Verdrängte Geschichte: Juden im Naturschutz
Der Zivilisationsbruch für den Naturschutz in Deutschland und Berlin ab 1933 und das aktive Vergessen nach 1945

von Bernd Schütze
03/05

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1933 beginnt ein Zivilisationsbruch für den Naturschutz in Deutschland und Berlin. Die konservativen Naturschützer schalten sich gleich. Viele nutzen die neuen Karrierechancen und beteiligen sich an Ausschluss und Verfolgung jüdischer Naturschützer.  So wird der Jurist Dr. Benno Wolf, Verfasser der wichtigsten preußischen Naturschutzgesetze in den 20ern, 1933 aus seiner Stellung gedrängt, seine wertvolle höhlenkundliche Bibliothek von der SS zu Rüstungszwecken beschlagnahmt. 1942 von der Gestapo verhaftet und nach Theresienstadt deportiert, stirbt er wenige Monate später. Viele Mittäter sind nach 1945 weiter im Amt, betreiben gezielt Erinnerungspolitik, streichen Wolf und andere aus der Geschichte. Die Aufarbeitung hat erst begonnen.

Im Januar 1946 stirbt Prof. Dr. Max Hilzheimer an den Folgen seines dritten schweren Schlaganfalls. Hilzheimer, seit 1935 staatenlos, ab 1936 aus allen Ämtern und Ehrenämtern verdrängt, hatte den Nazi-Terror in Berlin nur knapp überlebt.  Im Juli 1942 wird Dr. Benno Wolf, 71 Jahre alt, von der Gestapo verhaftet und mit dem 17. Alterstransport aus Berlin nach Theresienstadt deportiert. Er stirbt dort nach wenigen Monaten im Januar 1943 infolge der unmenschlichen Haftbedingungen.

Wer waren Max Hilzheimer und Benno Wolf?

Die Umsetzung des Arierparagraphen im Naturschutz

Die Jahre ab 1933 bedeuten einen deutlichen, lange ideologisch vorbereiteten Zivilisationsbruch für den Naturschutz in Deutschland und in der Hauptstadt Berlin. Die konservativen Naturschützer schalten sich gleich. Ein großer Teil unserer Kollegen und Vereins„kameraden“, völkisch und nationalsozialistisch orientiert, nutzt die neuen Karrierechancen und beteiligt sich aktiv an Ausschluss und Verfolgung jüdischer Naturschützer. Mit der Begründung, „Judentum und deutsche Natur“ seien „unvereinbare Begriffe“, verdrängen sie reichsweit jüdische Naturschützer aus Beruf und Ehrenamt.

In Berlin ist es Walther Schoenichen, der schon 1926 einen „rassehygienischen Niedergang“ fürchtet und 1933 die ersten antisemitisch begründeten staatlichen Maßnahmen gegen jüdische Verwaltungskollegen als „grundsätzliche Reinigung des Volkes" begrüßt. Er ist zu der Zeit als Leiter der staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege oberster Naturschutzbehördenvertreter in Preußen, ab dem Erlass des Reichsnaturschutzgesetzes 1935 in ganz Deutschland. Sein Nachfolger wird ab 1938 Hans Klose, der noch 1957 die Zeit von 1935 bis 1939 als die „hohe Zeit des deutschen Naturschutzes“ preist.

Ähnlich sieht es im ehrenamtlichen Naturschutz aus. Die „echte Führernatur“ Lina Haehnle gründet und leitet seit 1899 den großen und populären Bund für Vogelschutz (heute NABU). Sie sieht 1933 in der „Gleichschaltung“ große Chancen für dessen Stärkung. Nach einem „sieghaften Heil“ auf „unseren Volkskanzler“ führt sie ab 1934 reichsweit den Arierparagraphen ein und zwangsfusioniert alle Vogelschutzvereine unter dem Dach des nun deutlich vergrößerten Reichsbundes für Vogelschutz. In Berlin wird sie unterstützt von Dr. Victor Wendland, der von 1934 bis 1944 die Berliner Ortsgruppe ehrenamtlich leitet. Hauptberuflich ist Wendland seit 1924 Beamter, zunächst im Reichswehrministerium, dann im Reichskriegsministerium und schließlich im Oberkommando der Wehrmacht (Dienstgrad 1944: Ministerialrat). Als Fachmann für slawische Sprachen ist er auch bei der Vorbereitung und Durchführung des verbrecherischen Angriffskrieges im Osten aktiv. Unter seiner Ägide wird in Berlin der Arierparagraph ohne bekannt gewordene Gegenwehr umgesetzt. Sein Vorgänger Hermann Helfer, Leiter der Ortsgruppe bis 1933, hält zwar 1934 den im Briefkopf geplanten fetten Aufdruck „Juden werden nicht aufgenommen“ für vereinsschädigend, bittet aber darum, dies nicht als „Judenfreundlichkeit“ auszulegen.

Auch der Volksbund Naturschutz e.V., Berlins prominentester Naturschutzverein, zieht mit. Dieser wurde 1922 in Berlin mit dem Ziel gegründet, dem staatlichen Naturschutz eine populäre Organisation zur Seite zu stellen. Nahezu alle berühmten Berliner Naturschützer sind Mitglied dieses Vereins, eine Tradition, die nach dem krieg in West-Berlin bruchlos und ohne Reflexion fortgesetzt wurde. Hans Klose, Gründer und Vorsitzender bis 1945, beantragt 1936 die Einführung des Arierparagraphen, vornehmer, aber ebenso wirksam formuliert. Der Verein wird in „Arbeitsgemeinschaft märkischer Naturschutz (Volksbund Naturschutz e.V.)“ umbenannt, fortan dürfen Mitglieder „nur Männer und Frauen sein, die den Voraussetzungen der Reichsbürgerschaft genügen“. Juden war diese 1935 genommen worden.

Jüdische Naturschützer aus der Geschichte gestrichen

Wie viele jüdische Opfer diese nationalsozialistische Naturschutzpolitik gekostet hat, ist bis heute unveröffentlicht. Naturschutzbehörden, Naturschutzvereine und Naturschutzstiftungen haben es in der Vergangenheit nicht als ihre Aufgabe angesehen, danach zu forschen und jüdische Opfer zu rehabilitieren. Die Täter im Naturschutz waren zunächst damit beschäftigt, sich gegenseitig mit „Persilscheinen“ auszuhelfen, im übrigen haben sie ihre eigene Mitwirkung an den Verbrechen verharmlost und, wo immer möglich, verschwiegen. Viele Nachlässe, belastende Akten und andere Beweisstücke, soweit nicht bereits 1945 gezielt vernichtet oder durch Kriegseinwirkung zerstört, „gingen verloren“ oder werden bis heute unzugänglich gehalten. Wir nicht-jüdischen Nachfolger haben nie hinreichend nachgefragt, die Entschuldungslegenden hingenommen, die Verharmlosung der Mitwirkung an den Verbrechen, von wenigen alibiwirksamen Ausnahmen abgesehen, akzeptiert. Die verlogenen Argumente der Angeklagten in Kriegsverbrecherprozessen sind bis heute diskursbildend. Die Logik der „Persilscheine“ wirkt fort, wer die Verbindung zu Verbrechen beim Namen nennt, gilt als „provokant“, begeht „Charaktermord“, einschlägige nationalsozialistische Äußerungen werden als „Verbrämung“ verharmlost. Der völkisch-antisemitisch orientierte Täterblick unserer Vorgänger beherrscht die Bewertung der Naturschutzgeschichte auch für uns Demokraten bis heute ungebrochen.

Folgerichtig werden die verfolgten jüdischen Naturschützer aus der Naturschutzgeschichte gestrichen. Jüdische Naturschützer, die in ihrer Tätigkeit in staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen und Einrichtungen regelmäßig von nicht-jüdischen Naturschützern diskriminiert, aus ihren Naturschutz-Vereinen ausgeschlossen, ihrer Ehrenämter beraubt, mit Berufsverboten belegt, aus Büros oder staatlichen Stellen entlassen, zudem der Staatsbürgerschaft beraubt, vertrieben und ermordet wurden, „vergessen“ wir aktiv bis heute. Noch heute, mehr als 60 Jahre später, ist ein erheblicher „Widerstand zu überwinden, genau hinzuschauen und die Fakten selbst zur Kenntnis zu nehmen, ohne im gleichen Atemzug diesem 'genauen Blick' eine Denunziation“ deutscher Naturschutzgeschichte vorzuwerfen.

Der erste Versuch zu einer Erinnerung und zu einer Rehabilitierung der Opfer war neben der Ausstellung „100 Jahre Naturschutz in Brandenburg“ im Haus der Natur in Potsdam der Workshop „Naturschutz und Demokratie“ im November 2004 auf dem Drachenfels in Königswinter in den Räumen der Stiftung Naturschutzgeschichte. Dort wurde erstmals auf einer offiziellen Naturschutzveranstaltung an Prof. Dr. Max Hilzheimer und Dr. Benno Wolf erinnert, die bisher einzigen bekannten prominenten Naturschützer, die von unseren Naturschutzvorfahren als Juden diskriminiert und den Mördern überlassen wurden.

Max Hilzheimer (1877-1946)

Prof. Dr. Max Hilzheimer, geboren am 15. November 1877 in Kehnert, gestorben am 10. Januar 1946 in Berlin, ist der erste behördliche Naturschützer Berlins. Am 23. März 1927 beschließt der Berliner Magistrat die Einrichtung einer „Berliner Stelle für Naturdenkmalpflege“, im Jahr darauf wird die „Berliner Kommission für Naturdenkmalpflege“ aus Vertretern der städtischen Körperschaften und der am Naturschutz interessierten Organisationen gebildet. Die Geschäftsführung übernimmt der erste Berliner Naturschutzkommissar, gleichzeitig Direktor der naturwissenschaftlichen Abteilung des Märkischen Museums, Prof. Dr. Max Hilzheimer.

Hilzheimer arbeitet in dieser Doppelfunktion - ab der zweiten Jahreshälfte 1935 als Provinzialbeauftragter für Naturschutz und Direktor der Kommission umbenannt - bis zum Januar 1936. Zu seinem Arbeitsgebiet gehören neben den Flächen der 1920 geschaffenen Gemeinde Groß-Berlin auch die im Regierungsbezirk Potsdam gelegenen Güter und Forsten Berlins. Unter seiner Leitung werden 1932 in den Berliner Bezirken Auskunftsstellen für den Naturschutz errichtet.

Zeitgleich arbeitet Max Hilzheimer gemeinsam mit Hans Klose als Schriftleiter für die Zeitschrift „Naturdenkmalpflege und Naturschutz in Berlin und Brandenburg, Mitteilungen, herausgegeben von der Brandenburgischen Provinzialkommission (neue Folge) und der Berliner Städtischen Kommission für Naturdenkmalpflege, Nachrichten des Volksbundes Naturschutz e.V.“ Das erste Heft erscheint im Juli 1929 als Fortsetzung der „Mitteilungen“ der Brandenburgischen Provinzialkommission, deren ersten sieben Hefte zwischen 1908 und 1914 erschienen. Ein achtes Heft erschien 1921, „dann verhinderte die Geldentwertung die Fortsetzung des Unternehmens“. Die gemeinsame Tätigkeit von Hilzheimer und Klose dauert an bis zum Heft 27 im Januar 1936, in welchem noch beide Namen im Impressum erscheinen.

Parallel dazu ist Hilzheimer über den gleichen Zeitraum hinweg ständiges Mitglied der „Brandenburgischen Provinzialkommission für Naturdenkmalpflege“. Im Gegenzug sitzt Klose in der Berliner Kommission. Diese Einrichtung soll eine gute Abstimmung zwischen Berlin und Brandenburg sicherstellen.

Hilzheimer ist außerdem in der Bundesleitung des Volksbund Naturschutz e.V. bis zum Januar 1936 aktiv. Diese bestand aus wissenschaftlichem Beirat und Verwaltungsrat und berief den Vorstand. (Mitglied dort war auch der „Kriegs-unabkömmliche“ Kurt Hueck, der 1940 im Zusammenhang mit dem Generalplan Ost als „Kenner der Landschaft“ (Klose) Material für die Durchführung des Natur- und Landschaftsschutzes in den gesamten Ostgebieten beschaffen soll.)

Als erster Berliner Naturschutzkommissar bewältigt Max Hilzheimer eine Fülle von Aufgaben. Er leitet die Sitzungen der städtischen Stelle für Naturschutz und erarbeitet Schutzgebietsverordnungen und Anträge für

  • die Naturschutzgebiete Stölpchensee und Pohlsee, Schildhorn, Tegeler Fließ, Kameslandschaft und Ruhlebener See, Spandauer Forst, Teile des Grunewalds und Pfaueninsel,
  • die Landschaftsschutzgebiete Pichelswerder und Krummes Fenn,
  • die Vogelschutzgebiete Rudow und Insel Imchen,
  • Naturdenkmale in Zehlendorf und Spandau,
  • Schutzmaßnahmen für die Grunewaldmoore und das Havelufer.

Darüber hinaus ist er mit Baumschutzangelegenheiten in allen Bezirken beschäftigt.

Max Hilzheimer hatte breite Kontakte zur gesamten Berliner und Brandenburger Naturschutzprominenz. Wilhelm Wetekamp, Hans Klose, Hans Hedicke, Benno Wolf, Walther Schoenichen, Hermann Helfer, Erwin Barth, Margot Büttner, Victor Wendland und viele andere arbeiten gemeinsam mit ihm in Amt, Kommission und Verein. Seine Arbeit wird positiv bewertet, Klose bestätigt die vorbildliche Zusammenarbeit, sein späterer Nachfolger Hedicke tituliert ihn als „rührigen Naturschutzkommissar“.

Prof. Dr. Max Hilzheimer werden wegen seiner jüdischen Herkunft seine Staatsbürgerschaft, sein Arbeitsplatz, alle seine Ämter und seine Ehrenämter genommen. Er überlebt den Terror ebenso wie die Missachtung durch seine Kollegen und Vereinskameraden nur knapp, weil seine Ehefrau Walburga, als arisch eingestuft, über Jahre hin mutig für ihn kämpft. Hilzheimer erleidet ab 1936 drei schwere Schlaganfälle und wohnt unter schikanösen Behinderungen und Einschränkungen bis zu seinem Tod 1946 in Charlottenburg, Osnabrücker Straße 16.

Benno Wolf (1871-1943)

Der Jurist Dr. Benno Wolf, geboren 1871, seit 1912 Landgerichtsrat am Landgericht Berlin-Charlottenburg, Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Säugetierkunde, verfasst maßgeblich die für den Naturschutz entscheidende Änderung des preußischen Feld- und Forstordnungsgesetzes, den § 34, auch „Kleines Naturschutzgesetz vom 8.Juli 1920“ genannt. Er gibt das Grundlagenwerk „Das Recht der Naturdenkmalpflege in Preußen“ (Berlin 1920) heraus, das Pflanzenschutzgesetz von 1929 erarbeitet er ebenfalls federführend mit. Dr. Wolf ist Mitglied der Brandenburgischen Kommission für Naturdenkmalpflege und als Jurist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Staatlichen Stelle für Naturschutz in Preußen. Hier arbeitet er bis 1933. Er kommt - als Jude diskriminiert - seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten mit einem freiwilligen Abschiedsgesuch zuvor.

Dr. Benno Wolf war außerdem ein weltberühmter Höhlenforscher, er besaß eine wertvolle und umfangreiche private höhlenkundliche Bibliothek. Diese kostete ihn später sein Leben. Für die Untertageverlagerung der Rüstungsproduktion war die NS-Regierung an seinen Unterlagen sehr interessiert. Dr. Wolf wurde deportiert, seine umfangreiche private Höhlenbibliothek wurde vom SS-Ahnenerbe beschlagnahmt und zu Rüstungszwecken ausgewertet.

Agenten des Vergessens

Prof. Dr. Max Hilzheimer und Dr. Benno Wolf wurden vom Naturschutz bundesweit, besonders aber in Berlin, aktiv vergessen. Das Vergessen reicht so weit, dass moderne Autoren zwar den § 34 des Feld- und Forstordnungsgesetzes in Preußen als Meilenstein des Naturschutzes rühmen, Wolf aber nicht erwähnen. Das Land Berlin hat mit Hilzheimer auch „vergessen“, dass der Naturschutz in der Stadt als eigenständige Organisation nicht erst 1955, sondern bereits im Jahre 1927 beginnt. Man hinterließ uns Nachfolgern Entschuldungslegenden und produzierte Erinnerungs-„Lücken“ - und sorgte so dafür, dass auch wir den Geschichtsentwürfen der Nazi-Generation bis heute nichts entgegensetzen.

Agenten dieses Vergessens sind genau jene Naturschutzprominenten, die bereits mit Hilzheimer und Wolf zusammengearbeitet haben. Für sie bleibt ihre aktive Mitwirkung an nationalsozialistischer Politik nahezu folgenlos. Hans Klose setzt sich in den Westen ab und macht auch in der Bundesrepublik Karriere, ist von 1945 bis 1952 Leiter der Zentralstelle für Naturschutz und Landschaftspflege, nimmt an der ersten Sitzung der „Landesstelle für Naturschutz und Landespflege“ 1955 in Berlin teil und ist von 1954 bis 1958 erneut Vorsitzender des Volksbund Naturschutz e.V. Von da ab bis zu seinem Tod 1962 ist er verantwortlich für die „Berliner Naturschutzblätter“, Nachfolgeorgan genau der Mitteilungen, die er schon bis 1936 gemeinsam mit Hilzheimer, anschließend gemeinsam mit dessen Nachfolger Hedicke herausgab.

Hermann Helfer, in dessen Druck die „Mitteilungen“ erschienen, ist von 1950 bis 1954 Kloses Vorgänger als Vorsitzender des Volksbundes. Vorher, von 1945 bis 1949, kämpft er vergeblich gegen das Verbot des Volksbundes als nationalsozialistische Organisation an, das die Alliierten verfügt hatten. Es gelingt den Naturschützern über die vollen vier Jahre bis zur Gründung der BRD und der DDR nicht, die Satzung entgegen den Anforderungen der Alliierten so zweideutig zu verfassen, dass die Aufnahme von Nationalsozialisten möglich bleibt. Dies aber war dringend nötig, wenn man seine alten Kameraden wieder im Verein versammeln wollte. In einer Liste, die der Beantragung des Arierparagraphen im Jahr 1936 beiliegt, bringen es die 30 aufgeführten prominenten Personen auf immerhin 42 Mitgliedschaften in NS-Organisationen, von der NSDAP über den Förderkreis der SS bis zur Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, einer seit 1933 als Organisation innerhalb der NSDAP anerkannten Vereinigung. Dieser hohe Organisationsgrad der Naturschützer in NS-Organisationen war offenbar kein Einzelfall, wie neuere Forschungen belegen. Erst 1950 kann ein Entwurf verfasst werden, der, aufgrund neuer Gesetze zweideutig genug formuliert, allen Nazis wieder Platz im Verein schafft.

„Wendland-Ehrenring“ soll demokratische Naturschützer ehren

Victor Wendland, wie Hilzheimer Mitglied des Volksbundes seit 1924, ist Redakteur der „Naturschutzblätter“ seit 1959 und übernimmt die Schriftleitung nach dem Tode Kloses (1962) im Jahre 1963. Ihm gelingt es, seine Tätigkeit im Oberkommando der Wehrmacht als Mitarbeit in „einem Ministerium“ zu tarnen, seine Tätigkeit bei der Umsetzung des Arierparagraphen im Reichsbund für Vogelschutz vergessen zu lassen. Sein langes Leben und das Schweigen oder Sterben seiner alten Kameraden, verbunden mit seiner langen Nachkriegsaktivität im Naturschutz, bescheren ihm schließlich das Glück, noch zu Lebzeiten mit einem „Ehrenring“ in den Himmel des Berliner Naturschutzadels erhoben zu werden. Der „Dr.-Victor-Wendland-Ehrenring“ wird noch heute jährlich verliehen - die höchste Berliner Naturschutzauszeichnung soll demokratische Naturschützer durch den Namen Wendlands ehren.

Margot Büttner, seit der Gründung des Volksbundes 1922 Schriftführerin des Vereins, von 1926 bis 1945 Mitarbeiterin Kloses in der Provinzialkommission und der Reichsstelle für Naturschutz, bleibt dem Verein bis 1977 treu. Mit ihrem Tod 1987 verschwinden auch alle Unterlagen des Volksbundes, Akten, Protokolle, Schriftwechsel etc., die sie bis dahin in ihrem Altersdomizil lagerte.

Alle die oben aufgeführten Personen betreiben nach 1945 gezielt Erinnerungspolitik im Naturschutz und sorgen so dafür, dass Hilzheimer und Wolf aus der Geschichte des Naturschutzes gestrichen werden. Dabei gehen sie geschickt genug vor, sie nicht vollständig unerwähnt zu lassen. Sie räumen ihnen aber nie den Platz ein, der ihnen gebührt, loben ihr eigenes Wirken und das ihrer NS-Genossen über Gebühr und finden zu keiner Zeit öffentliche Worte einer kritischen Einschätzung des eigenen Verhaltens. Im Gegenteil rühmt sich Klose 1959: „Wenn in Zukunft, etwa anno 1980, ein tiefschürfender Forscher der Frage nachgehen möchte, wie im Grunde dieser Volksbund seiner Zeit entstand - nun, unsere Blätter erteilen dann die zuverlässigen Auskünfte.“ Diese Erarbeitung „zuverlässiger Auskünfte“ setzen Wendland und Büttner nach Kloses Tod in gleichem Sinne fort. Während zu runden Ehrentagen ehemaliger NS-Kameraden warmherzige Artikel über deren Bedeutung veröffentlicht werden, vergehen die Ehrentage Hilzheimers und Wolfs in aller Stille.

Bis heute wird überwiegend keine Notwendigkeit gesehen, einen demokratischen Naturschutz in einer demokratisch verfassten, zivilisierten Welt neu zu formulieren und deutlich abzusetzen von diesen völkisch-rassistischen Formen, die Kriegsverbrechen als Chance betrachten (z.B. Walther Schoenichen) und mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit direkt verknüpft sind (z.B. Kurt Hueck). Wir Naturschützer haben bis heute nicht zu einer angemessenen Bearbeitung der Ursachen der Mitwirkung unserer eigenen Vertreter an Diskriminierung, Vertreibung und Völkermord gefunden, unser Verhältnis zu Demokratie und Menschenrechten bleibt daher schmerzhaft ungeklärt.

„Zweite Schuld“ auch im Naturschutz

Für den Naturschutz gilt damit das, was Ralph Giordano die „zweite Schuld“ der Deutschen nennt: „Der große Frieden mit den Tätern und der Verlust der humanen Orientierung.“ Dies hat schwerwiegende und untragbare Folgen:

  • die Fortsetzung der Missachtung der jüdischen - und nichtjüdischen - Opfer und ihrer Leistungen,
  • die Entwürdigung der Opfer und ihrer Nachfahren bis heute,
  • die Tilgung der Erinnerung, der einzig möglichen Form weiteren „Überlebens“ der Opfer nach ihrem Tod,
  • die Störung und Verfälschung des Geschichtsbewusstseins in den Nachfolgegenerationen der Täter und Mitläufer,
  • ein gestörtes Verhältnis zu Zivilisation, Demokratie und Menschenrechten.

Das könnten wir ändern. Die Grünen-Fraktion der Berliner Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf hat im Oktober 2004 beantragt zu prüfen, ob eine Gedenktafel vor Hilzheimers Haus in der Osnabrücker Straße 16 errichtet werden kann. Sie hofft auf eine finanzielle Unterstützung durch die Stiftung Naturschutz Berlin. Für Dr. Benno Wolf wird auf private Initiative hin vor seinem Wohnort in der Hornstraße 6 in Berlin-Kreuzberg ein „Stolperstein“ im Pflaster verlegt. Der Sachverständigenrat beim Berliner Naturschutzbeauftragten will im Februar 2005 darüber diskutieren, ob das Jahr 2007 zum ersten Mal für eine Ehrung Hilzheimers genutzt werden soll. Es wäre gut, wenn dies der Beginn einer neuen Geschichtsschreibung würde.

Editorische Anmerkungen

Der  Text erschien am - 12.01.2005 bei Indiymedia und als Kurzfassung im "Rabe Ralf" Zeitschrift der Grünen Liga, Februar/März 2005. Er ist eine Spiegelung von http://de.indymedia.org/2005/01/103804.shtml

Der Autor ist Landschaftsarchitekt und Leiter des Fachbereichs Untere Naturschutzbehörde im Natur- und Umweltamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin.