In Berlin sorgt die Friedrich-Flick-Stiftung
seit Monaten für Aufregung und Proteste. Friedrich
Christian Flick, der Sohn und Erbe des Konzern-Herren und
Naziprofiteurs Friedrich Flick hat eine Sammlung von Werken moderner
Kunst gesammelt und im Hamburger Bahnhof ausgestellt. Das Geld gehört
eigentlich den ZwangsarbeiterInnen, lautet die berechtigte Kritik. Doch
Friedrich Flick ist kein Einzelfall. Da es viele Naziprofiteure unter den
deutschen Konzernherrn gab, und sie zumindest wenn sie im Westteil
Deutschlands lebten, ihr Vermögen noch mehren konnten, hatten sie auch
viel zu vererben. Einer der Naziprofiteure war der
Hamburger Reemtsma-Konzern. Erbe wurde sein Sohn
Jan Philipp Reemtsma. Der legte das Geld nicht in Bildern
an sondern förderte auf andere Weise Kunst und in seinen jüngeren
Jahren auch manche soziale Bewegung. Sogar die Hamburger Hafenstraße
wollte er Ende der 80er Jahre am Höhepunkt des Konflikts
mit dem Senats kaufen. Vielleicht rührt aus diesen Tagen
sein Ruf, ein besonders liberaler gar progressiver
Millionenerbe zu sein, der mit seiner Förderung die besten
Konsequenzen gezogen haben soll.
Vielleicht liegt die Scheu Reemtsma genauso
wie Flick zu kritisieren, auch an seiner federführenden
Rolle bei der Ausstellung über die Verbrechen der
deutschen Wehrmacht. Nun wird hier immer übersehen, dass Reemtsma erklärter
Anhänger eines deutschen Krieges gegen die Republik Jugoslawien ist. Die
Ausstellung hatte hier auch die Funktion, längst bekannte Tatsachen über
die Verbrechen der Wehrmacht endlich offiziell zuzugeben,
um wieder ungestört zu neuen imperialistischen
Eroberungen zu streiten. Spätestens mit der Entlassung
von Hannes Heer und der Neukonzeption der Ausstellung, die von
Reemtsma initiiert wurde, war die Wehrmachtsausstellung endgültig ein
herrschaftskonformes Instrument für neue Kriege geworden. Das war ganz im
Sinne von Reemtsma.
Der hat in den letzten Jahren sein
Millionenerbe nicht nur genutzt, um sich Macht und
Einfluss zu verschaffen. Es ging ihn auch um
gesellschaftspolitische Weichenstellungen. Dafür nutzte er seine Hamburger
Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Die erwarb die Rechte
für den jüdischen Philosophen Theodor W. Adorno. Die Folge, wer
Adorno-Texte verbreitet muss an die Stiftung und damit an Reemtsma
zahlen.
Was passieren kann, wenn man das vergisst,
bekam der Künstler Sebastian Lütgert zu spüren. Er machte
zwei wichtige Adorno-Texte öffentlich im Internet
zugänglich und bekam sofort vom Hause Reemtsma und seinen
Rechtsanwälten eine Abmahnung, die mit einer saftigen Rechnung verbunden
war. Weil Lütgert verreist war und daher bestimmte Fristen nicht
einhalten konnte, drohte ihm sogar Gefängnis. Einen
persönlichen Brief an Reemtsma ließ dieser unbeantwortet.
Er bevorzugte es, über seine Anwältin mit dem Künstler zu
kommunizieren. Das heißt, dass jeder Brief kostenpflichtig war.
Als ein kritischer Artikel dazu in der Tageszeitung erschienen war,
verlangte eine Reemtsma ein Interview, in der er seine Sicht der
Angelegenheit ebenfalls auf einer Zeitungsseite darlegen konnte. Solch
eine Chuzpe müsste ein Flick-Erbe erst einmal haben.
Niemand fragte einmal nach, ob es nicht genauso anrüchig
ist, wenn Reemtsma mit genau den Vermögen, dass seine
Vorfahren in der Nazizeit kräftig mehren konnten, das
Urheberrecht an den vor den Nazis emigrierten jüdischen Philosophen
kaufen und damit praktisch mit entscheiden zu können, wo
und wann er veröffentlicht wird. Bei jeden anderen hätte
auch die Tageszeitung kritisch nachgefragt, doch bei
Reemtsma macht man Ausnahmen.
Die RAF noch mal erledigen
Der hat mittlerweile ein neues Ziel entdeckt.
Es gelte den bewaffneten Kampf in Westdeutschland der
80er Jahre im Allgemeinen und der Rote Armee Fraktion im
Besonderen zu entlarven und auf ihren verbrecherischen Kern zu
reduzieren. Im September sorgte er auf einer Tagung der Evangelischen
Akademie im hessischen Arnoldhain noch für Aufsehen selbst in der
linksliberalen Presse. Da wären erstmals Töne zu hören, die man dort
bisher von Rechtskonservativen gehört hat, schreibt die
linksliberale Wochenzeitung Freitag bewundernd. Die auf
der Tagung anwesenden ehemaligen RAF-Gefangenen waren das
Ziel von Reemtsmas Attacken. Der Grund für Reemtsmas Attacke liegt
nicht zuletzt darin, dass mittlerweile mehrere langjährige
RAF-AktivistInnen das Gefängnis verlassen haben und sich
auch selber in Interviews und Büchern zu Wort gemeldet
haben. Bisher hat der Staat weitgehend die Geschichte des
bewaffneten Kampfes geschrieben. Reemtsma will verhindern, dass die andere
Sichtweise derer, die sich am linken Aufbruch beteiligt hatten, hörbar
wird. Darauf zieht seine Delegitimationsversuche. Betroffen
sind auch alle, die sich nicht zu selbsternannten RAF-Jägern
machen.
So wirft Reemtsma Menschen aus pazifistischen
Kreisen wie Horst-Eberhardt Richter mangelnde Distanz zur
RAF vor, weil der mit der RAF-Gefangenen Birgit Hogefeld
sogar eine gemeinsame Sprache gefunden hat. Kritik an der
staatlichen Politik in den 60er und 70er Jahren will Reemtsma nicht mehr
zulassen. So erklärte er auf die Frage, ob der Staat überreagiert hat:
„Jemanden wie Siegfried Buback zu erschießen, jemanden wie Hanns Martin
Schleyer zu entführen, das waren keine beliebigen Verbrechen. Das waren
tatsächlich Angriffe auf den Staat, die er ernst nehmen musste"....
So wird der staatlichen Repressionspolitik
gegen jegliche Oppositionellen noch nachträglich
das Gütesiegel verliehen. Wo der Staat angegriffen, muss
er zurück schlagen, notfalls am Rande der Legalität.
Nun ist genau diese Sichtweise die
herrschende Meinung seit mehr als 30 Jahren. Jede
differenziere Sicht, die zumindest politische Motive beim
bewaffneten Kampf anerkennen will, selbst wenn man die Mittel nicht billigt,
verfielen dem SympathistantInnenverdikt. Das konnte in den 70er und 80er
Jahren auch politische Verfolgung, Verfahren sogar Haftstrafen bedeuten.
Spätestens mit der Auflösung der RAF gab man sich toleranter. Es war auch
nicht mehr nötig eine Linke zu disziplinieren, die wie selbstverständlich
von Terroristen zu schreiben und sprechen bekann. Also die genau jene
Sichtweise auf die RAF und den bewaffneten Kampf ganz freiwillig
übernahm, der in den 70er und 80er Jahren noch von oben
durchgesetzt werden musste. Damals gehörte es zum guten
Brauch linker ja selbst liberaler JournalistInnen, sich
die stattlich verordneten Sprachregelegungen nicht zu
eigen zu machen. Doch wer in den letzten Wochen die linke Wochenzeitung
Jungle World durchblätterte, konnte ganz selbstverständlich in einigen
Artikeln vom „RAF-Terrorismus" lesen .Zuvor hatte schon ein Jungle
World-Mitarbeiter kommentiert, dass die RAF-Veteranen, die heute vom
Selbstmord reden, immer noch einige Erklärungen schuldig sind". Wen meint
der Kommentator damit? Etwa die ehemalige RAF-Gefangene Irmgard Möller,
die in jener Nacht zum 18.Oktober schwer verletzt wurde. Sie hat mehrfach
eindeutig erklärt, dass sie sich die schweren Stichverletzungen nicht
selbst zugefügt hat. Warum ist ihre Erklärung auf einmal
unglaubwürdiger als beispielsweise die Erklärung des
Staates, der schon von einem Selbstmord der
RAF-Gefangenen gesprochen hatte, als überhaupt noch keine Untersuchungen
der Todesumstände erfolgt waren. Warum verlangt der Jungle
World-Kommentator nicht nach Erklärungen des Staates. Der grünen MdB
Christian Ströbele erklärte mehrmals dass die staatlichen Behörden
einfach die Video- und Tonbandaufnahmen aus dem
totalüberwachten Stammheimer Trakt öffentlich machen
sollte. Warum wird eine solche liberale Forderung nicht
einmal von einer linken Zeitung mehr gestellt? Dabei gibt die Jungle World
immerhin als eine der wenigen linken Zeitungen noch Positionen Raum, die
die RAF politisch erklären und nicht gleich denunzieren.
Gerade in einem solchen Umfeld sollte man eben bestimmte
Sprachregelungen nicht erwarten..
Über Reemtsma und Co hingegen braucht man
sich nicht weiter zu wundern, höchstens über die
Sprachlosigkeit der Linken.
Die RAF wie viele andere linken Gruppen sind
auch einmal angetreten, die Nazikontinuität zu
durchbrechen, die längst nicht nur in den Eliten in den
60er Jahren noch virulent war. Da ist es doch eigentlich nur konsequent,
wenn jetzt ein Nazierbe diese Gruppe noch einmal theoretisch erledigen
will.
Editorische Anmerkungen
Der Autor stellte uns
seinen Beitrag am 9.3.
2005 zur Verfügung