Materialien zur Kritik der „monetären Werttheorie“
Über Wertsubstanz, organische Zusammensetzung des Kapitals und den Fall der Profitrate

von Robert Schlosser
03/06

trend
onlinezeitung

Hinweis: Schon seit längerem befasste sich Robert Schlosser mit Themen, die sozusagen als Vorarbeiten für die hier vorgelegte Kritik an Michael Heinrich Marxrezeption anzusehen sind. Zu erwähnen wären folgende bisher im TREND veröffentlichten Texte.

Robert Schlosser hat seine Kritikpunkte an Michael Heinrich nun auf drei wesentliche zugespitzt, die wir hier zum Download als Pdf-File anbieten können. Robert Schlosser schreibt darin in seiner Vorbemerkung:

Den Titel “Materialien zur Kritik der ‘monetären Werttheorie’” habe ich gewählt, weil es sich um ein unfertiges Manuskript handelt, wie manches, was aus meiner Feder stammt. Ich kann nur an Feierabenden, Wochenenden, im Urlaub oder mit Krankenschein an solchen “theoretischen Ergüssen” arbeiten. Mein Job ist oft anstrengend und lässt halt nicht mehr zu, aber irgendwann will und muss ich mit bestimmten Dingen zum Abschluss kommen, und seien sie auch nicht zu Ende ausgearbeitet und redigiert (Tippfehler, Sprünge und Wiederholungen sind nicht ausgeschlossen). Meine kritischen Anmerkungen zur “monetären Werttheorie” von Michael Heinrich beinhalten sowohl Kritik im Einzelnen wie auch den Versuch einer Einordnung. Dies zur Vorwarnung!

 

Als ich die “Wissenschaft vom Wert” von Michael Heinrich das erste Mal gelesen hatte, war ich tief beeindruckt und schlug es sofort zur Lektüre und Diskussion dem kleinen “Lesekreis” vor, in dem ich “organisiert” bin. Beeindruckt war ich auf zweierlei Art:

  • zunächst uneingeschränkt positiv, wie er die Kritik der Politischen Ökonomie als neue Gesellschaftswissenschaft (neues “Feld” der Wissenschaft) herausarbeitet und von seinem Verständnis aller Aspekte der Werttheorie durch Hervorhebung der Einheit von Produktion und Zirkulation in einer Gesellschaft, deren Gesamtarbeit in der Form der Privatarbeit verausgabt wird. (Wert als werdendes Resultat)

  • misstrauisch bis negativ, wie er Grundbausteine der Marxschen Kapitalkritik in Frage stellt, bis hin zum Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, worin seine Marxkritik sozusagen kulminiert.

In unseren Diskussionen über das Buch musste ich feststellen, dass ich nicht so recht zu einer Kritik fähig war (anders als beispielsweise bei Postone, wo mir das Ganze keine sonderlichen Schwierigkeiten machte, aber ähnlich wie bei Günther Jacob, wo es auch gedauert hatte, bis ich etwas halbwegs Gescheites zu Papier brachte). Ich suchte nach Ansatzpunkten, um meinem Misstrauen Ausdruck zu verleihen und dieses in konkrete Kritik umzusetzen. Gut war das alles nicht. Also beschloss ich, wie immer in der Abarbeitung an solcher Lektüre, dran zu bleiben, die Kritik auf meine “Agenda” zu setzen. Mittlerweile beschäftigt mich das Ganze seit Jahren und ich fühle mich jetzt in der Lage, die öffentliche Kritik zu beginnen. Vor dem Hintergrund meiner eigenen Entwicklung und dem, was Michael Heinrich gegen den “Weltanschaungsmarxismus” schreibt, stehen auch manch durchgehend positive Anfangseindrücke in Frage. (Das neue “Feld” der Wissenschaft wurde betreten in einem heftigen weltanschaulichen Streit und in diesem weltanschaulichen Streit wurden bereits wesentliche Details des Begriffsapparates, der zur Kritik Politischer Ökonomie befähigt, entwickelt.)

 

Trotzdem: Wenn Jean Ziegler kürzlich in einem Interview meinte, dass dem internationalen Kapitalismus zunächst die theoretische Legitimation genommen werden müsse, dann stimme ich dem vollständig zu. Dafür aber ist kritische “Theorieproduktion” notwendig, wozu der “akademische Marxismus” einen wesentlichen Beitrag leistet und geleistet hat. Es ist also sehr schade, wenn Michael Heinrich nicht die Nachfolge von Elmar Altvater antritt. All jenen, die darüber die Nase rümpfen, kann ich nur sagen: Dann leistet die theoretische Arbeit selbst! Was ihr im allgemeinen so als “Theorie” vorlegt, ist eher dürftig, mehr dogmatisch-phraseologisch und oft obendrein einfach “falsch”, was nachzuweisen in der Regel nicht allzu schwer fällt! Der mehr oder weniger organisierte politische, klassenkämpferische Marxismus hat jedenfalls theoretisch nichts hervorgebracht, was hier auch nur der Erwähnung wert wäre. Und immer nur zu Hause im kleinen Kreis “recht haben”, das reicht nun mal nicht! 

„Dabei ist vorweg zu schicken, dass das Marxsche Werk, wie von der kommunistischen Orthodoxie, aber auch von vielen heterodoxen Strömungen des Marxismus suggeriert, kein abgeschlossenes oder doch in sich geschlossenes System darstellt, sondern in zentralen Teilen, wie etwa der "Deutschen Ideologie" oder dem "Kapital", Fragment geblieben ist. Die Suggestion des geschlossenen Systems, das aus einem Guss gefertigt ist und auf alle Fragen Antworten bereithält, ist nicht zuletzt auch in die editorische Darbietung der Marxschen Texte eingegangen. Lücken und Auslassungen wurden getilgt und ein zusammenhängender Text geschaffen, wo im Marxschen Manuskript offene Stellen waren, die deutlich machten, dass hier noch etwas eingefügt werden sollte bzw. der Gedanke Fragment war. Hier beginnt das, was die MEGA von allen anderen Editionen unterscheidet: die auch editorische Sichtbarmachung der Offenheit der Überlegungen, des Ringens mit dem Problem, des Fragmentarischen der Antwort.“ (Herfried Münkler zur Bedeutung der MEGA, aus dem Internet gefischt)

Wenn ich dem auch weitgehend zustimme, so bedeutet das für mich keinesfalls die vollständige Relativierung der durch Marx gewonnenen Erkenntnisse. Diese Feststellung sollte vielmehr Ansporn sein, die hinterlassenen Lücken der Theorie durch konkrete Entwicklung von Ökonomiekritik zu schließen. Michael Heinrichs Verdienst sehe ich darin, dass er auf sehr hohem Niveau „in den offenen Wunden“ herum bohrt und einem dogmatischen Verständnis der Marxschen Theorie das Wasser abgräbt. Dies ist gleichermaßen notwendig für die Entwicklung wie für die Bewahrung der Kritik der Politischen Ökonomie.

Ich schlage mich jetzt seit ca. 25 Jahren mit der Marxschen Akkumulations- und Krisentheorie, speziell mit dem Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate herum und die Auseinandersetzung mit der „Wissenschaft vom Wert“ hat mich genau so weiter gebracht, wie die freudige zur Kenntnisnahme der Arbeiten von Rainer Roth.

 

Ich bin kein Ökonom und will keiner werden! Was mich an der Ökonomie interessiert, sind die sozialen Verhältnisse, die darin zum (versachlichten) Ausdruck kommen. Kritik der Politischen Ökonomie heißt für mich primär, hinter die Kulissen schauen, die ökonomischen Kategorien und ihre Dynamik als soziale Verhältnisse (Produktionsverhältnisse) “kritisch darzustellen”, zu dechiffrieren. Kritik der Politischen Ökonomie versagt dann, wenn sie die  Phänomene, die Veränderung der sozialen Verhältnisse nicht mehr in ihrem inneren Zusammenhang verstehen und kritisieren kann, wenn sie unfähig wird, die in der Veränderung verborgene Logik, Gesetzmäßigkeit heraus zu arbeiten und zum Gegenstand ihrer Kritk zu machen.

 

Das Kapital als Produktionsverhältnis bedeutet Mehrwertproduktion. Mehrwert ist der alles dominierende Zweck dieser Produktionsweise. Die Variation der Größe dieses Mehrwerts also von entscheidender Bedeutung (Grossmann). Kann er unbegrenzt wachsen, dann hängt sozusagen alles vom ökonomisch “vernünftigen” Verhalten der beteiligten Akteure ab. Verhalten sie sich ökonomisch “vernünftig”, dann steht grenzenlosem Wachstum nichts entgegen, und das Kapital stößt allenfalls an äußere Grenzen (Altvater). Eine Abschaffung des Kapitalverhältnis auf Grund immanenter Entwicklungsgesetze könnte ebenfalls ausschließlich Ergebnis einer “vernünftigen” Entscheidung sein (Ingo Elbe in einem denkwürdigen Artikel, den ich im Internet fand), weil mensch einfach die Wertform Leid ist.

 

Das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate ist von entscheidender Bedeutung für die Bewahrung der Kritik der Politischen Ökonomie und für das Verständnis der Entwicklungstendenzen des Kapitalismus und zugleich Prüfstein der “Wissenschaft vom Wert”. Seit der Weltwirtschaftskrise von 1974/75 produziert das Kapital zunehmend folgende Phänomene :

  • Überzyklisch nachlassendes Wirtschaftswachstum

  • Pleitenflut und steigende Lohnarbeitslosigkeit

  • Flucht des Kapitals in die Spekulation

  • Flucht des Kapitals ins Ausland (Billiglohnländer, wo höhere Profitrate winkt)

  • Energische Versuche neue profitable Anlagesphären zu eröffnen (Stichwort: Privatisierung)

  • Energischer Druck auf die Politik, die Steuerbelastung zu senken

  • Rücknahme sozialer Reformen („Sozialraub“)

  • Energischer Druck auf die Lohnabhängigen länger und intensiver zu arbeiten

  • Ständige Versuche die Löhne zu drücken

Das sind fast alles Erscheinungen, die Marx als Ausdrücke oder notwendige Reaktion des Kapitals auf den Fall der Profitrate beschrieben hat. (Siehe dazu auch Rainer Roth in seinen Büchern „Das Kartenhaus“ und „Nebensache Mensch“) Gäbe es den Fall der Profitrate nicht, müsste ein anderes Gesetz gefunden werden, um den inneren Zusammenhang und die Logik der sozialen Entwicklung deutlich zu machen. Gelänge es nicht ein entsprechendes alternatives Gesetz zu formulieren, hörte die Kritik der Politischen Ökonomie auf eine Wissenschaft zu sein, weil eben alles auf das mehr oder weniger vorhersehbare „ökonomisch vernünftige“ Verhalten der Akteure hinausliefe.

Das entscheidende Überprüfungskriterium für Gesellschaftswissenschaft ist die gesellschaftliche Praxis, die durch keinerlei formale Logik ersetzt werden kann. An dieser Erkenntnis ist festzuhalten sowohl gegenüber dogmatischer Verteidigung des Marxismus, wonach jeder Satz von Marx schon ein Beweis ist, als auch gegenüber undogmatischer Kritik desselben!

 

Michael Heinrichs Arbeit über die "Wissenschaft vom Wert" ist leider

1. eine Kritik am substantialistischen Wertbegriff

2. eine Kritik am Begriff der technischen Zusammensetzung des Kapitals und - darauf aufbauend - Kritik am Begriff der organischen Zusammensetzung des Kapitals

3. eine Kritik am Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. 

Ich werde versuchen zu zeigen, dass Heinrich in allen 3 Punkten irrt, und zwar nicht primär durch eine bestimmte Marx-Exegese, sondern durch den Versuch konkreter Ökonomiekritik, wenn diese auch nur beispielhaft, als Skizze, entwickelt wird, um hier zur Diskussion gestellt zu werden. Dabei kann ich auch kräftig irren, aber wer nur Marx rekapitulieren will, um sich in der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu behaupten, der hat schon verloren. Nur, wer sich „vom Buchstaben des Gesetzes“ zu lösen vermag, kann gewinnen! Er geht selbstverständlich das Risiko des Irrtums ein, den er aber schon begangen hat, wenn er dogmatisch argumentiert.

Mir geht es also nicht darum, die Marxsche Argumentation im einzelnen nachzuvollziehen und zu verteidigen oder zu verwerfen, wie Michael Heinrich es tut. Bewusst wähle ich nicht die einzelne Ware und die Arbeit, die sie schuf, um die Arbeit als Substanz des Wertes zu beweisen. Mein Ausgangspunkt wird das einzelne Kapital und sein Gewinn sein, - wie das Kapitalverhältnis ja historisch und logisch die Voraussetzung ist für die Verallgemeinerung von Ware und Wert - um zu zeigen, dass die Arbeit die Substanz des Profits ist. Zum Wert der einzelnen Ware komme ich erst auf dem Umweg über die gesamtgesellschaftliche Arbeit und Wertsumme. Also so, wie Marx es nicht im 1., sondern ab Ende des 2. Bandes (Manuskript der Reproduktionstheorie) und im Manuskript des 3. Bandes darstellt. Sozusagen Marx von hinten nach vorne gelesen. Anders hab ich ihn jedenfalls nicht verstehen gelernt, dank Rosdolsky und Grossmann.

Mir geht es darum, bestimmte Ergebnisse, zu denen Marx kommt, etwa in der Bestimmung des Preises durch den Wert, die Bestimmung der Wertsubstanz durch Arbeit, oder seine Bestimmung der organischen Zusammensetzung als Bestimmung der Wertzusammensetzung durch die technische Zusammensetzung des Kapitals, etc. zur verteidigen. Mir geht es auch darum, das von Marx entdeckte allgemeine Gesetz der Kapitalakkumulation und das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate zu verteidigen. Nicht weil seine Argumentation im einzelnen unanfechtbar wären, sondern weil wir die reale Entwicklung des Kapitalismus ohne diese theoretischen Bausteine weder verstehen noch adäquat kritisieren können. Bei Michael Heinrich bleibt fast nichts außer einer allgemeinen Wertformkritik, was diese Bausteine ersetzen könnte.

Der innere Zusammenhang von Michael Heinrichs Argumentation ist mir erst nach und nach klar geworden. Von der Ablehnung eines „substantialistischen Wertbegriffs“ geht es zur Ablehnung einer durch technische Zusammensetzung bestimmten Wertzusammensetzung und muss in der Tat enden bei einer Kritik und Ablehnung des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate, das Marx selbst als das wichtigste, entdeckte Gesetz seiner Studien ansah.

Mir geht es im hoffentlich beginnenden Disput um bestimmte theoretische Fragen primär um Klärung und Verständigung und nicht um Polemik im Sinne der Durchsetzung von etwas, was vorab für richtig erklärt wurde.

Robert Schlosser: Materialien zur Kritik der „monetären Werttheorie"
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