Die mit der Wolfsfrau tanzen
Die Frauenbewegung und die Esoterik

03/03
 
 
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Der Glaube an ein wesenhaftes Mann- und Frausein ist einer der Dreh- und Angelpunkte aller esoterischen Praxen. Auch Teile der Frauenbewegung hängen dieser geschlechterdualistischen Sichtweise an - und ziehen sich ins Private und damit vom Kampf gegen patriarchale Verhältnisse zurück.

von Andrea Schwendemann

»Möchtest du etwas in deinem Leben verändern? Finanziell unabhängig sein? In Austausch mit kraftvollen Frauen treten?« »So trete einem Frauen-Schenk-Kreis bei: Gib freiwillig 5000 Euro an die Frau in der Mitte des Kreises.« Wer sich heutzutage und hierzulande als Feministin zu verstehen gibt, wird auf dieses Angebot nicht lange warten müssen. Es herrscht das Kettenbrief-Prinzip. Die beteiligten Frauen gehen davon aus, dass sie am Ende um 40.000 Euro reicher sind. »Nach dem Eintritt in den Kreis kamen die begrenzten Glaubenssätze und unbewussten Muster vieler Frauen ans Licht um zu heilen. Geben, Unterstützen und Nähren sind Qualitäten, die durch das Göttliche Weibliche ausgedrückt und Teil unserer wahren Natur werden, aber wo bleibt das Empfangen?« (www.frauen-schenkkreis.de).

Kapitalfetisch gepaart mit dem Glauben an ein wesenhaft Weibliches treffen aufeinander. Hier schimmert der in der Esoterik weit verbreitete Glaube an das Karma durch: Alles, was du in die Welt setzt, kommt wieder zu dir zurück. Die esoterische Frauenbewegung will nicht das Kapital abschaffen, sondern das Verhältnis der Frau zum schnöden Mammon verbessern. Viele ehemals politische Feministinnen sind esoterisch gewendet, haben sich in den patriarchalen Verhältnissen eingerichtet und - schlimmer noch - sie stütze mit ihrem antifeministischen, geschlechterdualistischen Diskurs bestehende Machtverhältnisse. Wie kam es dazu?

Rotes Gemüse und wilde Weiber

Der legendäre Tomatenwurf 1968 bei einer Tagung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) gilt als Initialzündung der Neuen Frauenbewegung. Frauen stellten gesellschaftliche, patriarchale Machtverhältnisse an den Pranger - samt der Machos in ihren Politgruppen. Das zentrale Schlagwort »Das Private ist politisch« thematisierte häusliche Gewalt, Abtreibung, Reproduktions- und Hausarbeit. In Selbsterfahrungsgruppen wurden private Herrschafts- und Machtstrukturen mit gesellschaftlichen in Beziehung gesetzt und gedacht. Ein zentraler Streitpunkt in der Frauenbewegung war -und ist noch immer - die Definition von »Weiblichkeit«. Differenztheoretische Richtungen im Feminismus gehen von der grundlegenden Differenz zweier Geschlechter aus und beziehen sich positiv auf »weibliche« Werte; sie überhöhen und naturalisieren Weiblichkeit. Teile der Frauenbewegung und die Neue esoterische Bewegung stehen in (ideologischem) Austausch. Deren AnhängerInnen glauben, das männlich-rationale-mechanistische Yang-Denken werde vom weiblich-emotionalen-intuitiven Yin-Denken abgelöst. Für Fritjof Capra, bekannter Vertreter der Neuen Esoterikbewegung, ist die Frauenbewegung von zentraler Bedeutung für den Übertritt ins Wassermannzeitalter: »Die feministische Bewegung ist eine der stärksten kulturellen Zeitströmungen und wird sich tiefgreifend auf unsere weitere Evolution auswirken«.1

Die Frauenbewegung hat unterschiedliche Spielarten dieser These vom wesenhaften, naturgegebenen Frausein und Mannsein entwickelt: ökofeministische Ansätze und die spirituelle Frauen-Lesben-Bewegung. Ökofeministische Theorien postulieren die wesenhafte Verbundenheit von Frau und Natur. Darüber hinaus wird ein »Kollektivsubjekt Frau« beschworen, das die Welt vor dem ökologischen Kollaps retten soll. Bekannteste Vertreterinnen sind Maria Mies und Vandana Shiva.2 Die nordamerikanische Ökofeministin Mary Daly gibt sich in ihrem Buch »Quintessenz - radikal feministisches Manifest« auch noch verschwörungstheoretisch: »Ein schrecklicher Feldzug wird gegen Frauen und Natur geführt, vor allem aber gegen unsere Seelen. Für diesen Todeskampf fahren die Patriarchen ihre schweren Waffen auf, ihre Medien, ihre Religion, ihre Technologien, ihre Bildungswesen - wie immer schon.« Und »Wir wissen, dass massive böse Anstrengungen unternommen werden, dass eine dämonische nekrophile Kampagne läuft, um die Möglichkeiten des Überlebens und der Verbundenheit der Wilden Weiber mit der Natur zu unterbinden.«3 Eine solche Verschwörungstheorie setzt auf den Dualismus von Gut und Böse und schürt konservatives Aufbegehren, statt sich mit strukturellen gesellschaftlichen Prozessen (race, class und gender) auseinander zu setzen.

Göttliches Matriarchat

Sie bezeichnen sich als Neue Hexen (Wiccas), glauben an das ehemals paradiesische Matriarchat oder suchen in Tantra-Seminaren im Hier und Jetzt die spirituelle Erfüllung. In der »feministischen« Esoterik ist das »Weibliche« lebensspendend, göttlich, mythisch, archaisch, auf einer höheren Bewusstseinsebene und der Natur verbunden. Mittäterinnenschaft an bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen wird ausgeschlossen, rassistische und heterosexistische Herrschafts- und Machtstrukturen ignoriert, verwischt und vernebelt. Denn das Weibliche ist göttlich ist weiblich ist göttlich. »Denke einmal »Mutter« und spüre die Energie dieses Wortes. Dann denke Vater - was spürst du nun? Hast du bemerkt, dass sich die Energie unterschiedlich anfühlt? Mutterenergie und Vaterenergie bestehen jeweils aus einer ganz anderen Qualität.« (www. matriarchat.net). Glaubenssätze spiritueller »Feministinnen« sind nicht nur geschlechterdualistisch, sondern auch ahistorisch: Frau tut so, als ob in einer matriarchalen Gesellschaft weder Herrschaft noch Konkurrenzverhältnisse geherrscht hätten: »Matriarchale Gesellschaften kannten zwar die Spielregeln der natürlichen Autorität, aber nicht die Struktur von Herrschaft« und »Daher gibt es keine Konkurrenz um einen Posten, der wie im Patriarchat Prestige und Macht einbrächte - ein solches Denken ist matriarchalen Menschen fremd.«

Indigene Praktiken aus dem Trikont, Versatzstücke fernöstlicher Religion und archaische, gerne auch »alteuropäische« Traditionen dienen esophilen Männern und Frauen als Projektionsfläche. Wurde von der Modernisierungstheorie die Tradition als Entwicklungshemmnis eingestuft, überhöhen EsoterikerInnen die »edle Wilde«, den »edlen Wilden«. Die gro&ße Göttin, die Matriarchin, der schamanische Inititiator oder die Wölfin, ausgestattet mit Naturinstinkten, sind die Bezugspunkte esoterischer Weltsicht. Im multikulturalistischen Sinne bedienen sich Esophile an vermeintlich indigenen Kulturtechniken (Beispiel Schamanismus, Schwitzhütten). Neben der dualistischen Sicht der Geschlechterwelt suchen sie die höhere Bewusstseinsebene, das göttliche Ganze oder das Urwissen in fernen Kulturen. Ausgesperrte Sehnsüchte und Bedürfnisse beider Geschlechter nach einer besseren oder anderen Welt werden in die Fremde(n), in das Andere projiziert, statt die Verhältnisse dafür zu kritisieren, dass eine ganze Reihe von Bedürfnissen in der eigenen Gesellschaft negiert und von den herrschenden Normen über ein gutes Lebens ausgeschlossen werden, dass Emotionen, Fantasie und Kreativität in der auf Konkurrenz getrimmten Gesellschaft unterdrückt und als überflüssig und ineffizient abgewertet werden. In diesem Prozess der dialektischen Konstruktion von Eigenem und Fremdem werden bekannte rassistische und exotistische Wahrnehmungsmuster aufgegriffen und geprägt, die das bestehende Weltbild nur erhärten. Die Esoterik brüht gängige evolutionistische und essentialistische Prinzipien wieder auf, die auch sonst das moderne Denken bestimmen.

Quellen esoterischer Bildung

Woher nehmen esophile Frauen ihr Wissen um ihre vermeintlich originäre Verbundenheit mit der Natur? Sie gehen in den Buchladen und kaufen sich einen Klassiker: Zum Beispiel »Die Wolfsfrau. Die Kraft der weiblichen Urinstinkte« von Clarissa Pinkola EstÈs. Durch Forschungsarbeiten mit Wölfen kristallisierten sich für die Autorin die Gemeinsamkeiten beider »Gattungen« heraus. Die »erstaunliche Fülle metaphorischer Hinweise« auf die »instinktive Psyche« der Frau lasse sich von der Geschichte der Wölfe ableiten. »Wir als Frauen sind Verkörperungen des zwiefältigen Archetyps der Urmutter Natur, die alle Wesen schafft und sterben lässt, nur um ihnen wieder neue Formen zu verleihen, wieder und wieder. Wir sind dieses Todbringende und Lebensspendende in einem.« Durch essentialistische Argumentation, die gespickt ist mit multikulturalistischen Einschüben (»Mythen, Märchen und Geschichten aus den verschiedensten Kulturkreisen der Welt«), will Pinkola Estes die instinkthaften Eigenschaften der »Wolfsfrau« begründen. Sie bleibt damit einem antiemanzipatorischen Diskurs verhaftet, der an der bestehenden ungleichen Machtverteilung zwischen Männern und Frauen in keiner Weise rüttelt, sie eher zementiert.

Obwohl patriarchale Verhältnisse durch die neue Bewertung der Weiblichkeit nicht in Gefahr geraten, reagiert die esoterische Männerbewegung aufgeschreckt. Männer suchen nach ihrer vermeintlich »ursprünglichen« Identität ñ das viel beschworene weibliche Wassermannzeitalter und die neue vermeintliche Macht bereiten Angst. Die esoterische Männerbewegung hat sich daher Robert Blys »Eisenhans. Ein Buch über Männer« an die behaarte Brust genommen. Bly fordert die Männer auf, sich wieder auf ihre »ursprüngliche« Männlichkeit zu beziehen, denn »allmählich wird uns klar, dass Männlichkeit nicht von allein kommt; sie kommt nicht bloß vom Haferflockenessen.« Der männliche Mentor könnte dieser Absenz der Männlichkeit Abhilfe schaffen. Bly beklagt, dass ältere Männer jüngere Männer nicht mehr einem Ritus der Initiation unterziehen, wie es beispielsweise die Hopi, Griechen, Eskimos, Schamanen täten. So auch die Kikuyu in Afrika: Dort werden die Jungen von ihren Müttern getrennt und in einen Kreis älterer Männer gesetzt. Die älteren Männer schneiden sich in den Arm, lassen Blut in eine Schüssel fließen. Nun »fordert man den Jungen auf, sich davon zu nähren.« Der Junge lerne in diesem Ritual, dass Nahrung nicht nur von der Mutter, sondern auch von Männern komme. »Das aktive Eingreifen der älteren Männer bedeutet, dass ältere Männer den jüngeren Mann in die uralte, mythologisch aufgeladene, instinktive männliche Welt aufnehmen.« Die männliche Wildheit müsse - ähnlich wie das weibliche Pendant in der Wolfsfrau - endlich wieder ans Tageslicht kommen dürfen.

Das Private der politischen Frauenbewegung, das diskutiert wurde, um gesellschaftliche Machtverhältnisse zu demonstrieren, bleibt bei der spirituellen Frauen- und Männerbewegung im Wohnzimmer. Das Zentrum des Weltgeschehens ist die praktizierende Hexe und der selbst ernannte Schamane. Die Mitte zu finden, in Harmonie mit dem Universum und der großen Göttin zu kommen, ist Ziel esoterischen Strebens. Sinn fällt für Esophile also aus höheren Sphären - außer wenn es um Kursgebühren und Fälligkeiten für Schenkraten geht. Da wird es in der Esoterik plötzlich unheimlich »materialistisch«.

Anmerkungen:

1 zit. nach Marie Fischer: Kitt für die Krise. Frauenbewegung im Lichte des New Age. In: AntiVisionen (Hg.): Schicksal und Herrschaft. Materialien zur Kritik an der New-Age-Bewegung. (o.J.)

2 vgl. Christine Parsdorfer: Frauen als ökologische Avantgarde, in iz3w Sonderheft Male-Streaming Gender

3 Mitschnitt eines Vortrags im Frauenbildungszentrum Denkträume in Hamburg 07.06.2000.

Editorische Anmerkungen

Andrea Schwendemann ist Mitarbeiterin im iz3w. Ihr Text ist eine Spiegelung von
http://www.iz3w.org/iz3w/266/s32.htm