Ein ökonomisches Modell, das den Frauen dient

von Kjersti Ericsson
03/05

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Es ist erst der Kommunismus, der die ökonomischen Bedingungen für die Frauenbefreiung vollständig verwirklicht. Die Frauen sind daher an einer ökonomischen Entwicklung interessiert, die den Kommunismus näher bringt. Aber sie können sich nicht hinsetzen und darauf warten, dass die allgemeine Gesellschaftsentwicklung die Frauenfrage «lösen» wird. Sie müssen dafür kämpfen, ihre Interessen im ökonomischen Plan berücksichtigt zu bekommen. Im Großen und Ganzen wird es so sein, dass der Kampf für eine ökonomische Entwicklung, die die Frauenbefreiung fördert auch dem Kampf dienen wird, den Kommunismus näher zu bringen.

In der sozialistischen Übergangsperiode müssen die Frauen daher daran festhalten, dass das endgültige, das strategische Ziel der Kommunismus ist. Gleichzeitig gibt es keine Automatik in dem, was die Frauen in den verschiedenartigen Stadien erreichen können, bevor das Ziel erreicht ist. Eine sozialistische Gesellschaft kann mehr oder minder frauenfreundlich sein. Auch im Sozialismus müssen die Frauen vermutlich «taktische» Forderungen oder «Tagesforderungen» zusätzlich zum strategischen Ziel haben.


«Schwestern, Genossinnen!»

Dieses Buch «hat für viele Frauen sowohl in Norwegen als auch anderswo auf der Welt sehr viel bedeutet», heißt es im Vorwort zur 2. norwegischen Auflage. Es wurde bereits ins Englische und Spanische übersetzt.Nun liegt jetzt das Manuskript der Übersetzung ins Deutsche vor. Wir haben daraus einen Abschnitt gespiegelt.

Wie soll nun ein ökonomische Modell aussehen, das die Frauen sowohl dem strategischen Ziel näherbringt, als auch in höchstmöglichem Grad ihre Interessen unterwegs berücksichtigt?

Einer der bisherigen großen Fortschritte für die Frauen im Sozialismus ist gewesen, dass er sie in hohem Ausmaß in die gesellschaftliche Produktion reingezogen hat. Die Grundlage dafür ist eine sehr arbeitsintensive Planwirtschaft gewesen - ein planmäßiger Ausbau des Landes durch den Einsatz immer größerer Ressourcen. Dies wird oft als Entwicklung der Ökonomie nach der extensiven Methode bezeichnet. Das ökonomische Wunder der Stalin-Ära ist wohl das herausragendste Beispiel. Wie wir gesehen haben, hat die Medaille nun absolut eine zweite Seite, nicht am wenigsten für die Frauen: es sind keine Ressourcen für die Produktion notwendiger Verbrauchswaren und für den Ausbau von Diensten übrig geblieben, die die Frauen von der Hausarbeit freistellen konnten.

Der moderne Kapitalismus entwickelt sich mittlerweile viel mehr nach der intensiven Methode, durch ständige Erhöhung der Effektivität und technologische Entwicklung. Die Triebkräfte für diese Entwicklung sind im kapitalistischen System selbst eingebaut - u.a. in der Konkurrenz der Kapitalisten untereinander. Unter dem Kapitalismus führt dies allmählich dazu, dass große Teile der Arbeitsstärke überflüssig werden, es kommt zur Massenarbeitslosigkeit.

Was für eine ökonomische Entwicklung wird den Frauen dienen? Die Frauen benötigen Arbeitsplätze. Aber sie benötigen auch ein ökonomisches Modell, dass es ermöglicht, die Familie als ökonomische Einheit «abzubauen», d.h. dass es bewirkt, dass mehr und mehr von der unbezahlten Arbeit in der Familie gesellschaftlich organisert wird und /oder durch den Einsatz moderner Technologie beseitigt wird (Virginia Woolf träumte von «einer ökonomischen, kraftvollen und effektiven Zukunft, in der die Häuser mit einem schwachen Stoß warmen Windes gereinigt werden». Dass diese Zukunft nicht gekommen ist, liegt wohl nicht daran, dass die technischen Möglichkeiten fehlen.) Und sie benötigen ein ökonomisches Modell, das es ermöglicht, die Trennung zwischen Männer- und Frauenberufen aufzuheben. Diese beiden Sachen hängen eng zusammen. Die Familie trägt dazu bei, «Frauenberufe» am Leben zu erhalten und umgekehrt. Desweiteren benötigen sie ein ökonomisches Modell, das die Reduzierung der Arbeitszeit ermöglicht, damit die Frauen Freizeit, die Möglichkeit zu einer allseitigen Entwicklung und reelle Chancen zur Beteiligung an der Steuerung des Staates bekommen.

Ganzheitlich gesehen bedeutet dies, dass die Frauen Interesse an einer «intensiven» ökonomischen Entwicklung haben, wo fortgeschrittene Technologie eine hohe Arbeitsproduktivität sichert, sodass in geringer Zeit die materiellen Güter produziert werden, die wir benötigen. Im Sozialismus braucht eine solche Entwicklung nicht zu Arbeitslosigkeit führen, wie sie es im Kapitalismus tut. Die befreite Zeit kann in Form von kürzerer Arbeitszeit herausgenommen werden, und/oder durch die Überführung von Ressourcen und Arbeitskraft zu einem großen, öffentlichen Service-Sektor, der viel von der unbezahlten Arbeit in der Familie erstatten kann. Es gibt keine Garantie dafür, dass eine solche Wahl getroffen wird. Aber eine hochproduktive Ökonomie gibt größere Wahlfreiheit, und größere Möglichkeiten für die Frauen. Die kommunistische «Bedürfnisgesellschaft» ist darüberhinaus undenkbar, solange die Menschen viel Zeit darauf verwenden müssen, das zu produzieren, was sie zur Aufrechterhaltung des Lebens benötigen. Meine erste Forderung an ein ökonomisches Modell, das den Frauen dient, ist also eine hochtechnologische Ökonomie, eine Ökonomie mit hoher Arbeitsproduktivität. Eine solche Ökonomie dient den strategischen Interessen der Frauen, und macht es leichter für sie, ihre Forderungen «unterwegs» durchzubekommen. (Hier liegt ein wichtiges Problem, wobei ich in dieser Erörterung gewählt habe, es zu überspringen: Es hat sich für sozialistische Länder als schwierig erwiesen, jedenfalls für sozialistische Länder, die mit einer zurückliegenden Ökonomie gestartet sind, eine «intensive» ökonomische Entwicklung auf gleicher Linie mit der des Kapitalismus hinzubekommen. Der Sozialismus hat nicht die Konkurrenz zwischen den Einzelkapitalisten als Triebkraft der technologischen Entwicklung. Was hat der Sozialismus just auf diesem Gebiet an ihre Stelle zu setzen?)

Die Famile als ökonomische Einheit abzubauen, wird wie gesagt einen großen Service-Sektor erfordern, und viele Menschen in Fürsorgeberufen. Ich denke mir viele kleine, gemütliche Cafe´s und Restaurantes in Verbindung mit Arbeitsplätzen und Wohnungen, wo wir meist unsere Mahlzeiten einnehmen, anstelle sie zu Hause zuzubereiten. Da wird sowohl die Arbeit der Zubereitung als auch des Einkaufens gespart. Ich denke mir viele kleine, gut bemannte und befraute Tagesheime, Schulen, Freizeitheime, Aktivitätszentren für Leute aller Altersgruppen, Fürsorgewohnungen mit anständiger Betreuung und Service, Kulturzentren, Bibliotheken, Schwimmhallen usw. usf. Ein frauenfreundlicher Sozialismus wird einen großen, öffentlichen «Tertiär-Sektor» erfordern, der nicht ununterbrochen mit Kürzungen, Einschränkungen und Personalreduzierung angegriffen wird. Und die gewährten Dienste sollten gratis oder sehr billig sein.

Nach und nach, wie die Arbeitszeit runter geht, und die Organisierung der Gesellschaft sich verändert, ist es gut möglich, dass ein Teil des Bedarfes für diesen Sektor wegfallen wird. Heute gibt es scharfe Grenzen zwischen «Arbeit» und «Freizeit», zwischen «Schule» und «Spielen», zwischen der «Erwachsenenwelt» und der «Kinderwelt», zwischen «öffentlicher Sphäre» und «privater Sphäre». So wird es auch in der ersten Phase der sozialistischen Übergangsgesellschaft sein. Aber da es immer weniger Zeit bedarf, um die Lebensnotwendigkeiten zu produzieren, die die Gesellschaft benötigt, und die Menschen befreit werden, um ihre schöpferischen Fähigkeiten auf eine allseitige Weise zu entfalten, in Übereinstimmung mit eigenen Voraussetzungen und Bedürfnissen, wird der Begriff «Freizeit» seine Bedeutung verlieren. Vielleicht wird das Zusammensein mit Kindern, wo das Schaffen, Spielen und Lernen zu verschiedenen Seiten eines Prozesses wird, Teil des Lebens aller Erwachsenen werden, und die Schule als eigene Institution teilweise ersetzen. Viele andere Veränderungen werden geschehen, die wir uns heute schwer vorstellen können.

Aber ich bin ziemlich davon überzeugt, dass wir einen «Umweg» über einen großen, öffentlichen Service-Sektor gehen müssen, der das meiste der unbezahlten Arbeit übernimmt, die heute die Frauen ausführen. Solange diese unbezahlte Arbeit in der Familie bleibt, werden die Frauen als zweitrangige Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft festgehalten werden. Das bedeutet auch, dass unterdrückende Strukturen der alten Gesellschaft bewahrt werden. Meine zweite Forderung an ein ökonomisches Modell, dass den Frauen dient, ist also ein großer, öffentlicher Service-Sektor, der gratis oder sehr billig Dienste gewährt.

Aber die Kombination der ersten und der zweiten Forderung kann leicht ein noch schärfer nach Geschlecht geteilter Arbeitsmarkt werden. Die Frauen werden von den arbeitsintensiven Industriejobs wegrationalisiert, wo die Frauen in der Industrie jetzt konzentriert sind, die Technologie und die Männer rücken stattdessen ein. Ich sah einmal ein TV-Programm über die Freia Schokoladenfabrik, wo ein Repräsentant des Betriebes die Folgen der Einführung neuer Technologie erklärte: Freilich war es so, dass 10 Damen ihre langweiligen und inhaltslosen Jobs verlieren würden, aber stattdessen würde es interessante und bedeutungsvolle Jobs für «zwei Mann» geben. Es war schon kein Zufall, dass er sich so ausdrückte. Die Frauen gehen in all´ diejenigen neuen Jobs im öffentlichen Sektor rein, die niedrig bezahlte werden, weil sie Frauenjobs sind und außerdem einen großen Ausgabenposten für die Gesellschaft ausmachen. Der Versuch, die Familie als ökonomische Einheit von einer Seite her abzubauen, kann dazu kommen, den Bedarf an ihr von einer anderen Seite zu erhöhen: Die Repräsentanten von Niedriglohn-Sektoren und Hochlohn-Sektoren, d.h. Frauen und Männer, müssen ihre Ressourcen zusammenschließen.

Die langfristige Lösung dieses Problemes ist die Aufhebung des ganzen Systems der Lohnarbeit, und der Übergang zum Prinzip des Kommunismus von der Zuteilung nach Bedürfnis. Aber was machen wir in der Zwischenzeit? Wie sollen wir für das Niederbrechen der Trennlinie zwischen Frauenberufen und Männerberufen im Sozialismus kämpfen? Die Sonderstellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Familie als ökonomische Einheit sind gegenseitig dabei, sich einander aufrechtzuerhalten, und eine Linie für die Frauenbefreiung muss an beiden Punkten angreifen.

Meiner Meinung nach macht der Lohn den wichtigsten Unterschied zwischen Frauen- und Männerberufen aus. Welche Konsequenzen bekommt das für den Frauenkampf im Sozialismus? Unser Ziel ist ja die Aufhebung des Lohnsystems, nur das kann eine wirkliche Frauenbefreiung sichern. Vielleicht muss die Hauptlinie für den «Lohnkampf» der Frauen im Sozialismus sein, dass der Lohn immer weniger Bedeutung haben soll: Dass mehr und mehr von dem, was wir zum Leben und Wohlfühlen benötigen, gratis sein soll, sodass wir es nach Bedarf nutzen können: gratis Tagesheim, gratis Freizeitheim, gratis Wohnung, gratis Kollektivverkehrsmittel, gratis Cafe´-Speisung usw. usf. Das würde ein Typ Forderung sein, der in voller Übereinstimmung mit unserem strategischen Ziel wäre.

Gleichwohl wird das Lohnsystem existieren, wahrscheinlich ziemlich lange. Kann sein, dass dies bedeutet, dass die Frauenbewegung im Sozialismus auch eine «taktische» Forderung nach gleichem Lohn für Männer- und Frauenberufe haben muss. Solange «Männerberufe» und «Frauenberufe» existieren, werden die Leute nicht lediglich nach der Arbeit bezahlt, sie werden auch nach dem Geschlecht bezahlt: Das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern findet seinen Ausdruck in niedrigerer Bezahlung für Frauen. Vielleicht ist der gleiche Lohn für Männer- und Frauenberufe eine der demokratischen Forderungen, von denen wir verlangen müssen, dass der Sozialismus sie einlöst, bevor wir weitergehen zur Abschaffung des ganzen Lohnsystems?

Meine dritte Forderung an ein ökonomisches Modell, das den Frauen dient, ist daher eine bewusste Linie zum Niederbrechen der Grenze zwischen Frauenberufen und Männerberufen. Kurzfristig muss dies durch das Entfernen des Lohnunterschiedes, langfristig durch die Abschaffung des ganzen Lohnsystems geschehen.

Ich habe bereits erwähnt, dass die Frauen eine Ökonomie benötigen, die es möglich macht, die Arbeitszeit herabzusetzen. Dies ist einer der Gründe dafür, dass wir für technologische Entwicklung sein müssen, die die Arbeitsproduktivität erhöht. Aber wir müssen auch dafür kämpfen, dass erhöhte Produktivität zu verkürzter Arbeitszeit führt. Das ist keine Selbstverständlichkeit, auch nicht im Sozialismus. Wenn die Frauen heute, im Kapitalismus, an die Spitze des Kampfes für einen kürzeren Arbeitstag gehen, hat das mehrere Gründe: Ein kürzerer Arbeitstag wird es mehr Frauen ermöglichen, ganztags zu arbeiten. Ganztägig arbeiten gibt eine gestärkte Position im Arbeitsleben, und eine gestärkte Position in der Famile: Wenn sowohl die (Ehe-)Frau als auch der (Ehe-)Mann gleich lang jobben, haben die Frauen eine bessere Ausgangsposition, eine gleichere Verteilung der Hausarbeit durchzubekommen. Frauen, die ganztags arbeiten, erzielen auch größere ökonomische Unabhängigkeit vom Mann, als Frauen, die halbtags arbeiten. Ein kürzerer Arbeitstag gibt den Frauen außerdem mehr Freizeit, und größere Möglichkeiten zur gesellschaftlichen und politischen Beteiligung.

In der ersten Phase des Sozialismus kann es sein, dass alle diese Gründe weiterhin aktuell sein werden. Nach und nach, wie die unbezahlte Arbeit im Zuhause gesellschaftlich organisiert wird, werden freilich die jetzigen Hindernisse, die sich einer vollen Beteiligung von Frauen im Berufsleben entgegenstellen, entfallen. Und die Forderung nach «gleicher Verteilung der Hausarbeit» wird weniger aktuell werden. Aber dies wird ein Prozess sein, und nicht am wenigsten - ein Kampf! Was den letztgenannten Grund betrifft: einen kürzeren Arbeitstag, um größere Möglichkeiten zur gesellschaftlichen und politischen Beteiligung zu bekommen, so handelt dies im Sozialismus davon, dass die Frauen der Arbeiterklasse und der arbeitenden Bevölkerung nicht lediglich Produzentinnen sein sollen, sondern auch Herrscherinnen. Die Köchinnen und Dienstmädchen müssen den Staat steuern, sagte Lenin, aber das ist leichter gesagt als getan, wenn sie sowohl einen langen Arbeitstag als auch eine Haus- und Fürsorgearbeit haben, die Zuhause auf sie wartet. Sollen die Frauen ihre Rolle als Teil der herrschenden Klasse spielen, müssen sie materielle Möglichkeiten dazu haben. Und es handelt sich nicht am wenigsten um Zeit! Die Arbeitszeit zu senken (und die Hausarbeit als Bürde der Frauen zu entfernen), ist sowohl ein Glied zum Abbau der Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, als auch zwischen Steuernden und Gesteuerten. Die Frauen der Arbeiterklasse und der arbeitenden Bevölkerung sind die am meisten «Gesteuerten» von allen. Eine Ökonomie, die die Bedingungen dafür schafft, dass sie in der Praxis in immer größerem Grade «den Staat steuern», ist eine Ökonomie, die auch dem Kampf für den Kommunismus dient. Meine vierte Forderung an ein ökonomisches Modell, das den Frauen dient, ist daher eine Ökonomie, die die Arbeitszeit senkt.

Virginia Woolf träumte von einer Zukunft, in der die Häuser «mit einem schwachen Stoß warmen Windes» gereinigt werden. Ein schöner Frauentraum. Und ich glaube, die meisten von uns haben von praktischen kleinen Robotern und anderen technischen Wundern phantasiert, die die traurigsten Seiten der Hausarbeit übernehmen könnten. Aber es sind im Großen und Ganzen Frauen, die von solchem phantasieren. Und wir haben weder das Sachwissen noch die Macht, die benötigt wird, um die Träume in konkrete Projekte umzusetzen.

Im Sozialismus muss das anders werden! Der Sozialismus muss eine «Technologie des alltäglichen Lebens» entwicklen, die den Frauen dient. Heute - gehen Ingenieure und Techniker in den Betrieben rum, «stehlen» das Wissen der Arbeiter über die Produktion und legen es in die Maschinen rein, die die Arbeiter überflüssig machen. Aber für unser Wissen über die Hausarbeit gibt es niemanden, der sich die Mühe macht, es zu stehlen und in Maschinen reinzulegen, weil es nichts besonderes daran zu verdienen gibt.

Die «Technologie des alltäglichen Lebens» muss ein wichtiges Entwicklungsgebiet im Sozialismus sein. Da denke ich nicht lediglich an Haushaltsroboter usw., sondern an alle Arten von Produkten, die das Leben für die Frauen leichter machen. Dies erfordert, dass die Frauen die Technologie erobern, in die Forschung und Anwendungsentwicklung kommen, mit klaren Frauenproblemstellungen.

Einige werden sicherlich fragen: Geht es nicht darum, die Hausarbeit gesellschaftlich zu organisieren? Sollen wir mit der privaten Verantwortung sitzen, aber jede mit ihrem kleinen Heer von Robotern als Hilfe? Ja, es geht darum, die Hausarbeit gesellschaftlich zu organisieren. Aber ungeachtet dessen, ist es ein Vorteil, die Plackerei wegzuautomatisieren. Plackerei ist Plackerei, ob sie nun privat oder kollektiv ist. Es ist besser mit fließend Wasser als mit kollektiv organisierten Brunnen und Wassertragen. Wenn die Plackerei abgeschafft ist, geht es sicherlich an, es zu einem Teil des Hausmeisterjobs zu machen, auf den Knopf zu drücken, der den warmen, reinigenden Wind auslöst, so umgehen wir auch, daran zu denken! Meine fünfte Forderung an ein ökonomisches Modell, das den Frauen dient, ist also ein Modell, das großes Gewicht darauf legt, die «Technologie des alltäglichen Lebens» zu entwickeln.

Der Sozialismus wird die «Infrastruktur» des Kapitalismus übernehmen - die Bebauung, das Transportnetz, Straßen usw. In dieser «Infrastruktur» ist eine scharfe Trennung zwischen «privat» und «öffentlich» eingebaut. Arbeitsplätze, Theater, Sportarenen, Cafe´s sind scharf von den Wohnungen abgetrennt. Und Wohnungen, die sind Kernfamilienwohnungen, wo jede Einheit ihr eigenes, streng privates Revier hat.

Wie ich im Kapitel über die Hausarbeit schrieb, gibt dies den Ursprung für Vorstellungen von «ewigen» und «natürlichen» Grenzen zwischen Familie und Gesellschaft, Hausarbeit und Arbeit, Frau und Mann. Diese Grenzen sind daran beteiligt, die Frauen in die Rolle als zweitrangiger Gesellschaftsbürger und privater Diener in einer Kernfamilie zu fesseln.

Die Frauen sind daher daran interessiert, dass große Teile der «Infrastruktur» des Kapitalismus niedergebrochen werden, und eine neue aufgebaut wird: Eine Wohnungsmasse, die nicht signalisiert, dass die Kernfamilie die einzig mögliche Weise zu leben ist. Eine Planlösung in Dörfern und Stadtteilen, die das Private und das Öffentliche «mischt», und die es Menschen ermöglicht, sich gegenseitig in vielen verschiedenen Zusammenhängen zu begegnen, und gegenseitig in vielen verschiedenen Rollen kennenzulernen. Eine materielle Struktur, die das Zusammensein, Nähe und Fürsorge über Generations- und Familiengrenzen hinweg befördert.

Wie dies konkret gemacht werden soll, weiß ich nicht. Aber ist es nicht so, dass die neue technologische Entwicklung bald die großen Fabriken und die großen Schlafstädte, mit den langen Arbeitsanfahrtswegen zwischen ihnen, passee machen kann? Im Kapitalismus ist es wenig wahrscheinlich, dass dies zu etwas Gutem führen kann. Vielleicht riskieren wir eine Wiedergeburt der «Heimarbeit» - mit weiterer Isolation, Aufsplitterung und weniger Gemeinschaft zwischen den Menschen? Der Sozialismus bietet indessen andere Möglichkeiten an: Wir können kleine Gesellschaften erschaffen, wo wir sowohl wohnen als auch arbeiten, und eine Masse anderer Dinge gemeinschaftlich tun. Meine sechste Forderung an ein ökonomisches Modell, das den Frauen dient, ist daher ein Modell, das die Grenze aufbricht zwischen «öffentlich» und «privat», was in die Infrastruktur des Kapitalismus eingebaut ist.

Um zusammenzufassen: Ein ökonomisches Modell, das den Frauen dient, muss folgende Forderungen befriedigen:

  • eine hochtechnologische Ökonomie, eine Ökonomie mit hoher Arbeitsproduktivität. Dies gibt die beste Grundlage um die Arbeitszeit herabzusetzen, damit die Frauen materielle Möglichkeiten haben, sich an der Steuerung der Gesellschaft zu beteiligen, und um die Arbeitskraft darauf zu verwenden, die Haus- und Fürsorgearbeit gesellschaftlich zu organisieren,
  • eine Ökonomie mit einem großen, öffentlichen Service-Sektor, der gratis oder sehr billig Dienste gewährt. Ein solcher Sektor ist notwendig, um die Familie als ökonomische Einheit «abzubauen»,
  • eine Ökonomie, die bewusst die Grenze zwischen Frauenberufen und Männerberufen niederbricht, kurzfristig durch die Einführung gleichen Lohnes zwischen Frauen- und Männerberufen, langfristig durch die Aufhebung des Systems der Lohnarbeit,
  • eine Ökonomie, die großes Gewicht auf die Entwicklung einer «Technologie des alltäglichen Lebens» legt,
  • eine Ökonomie, die die Grenze zwischen «öffentlich» und «privat» angreift, die in die Infrastruktur des Kapitalismus eingebaut ist.

Im Sozialismus müssen die Frauen für eine Planwirtschaft mit dem Profil, das ich hier skizziert habe, kämpfen. Langfristig müssen wir für die Einführung der kommunistischen «Bedürfnisgesellschaft» kämpfen, unterwegs für eine meist möglich frauenfreundliche sozialistische Übergangsgesellschaft.

Es gibt viele Umstände, die es schwierig machen können, ein solches Modell durchzuführen. Ein sozialistisches Norwegen kann einer lang andauernden Aggression des Imperialismus ausgesetzt sein, und muss vielleicht einen sehr großen Teil seiner Ressourcen verwenden, um sich zu verteidigen. Oder es kann blockiert werden, mehr oder minder vollständig, sodass es auf eine ziemlich weitgehende Selbstversorgung setzen muss. Das wird vermutlich eine kärgliche Ökonomie sein, mit großem Bedarf an Arbeitskraft in der Produktion materieller Notwendigkeiten. Und damit viel weniger Spielraum für eine solches Modell, das ich hier skizziert habe. In einer solchen Situation müssen die Frauen sowohl Kompromisse eingehen, als auch eine neue Strategie wählen, ausgehend von dem, was innerhalb des gegebenen Rahmens zu erreichen möglich ist. Die ökonomische Basis einer Gesellschaft setzt die Grenzen dafür, wie weit wir auf dem Weg zur vollen Frauenbefreiung kommen können. Aber die Grenzen bestimmen nicht alles dessen, wie es innerhalb des Landes aussehen soll. Darum müssen die Frauen organisiert sein und dafür kämpfen, die Landschaft nach ihrem Bilde zu prägen, unabhängig davon, wie günstig oder ungünstig die Bedingungen sind.

Aber selbst mit einem guten Ausgangspunkt, werden ganz sicher Widersprüche und Kampf rund um ein solches ökonomischen Modell entstehen. Es werden weiterhin Kräfte in der Gesllschaft sein, die entweder den Kapitalismus unterstützen, wackeln, oder wünschen, die neue Gesellschaft als Sprungbrett für eigenen Reichtum und Macht zu verwenden. Ein frauenbefreiendes ökonomisches Modell wird ganz sicher auf Widerstand bei solchen Kräften treffen, weil es dazu beiträgt, die Möglichkeiten zu untergraben, eine neue, unterdrückende Klassengesellschaft wieder zu errichten.

Und es werden Widersprüche im Volk entstehen. Auch heute sehen wir, dass Männer und Frauen unterschiedliche Prioritäten setzen, wenn es um die Auffassung geht, wofür die Ressourcen verwendet werden sollen. Das kommt oft in einfachen Familien vor, und es zeigt sich in der Gewerkschaftsbewegung, wo «Frauenforderungen» für gewöhnlich wenig Echo bei den Mannsbildern finden. Es gibt wenig Grund zu glauben, dass dies in der ersten Phase des Sozialismus völlig anders sein wird.

Lasst uns gemeinsam vorstellen, dass Norwegen mit ungefähr der ökonomischen Struktur, die wir jetzt haben, in den Sozialismus reingegangen ist. Die Mannsleute dominieren das traditionelle Kernproletariat, wo die materiellen Werte geschaffen werden. Die Frauensleute finden wir in hohem Grad im öffentlichen Sektor. Es sind die Frauen, die doppelarbeiten, nicht die Männer.

Die Frauen sagen: Wir wollen die Doppelarbeit loswerden, wir wollen, dass sie gesellschaftlich gemacht wird, und die Gesellschaft soll bezahlen. Außerdem wollen wir wirklichen gleichen Lohn haben - rauf mit den Löhnen in den Frauenberufen! Was würden da die Mannsleute sagen? Vielleicht würden sie sagen, dass es ja wir sind, die die Werte schaffen! Sollen wir noch mehr öffentlich Angestellte ernähren? Und soll das, was wir erschaffen, dazu verwendet werden, die Löhne der Pflegedienstschwestern und Bürodamen anzuheben, während wir auf der Stelle stehen bleiben und pausieren? Sollen nicht auch wir einige Vorteile von diesem Sozialismus haben?

Solche «Widersprüche im Volke» können sehr leicht entstehen. Wenn sie einseitig nach den Prämissen der Männer «gelöst» werden, wie es auch sehr leicht gehen kann, wird das nicht lediglich zu fortgesetzter Frauenunterdückung führen, sondern dazu, dass die Strukturen der alten Gesellschaft gefestigt und gewahrt bleiben. In dieser Perspektive wird die Arbeit zur Erschaffung einer Allianz zwischen «den zwei Spitzen» in der Arbeiterklasse doppelt wichtig!

Wenn die Frauen eine Chance haben sollen, «ihr» ökonomisches Modell durchgeführt zu bekommen, müssen sie Macht haben. Sie müssen Macht haben, um die Prämissen für den Plan zu prägen, nicht weggestaut sein im «Gleichstellungsministerium» oder «Direktorat für Frauenfragen». Unbesehen davon, wie demokratisch eine sozialistische Gesellschaft ist, so wird es auch da Schlüsselpositionen geben, wo Informationen interpretiert und Prämissen für Entscheidungen gelegt werden. Da müssen die Frauen sein. Ein Teil der Strategie des Frauenkampfes im Sozialismus muss sein, wie wir dort landen sollen, und wie wir eine «Frauenfront im Rücken» haben, wenn wir dafür kämpfen, für unsere Sachen Durchschlag zu bekommen.

Editorische Anmerkungen

Die Übersetzung des Buches «Schwestern, Genossinnen!» von Kjersti Ericsson, Norwegen gibt es im Netz bei http://home.foni.net/~perlo/ . Wir spiegelten: http://home.foni.net/~perlo/seite63.htm

Inhaltsübersicht von «Schwestern, Genossinnen!»  
(Deutsches Manuskript)

Vorwort zur deutschen Ausgabe
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Inhalt
Bietet uns nicht irgendwelche Kleinigkeiten an!
Einleitung

1. KAPITEL «DER WEIBLICHE MENSCH» ALS LOHNARBEITER

2. KAPITEL KAPITALISMUS UND HAUSARBEIT

3. KAPITEL DIE BOURGEOISIE HERRSCHT, WENN DER MANN EIN WENIG HERRSCHT

4. KAPITEL DER KNOTEN, WO DIE FÄDEN ZUSAMMENLAUFEN

5. KAPITEL DER IMPERIALISMUS UND DIE FRAUEN

6. KAPITEL FRAUENKAMPF UND KLASSENKAMPF

7. KAPITEL DIE SCHABLONENFRAU

8. KAPITEL VON HIER AUS NACH DAHIN - TEIL I

9. KAPITEL VON HIER AUS NACH DAHIN - TEIL II

10. KAPITEL DER KAMPF ZUR VERÄNDERUNG DER HERZEN DER MENSCHEN

LITERATUR