Die algerische Gewerkschaftszentrale UGTA hat so gut wie nichts von ihren
zentralen Forderungen durchbekommen und will dennoch im kommenden
September einen "Wirtschafts- und Sozialpakt" mit der Regierung und dem
Arbeitgeberlager abschließen. Das ist das vorläufige Ergebnis der
"Tripartite", also des gemeinsamen Gipfeltreffens der Regierung von Ahmed
Ouyahia, der UGTA und der Vertreter des (organisatorisch zersplitterten)
Arbeitgeberlagers, am vorigen Freitag, dem 4. März 05.
Erhöhung des Mindestlohns: Njet
Auf eine ihrer wichtigsten Forderungen, betreffend die Erhöhung des
gesetzlichen Mindestlohns SNMG, hin erhielt die UGTA eine faktische Absage.
Der monatliche, gesetzlich garantierte Mindestlohn beträgt derzeit 10.000
algerische Dinar (D.A.) Das entspricht nach dem offiziellen, durch die
Banken praktizierten Wechselkurs derzeit 120 Euro pro Monat. Da aber der
informelle Wirtschaftssektor in Algerien den "legalen" schier aufzufressen
droht, ist es für den "einfachen Bürger" de facto ungleich leichter, Devisen
auf dem Schwarzmarkt zu erhalten. Dort aber entspricht der monatliche
Mindestlohn im Gegenwert nur (knapp) 100 Euro.
Die Bedeutung des informellen oder parasitären Sektors
Das System funktioniert ungefähr so: Die gesamte Wirtschaft hängt am
Tropf
der "Ölrente", der Einnahmen der (bisher noch nationalisierten, aber
demnächst für privates Kapitel geöffneten) Erdöl- und Erdgasindustrie. Der
Staatsanteil daran, der mit einer Teilprivatisierung aber absinken würde,
wird in das öffentliche Bankensystem geleitet. Aus diesem Topf werden dann
zuerst die Angehörigen der algerischen Oligarchie und ihre Günstlinge
bedient. (Die Oligarchie ist zusammengesetzt aus der Staatsbürokratie und
einer halb mafiösen Privatbourgeoisie, die freilich eher importiert und
Algieren mit den Überschüssen der europäischen/ostasiatischen Industrie
überschwemmt denn produziert.) Die übrigen Einwohner des Landes können zwar
theoretisch Geld wechseln und Kredite aufnehmen, werden aber erst bedient,
wenn die Bedürfnisse des parasitären Wirtschaftssektors abgedeckt sind.
Deswegen hält "der einfache Bürger" sich besser gleich an den Schwarzmarkt.
Privatisierungspolitik:
Auch deutsche Unternehmen dabei
Um "endlich" einen florierenden Privatsektor, der nicht nur parasitär die
Früchte des Landes auffrisst, zu erhalten so lautet jedenfalls die
offiziell formulierte Idee soll nun rundherum privatisiert werden. Damit
sollen produktive Investitionen angelockt werden.
Dabei gibt es nur ein riesiges Problem: Bisher finden sich kaum
ernsthafte
Interessenten dafür, wirklich im Lande zu produzieren. Das internationale
Kapital ist zwar wirklich daran interessiert, in Algerien zu investieren:
Aber nicht, um dort dem produzierenden Sektor auf die Beine zu helfen,
sondern nur, um "einen Fuß in die Tür zu bekommen" und für weitere Exporte
auf den algerischen Absatzmarkt zu nutzen. (ANMERKUNG 1)
Die algerischen Arbeitgeberverbände wiederum hätten gern die Vorteile,
die
damit verbunden wären, sich in den Aufbau eines "formellen" und tatsächlich
produzierenden Privatsektors zu lancieren aber bitte schön ohne die
Nachteile. So fordert einer der Arbeitgeberverbände, das Forum des chefs
d¹entreprise (FCE), der Staat möge den von Privaten übernommenen, bisherigen
öffentlichen Unternehmen die Abnahme eines Großteils ihrer zukünftigen
Produktion garantieren, in Form exklusiver Abnahmeverträge. Daneben fordern
die algerischen Arbeitgeber selbstverständlich das, was ihre Pendants
überall sonst auf der Welt auch fordern: Die Möglichkeit, niedrigere Löhne
zu bezahlen; die Lohnnebenkosten und öffentlichen Lasten der Unternehmen
sollen "endlich" gesenkt werden; der Abschluss befristeter und andere
prekärer Verträge soll erleichtert werden. Diesen Forderungskatalog
präsentierten die Verbände der algerischen Privatwirtschaft der Regierung
Ouyahia anlässlich der "Bipartite", des bilateralen Treffens am 16. Dezember
04. Das nennt man: Die Vorzüge der Privatisierung einfordern, aber zugleich
die Vorteile eines Staatsunternehmens verlangen.
Man muss hinzufügen, dass viele Vertreter des algerischen privaten
gewerblichen Sektors, die sich gern als "zwischen dem Staats- und dem
informellen Sektor eingeklemmt" bezeichnen, selbst mit mindestens einem Bein
im informellen Sektor stehen. Das bedeutet, dass sie einen Teil ihrer
Aktivitäten unter Umgehung der bestehenden Vorschriften zur sozialen
Absicherung der Arbeitskräfte (sowie zur Absicherung der Staatsinteressen,
namentlich an der Erhebung von Steuern) ausüben. Durchschnittlich
beschäftigt ein algerischer Arbeitgeber auf dem Papier drei abhängig
Beschäftigte. Doch da dürfte noch eine nicht unerhebliche "Dunkelziffer"
bestehen...
Der algerische Privatsektor ist also einerseits, jedenfalls als
"formeller"
produzierender Sektor, relativ schwach und weist einige mafiöse Neigungen
auf. Andererseits kann er tatsächlich von seiner Kapitalkraft her kaum mit
international tätigen Konzernen mithalten. Tatsächlich bewirbt sich der
algerische Privatsektor erklärtermaßen vor allem für die Übernahme kleiner
und mittlerer Einheiten (so geht es aus dem Forderungskatalog an die
Regierung hervor), nicht so sehr größerer Staatsbetriebe. Und auch die
Regierung bevorzugt im Prinzip ausländische Investoren: Dies erklärte
Industrieminister Hachemi Djaaboub im Januar dieses Jahres explizit in einer
Ansprache vor Studenten einer höheren Handelsschule. ("Ausländische
Direktinvestitionen hätten die Präferenz der Regierung ’wegen des Zuflusses
an KapitalŒ, wobei der Minister versicherte, ’auch Inländer sind uns
willkommenŒ" nach "Le Quotidien d¹Oran" vom 13. 01. 05)
Unter diesen Voraussetzungen wird die Privatisierung des größten Teils
der
derzeit noch 1.300 Staatsunternehmen (von denen 1.000 seit dem vergangenen
Jahresende nunmehr offiziell zum Verscherbeln ausgeschrieben sind, wobei die
Privatisierung von insgesamt 1.200 als Ziel ausgegeben wird) eher Allüren
eines Kahlschlags und Ausverkaufs denn einer tatsächlichen Fortführung ihrer
Aktivitäten unter privater Regie annehmen. Die Übernehmer werden sich wohl
höchstens die "Filetstücke" herauspicken und den Rest verkommen lassen.
Reales Interesse scheint dagegen in wenigen Sektoren vorhanden. So im
Sektor
der Banken, wo die führenden französischen Geschäftsbanken BNP und Société
Générale auf einen Einstieg warten (laut dem Staatssekretär für die Reform
des Finanzsektors Karim Djoudi, in "La Tribune" vom 6. 12. 04). Im
Tourismussektor ist damit zu rechnen, dass einige "Perlen" Abnehmer finden,
die zukünftig in Etablissements für Angehörige der internationalen Elite und
Geschäftsleute als eine Art Oasen im Meer der umgebenden Armut, wie in
anderen Ländern der "Dritten Welt" umgewandelt werden können. Mit einer
solchen Politik hatte der südkoreanische Daewoo-Konzern durch den Kauf der
Hilton-Hotels in Algieren 1997/98 begonnen der Konzern zwang allerdings
daraufhin alle Beschäftigten der Hotelkette, in einem "Zusatzvermerk" zu
ihrem Arbeitsvertrag auf die Anwendbarkeit der algerischen Arbeitsgesetze zu
"verzichten" und eine deutliche Verschlechterung ihrer
Anstellungsbedingungen zu akzeptieren. Nach zwei Jahre währendem Konflikte
wurden alle widerstrebenden Mitarbeiter entlassen.
Dagegen ist abzusehen, dass jene noch vorhandenen industriellen
Produktionseinheiten, die dereinst als Vorzeigeprojekte des autozentrierten
Entwicklungsmodells und der erfolgreichen Industrialisierungspolitik
Algeriens gegolten haben, aufgelöst und in Einzelteile zerlegt werden
müssen. Das gilt etwa für die SNVI, den Hersteller industrieller
Nutzfahrzeuge (von landwirtschaftlichen Maschinen, Bussen, Lastwagen oder
auch Gabelstapler, die als einzigem Land der Region in Algerien fabriziert
werden können) in Rouiba, einem Vorort von Algier. Dereinst arbeiteten hier
bis zu 40.000 Arbeiter, vor zehn Jahren noch 15.600; heute sind es noch
8.000. Nunmehr wollen französische Großunternehmen, darunter der
Renault-Konzern sowie Caravel und BTK, in einzelne Unternehmensteile
einsteigen die Rede ist von "vier Segmenten von sieben". Voraussetzung
aber ist, dass das bisherige Modellunternehmen Algeriens dabei zerlegt wird.
Auch ein Joint-Venture mit dem deutschen Unternehmen ZF beim Bau von
Kupplungen ist nicht ausgeschlossen; dabei will aber ZF das
Tochterunternehmen, das allein für die Durchführung des Geschäfts zuständig
sein soll, zu 80 Prozent kontrollieren. (Vgl. "El Watan" vom 7. Dezember 04
und Interview mit dem SNVI-Direktor Chahboub in "Liberté" vom 08. 01. 2005)
Ein weiterer deutscher Konzern, der in Algerien dabei aktiv geworden ist,
sich einige "Filetstücke" zu sichern, ist der Waschmittel- und
Chemieproduktehersteller Henkel. Der deutsche Konzern hatte sich bereits im
Jahr 2000 an drei Filialen des nationalen algerischen Waschmittelherstellers
ENAD beteiligt; eine Klausel des Vertrags sah dabei die Möglichkeit vor, die
gesamten Anteile an diesen Filialen zu erwerben. Nachdem das Geschäft dieser
Filialen gut lief, wollte Henkel nunmehr 100 % der Anteile erwerben. Dabei
kam es aber zum Zerwürfnis mit dem algerischen öffentlichen Unternehmen.
Eine Vertragsklausel sah jedoch ebenfalls vor, dass im Fall eines Streits
zwischen Henkel und ENAD die Angelegenheit der Zuständigkeit der algerischen
Justiz entzogen sei und vor einem internationalen Schiedsgericht entschieden
werden müsse. Und so entschied die Industrie- und Handelskammer in Brüssel
zugunsten von Henkel (vgl. "El Watan" vom 8. 12. 04) Der deutsche Konzern
kontrolliert nunmehr rund 60 Prozent des algerischen Absatzmarkts für
Waschmittel.
Der Staat lässt zur Privatisierung bestimmte Unternehmen systematisch
verkommen
Um das Terrain für die Privatisierung vorzubereiten, begleicht der Staat
regelmäßig seine Schulden bei öffentlichen Unternehmen nicht, um diese
systematisch in die roten Zahlen zu drücken. Die Zeitung "Alger Républicain"
(eine prestigereiche ehemalige KP-Zeitung, die seit anderthalb Jahren wieder
erscheint und konsequent den Widerstand gegen Privatisierungen und den
Ausverkauf des Landes unterstützt) beschreibt den Mechanismus wie folgt:
"Der Regierungschef (nennt) astronomische Zahlen: 1.000 Milliarden Dinar
interner Verschuldung (d.h. vor allem der öffentlichen Unternehmen; die
offizielle Zahl lautet 880 Milliarden, Anm. B.S.). Aber wer sind die
Gläubiger? Kann man von echten Schulden sprechen, wenn der Staat selbst sein
Haupt- oder einziger Gläubiger ist? (...) Die Schuldenlast der öffentlichen
Betriebe ist in den 90er explosionsartig angewachsen. Sieht man von den
Effekten der Korruption ab, so ist dies vor allem auf die Auswirkungen der
Abwertung des Dinar und die Zinssätze der (staatlichen) Banken
zurückzuführen. (...) Ein französischer Franc war 1989 ungefähr einen Dinar
wert. 1996 betrug der Wechselkurs 10 Dinar für einen Franc. Die Verschuldung
der öffentlichen Unternehmen stieg damit in wenigen Jahren rechnerisch auf
das Zehnfache (Anm. B.S.: weil sie in Devisen berechnet wurde). Doch das ist
nicht alles. Seit 1990 berechnen die Banken einen jährlichen Zinssatz von 24
Prozent. (...) Kein Unternehmen kann dieser mathematischen Aufblähung seiner
Schuldenlast standhalten, mit Ausnahme derer, die ihre Produkte gegen
Devisen verkaufen, und auch diese nur, wenn sie keine Anfangsschulden mit
sich herumschleppen." (Zitiert nach "Alger Républicain" vom 1. Dezember 04,
vgl. auch "Liberté" vom 6. 12. 04)
Auf diesem Wege treibt der algerische Staat viele Staatsbetriebe, die für
die Privatisierung vorgesehen sind, künstlich in den Ruin.
Positionen der UGTA zur Privatisierung:
1) Die offizielle "Linie"
Die UGTA hat sich seit Jahresbeginn 2005 offiziell zu einer
Pro-Privatisierungs-Position "bekehrt". Anfang Januar 05 erklärte ihr
Generalsekretär Abdelmajid Sidi-Saïd im algerischen Fernsehen, die
Privatisierung sei für seinen Verband "kein Tabu" mehr, und man kenne nicht
länger ideologische Dogmen in dieser Frage.
Im Hintergrund steht einerseits die enge Verflechtung des früher (zur
Zeit
der Einheitspartei FLN, 1962 bis 1989) "staatsoffiziellen"
Gewerkschaftsverbands auch mit der heutigen Staatsmacht. Jedenfalls der
Funktionärskörper ist dicht in die Oligarchie eingeflochten und eingebunden.
Ferner ist der Apparat eng mit den Partei-Funktionärskörpern der beiden
heutigen Nachfolgeparteien der ehemaligen Staatspartei, dem weiterhin
existierenden FLN sowie dem Mitte der 90er Jahre von ihm abgespalteten RND,
verbunden. Der Sekretär der UGTA für Organisations-Angelegenheiten (der über
Funktionärskarrieren entscheiden kann), Abdelkrim Harchaoui, ist
beispielsweise gleichzeitig Parteisekretär des RND (Rassemblement national
démocratique, Nationale Demokratische Sammlung) für Wirtschafts- und
Sozialpolitik. Sowohl der FLN als auch der RND sind, neben der
"moderat"-islamistischen Partei MSP-Hamas, an der
Drei-Parteien-Regierungskoalition unter Premierminister Ahmed Ouyahia
beteiligt.
Ein zweiter Grund für die passive und nunmehr sogar offen zustimmende
Haltung des UGTA-Funktionärskörpers zu den Privatisierungen ist, dass der
Apparat intern zu der Einschätzung gekommen ist, dass man den Prozess
ohnehin nicht mehr verhindern könne. Also sei es besser, dabei zu sein und
quasi "mit den Wölfen zu heulen". UGTA-Generalsekretär Abdelmajid Sidi Saïd
gab zu Anfang dieses Jahres, anlässlich einer gemeinsamen Tagung mit dem
französischen sozialliberalen Gewerkschaftsbund CFDT über "Arbeitsrecht und
Globalisierung", seine Einschätzung bekannt: Nur weniger als 1 Prozent der
Lohanbhängigen im heutigen Privatsektor seien gewerkschaftlich organisiert
(während der Organisationsgrad in den Staatsbetrieben noch immer rund 20
Prozent im Durchschnitt betragen dürfte, wobei jedoch die
Gewerkschaftsbeitritte häufig auch mit örtlichen Korruptionsfilzen zu tun
haben). Deswegen müsse man sich auf einen Deal einlassen und sozusagen
irgendwie bei der Privatisierung mit dabei sein um einen halbwegs
ansehnlichen Organisationsgrad auch über die Privatisierung hinüber zu
retten. Na, wenn dieses Kalkül mal aufgeht...
Ein Hindernis für die UGTA ist dabei, dass sie (trotz aller
Korruptionsverfilzung quer durch ihren Apparat) noch immer eine Basis von
zwischen einer Million und 1,5 Millionen Mitgliedern hat, auf die sie
irgendwie Rücksicht nehmen muss.
Deswegen ist es Bestandteil der offiziellen UGTA-Position, dass ihr "Ja"
zur
Privatisierung mit einer Reihe von Forderungen verbunden sei. Diese
beinhalten u.a. die Ablehnung von Entlassugen, die Beibehaltung des gesamten
Personals durch den Aufkäufer im Zuge von Privatisierungen, die
Aufrechterhaltung und Verbesserung der vorhandenen Produktionstechnik... Das
könnte man, jedenfalls in einem Kontext wie dem in Algerien real
existierenden, die Forderung nach Quadratur des Kreises nennen. Was die UGTA
sich jedenfalls offiziell - unter einer akzeptablen Privatisierung
vorstellt, lässt sich so beschreiben: "Wenn mein Onkel kein Schwänzlein
hätte, dann wär¹s meine Tante". Keine Privatisierung wird erfolgreich mit
den Zielen, die die UGTA zumindest offiziell zu verfolgen vorgibt, ablaufen.
2) Widerstände und die Debatte in den UGTA-Strukturen
Deswegen kommt es auch zu erheblichen Verwerfungen innerhalb der UGTA.
Seitdem die Leitung des UGTA-Dachverbands am 30. November 04 ankündigte, im
Januar eine Konferenz zum Thema abzuhalten, um über die
Privatisierungsstrategie der Regierung zu beraten (und dabei bereits ihre
eigene De facto-Kapitulation vorbereitete: Es gebe "keine Dogmen"), kam es
zu Reaktionen. Bereits auf der Tagung der Branchengewerkschaft für Holz und
Baustoffe Ende November, anlässlich derer ein Vertreter der UGTA-Führung
diese Nachricht just bekanntgab, wurde die Opposition deutlich. Die Mehrheit
der Branchengewerkschaft bestritt, dass es den öffentlichen Unternehmen
wirklich so schlecht gehe, wie durch die Regierung dargestellt wird, um die
Privatisierung zu rechtfertigen. Und sie drohte sogar mit einem
"Generalstreik", falls der Sektor, indem sie tätig ist, zerschlagen werden
solle ("La Tribune", 1. Dezember 04).
Die UGTA-Gewerkschaft der Bauindustrie ihrerseits wandte sich strikt
gegen
"jede Form der Privatisierung", auch in Gestalt eines Einstiegs privaten
Kapitals ("Le Quotidien d¹Oran", 16. 12 04). Denn die Gewerkschaften hegen
die dringende Befürchtung, dass ihr Sektor vollständig liquidiert werde,
wenn private Investoren über ihn zu entscheiden hätten zugunsten
ausländischer Firmen. Bereits heute sind Firmen aus der VR China in Algerien
tätig, die "ihre eigenen" Arbeiter mitgebracht haben, die sie nach
(schlechteren) chinesischen Verhältnissen beschäftigen; 70.000 Arbeiter aus
der VR China sollen derzeit im Land aktiv sein. Ähnlich sieht die Lage im
Textilsektor aus, der bereits in den vergangenen Jahren die Entlassung von
über der Hälfte der Beschäftigten (40.000 von 70.000) über sich ergehen
lassen musste. Da zum Jahreswechsel 2004/05 das "Multifaser-Abkommen"
auslief und damit die bisherigen Importquoten in den reichen
Industrieländern fallen, wovon vor allem die gigantische Textindustrie der
VR China profitieren dürfte, wird ohne öffentliche Intervention der
endgültige Untergang des algerischen Textilsektors befürchtet. Am 27.
Dezember beschloss die Branchengewerkschaft ihrerseits, "Nein" zu den
Privatisierungsaussichten zu sagen. Sie rief für den 24. Februar 05 zu einem
landesweiten Aktionstag gegen Privatisierung und Ausverkauf auf.
Die Branchengewerkschaft der mechanischen, Metall- und Elektroindustrie
wollte am 19. Dezember ihre eigene Konferenz abhalten, um über die
Privatisierungsfrage zu beraten. Diese verwandelte sich dann aber in eine
öffentliche Protestversammlung mitsamt Sit-in gegen die
Privatisierungspläne. Die Arbeiter hissten Transparente mit der Aufschrift:
"Nein zum Ausverkauf des öffentlichen Sektors!" Der Sprecher der
Gewerkschaftssektion beim Nutzfahrzeug-Hersteller SNVI, Zetoutou, erklärte
dabei, "keinerlei solche Erfahrung" wie der Einstieg der deutschen ZF in
eine zu 80 Prozent von ihr kontrollierte und vom algerischen Unternehmen
abgetrennte Filiale werde "künftig mehr akzeptiert". Im Metallsektor haben
die Gewerkschaften allerdings das Problem, dass das größte Metallunternehmen
des Landes, der Stahlindustriekomplex El-Hadjar im ostalgerischen Annaba,
bereits 2001 mit aktiver Kooperation der UGTA-Sektion an den anglo-indischen
Konzern ISPAT verkauft worden ist. Die neuen Eigentümer haben die
Aufrechterhaltung der Produktion für ein knappes Jahrzehnt garantiert.
Allerdings ist ISPAT in Annaba verantwortlich für eine jähe Erhöhung ihrer
Zuliefererpreise um 76 Prozent, die nunmehr das größte nationale Unternehmen
die SNVI in Schwierigkeiten stürzt. Auch deswegen könnte die SNVI in
naher Zukunft ihre Zerlegung hinnehmen müssen.
Im Hotel- und Tourismussektor kam es ebenfalls den ganzen Monat Dezember
über zu Protestäußerungen. Zwar wird den "Perlen" des Sektors eine bessere
Zukunft versprochen und die Regierungspolitik versucht die Beschäftigten mit
der Aussicht zu "ködern", künftig zu den privilegierten Sektoren zu gehören
und dann (angeblich) ein Drei- bis Fünffaches ihres jetzigen Gehalts zu
verdienen. Doch den Großteil der bisherigen staatlichen Hotelbetriebe
dürften weniger rosige Aussichten erwarten. Am 12. Dezember erklärten die
Gewerkschaftssektionen des staatlichen Tourismusunternehmens EGT Est, das
mehrere Hotelgebäude in Ost- und Nordostalgerien verwaltet, ihre Ablehnung
der durch die Regierung beschlossenen Privatisierung. Ein Verkauf einzelner
Etablissements, Stück für Stück, komme nicht in Frage. Allenfalls wolle man
über den Einstieg eines "Partners", der Investitionen mitbringe und die
bisherigen Anlagen erhalte, mit sich reden lassen. Das Vorstandsmitglied der
UGTA-Gewerkschaft der Tourismusarbeiter (Syndicat national des travailleurs
du tourisme), Azira Mohammed, erklärte seinerseits im Januar in der Presse:
"Die Arbeiter haben uns ein Mandat erteilt, um mit den zuständigen Behörden
über andere Wege als über den Verkauf zu verhandeln. Sie haben sogar damit
gedroht, auch gegen ihre Gewerkschaft zu rebellieren, falls diese dem
Verkauf im Grundsatz zustimmt." ("Liberté" vom 03. 01. 05)
Anlässlich seines Fernsehauftritts vom 4. Januar 05, und wenige Tage
später
innerhalb des UGTA-Vorstands, hat der Generalsekretär des Dachverbands
Abdelmajid Sidi-Saïd nach dieser anfänglichen "Gärungsphase" jedoch die
offizielle Linie festgelegt: "Es gibt kein ideologisches Tabu es kommt
allein darauf an, gute Bedingungen für die Privatisierung herauszuholen".
Dennoch ist davon auszugehen, dass es auch weiterhin zu erheblichen
Widerständen auch innerhalb der UGTA kommen wird. Diese stoßen jedoch auf
zweierlei Probleme. Das erste besteht darin, dass aufgrund der oftmals
existierenden örtlichen Korruptionsfilze in der und um die UGTA die
Lohnabhängigen den offiziellen Gewerkschaftsstrukturen wenig über den Weg
trauen. In den Augen der Arbeiter erscheinen die Widerstände einiger
UGTA-Strukturen gegen die Privatisierungsdrohung oftmals vor allem als
Manöver, mittels derer sich Funktionäre im Vorfeld des Kongresses in circa
einem Jahr in eine günstige Ausgangsposition begeben wollen, um über Posten
im Apparat zu verhandeln. (In Einzelfällen kann das sicherlich nicht
ausgeschlossen werden!)
Zum Zweiten sind all die Sektoren, die oben als "Widerstandsnester"
innerhalb der UGTA genannt wurden, für die Mehrwertproduktion in Algerien
nicht von zentraler Bedeutung. Der wirklich nennenswerte Anteil an Mehrwert,
der auf nationaler Ebene anfällt, wird momentan allein im Erdöl- und
Erdgassektor abgeschöpft. An den würde das internationale Kapital
selbstverständlich auch sehr gern `ran, und das ist zahllosen
Basismitgliedern der UGTA auch (als Risiko) bewusst. Nur: In diesem
strategisch entscheidenden Sektor lässt die Regierung ebenso wie die
zentrale UGTA-Bürokratie bisher nichts anbrennen. Den Ölarbeitern bei der
nationalen Erdölgesellschaft Sonatrach, als einer Art "Arbeiterelite" (von
der freilich ein Teil, vor allem der eher mit Zuarbeiter-Tätigkeiten
befasste, mittlerweile in prekären Verhältnissen beschäftigt ist!), sichert
man bisher noch das Ausbleiben jeder negativen Veränderung zu. Erstens solle
die Sonatrach als solche nicht angetastet, also privatisiert oder aufgelöst
werden: In einer ersten Zeit werden die europäischen oder nordamerikanischen
Konzerne wahrscheinlich neben der Sonatrach aktiv werden, bevor sie
irgendwann (in Zukunft) auch Kapitalanteile an dieser selbst werden erwerben
können. Zweitens wird bisher eine Bestandsgarantie für alle Arbeitsplätze
bei der Sonatrach abgegeben. Drittens geht die Offensive der Regierung
zugunsten einer "Öffnung" des Erdölsektors für private Konzerne derzeit auch
mit angekündigten Lohnerhöhungen für die Sonatrach-Mitarbeiter, jedenfalls
im mittleren und oberen Bereich, einher.
Abzuwarten bleibt, ob die anstehende "Öffnung", d.h. Teilprivatisierung
der
Öl- und Gasförderung tatsächlich so reibungslos über die Bühne gehen wird.
Der entsprechende Gesetzentwurf soll bereits in der, im März beginnenden
Sitzungsperiode vom algerischen Parlament debattiert und angenommen werden.
Die UGTA-Spitze hat den ganzen Januar und Februar über verlautbart, man
kenne den Entwurf noch nicht - bisher habe man ihn noch nicht gesehen, und
vielleicht habe er sich ja auch gegenüber den Vorlagen von 2001 und 2003
(die durch die UGTA jeweils durch Generalstreiks im ganzen Land abgewehrt
wurden) positiv verändert. Man kann sich auch dumm stellen: Die algerische
Presse berichtete gleichzeitig, der Entwurf habe sich nicht wesentlich
verändert, und interpretierte es bereits als bemerkenswert, dass der
"Sozialpartner" dieses Mal (angeblich!) nicht vorher konsultiert werde. Man
darf also darauf gespannt sein, was noch passiert, und welche Verrenkungen
es noch geben wird.
Widerstand der Arbeiter gegen Privatisierung
Aber auch außerhalb der UGTA (in deren Reihen es wegen der drohenden
Privatisierungswelle stellenweise mächtig brodelt) kommt es u.U. zu
erheblichen Widerständen.
Über das spektakulärste Beispiel der jüngsten Zeit berichtete die
Tageszeitung "El Watan" auf der Titelseite ihrer Ausgabe vom 1. März 05. Es
handelt sich um eine Ziegelfabrik in Remchi, im westalgerischen Bezirk
Tlemcen. Wie anderswo auch, hatte der Staat die Privatisierung durch ein
"Verkommenlassen" des Betriebs vorbereitet um (wie es derzeit übliche
Praxis ist, s.o.) sagen zu können, das Staatsunternehmen funktioniere
ohnehin nicht und solle deswegen durch die Privatisierung erst "wieder flott
gemacht" werden.
So war es auch bei dem Staatsunternehmen, das diese Ziegelfabrik betrieb.
Aufgrund ihrer desaströsen finanziellen Situation hatte dieses, das
öffentliche Unternehmen EPRO, an 163 Arbeiter bereits seit 14 Monaten keine
Löhne mehr ausbezahlt. Die Arbeiter wurden nunmehr mit der Auskunft
abgespeist, künftig sei der private Aufkäufer für sie zuständig. Der
freilich hätte bestimmt von solchen "Altlasten" nichts mehr wissen wollen...
In den letzten Februartagen wurden nunmehr leitende Angestellte der EPRO
bei
der Ziegelfabrik vorstellig, in der Absicht, die Arbeitsgeräte und Anlagen
offiziell dem neuen Eigentümer zu übergeben und diesen in die Abläufe
"seines" neuen Betriebs einzuweihen. Da hatten sie die Rechnung jedoch ohne
die seit längerem aufgestaute Wut der Arbeiter gemacht. Diese verhinderten,
indem sie sich physisch dazwischen stellten, die geplante Übergabe der
Fabrik. Die Beschäftigten zündeten Autoreifen auf dem Fabrikgelände an und
warfen das Fahrzeug der EPRO-Funktionäre um, bevor sie auf deren
Oberkarnickel direkt loszugehen drohten. "Das schnelle Eingreifen der
Sicherheitskräfte verhinderte Schlimmeres", schreibt die (bürgerliche)
Tageszeitung "El Watan" dazu, die ansonsten detailliert und unter Angabe der
(guten) Gründe der Arbeiter die Aktion beschreibt.
Daraufhin wurde eine Delegation der Präfektur (juristische Vertretung des
Zentralstaats im Département; in Algerien heißen die Verwaltungsbezirke
"wilayas") entsandt, um mit den Arbeitern zu verhandeln. Gewählte Vertreter
der abhängig Beschäftigten wurden benannt, die nunmehr mit den
Verantwortlichen verhandeln sollen. Der Fortgang der Ereignisse ist bisher
noch offen.
ANMERKUNG 1:
Dass tatsächliche Produktivinvestitionen im Lande eher die Ausnahme
bleiben,
wird im offiziellen algerischen Diskurs bisher (noch) damit erklärt und
quasi gerechtfertigt, dass Algerien nach wie vor durch die Außenministerien
der USA, Großbritanniens und Frankreichs als "risikobehaftetes Reiseland"
eingestuft werde. Tatsächlich haben die wichtigsten westlichen Staaten die
Reisewarnungen für das algerische Territorium aufrecht erhalten, obwohl das
Terrorismusrisiko dort völlig unvergleichbar mit dem realen Gefahrenniveau
der 90er Jahre ist. (Vgl. "Liberté" vom 9. März 05. Die
privatisierungsfreundliche Zeitung bemerkt dazu in fast unterwürfigem
Tonfall: "Wenn die ausländischen Direktinvestitionen gering bleiben, führt
es zu nichts, die ausländischen Wirtschaftsakteure zu beschuldigen. Algerien
ist nicht das Zentrum der Welt. Der ausländische Investor hat mehrere
Alternativen. Unser Land steht mit anderen Ländern im Wettbewerb um (das
Anziehen von) Direktinvestitionen". Dabei ist letztere Bemerkung als
Tatsachenfeststellung sicherlich richtig.)
Auf der anderen Seite wird von Forschern, die für die
Investionsvermittlungs-Agentur im Mittelmeerraum ANIMA tätig waren,
festgestellt: In den Augen potenzieller Investoren bilde "die soziale und
politische Situation eine langfristige Bedrohung. Die Eliten scheinen
westliche Lebensweisen und Werte angenommen zu haben, aber nicht die
Bevölkerungen. Manche Investoren fürchten ’die Forderungen der StraßeŒ.
Dennoch antwortet ein Strategiedirektor eines weltweit führenden
Baumaterialen-Konzerns: ’(...) Die Mehrzahl dieser Länder (Anm.: Nordafrikas
und des Nahen Ostens) müssen wahrscheinlich, um ihren Staatsapparat zu
entwickeln, eine islamistische Phase durchlaufen.Œ" (Zitiert nach "Le
Quotidien d¹Oran", 17. Januar 05) Schöner könnte man den Zynismus nicht auf
den Punkt bringen: Der reaktionäre und totalitäre Charakter des (radikalen)
politischen Islamismus ist nicht das Problem, wohl aber die soziale
Instabilität aufgrund der "Forderungen der Straße"...
Editorische Anmerkungen
Der Autor stellte uns seinen Text
am 11.03. 2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung.
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