point.gif (43 Byte)
Nr. 03-04 Notausgabe 5. März 2004 9. Jahrgang online

point.gif (43 Byte)

zurück zur Titelseite

Frankreich: Konfliktträchtige 8. März-Mobilisierung

Von Bernhard Schmid

Die so genannte Kopftuch-Debatte wirkt weiterhin wie eine Splitterbombe auf die französische Linke und auf einen Teil der sozialen Bewegungen. Das wirkte sich auch auf die Mobilisierungen zum internationalen Frauentag am 8. März aus, die dadurch in diesem Jahr vollkommen polarisiert wurden.  

Die gute Nachricht zuerst: Am Nachmittag des Samstag, 6. März fanden in Paris zwei Demonstrationen statt, die sich im Südosten der Hauptstadt zu einem gemeinsamen Zielort hin vereinigten. Da war, erstens, die jährliche Bündnisdemonstration zum internationalen Frauentag am 8. März, die auf das Wochenende vorverlegt worden war. An ihr nahmen zwischen 7.000 (laut Polizei) und knapp 10.000 (nach Angaben der Tageszeitung "Libération") teil, Frauen wie Männer. Der Demozug bewegte sich auf der für Großdemos üblichen Route von der Place de la Répulique hin zur Place de la Nation.  

Und zweitens demonstrierten an diesem Samstag auch, wie seit längerem angekündigt, die Arbeitslosen-Selbstorganisationen wie AC! (Agir ensemble contre le chômage = Gemeinsam handeln gegen die Erwerbslosigkeit; AC! Klingt ausgesprochen wie "assez!", also "Es reicht!") gegen die regressiven "Reformen" der Arbeitslosenversicherung. (FUSSNOTE 1) Daran beteiligten sich nach Angaben der VeranstalterInnen 3.000 bis 5.000 Personen, was vielleicht ein bisschen hoch gegriffen ist. Die TeilnehmerInnen an diesem Demozug sammelten sich vor dem Sitz der nationalen Arbeitslosengeldkasse UNEDIC im 12. Pariser Arrondissement, im Südosten von Paris, und gingen von dort aus ebenfalls in Richtung Place de la Nation.  

Beide Demozüge vereinigten sich dann in südöstlicher Richtung, vor Erreichen der Place de la Nation, die nahe am südostlichen Stadtrand liegt. Linke Organisationen (wie der Parti communiste und die LCR) und linke GewerkschafterInnen nahmen an beiden Teildemonstrationen gleichermaßen teil.  

Jetzt zu den weniger guten Nachrichten. Bereits im Vorfeld der Bündnisdemonstration zum internationalen Frauentag war es zu heftigen Konflikten gekommen. Längere Zeit hindurch stand gar nicht wirklich fest, ob es überhaupt noch zu einer gemeinsamen Demo kommen werde. Entsprechend polarisiert wurde am Ende auch die Demonstration selbst, mit zwei ungefähr gleich großen Hälften.  

Offensive der "Ni putes ni soumises"  

Den Hintergrund für die Streitigkeiten bildete das, am 3. März 2004 definitiv vom französischen Parlament in beiden Kammern verabschiedete, Kopftuch-Verbotsgesetz (das alle öffentlichen Lehranstalten mit Ausnahme von Universitäten betrifft, aber alle konfessionellen Privatschulen ausnimmt) und seine unterschiedliche Bewertung.  

Das hätte nicht unbedingt bei der Demonstration eine Rolle spielen müssen. Denn üblich war bisher, die Kritik an den realen gesellschaftlichen Missständen in Frankreich bei der 8. März-Demo in den Mittelpunkt zu rücken: Bestehende Lohndifferenzen zwischen Männern und Frauen, schlechtere Arbeitsverhältnisse bzw. Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen, geringere Repräsentation von Frauen in manchen gesellschaftlichen Führungspositionen... Nicht üblich war, sich auf den Standpunkt der Regierung zu stellen und deren Prioritäten zu teilen.  

Davon von Anfang abweichen wollte die Bewegung "Ni putes ni soumises" (NPNS/ "Weder Nutten noch unterwürfig"). Diese inzwischen zur sozialdemokratischen Satellitenorganisation verkommene Frauenvereinigung hat von Anbeginn alles auf den Streit um die Gesetzesvorlage der Regierung zum Kopftuchverbot fokussiert. Es handelt sich bei NPNS um eine Vereinigung, die gut einem Jahr entstand und ursprünglich ein völlig korrektes Anliegen hatte: Den Kampf "von unten" gegen die frauenfeindliche und sonstige Gewalt in den Trabantenstädten und ähnlichen sozialen Krisenzonen zu führen (FUSSNOTE 2). Nur ist sie inzwischen zu einem Funktionärinnen-Apparat verkümmert, der mit der Basis nicht mehr viel zu tun und der sozialdemokratischen Partei (wie früher bereits "SOS Racisme", welch letztere den NPNS-Apparat auch weitgehend aufgebaut hat und kontrolliert) als Vorfeldorganisation dient. - Siehe zum Hintergrund von NPNS auch im Labournet: http://www.labournet.de/internationales/fr/niputes.html  

Rund um NPNS versuchte jener Teil des feministischen Spektrums, der für das Verbotsgesetz (das von Konservativen und Sozialdemokraten gemeinsam unterstützt wurde) eintritt, nunmehr in den Mobilisierungen rund um den 8. März in die Offensive zu kommen. So wurde ein sehr staatstragend gehaltener, auf die "Ideale der Republik" und den staatlichen Laizismus abstellender Aufruf lanciert.  

Der vorgenannte Appel stieß allerdings bei vielen anderen Frauengruppen auf heftigen Widerspruch. Die eher linken Gruppen bemängelten, bisher habe bei den Mobilisierungen zum Frauentag immer eher die Kritik an gesellschaftlichen Zu- oder Missständen im Vordergrund gestanden. Angesichts der brachialen, antisozialen Regressionspolitik der neokonservativen Raffarin-Regierung könne das in diesem Jahr nur noch stärker als sonst der Fall sein. Und es komme nicht in Frage, jetzt plötzlich eine Demo "für" die Ideale des bürgerlichen Staates zu veranstalten, anstatt die Kritik an der gesellschaftlichen Wirklichkeit in den Vordergrund zu stellen. - Gleichzeitig wandten sich jene Feministinnen, die seit einigen Wochen oder Monaten mit moslemischen Frauen ­ auch mit Kopftuch tragenden ­ zusammen arbeiten, gegen die Ausgrenzung von letzteren aus der Demo. Andere wiederum wollten auf keinen Fall Kopftuchträgerinnen in den Demos dabei haben.  

U.a. durch die tatkräftige Vermittlung von Frauen aus der radikalen Linken konnte ein offener Bruch noch vor dem Stattfinden der Bündnisdemo vermieden werden, und es gab doch noch einen gemeinsamen Aufruf. Doch wurde der Streit in wesentlichen Punkten lediglich vordergründig ausgeklammert. Tatsächlich sollte es auf der Demonstration weitgehend autonome Blöcke geben, die ihr eigenes Profil zu diesen Fragen in den Vordergrund stellen würden.  

Der Rückzug von NPNS und seine Rechtfertigung  

Schließlich zog "Ni putes ni soumises" ihre Unterschrift unter den gemeinsamen Bündnisaufruf dann aber doch noch zurück. Da der Name von NPNS, der als Zweiter auf einer Liste von insgesamt 53 Gruppennamen stand, in quasi letzter Minute zurückgezogen wurde, klaffte dort dann ein großes weißes Loch in der Unterschriftenliste. Ansonsten riefen Frauenverbände, eine Lesben-Organisation, Solidaritätsgruppen für algerische Frauen und eine Selbstorganisation afrikanischer Immigrantinnen, Gewerkschaften (CGT, mehrere SUD-Gewerkschaften, Lehrerverband FSU, Studentengewerkschaft UNEF Confédération paysanne) und linke Parteien (LO, LCR, Les Alternatifs, Grüne, KP, Sozialdemokratie) sowie das Antifa-Netzwerk RLF und das anarchistische "Radio Libertaire" zur Bündnisdemo auf. - Infolge des Abgangs von NPNS erklärten allerdings führende Sozialdemokraten während und auf der Demo, mit ähnliche Argumenten wie NPNS, die Unterschrift unter den gemeinsamen Aufruf sei "ein Fehler" gewesen.  

Der Vizepräsident der NPNS-Vereinigung, die auch männliche Mitglieder hat, Mohamed Abdi, erklärte dazu: "Das (der gemeinsame Demoaufruf, Anm. B.S.) war ein Dokument, in dem von allem möglichem die Rede war: von den Renten, von Marx... Wir haben gedacht, dass die fundamentale Frage des Laizismus dabei zu kurz kommt." Der Bündnisaufruf, der im Wesentlichen vom Collectif national pour les droits des femmes (CNDF, Landesweites Kollektiv für die Rechte der Frauen) lanciert wurde, spricht tatsächlich von den Rentensystemen ­ was nun nicht völlig unberechtigt erscheint, berücksichtigt man, dass die Frauen aufgrund ihrer Erwerbsbiographien um (durchschnittlich) 42 Prozent niedrigere Renten erhalten als Männer. Der Name von Karl Marx taucht selbstverständlich, anders als der NPNS-Vizepräsident behauptete, in dem Dokument nicht auf. Dagegen tauchen auf: Die Offensive katholischer Reaktionäre gegen das Recht auf Abteibung; die unfreiwillig "gewählten" Teilzeit-Arbeitsplätze, von denen zu 85 Prozent Frauen betroffen sind, etwa als Kassiererinnen im Supermarkt; die Privatisierung öffentlicher Dienste (namentlich die drohenden in den Bereichen Bildung und Gesundheit) und ihre Auswirkungen auf Frauen; Sexismus in der Werbung; die Gewalt gegen Frauen in den Trabantenstädten; und auch die Ablehnung des Kopftuchs oder Schleiers "als solches" ­ aber ohne explizit für oder gegen das Verbotsgesetz Position zu beziehen. Welch furchtbar "marxistischer" Appel...  

Die NPNS-Vorsitzende Fadela Amara wurde in einer Stellungnahme gegenüber der Tageszeitung "Libération" (vom 6./7. März) freilich noch deutlicher. Dort erklärte sie: "Heute besteht die Priorität darin, die Werte der laizistischen Republik zu verteidigen. Die Priorität ist nicht, Position gegen die Regierung zu beziehen."  

Diese Positionierung unterstrich Fadela Amara dann auch physisch auf der Demonstration am 6. März: Sie marschierte untergehakt mit Nicole Guédj. Die frühere Anwältin Nicole Guédj, Mitglied der konservativen Chirac-Einheitspartei UMP, ist seit einigen Monaten in der Regierung als ­ Staatssekretärin für Gefängnisbau. (Ihr offizieller Titel lautet "Staatssekretärin für die Immobilienprogramme der Justiz". Dieses Unterministerium wurde im Juni 2002 durch die neokonservative Regierung Raffarin, die zur Zeit 11.000 neue Haftplätze errichten will, erstmals eingerichtet. Nicole Guédj trat das Amt im Herbst 2003 an, nachdem ihr Vorgänger Pierre Bédier wegen einer Korruptionsaffäre in der Trabantenstadt Mantes-la-Jolie, deren Bürgermeister er ist, abtreten musste.)  

Den beiden gesellte sich auf dem Foto, das u.a. in der Sonntagszeitung "JDD" zu bewundern ist, dann auch noch die ehemalige linksradikale Präsidentschaftskandidatin Arlette Laguiller hinzu. Die Gallionsfigur der traditionsmarxistischen Partei Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf), die als einzige Kraft links von der Sozialdemokratie nicht mehrheitlich gegen das neue Gesetz der Regierung Position bezogen hatte, erklärte dazu: "Die NPNS sind die einzigen, die eine korrekte Position zum Kopftuch vertraten." Bisher ist Lutte Ouvrière (LO) oftmals, und häufig zu Recht, wegen sektiererischen politischen Verhaltens kritisiert worden. Das ist in diesem Fall absolut passé: Die sektiererische Abgrenzung hat anscheinend dem Opportunismus gegenüber dick aufgetragenem, staatstragendem Scheiß (pardon) Platz gelassen.  

Ideologische Schützenhilfe für die NPNS in der Frauenzeitschrift "ELLE"  

Unterstützung fanden die NPNS zugleich mehrfach in einer Publikation, die bisher nicht unbedingt als Hochburg feministischer Kritik in der französischen Gesellschaft gegolten hatte: In der Frauenzeitschrift ELLE. Man braucht kein Lustfeind und Verzichtsapostel zu sein (wie es leider in der Linken und Alternativszene welche gibt, zur Genüge sogar), um diese Zeitschrift als das zu erkennen, was sie ist: Eine total auf, möglichst teuren, Konsum ausgerichtete Zeitschrift für großbürgerliche Schnepfen und solche, die es gar zu gern wären. In diesem Umfeld fand nun die NPNS-Bewegung mehrfach, und zuletzt ­ in der Woche des 6. März ­ explizite, Unterstützung.  

Noch im Dezember 2003, noch bevor die Vorlage der Regierung für das jüngst verabschiedete Gesetz präsentiert worden war, wurde in ELLE ein "Aufruf an Präsident Jacques Chirac" für das Kopftuchverbot in Schulen veröffentlicht. Der Appel trägt die Unterschrift von zahlreichen Prominenten, wie etwa der Schauspielerinnen Isabelle Adjani, Sandrine Kimberlain, Elodie Bouchez und Isabelle Huppert (sowie von Emmanuelle Béart, die sich von den anderen unterscheidet, insofern sie tatsächlich auf achtenswerte politische Engagements in der Vergangenheit zurückblicken kann, namentlich zugunsten der "Sans papiers", also der "illegalen" Immigranten). Auch jene der Schriftstellerin Catherine Millet, der sozialistischen Ex-Ministerin Yvette Roudy und der bürgerlichen Ex-Umweltministerin Corinne Lepage oder der Theaterregisseurin Ariana Mnouchkine gehören zu den Unterzeichnerinnen. Ferner haben die stets abstrakt die republikanischen Prinzipien beschwörende Philosophin Elisabeth Badinter und die aus dem Iran stammende Schriftstellerin Chadortt Djavan, die den Kampf gegen den iranischen brutalen Schleierzwang in Frankreich fortsetzt, dabei aber keinerlei Unterschied zwischen französischen und iranischen Bedingungen macht, unterschrieben. Einer der Kernsätze ihres Appels lautet: "Das Kopftuch in der Schule oder in öffentlichen Einrichtungen zu akzeptieren, würde bedeuten, ein sichtbares Symbol der Unterdrückung der Frau zu legitimieren, und das an Orten, wo der Staat der Garant einer strikten Gleichheit zwischen den Geschlechtern sein muss." Die Unterzeichnerinnen fordern eine schnelle Verabschiedung des Verbotsgesetzes, und von der Regierung, dass sie durch die rasche Annahme von Ausführungsdekreten engagiere.  

An anderer Stelle in dem kurzen Aufruf wird auch implizit auf NPNS Bezug genommen. (Dort heißt es: "Der Kampf der Frauen in den Problemvierteln, gegen die Verschlimmerung ihrer Situation und die Regression ihres Rechtsstatus, ist auch der unsere." Nur leider dürfte zwar nicht die Gesamtheit, wohl aber eine satte Mehrheit der Unterzeichnenden noch nie in ihrem Leben einen vollen Tag in einer Trabantenstadt verbracht haben.) Auch NPNS-Präsidentin Fadela Amara hat den Aufruf unterzeichnet.  

Blättert man dann um einige Seiten um, dann kann man - oder eher frau - sich in derselben Ausgabe der Zeitschrift vom 8. Dezember beispielsweise darüber beraten lassen, wie "Ein moderner Ehemann" (Seite 91) auszusehen hat. Ein moderner Ehemann, das ist jedenfalls nicht einer, der "so sehr gegen das System ist, dass er keine Arbeit hat ". Ein moderner Ehemann, das ist dagegen einer, der "nur deswegen keinen Chef hat, weil er ein so erfolgreicher Berater ist, dass die Unternehmer sich um ihn reißen." Emanzipation, hatten Sie gesagt, Mesdames et Mesdemoiselles...? (Ach so, die ist nur gegenüber den Geschlechterrollen in der "islamischen" Gesellschaft noch von Bedeutung? Ja dann...)  

In der Woche vom 1. März 04 wird dann auch explizite Unterstützung für die NPNS-Bewegung als solche in ELLE formuliert. Denn als eine der Titelstories (umgeben von Werbung für den angeblichen letzten Schrei an Klamotten ­ lockere 1.200 Euro das Jäckchen) findet man dieses Bekenntnis: "Männer engagieren sich: Alles Feministen! <Wir alle sind Ni putes ni soumises!>" Wir alle, das ist in diesem Fall insbesondere der "Neue Philosoph" und hauptberufliche Dummschwätzer Benard-Henri Lévy (BHL), der noch zu jedem Thema, von dem er im Prinzip keine Ahnung hat, seinen Senf dazugeben muss. In dem Falle lautet der Senf, die Unterstützung für NPNS sei Bestandteil eines weltweiten "Zivilisationskrieges, des einzigen, der taugt: Jenes der Demokratie gegen die mörderischen Kommunitarismen." Oh große Vereinfachung, wenn Du uns in Deinem Griff hast... Ansonsten finden sich noch kürzere Beiträge des Sängers Patrick Bruel und einiger weiterer, weniger bekannter Künstler und Sportler. In der Mehrheit der Fälle mag das sicherlich gut gemeint gewesen sein, freilich auch die Gelegenheit zu einer willkommenen freundlichen Selbstdarstellung.  

Kritik an einer falschen Debatte  

Viele Frauenorganisationen, und besonders auch solche, die den Rechten von immigrantischen Frauen zur besseren Durchsetzung verhelfen wollen, haben diese Fokussierung auf ein Symbol bereits seit längerem beklagt. Ihnen zufolge handelt es sich um eine völlig oberflächliche, in¹s rein Ideologische abgeglittene Debatte, die die wirklichen gesellschaftlichen Probleme ­ auch der zuerst betroffenen Frauen ­ nur zudecke.  

So zitiert die linksliberale "Libération" eine vor Ort in den Immigrantenviertel aktive Frauenrechtsgruppe: "Wir haben aktuell den Fall einer 50jährigen marokkanischen Mutter, die zwangsverheiratet, seit ihrer Heirat vergewaltigt und geschlagen wurde. Und die sich jetzt, von einem Tag auf den anderen, verstoßen findet und in einem Notaufnahmezentrum wiederfindet. (Anm. B.S.: Das marokkanische Recht erkennt die einseitige Verstoßung durch den Ehemann an, gab der Frau aber bis zur kürzlich eingeführten Reform kein Scheidungsrecht. Nunmehr wird seit kurzem auch der Frau im Prinzip das Recht, die Scheidung zu verlangen, zuerkannt. Ein von Immigrantenverbänden seit langem kritisiertes Problem ist, dass das französische Ausländerrecht im Prinzip die Verstoßungen nach marokkanischem Recht, de facto, anerkannt.) Problem: Sie trägt ein Kopftuch, da sie aus einem traditionellen Milieu der marokkanischen Gesellschaft kommt. Wer wird sich in der Öffentlichkeit für ihren Fall interessieren?" Antwort: Niemand, zur Zeit. Denn im aktuellen Klima wird die Bekämpfung des Kopftuchs mehrheitlich auch als ein Kampf gegen jene, die es tragen (und um deren Emanzipierung es vorgeblich geht) ausgetragen.  

Zum Demo-Geschehen am 6. März  

Nochmals zurück zur Demonstration am vergangenen Samstag. Wie sich aus der Schilderung des Vorab-Geschehens ergibt, war die TeilnehmerInnenschaft also ordentlich polarisiert. Vorne gingen die (überwiegend linken) Unterzeichnerinnen-Organisation, die eher die linken Frauen und Organisationen sowie die "traditionellen" feministischen Gruppen umfassten. (So drückte sich die Presse aus, die jetzt überwiegend zwischen "traditionellen Feministinnen" einerseits und NPNS andererseits unterscheidet. Letztere mögen sich offiziell eher nicht als feministisch bezeichnen.) Und hinten folgte der gemeinsame Demo-Teilbereich von "Ni putes ni soumises", SOS Racisme, Sozialistischer Partei und MJS (französische Jungsozialisten).  

Beide Blöcke waren ungefähr gleich groß, da vor allem NPNS und den anderen sozialdemokratischen Satelliten-Organisationen ein bedeutender Mobilisierungserfolg gelungen war. Trotz der Entwicklungsdynamik, die ihr Funktionärinnen-Apparat genommen hat, ist namentlich NPNS unter Jugendlichen, in einem Teilbereich der Immigrantenbevölkerung und der Vorstadt-Bewohner noch ziemlich populär. Das hat weniger mit ihrer Nähe zur Sozialdemokratie, als vielmehr mit ihrem ursprünglichen Ausgangs-Anliegen (den Kampf gegen die Gewalt, deren Opfer Frauen werden, in den Trabantenstädten selbst zu führen) sowie ihrem "bunten", dynamischen Auftreten zu tun: Viel Musik tönt von ihren Lautsprecherwagen, und viele Mittel- und Oberschüler/innen laufen mit, denn der Verband der Oberstufenschüler (die FIDL) wird ebenfalls von SOS Racisme- und jungsozialistischen Kadern kontrolliert. Zur Vorbereitung der Demo vom 6. März hatten NPNS und SOS Racisme eine Unmenge von Stellschildern mit einer gelben oder rosafarbenen Hand und der Aufschrift "Ne touche pas à ma pote" (RührŒ meine Kumpelin nicht an) hergestellt. Das ist eine offenkundige Anspielung an die SOS Racisme-Kampagne der 80er Jahre: "Ne touche pas à mon pote" (Rühr meinen Kumpel nicht an). Die hattee damals zunächst einigen Erfolg, bevor das Publikum auseinander lief, da die staatsnahe SOS-Organisation außer Konzerten und bunten Happenings keine Kampf- oder Bewegungsperspektiven anzubieten hatten.  

Zu zeitweise heftigem Gerangel kam es unterdessen, vor allem zu Anfang der Demo, im vorderen Teil. Denn das "Kollektiv eine Schule für alle", das neben laizistischen OpponentInnen zum Kopftuchgesetz auch Gruppen auf konfessionell-kommunitaristischer Grundlage umfasst (etwa das "Collectif des musulmans de France"), hatte am Seitenrand der Demo Aufstellung genommen. Unter den am Rande Wartenden fanden sich auch 30 bis 50 Kopftuch tragenden Mädchen. Manche Demonstrierenden, vor allem aus dem hinteren Demoteil, wollten sie grundsätzlich nicht mitlaufen lassen. Andere Kräfte, eher aus dem linken Bereich, wollten ihnen das grundsätzliche Teilnahmerecht dagegen nicht versagen. Aber sie störten sich an der Präsenz männlicher Ordner (meist aus der moslemischen Community), von denen einige wohl zumindest als Islamisten im weiteren Sinne zu bezeichnen sind.  

Da der ­ insgesamt höchstens 100 Personen ­ umfassende Block versuchte, sich in den vorderen Teil der Demo einzureihen, stellte die LCR einen mehrreihigen Ordner(innen)block bereit. Dieser sollte den betreffenden Frauen die Teilnahme in die Demo erlauben, aber gleichzeitig einen deutlich sichtbaren, politischen Trennungsstrich zwischen den Linken und den konfessionell orientierten Kräften ziehen. Dabei kam es eine knappe halbe Stunde lang zu ziemlichem Gerangel zwischen dem Ordner(innen)dienst und dem am Straßenrand stehenden Block, wobei auch einzelne Linke auf der Seite der betreffenden Mädchen standen.  

Schließlich reihten die Mädchen, und ein Teil der sie begleitenden (jungen und nicht so jungen) Männer, hinter die LCR ein, von dieser deutlich sichtbar durch einen Ordner(innen)block getrennt. Dagegen demonstrierten manche linken Teilströmungen, darunter das französische Linksruck-Pendant Speb (übersetzt: Sozialismus von unten) und ein Teil der LCR-Jugendorganisation JCR, auf gleicher Höhe mit den Kopftuch tragenden Mädchen, deren "Ausgrenzung" beklagt wurde. - Im Hinblick auf Speb jedenfalls ist bekannt, dass diese Gruppe wenig Problem hat, auch mit Leuten taktische Bündnisse einzugehen, die als (Softcore-)Islamisten gelten müssen.  

Man kann dies als schwierige Gratwanderung zwischen der Ablehnung von prinzipieller Ausgrenzung, und potenziellen fragwürdigen Allianzen betrachten. Im Anbetracht der breiten Tendenz, die Demo vom 6. März in eine staatstragende Mobilisierung für die Verteidigung der Republik (und des Abendlandes, möchte man es polemisch ausdrücken) umzumodeln, mag dies das quantitativ kleinere Problem dargestellt haben. Dennoch ist genaueres Hingucken nach allen Richtungen bei diesen delikaten und brisanten Fragen dringend erforderlich.  

ANMERKUNGEN:  

(FUSSNOTE 1:) Am 20. Dezember 2002 nahmen jene Organisationen, welche die paritätisch mit Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern besetzte Arbeitslosenkasse UNEDIC verwalten (die sozialliberale CFDT und die Kapitelverbände, allen voran der MEDEF) eine so genannte "Reform" der Arbeitslosenversicherung an. Es handelt sich in Wirklichkeit um eine nackte Sparpolitik auf Kosten der Erwerbslosen. Durch eine Neuberechnung der Bezugsansprüche und ­dauer der Arbeitslosen verlieren viele Betroffene bis zu 8 Monaten Bezug des "Arbeitslosengeldes 1", das normalerweise bis zu circa drei Jahren bezogen werden kann. Noch besser: Durch mangelnde Information der Beschäftigten fanden sich viele Arbeitslose zum Jahreswechsel 2003/04, als die "Reform" in Kraft trat, plötzlich ohne Bezüge wieder. Die neokonservative Regierung ihrerseits wollte dadurch nicht die Zahl der Anspruchsberechtigten für die ASS (sozusagen das "Arbeitslosengeld 2", das zwischen Arbeitslosengeld und Sozialhilfe steht) steigen sehen. Deswegen wurde diese auf nunmehr zwei Jahre begrenzt. Bisher war sie unbegrenzt.  

Insgesamt sind 850.000 Personen von der "Reform" negativ betroffen. Nach jüngst vorgelegten Zahlen sind zum 1. Januar dieses Jahres 265.000 Personen aus der Arbeitslosenversicherung heraus gefallen, die nach vorherigen Regeln noch Ansprüche gehabt hätten. Nunmehr ist eine Sammelklage von Betroffenen vor den Gerichten am Laufen.  

(FUSSNOTE 2:) Auslöser für die Mobilisierung zum Thema "Gewalt gegen Frauen in den Trabantenstädten" war der schreckliche Tod einer 17jährigen, die am 4. Oktober 2002 in der Pariser Trabantenstadt Vitry-sur-Seine verbrannt wurde. Im Anschluss an den Mord fand eine Demonstration in Vitry-sur-Seine statt, der eine landesweite Tournee einer Kerngruppe von Organisatorinnen durch verschiedene französische Städte und Vorstädte folgte. Eine Vorbereitungsgruppe gründete mit den dabei gesammelten Kontakten das Netzwerk "Ni putes ni soumises". Mittlerweile hat allerdings der (sozialdemokratisch geprägte) Funktionärinnen-Apparat, der bereits vor dem 4. Oktober 2002 bereit stand, klar die Oberhand gewonnen.  

Die Hintergründe des Mordes von Vitry-sur-Seine sind jedoch andere, als Alexander Bahar in der "jungen Welt" vom 2. März 2004 behauptet. Dort ist, ohne nähere Angaben, in Bezug auf Frankreich zu lesen: "Eine 17jährige wurde gar verbrannt, weil sie sich weigerte, den Hijab zu tragen." Genau so entstehen Gerüchte! Ein nicht überprüfter Sachverhalt wird, ohne Angaben von Zeit und Ort, hingestellt und vom Autor so interpretiert, wie es ihm in seine Argumentation passt. Leider ist seine Bewertung vollkommen falsch. Das Opfer hieß Sohane Benziane und war die Tochter kabylischer (also algerisch-berberischer) Einwanderer. Sie wurde seitdem zur Symbolfigur für die, leider sehr verbreitete, Gewalt gegen Frauen in den französischen Banlieues. Ihr Tod hatte allerdings gar nichts damit zu tun, dass sie sich geweigert hätte, ein Kopftuch zu tragen. Vielmehr wurde sie von einem Kleinkriminellen bedroht, wobei es um Territorialansprüche des Chefs einer örtlichen Jugendbande ging. Der Mord selbst trägt eher den Charakter einer außer Kontrolle (des Täters selbst) geratenen Gewalt, denn der betreffende Kleinkriminelle hatte Sohane auf brutale Weise einschüchtern wollen, aber wohl nicht damit gerechnet, dass sie wirklich in Flammen aufgehe. Der Urheber der Tat selbst wurde dabei schwer verletzt. Die Kampagne gegen die Gewalt in den Banlieues, die weitaus mehr mit der sozialen Krise und dem Zerfall jeder kollektiven Interessenwahrnehmung denn mit dem Islam zu tun hat, ist vollkommen berechtigt. Aber vor falschen Gerüchten sollte man auf der Hut sein.

 

Editorische Anmerkungen

Der Autor schickte uns seinen Artikel in der Fassung vom 10.3.2004 zur Veröffentlichung.

nach oben