Zum Jahresanfang haut der Kanzler aufs Blech: Airbus, Forschungssonde Huygens, Telekom: Was der deutsche Imperialismus alles kann 03/05

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Es ist ja gar nicht so, dass die demokratisch gewählte Regierung des neuen größeren Deutschland sich nur um die stromlinienförmige Verwaltung der aktuellen gesamtdeutschen Armut kümmern würde. Schließlich hat sie sich die "Agenda 2010", "Hartz IV" und das Sparen an Kranken und Alten ja nicht einfach so zum Spaß ausgedacht. Sie will damit erklärtermaßen das Ihre dazu beitragen, dass der Kapitalstandort Deutschland durchschlagkräftiger wird und die Staatskasse für die fälligen Opfer der Konkurrenz weniger herausrücken muss. Dieses deutsche Jahrhundert-Reformwerk dient der Mehrung kapitalistischen Reichtums auf und von deutschem Boden aus und der Stärkung des politischen Vermögens des bundesdeutschen Staatswesens gegen alle anderen Nationen, die dasselbe wollen. Und dass dieses Vorhaben unter der Führung von Schröder wichtige Fortschritte zeitigt, das will der die Welt und seine heimische Mannschaft zu Jahresbeginn wissen lassen: Demonstrativ stellt der Kanzler klar, dass Deutschland in und mit seinem Europa auf der Erfolgsspur ist. Diese europäische Führungsmacht kann schon vieles und will noch mehr. In Sachen Erfolg lässt Deutschland sich so leicht von niemandem übertreffen und schon gar nicht aufhalten. Und wie der Typ aus der bekannten Sparkassenwerbung, der zum Beweis seines Konkurrenzerfolges die Fotos von Auto, Haus und Pferdepflegerin auf den Tisch knallt, so lässt es auch der Kanzler zum Jahresanfang richtig krachen:

  • Der dickste Airbus aller Zeiten hat sein "Rollout", wird fast zwei Wochen lang als das finale Überholmanöver "europäischen Ingenieurgeistes" gegenüber Boeing gefeiert und in gemeinsamen Feierstunden von Politik und Kapital zur besten Sendezeit als Durchbruch in die Zukunft der Flugzeugindustrie angekündigt. Da müssen sich die US-amerikanischen Luftfahrzeugbauer in Zukunft warm anziehen, wenn sie sich den Spitzenplatz zurückerobern wollen, zu dem die europäische Flugzeugindustrie sich mit milliardenschweren Subventionen ihrer politischen Betreuer in den Regierungen der EU emporgearbeitet hat.

  • Ähnliches wird auch anlässlich der Landung der Forschungssonde "Huygens" auf einem Saturnmond vermittelt: Europa lässt sich von dem Vorsprung des amerikanischen Weltmarktführers in Sachen Weltraumforschung nicht entmutigen, hat die Verfolgung aufgenommen und beweist, dass das Sonnensystem nicht den Amis allein gehört. Und mit seinem "Galileo" will das "alte Europa" sich ein angeblich sowieso viel besseres GPS-System zulegen.

  • In Sachen Tsunami und der Flutkatastrophe in Asien sind "wir Deutschen" laut goldenem Kanzlerwort angeblich erst einmal total uneigennützig und deswegen selbstverständlich die klaren Hilfeweltmeister, wenn man einmal von dem unpassend übertriebenen Ehrgeiz der Australier absieht. Dem flutgeschädigten Asien droht der Kanzler an, dass es von Deutschland mit "nachhaltiger" Hilfe überflutet werden wird. Für die korrekte und deutsch-gründliche Organisation dieser Hilfeleistungen wird sich die Bundesregierung sachzwangsläufig natürlich in Zukunft auch vor Ort ein bisschen einmischen müssen. Der Region und auch gleich noch dem Rest der Welt verspricht Deutschland aus Kanzlermund, in Zukunft mit deutscher Warntechnik die Monsterwellen fest in den Griff zu kriegen! Nicht zuletzt deshalb, weil sich mit Hilfe dieser feinen Technologie zusätzlich noch diverse für die Nachrichtendienste nützlichen Erkenntnisse aller Art gewinnen lassen, darf man dieses Geschäftsfeld auf keinen Fall den Amerikanern überlassen.

  • Und damit nicht genug: Im selben Geist stellt der Kanzler zur Zehnjahresfeier der Telekom-Privatisierung die Firma als weltmarkttüchtigen "Global-Player" aus deutschem Hause vor, der es versteht, nicht nur seinen Beschäftigten, sondern auch den konkurrierenden "Marktteilnehmern" weltweit die Hölle heiß zu machen. Das wird sicherlich auch die damals mit massiven Versprechungen gekeilten "Volksaktionäre" begeistert haben, die für den Erfolg des ehemaligen Staatsunternehmens ihre Ersparnisse verpulvert haben.

  • Und als dann auch noch die berüchtigte LKW-Maut, die vor Jahresfrist noch als Blamage für den deutschen Hochtechnologiesektor gehandelt wurde, ein paar Tage lang funktioniert hatte, kündigt Schröder das System schon als "Exportschlager" an, das "uns" - gemeint sind hier Daimler-Chrysler und die Telekom - die europäischen Nachbarstaaten bald aus den Händen reißen werden.

Das alles soll dem von persönlichen Erfolgen nicht gerade verwöhnten Volk von Hartz IV-Kunden, lohngekürzten "Opelanern" und sonstigen Patienten gute Laune machen und erfüllt insofern den Tatbestand der nationalen Stimmungsmache. Dass die jedoch verfängt bei lauter Leuten, deren eigene materielle Interessen für eben diese nationale Erfolgsstory unter die Räder kommen, ist freilich nicht so selbstverständlich. Warum ist sich ein sozialdemokratischer deutscher Kanzler bei den einheimischen Adressaten seiner politischen Angeberei eigentlich so sicher, dass die sich über deutsche Erfolge freuen, als wären es ihre eigenen? Was wäre denn wohl los, wenn die deutschen Arbeitsmannen und Arbeitslosen sich einmal überlegen würden, dass sie für die famosen, weltweit erfolgreichen deutschen Produkte als billige Verfügungsmasse einkalkuliert sind, dass also der nationale Erfolg bloß darüber zustande kommt, dass bei ihnen niemals ein persönlicher Erfolg ankommt? - Und was erst, wenn sie daraus auch noch einen Schluss ziehen würden: dass nämlich ihr persönliches Fortkommen im Gegensatz steht zu dem "ihrer" Nation, dass man sich für letzteren also besser nicht mehr hergibt?

Die ganze Angeberei des Kanzlers zum Jahresbeginn wendet sich aber nicht nur an die Nation nach innen, sondern auch nach außen und dabei wird die Protzerei zur Drohgebärde: Präsentiert sich doch hier mit viel Selbstgewissheit die geballte imperialistische Konkurrenzmacht "der Deutschen" im Weltmaßstab. Da lobt sich Deutschland als führender Weltkapitalstandort und führt vor, was es - gegen alle anderen Nationen - alles vermag und dass es, genau deswegen, auch in Zukunft viel und noch mehr dürfen muss. Denn: Was die deutsch-europäische "Führungsmacht" kann - oder zu können behauptet - soll die Grundlage sein für seine Ansprüche auf und gegen den Rest der Welt.

Die öffentlichen Beobachter all dessen, die die Botschaften des Kanzlers von Berufs wegen "transportieren", geben sich manchmal ein wenig amüsiert, wenn der ihrer Ansicht nach einmal recht dick aufträgt und der "Versuchung unterliegt, aufzuschneiden" so die "Süddeutsche Zeitung" vom 29./30.Januar. Wenn aber die konstatierte Angeberei durch den mehrfachen Gewinn kapitalistischer Exportweltmeisterschaften beglaubigt wird und derart mit den eigenen Wunschvorstellungen über den deutschen Erfolgsweg zusammenfällt, dann können demokratisch-patriotische Journalisten ihrem Kanzler auch die Anerkennung nicht versagen, wenn er wieder einmal auf die Pauke haut, wie neulich beim Weltkapitalistentreffen in Davos. "Vorteil Schröder!" konstatiert die Süddeutsche, als hätte sie ein interessantes Tennismatch zu kommentieren. Und das ausgerechnet bei der Gelegenheit, als Schröder dort mit den Opfern prahlte, die er seinem Volk zur Erringung deutscher Erfolge abgenötigt hat: Erst hat er es dazu gebracht, den kapitalistischen Anschluss Ostdeutschlands zu finanzieren, - "kein anderes Land muss das schaffen, kein anderes Land kann das schaffen" - und dann hat er diesem gutwilligen Volkskörper sogar noch "das beste Gesundheitssystem und den besten Niedriglohnsektor der Welt" aus den Rippen geschnitten! Wer dem Kanzler für sein Auftrumpfen applaudiert, wie Nikolaus Piper von der "Süddeutschen", der teilt offenbar Linie und Zweck von Schröders weltpolitischer Anspruchshaltung. Wenn Piper aber andererseits vor "Aufschneiderei" warnt, dann will er anmahnen, dass das nationale Fundament für Schröders weltpolitische Ansprüche noch stark verbesserungsbedürftig ist. In den Augen des Wirtschaftsfachmanns von der SZ ist die Durchsetzung von noch mehr Bescheidenheit beim Volk, etwa beim Gesundheitssystem oder eben in Fragen des Niedriglohns, noch längst nicht weit genug voran gekommen, als dass der deutsche Kanzler sich derart in die Brust werfen dürfte.

Mit diesem Vorwurf liegt der SZ-Experte gleich in zweierlei Hinsicht daneben: 1. gehört zu einer so anspruchsvollen Macht wie Deutschland auch eine angemessene Repräsentation durch ihren obersten Macher. Und 2. kündigt Schröder bei allen Gelegenheiten an, dass er bei der Fortsetzung und Erweiterung seiner Reformen nichts anbrennen lassen wird.

Editorische Anmerkungen

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Ausgabe 07-05 vom 26. Feb. 2005
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