7.-9. März 1980

Vor 25 Jahren: Auflösung der KPD
03/05

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Auf Initiative der SDS-Funktionäre Semler, Neitzke, Horlemann gründete sich im Frühjahr 1970 in Westberlin die KPD (AO). 10 Jahre später - von inneren Krisen gebeutelt - beschloss sie auf dem III. Parteitag ihre Auflösung.
Wir dokumentieren aus der letzten Roten Fahne den Bericht vom Auflösungsparteitag und die verschiedenen
Anträge zur Auflösung. Des weiteren einen Kommentar von der damaligen Konkurrenz- organisation KPD/ML und ihre Umbenennung in KPD.

Bericht vom Auflösungsparteitag:

3.Parteitag der KPD
Auflösung beschlossen
 

Vom 7.-9. März 1980 versammelten sich die Delegierten der KPD in der Nähe von Gelsenkirchen zu ihrem III. Parteitag,  anwesend  waren ebenfalls Gastdelegierte aus den ehemaligen Massenorganisationen der KPD, Kommunistischer Jugendverband Deutschlands und Kommunistischer   Studentenverband, sowie aus einer Reihe von Sympathisantenzirkeln. Das wichtigste Ergebnis der Tagung war die fast einmütig beschlossene Auflösung der KPD nach fast genau zehnjährigem Bestehen, die Verpflichtung der Delegierten, die aus der Auflösung sich ergebenden Verbindlichkeiten vor allem finanzieller Natur, solidarisch zu bewältigen und die Initiierung einer Arbeitskonferenz in einem angemessenen Zeitraum (noch vor der Sommerpause), auf der öffentlich und mit jedem Interessierten diskutiert werden soll, was heute kommunistische Politik leisten kann, wie es weiter geht mit der Linken und ihren verschiedenen Fraktionen. Keine der zur Abstimmung vorgelegten politischen Resolutionen erhielt die Mehrheit.

Nr. 1 April/Mai 1970

Die Delegierten des Parteitags hatten auch die letztmalige Herausgabe der Roten Fahne beschlossen, in der über die Ergebnisse informiert werden sollte; beauftragt wurde mit der Herausgabe das Präsidium des Parteitags. Da es nicht möglich ist, einen 'gemeinsamen Nenner' für die Bewertung des Parteitags innerhalb der Herausgeber zu finden, unterteilt sich die Berichterstattung in die formelle Darstellung des Ablaufs sowie die Dokumentation von Anträgen, Beschlüssen u. a. einerseits, und individuelle Stellungnahmen andererseits. 

1. Zum Verlauf 

Der Parteitag begann Freitag vormittags um 11 Uhr mit dem formellen Rücktritt des auf dem 2. Parteitag gewählten Zentralkomitees; ein Rechenschaftsbericht wurde nicht vorgelegt, weil die Differenzierung innerhalb des bisherigen ZK eine kollektive   Rechenschaft  schon nicht mehr möglich gemacht hatte bzw. als nicht mehr sehr sinnvoll erachtet wurde.

Bei der Wahl des Versammlungspräsidiums sprachen sich die Delegierten gegen den Vorschlag von Vertretern der '99er' und '41er' aus, demzufolge das Präsidium von 15 Genossinnen und Genossen proportional aus den existierenden Fraktionen besetzt sein sollte, mit dem Hinweis, daß es genügend Delegierte gebe, die sich weder der einen noch der anderen Gruppierung zurechnen.

Das Präsidium kam dann durch Zuruf zustande und übernahm (15 Genossinnen und Genossen) die Leitung. Die wichtigsten Auseinandersetzungen im Vorfeld bezogen sich auf die Frage des Stimmrechts, der Öffentlichkeit und der Tagesordnung selbst. In der Frage des Stimmrechts entschieden sich die Delegierten dafür, daß allen Delegierten - also nicht nur den   bisherigen   KPD-Mitgliedern, sondern auch den Gastdelegierten aus den Reihen von KJVD, KSV und Sympathisantenzirkeln - Rede- und Stimmrecht zuerkannt werden müsse, vor allem deshalb, weil man Entscheidungen über die Zukunft kaum fällen könne, ohne die hinter solchen Entscheidungen tatsächlich stehenden Köpfe und Interessen zu berücksichtigen - also unabhängig von formeller Mitgliedschaft; auf der anderen Seite einigte man sich aber auch darauf, daß die Entscheidung über   Auflösung  oder   Nicht-Auflösung zunächst gesondert von den 'bisherigen Mitgliedern der Partei selbst getroffen werden müsse. Strittig war zunächst - auf einen Antrag von Stuttgarter Genossen hin - das Stimmrecht von ZK-Genossen: sollten sie insgesamt das Stimmrecht bekommen, überhaupt kein Stimmrecht, oder - in Anwendung des sonst üblichen Delegiertenschlüssels - aus ihren Reihen Delegierte bestimmen. Die überwältigende Mehrheit folgte der Argumentation, daß die bisherige Leitungsebene insgesamt das Stimmrecht bekommen solle. Zur Frage der Öffentlichkeit: die Grundstimmung aller Delegierten zielte auf die Herstellung der Öffentlichkeit der Versammlung; angesichts nachdrücklich aufgeworfener Bedenken - hauptsächlich der Einspruch von Genossinnen und Genossen, die im Falle einer vollständigen Öffentlichkeit ihre Arbeit in bestimmten Bereichen gefährdet sahen (Gewerkschaften, Öffentlicher Dienst), aber auch die Zufälligkeit und Willkürlichkeit einer gezielten   Öffentlichkeit (durch Einladung verschiedener Vertreter kommunistischer und linker Organisationen bzw. Einzelpersonen) - entschieden sich die Delegierten   für   nicht-öffentliche Durchführung; ihnen war dabei wohl bewußt, daß ihnen die Frage "öffentlich oder nicht-öffentlich" innerhalb der linken Öffentlichkeit als Gradmesser für die Ernsthaftigkeit ihrer Politik vorgehalten würde.

In der Bestimmung der Tagesordnung dürfte die wichtigste Entscheidung gewesen sein, die Erledigung der finanziellen Verbindlichkeiten, die sich aus der Auflosung der KPD ergaben, nicht an das Ende der politischen Generaldebatte zu stellen, sondern bereits am zweiten Tag vorzuziehen. Die Motive für diesen Vorschlag - die 'Finanzdiskussion' vor die 'Generaldebatte' zu ziehen - dürften unterschiedlich gewesen sein: einmal das pragmatische Argument, daß aus verschiedenen Gründen am 2.Tag verhinderte Genossinnen und Genossen an der Generaldebatte teilnehmen können; dann der starke Wunsch der meisten, auf jeden Fall die finanzielle Hypothek auf dieser Versammlung verbindlich erledigen zu können und gegen die Gefahr anzugehen, diese Frage an den Rand bzw. das Ende einer Diskussion zu rücken, in der zwar über viele wichtige und politisch brisante Dinge geredet wird die ‚harten facts’ aber auf der Strecke bleiben; und schließlich auch die Meinung, dass aus einer inhaltlichen Kontroverse in diesen Tagen sowieso nicht mehr heruaskommen werde als bisher schon gesagt worden war in der Roten Fahne, in entsprechenden Broschüren usf. Die Vertreter der Auffassung, daß die finanziellen Verbindlichkeiten auf dem Hintergrund einer abgeschlossenen politischen Klärung diskutiert werden sollten, setzten sich jedenfalls nicht durch.

2. Generaldebatte 

Obwohl die Generaldebatte und die inhaltliche Auseinandersetzung nicht im Zentrum dieser Tage stand — die mit Leidenschaft geführte Diskussion drehte sich um die Bewältigung der finanziellen Probleme – sollen hier die wichtigsten Punkte genannt werden; zur Rekonstruktion der inhaltlichen Kontroverse, zur Bewertung der verschiedenen Positionen können die im Anschluß abgedruckten Stellungnahmen herangezogen werden. Die Kernpunkte waren wohl: 

  •  welches Verständnis von Marxismus oder überhaupt von Theorie hat innerhalb unserer eigenen Reihen vorgeherrscht; wie erklärt sich ein bestimmtes 'Marxismus-Verständnis', wie erklären sich bestimmte Elemente der Theorietradition, die vorzugsweise innerhalb der marxistisch-leninistischen Bewegung bzw. innerhalb der KPD aufgenommen wurden; inwiefern ist es berechtigt, überhaupt bzw. heute von einer gemeinsamen ideologischen oder 'weltanschaulichen' Basis zu sprechen; an welchen Punkten und weshalb erwies sich die 'Theoriebildung' der Marxisten-Leninisten der 70er Jahre als der Realität unangemessen?

  • was sind die Ursachen für die Krise der KPD? Ist es berechtigt zu sagen, daß die KPD bzw. kommunistische Politik an genau denjenigen Punkten und Fragestellungen in die Krise geraten ist, an denen sich heute überhaupt die Krise eines linken Selbstverständnisses, die Auflösung des alten 'linken Lagers' und möglicherweise die Neukonstituierung der Linken quer durch alle organisierten Fraktionen hindurch vollzieht?

  • wie verhält man sich in einer Situation, in der man einerseits sich das Scheitern kommunistischer Politik durchaus nicht nur das Scheitern an einzelnen Fragen - eingestehen muß, gleichzeitig aber eine Reihe von Erkenntnissen, grundlegenden Positionen vertreten und verteidigt werden können? Ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt möglich, ein 'kommunistisches Selbstverständnis' begründet zu vertreten oder kann sich das, was kommunistisches Selbstverständnis genannt wird, nur in der erneuten Bewältigung der zur Debatte stehenden Sachfragen wieder herausbilden?

  • welche Wege sollen beschritten werden in einer Situation, in der jede Praxis Gefahr läuft, haltlos zu werden, weil sie theoretisch nicht abgesichert ist? Ist der Nachdruck auf theoretischer Anstrengung, der Verzicht auf 'parteimäßiges Handeln' als Abgleiten in Akademismus zu kritisieren oder nicht notwendiger Durchgangspunkt für erneutes politisches Wirksamwerden? Wie sind heute Theorie und Praxis zusammenzubringen, sind sie überhaupt in organisierter Form zusammenzubringen?

Als Anträge zur Lösung dieser Krise lagen eine Reihe von Anträgen vor, die im folgenden abgedruckt sind sowie Stellungnahmen zum Verlauf der Diskussion. 

Zur Abstimmung gelangt eine modifizierte Fassung des Antrags der 99, ein Antrag von M. Brentzel, der nach der nicht mehr begründeten Zurücknahme des Antrags der 41 von der Gruppierung der 41er unterstützt wurde, sowie der modifizierte Antrag der Berliner und der Antrag der Warendorfer Delegierten, die KPD nicht aufzulösen. (Abstimmungsergebnisse sind im Zusammenhang der Dokumentation der Anträge abgedruckt.) Übereinstimmung wurde erzielt hinsichtlich der Auflösung der KPD, des Verzichts auf die Bildung einer Übergangsorganisation, der Initiierung einer Arbeitskonferenz in der nächsten Zeit. Ein Einzelantrag, daß sich die Delegierten gegen die Bildung einer Nachfolgeorganisation aussprechen, wurde abgelehnt.

Auf einer während des Parteitags abgehaltenen Versammlung beschlossen die gewählten Delegierten des Kommunistischen Studentenverbandes analog zur Entscheidung des 3. Parteitags die Auflösung des KSV, der seit 1971 als Studentenorganisation der KPD gearbeitet hatte. 

3. Diskussion der Maßnahmen, die sich aus der Auflösung der KPD ergeben 

Wie gesagt machte diese Diskussion das eigentliche Zentrum dieser Versammlung aus; es ist wohl richtig zu sagen, daß nach Ablauf dieser Diskussion für die meisten Delegierten das Eintreten für eine Übergangsorganisation kaum mehr vorstellbar war. Es lagen Übersichten über die finanziellen Verpflichtungen der Parteiorganisation und mit ihr verbundener Einrichtungen vor; die Auseinandersetzung drehte sich aber darum, worin die Ursachen und wer als Verantwortlicher der finanziellen Misere bezeichnet werden kann. Ob es sich in erster Linie um individuelles Versagen oder um das politische Versagen als Organisation handelte, bzw. welche Anteile jeweils ins Gewicht fallen, konnte in dieser Diskussion nicht entschieden werden - jedenfalls nicht im Sinne einer Meinungsbildung und Entscheidung. Überraschen! war aber doch die Einheit, mit der für die Erledigung dieser Hypothek, für Regelungen des Übergangs, für die Einrichtung eines Solidaritätsfonds und für die Bestimmung eines Treuhändergremium eingetreten  wurde,  wenngleich auch hier die Interpretationen auseinandergehen dürften: die einen sehen darin die Befreiung von einem ohnehin nicht mehr inhaltlich ausgewiesenen Zusammenhang, die anderen die Entschiedenheit, zu den Folgen des eigenen Tuns auch zu stehen. 

(Wenn ausnahmsweise abschließend die Widergabe eines persönlichen Eindrucks gestattet ist: die Delegierten haben die KPD aufgelöst ein Zeichen von Entschiedenheit zum Bruch; doch ohne bereits die' Vergangenheit wirklich bewältigt und die Bedingungen für „Weitermachen“ oder „Neubeginnen“  geklärt zu haben – ob dies von der Substanz her überhaupt möglich war, bezweifle ich. Nur so kann ich mir das gemischte Gefühl von Erleichterung und auch Schock nach Beendigung des Parteitages erklären. 

K.S.

Editorische Anmerkungen

Der Bericht ist der letzten Ausgabe DER ROTEN FAHNE, Zentralorgan der der KPD, 11. Jhg, Nr.6. vom 19.3.1980 S. 1 entnommen.

K.S. das ist Karl Schlögel, dieser ist heute als Hochschullehrer in Frankfurt/Oder tätig.

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