Hoffnung durch Machtwechsel in Uruguay
Ein Bericht aus Montevideo (mit Tipungereimtheiten wegen Internetcafe-Tastatur-Chaos)

von arpoador
03/05

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Mit der Machtuebergabe am 1.Maerz hat in Uruguay jetzt zum ersten Mal eine Linksregierung das Sagen - und das weckt Hoffnung, sowohl bei vielen Menschen Uruguays und Lateinamerikas wie auch bei den Regierungen anderer linksregierter Laender.

Menschen- und Fahnenmeer am 1.Marz in Montevideo  

Am 1.März ist eine Ära zu Ende gegangen in Uruguay: 170 Jahre lang hatten sich die Blancos (Partido Nacional, zentrum-nationalistisch) und die Colorados (Partido Colorado, Zentrum) an der Macht abgewechselt, unterbrochen von der Militärdiktatur, welche jedoch für die Machtstrukturen des Landes nach ihrem Ende keinen Umbruch bedeutete. Jetzt allerdings ist der jahrezehntelange Machtklüngel aufgebrochen und nach dem deutlichen Wahlsieg des Encuentro Progresista – Frente Amplio (Weite Front) im letzten Jahr übernahm mit Tabare Vazquez jetzt erstmals der Vertreter einer linken Koalition die Macht.  

Die "Weite Front"  

Die Frente Amplio hatte sich vor etwa 30 jahren gebildet mit genau dem jetzt erreichten Ziel – die Vormachtstellung der herrschenden konservativen Parteien zu brechen. Nun wird sie zeigen koennen, wieviel aus der daraus gewonnen neuen Energie und den Träumen, die mit diesem Umbruch verbunden sind, zu machen in der Lage ist. Eine neue Regierung, die nach jahrzehntelanger Oppositionsarbeit das erste Mal ihr Regierungssgeschick erproben wird, was nicht einfach ist bei einer Koalition, die aus sich aus mehr als 20 politischen Gruppen zusammensetzt und deren Vielfalt von der stärksten Gruppe, den ExGuerrilheiros des bewaffneten Widerstandes während der Militärdikatur über Christ-demokraten bis hin zu moderaten trotzkistischen und sozialistischen Gruppen reicht.  

Die Ausgangssituation  

Die Herausforderungen, die sich der neuen Regieurng stellen sind dabei kein leichtes Unterfangen. 40% wird die Arbeitslosigkeit beziffert und etwa 25% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze – der Kontrast Stad-Land, also Montevideo – Rest des Landes ist enorm und leicht sichtbar. In der Landeshauptstadt leben etwa die Hälfte der 3,2 Millionen Uruguayer. Etwa 15% von ihnen haben wiederrum das Land verlassen auf der Suche nach Arbeit und besserer Lebensperspektive, zumeist gen Argentinien oder Brasilien. Emigiriert sind dabei vor allem junge Menschen zwischen 20 und 30. Diese Altergruppe war denn auch sichtbar am wenigsten vertreten in den Strassen Montevideos am Tag des Machtwechsels.  

Dabei scheint die Ungleicheit insgesamt jedoch weniger schreiend als in den grossen Nachbarländern Argentinien und Brasilien und die Perspektivlosigkeit der marginalisierten Bevölkerungsteile etwas weniger aussichtslos, soweit ein allgemeier Eindruck eine solche Aussage zulässt.  

Eine Stadt in historischer Aufbruchstimmung  

Ausser den Emigrierten und den Besiegten waren sie denn auch alle auf der Strasse am 1.März, als es hiess, den Machtwechsel zu feiern bei dem Tabare Vazquez Jorge Batlle ablöst, der seinerseits der Fünfte (!) der Battle-Familie war, der das Präsidentenamt inne hatte. Montevideo war einen Tag lang getaucht in ein rot-blau-weisses Fahnenmeer, die Fahnen getragen von Menschen, die damit weit mehr zu verbinden scheinen, als nur die Farben einer Koalition: Endlich eine neue Perspektive, neue Hoffnung, andere Ansätze, Politik zu machen, eine Chance, der neoliberalen Falle zu entwischen !?! Endlich kein Batlle, kein Familienklüngel mehr!  

Viele Junge waren dabei, Familien mit ihren Kindern, Ältere und das nicht nur, um die Volksfeststimmung und das Baden im Meer der friedlichen Massen zu geniessen, sondern auch um der langen Antrittsrede des neuen Präsidenten zuzuhoeren.  

Moderate Pläne eines zurückhaltenden Politikers  

Tabare Vazquez, der neue Präsident, aufgewachsen in einem ärmeren Arbeiterviertel im Westen Montevideos und von Beruf Arzt benötigte drei Anläufe, um an die Macht zu gelangen, nachdem er 1994 und 1999 gescheitert war. Bei seiner Rede äusserte er sich ausführlich, wenn auch meist oberflächlich zu seinen Regierungsplänen. Die unbeschreibliche Menschenmenge vor der er das tat, hörte geduldig zu, als er nach und nach die einzelnen Ministerien durchging und was er an ihnen ändern und wo seine Regierung die Schwerpunkte setzen wolle. Wenig Überraschendes oder Innovatives war dabei, und auch den internationalen Finanzinstituitionen gegenüber vermochte er keine mutige Aussage treffen. Aber was erstmal zu zählen scheint, ist der gute Wille und dass der bei ihm und seiner Equipe vorhanden ist, den nehmen die Menschen ihm und seiner Equipe durchaus ab.  

Sollte also vielleicht wirklich ein anderer Weg möglich sein als in Brasilien oder Argentinien, wo die Wirtschaftspolitik der Linksregierungen durch die Fortführung der neoliberalen Politik ihrer konservativen Vorgänger rasch viele Wähler enttäuschte?  

Einiges in Uruguay ist schon (oder noch?) anders  

Möglich ist es, dass die neue Regierung sich einreiht in die Gruppe der neuen Linksregierungen, die eifrig den neoliberalen Kurs ihrer konservativen Vorgaengerregierungen weiterfahren und versuchen die entaeuschte Waehlerschaft mit der Aufforderung zu mehr Geduld und einem geschickten "linken" Diskurs bei der Stange zu halten. Womit sie die Hoffnungen und den Auftrag, den sie durch die Waehler an der Urne erhalten hatten, weitestesgehend zu missachten scheinen. Aber in Uruguay scheint Einiges dafuer zu sprechen, dass es etwas besser werden koennte - ein kleines Land, weniger ausser Kontrolle, die Ungerechtigkeit weniger schreiend als zum Beispiel im grossen Nachbarland Brasilien. Und was die Privatissierungswelle angeht, war man hier noch zurueckhaltend, nicht zuletzt dank der Volksentscheide, in denen die Menschen mitbestimmen koennen. Zuletzt wurde so die Privatisierung des Wassers verhindert. Und wenn man Joghurt isst in Uruguay und der gewohnte Blick nach dem Was?, Wer? und Woher? ueber die Packung streift, steht nicht wie ueblich Nestlè oder Aehnliches darauf sondern "Nationale Milchkooperative Uruguay" und man denkt spontan, vielleicht ist doch noch nicht alles zu spaet...  

Tabare Vazquez ist neuer Praesident - mehr nicht  

und anders scheint eben auch, dass kein neuer Chavez (Venezuela) oder Lula (Brasilien) an die Macht gekommen ist - sprich die Hoffnung der Menschen spitzt sich nicht auf eine Einzelperson zu. Es geht um mehr und dass dabei alle etwas beitragen muessen und von der Regierung keine Wunder zu erwarten sind scheint die Einstellung unter den Mesnchen zu sein. Die neue Regierung und der historische Umbruch als Ganzes werden gefeiert. Wichtig wird sicher sein, wie sich die Menschen zur Regierung positionieren werden und dass nicht der Fehler gemacht wird, dass der Druck von unten fuer Veraenderung nachlaesst, weil die Regierung das ja schon irgendwie machen werde.  

International eine klare Positionierung  

Die Gaeste bei der grossen und pompoesen Machtuebergabezeremonie sprechen international ein deutliches Zeichen: Lula (Brasilien), Kirchner (Argenitinien), Chavez (Venezuela) - Castro (Kuba) musste in letzer Minute absagen und sich durch seinen Aussenminister vertreten lassen uym nur einige wenige der Gaeste zu nennen. Und deren Anwesenheit war mehr als nur symbolisch - erste Vertraege wurden abgeschlossen, gemeinsame Plaene fuer die Zukunft diskutiert. So soll sofort Oel aus Venezuela fliessen, die Kontakte mit Kuba wurden nach diplomatischer Funkstille wieder aufgenommen und mit Argentinien soll durch enge Zusammenarbeit in Sachen Menschenrechte die Vergangenheit der Militaerdiktaturen aufgearbeitet werden. National soll mit einem Notplan der hohen Arbeitslosigkeit und der Armut begegnet werden - wie sich das aber im Detail ausgestalten wird ist noch unklar. Und das auch, wenn Tabare bei seinem Antritt lange und ausfuehrlich die Plaene fuer die einzelnen Ministerien schilderte: Die neuen Regierenden sind das erste Mal an den Hebeln der Macht nach gut 30 Jahren Opposition, und daher auch unerfahren trotz eine Durchschnittsalters, das weit jenseits der 60 liegt.  

Chavez nutzt die Gelegenheit  

Wie bei den beiden letzten Weltsozialforen in Porto Alegre nutzte Hugo Chavez, Praesiedent Venezuelas, wieder einmal die Gelegenheit um sich ins Rampenlicht zu bringen. Am 2.Maerz wendete er sich ausfuehrlich an die Bewohner/innen Montevideos um in einem Wechsel aus revolutionaerem Populismus und Aus-dem-Naehkaestachen-Plauderei ueber drei Stunden lang den Uruguayern Mut zu machen und fuer die mutigen Grossprojekte, die er fuer Lateinamerika im Visier hat, zu werben: ein Netz oeffentlicher und kommunaler lateinamerikanischer Fernsehsender, eine lateinamerikanische Zentralbank (unabhaengig von der Weltbank, bis jetzt gibt es die IADB - Interkontinentale Entwicklungsbank, die mit der Weltbank verbunden ist) und der Beitritt Venezuelas in den Mercosur. Ohne dass er es dabei ausliess, immer wieder an Simon Bolìvar und dessen Plaene einer grossen bolivarianischen Republik zu erinnern. Vor allem informierte Chavez dann auch ueber die Sitation in Venezuela - nicht damit es in Uruguay kopiert werden solle, aber um Hoffnung zu machen und praktische Beispiele zu geben, wie modernes "linkes" Regieren auf dem Weg der "Neuerfindung des Sozialismus" (Wortlaut Cahvez) aussehen kann: Alphatbetisierung, Gesundheitsprogramme in den Armenvierteln,... Natuerlich wendete er sich auch an seinen erklaerten Feind Nr. 1 Jorge Bush, der lieber die Haende von Venzuela lassen solle, sonst wuerde das Oel fuer die USA schnell teurer. Und auch mit einem jahrelangen revolutionaren Krieg muesse Bush rechnen, so Chavez drohend . Die geduldigen und begeisterten mehrere Tausende zaehlenden Zuhoerer stimmten zu und auch das etwas vergilbt daher kommende "Hasta la Victoria Siempre - Patria o Muerte - Venceremos!" wurde jubelnd angenommen.  

Grosse Erwartungen fuer die naechsten Jahre in Lateinamerika  

Die lateinamerikanische Linke ging gestaerkt auf die Weiter- oder Rueckreise und es wird sich zeigen muessen, wieviel sich wirklich aendern wird: "Lula, Tabare, Fidel, Kirchner, Lagos, Chavez - la chance es unica Latinoamerica!" so der Wortlaut eines Transparents und das scheinen nicht Wenige zu fuehlen und zu hoffen. Das dachten in Brasilien und Argenitinien aber auch schon Viele, die mittlerweile enttaeuscht feststellen mussten, dass Vieles anders kam als sie erhofft hatten oder eben auch nicht, da oft die alte (neoliberale) Politik der Vorgaengerregierungen weitergfuehrt wird. Aber diese Erfahrungen sollte jedeR fuer sich selber machen und eben auch hoffen duerfen, dass es eines Tages doch mal wirklich anders wird - und diese Hoffnung lassen sich die Uruguayer sich sicherlich erstmal nicht nehmen.  

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am 05.03.2005 bei Indymedia und ist eine Spiegelung von
http://www.germany.indymedia.org/2005/03/108458.shtml