! Warum wurde denn bisher so verteilt, dass der Staat bei den privaten Akkumulatoren des Reichtums so verschuldet ist? Woher überhaupt haben sie dieses viele Geld, diesen Reichtums? Niemand hat es ihnen gegeben und vom Himmel ist es auch nicht gefallen. Sie haben es sich selbst „erworben“ nämlich durch einen genialen Tausch. Die Geldbesitzer legen ihr Geld an, kaufen Fabriken und Arbeitskraft damit, die ihnen dann ihr Geld vermehrt, indem sie eine Menge schöner Sachen produziert, deren Verkauf mehr Geld zurück lässt, als die Geldbesitzer angelegt haben. Wirft der Einsatz dieser Arbeitskraft nicht mehr genug ab, ist die Rendite im Spielkasino der Börse höher, oder sind die Zinsen höher, die man erhält, wenn man dass aus der Produktion stammende Geld Vater Staat leiht, dann machen die Geldbesitzer lieber das.

Ohne an diesen Verhältnissen etwas zu ändern, ohne das Produktionsverhältnis des kapitalistischen Privateigentums, dass für diese Verteilung sorgt zu attackieren und zu beseitigen, wird es keine gesicherte soziale Verteilung geben und wir werden alle länger arbeiten müssen, stündlich, täglich, wöchentlich, monatlich , jährlich und bezogen auf unser ganzes Leben, selbstverständlich bei gekürzten Löhnen und Renten. Damit sich die Geldanlage in Produktion und Dienstleistung ordentlich lohnt und die Rendite steigt!

Die Forderung nach einer Rente ab 55 (vielleicht), von der man leben kann, sollte man sich deshalb allerdings nicht verkneifen. Als Maßstab für den Renteneintritt kann man getrost, die tatsächliche Verrentung durch das Kapital nehmen, also den üblichen „Vorruhestand“ so ab Mitte 50. Bezahlen sollen die kapitalistischen Geldbesitzer!

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.