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Alles Gute kommt von oben
Von Günter Frech

03/01
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Tatkräftige Unterstützung im Bündnis für Arbeit ist Gerhard Schröder sicher. Mit der Gründung von Verdi gewinnt die Neue Mitte eine schlagkräftige Interessenvertreterin hinzu. 

Ein weibliches Mitglied des Bundesvorstandes der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft hatte am Wochenende ein wahrlich schwer wiegendes Problem: Das eigens für den Gründungskongress gekaufte Kleid passte nicht zur Bühnendekoration. Doch ihre Anfrage an die Kongress-Regie, die Deko zu verändern, blieb leider ungehört.

Die Episode vom sechstägigen Sitzungsmarathon der Gewerkschaften Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Postgewerkschaft (DPG), IG Medien sowie der Standesorganisation Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) sagt mehr über die künftige Ausrichtung der größten deutschen Einzelgewerkschaft als jede politische Analyse: Hauptsache, gut ausschauen. Was darunter, darüber und dahinter steckt, spielt keine Rolle. Und die Mitglieder stören sowieso.

Denn was am Wochenende als größtes gewerkschaftliches Reformprojekt der letzten hundert Jahre gefeiert wurde, ist in Wirklichkeit eine zutiefst undemokratische Fusion. So hatten die Verdi-Strategen bereits vorher darauf verzichtet, die bei Zusammenschlüssen im Gewerkschaftsbereich übliche Kartellorganisation zu bilden, weil auf diesem Weg das Übertragen der Tarifverträge von einer zur anderen Gewerkschaft extrem zeitaufwendig geworden wäre. Stattdessen griffen sie auf ein Gesetz zurück, das, noch unter der Regierung Kohl verabschiedet, eigentlich nur bei der Zerschlagung von Unternehmen Anwendung finden sollte. Mit dem so genannten Umwandlungsgesetz und Passagen aus dem Vereinsrecht gelang jedoch der kurze Prozess: Auf den letzten Gewerkschaftstagen ihrer Geschichte durften die Delegierten die Verschmelzungsverträge nur noch abnicken.

Sie schienen es zu genießen: Mit Mehrheiten, die auch den Einheitsgewerkschaften in den staatssozialistischen Ländern alle Ehre gemacht hätten und fast ohne Diskussion lösten sich ÖTV, HBV, DPG, IG Medien und DAG dann auch auf. Lediglich bei den Vertretern der IG Medien hielt sich die Begeisterung über die Megafusion in Grenzen. Sie quittierten die Selbstauflösung mit 17 Sekunden verhaltenen Klatschens, während der minutenlange Beifall bei den anderen vier Organisationen am Schluss gar in standing ovations mündete. Auch an diesem Beispiel zeigt sich, dass hier zusammenwachsen soll, was nicht wirklich zusammen gehört.

IG Medien und HBV galten bislang eher als links, waren dezentral aufgebaut und verweigerten sich in der Mehrheit jeder Form von Sozialpartnerschaft. Doch schon von der vergleichsweise moderaten Forderung nach einem Ausstieg aus dem Bündnis für Arbeit haben sich IG-Medien-Chef Detlef Hensche und die HBV-Vorsitzende Margret Mönig-Raane vor einiger Zeit verabschiedet, durch eine geschickte Einbindungspolitik gelang es den beiden zudem, auch die letzten Funktionäre auf Linie zu bringen.

Den beiden kleinsten Gewerkschaften gegenüber steht der große Block der drei anderen Organisationen. Die Betriebsgewerkschaftsorganisation DPG des einstigen Staatsbetriebs Bundespost ist eher zentralistisch ausgerichtet; dem bisherigen ÖTV-Chef Frank Bsirske reicht es, dass er seit Dienstag Vorsitzender der mit 2,98 Millionen Mitgliedern »größten Gewerkschaft der freien Welt« ist - so die neue Sprachregelung.

Dann ist da noch die DAG, die bisher nicht dem DGB angehörte und in Tarifauseinandersetzungen mit niedrigen Abschlüssen den DGB-Gewerkschaften regelmäßig in den Rücken fiel. Doch weil sie in der Vergangenheit auf kostspielige Arbeitskämpfe weitgehend verzichtete, bringt die einstige Angestelltengewerkschaft das größte Vermögen in die neue Gewerkschaft ein. Das erstaunte selbst einige ÖTV-Mitglieder, die bisher davon ausgingen, sie seien die »Zahlmeister« der Großorganisation. Während des Gründungsmarathons mussten sie feststellen, dass selbst die kleine IG Medien im internen Finanzranking nach Vermögen je Mitglied vor der großen ÖTV steht.

Und ausgerechnet dieses Konglomerat von Organisationen will in Zukunft »mit einer Stimme sprechen«, wie sich der Verdi-Kommunikationsmanager Martin Kempe ausdrückt. Damit führt der frühere taz-Redakteur die bisherige offizielle Rhetorik ad absurdum, galt bislang doch, dass Verdi sehr wohl unterschiedliche Meinungen und Standpunkte aushalten müsste. So war den 13 Fachbereichen zugesichert worden, eine eigenständige Öffentlichkeitsarbeit betreiben zu dürfen. Nun aber wird einem neuen Zentralismus das Wort geredet.

Darüber hinaus ist offen, wie die Widersprüche in der verabschiedeten Doppelstruktur der Mammutorganisation aufgelöst werden sollen - den vertikal angeordneten autonomen Fachbereichen stehen die föderalen Gliederungen des Dachverbandes horizontal gegenüber. Die Dezentralität war vor allem den Funktionären der ÖTV ein Dorn im Auge. Vordergründig haben sie ihren Widerstand gegen Verdi zwar aufgegeben, doch zielen sie darauf ab, über eine umfangreiche Budgetierungsrichtlinie, die das Geld der Mitglieder zwischen den Ebenen und Organen der Gewerkschaft verteilen soll, ihren Einfluss zu sichern. So soll verhindert werden, dass unliebsame Gremien gegenüber den alten ÖTV-Seilschaften die Oberhand gewinnen.

Wichtiger aber ist für die Gewerkschaftsführung, die Kräfte der bisherigen Dienstleistungsverbände zu bündeln und ein Gegengewicht zu den bisher tonangebenden Industriegewerkschaften zu bilden. Ziel ist es, die Arbeitnehmer der Dienstleistungsbranchen schlagkräftiger zu vertreten und neue Mitglieder zu werben, auch in neuen Wirtschaftszweigen. Mit der vermeintlichen Macht von 2,98 Millionen Mitgliedern im Rücken können die Verdi-Strategen dabei vor allem auf die mediale Wirkung setzen, die IG Metall an Größe überholt zu haben.

Mit Demokratie hat das, wie gesagt, wenig zu tun. Von der Frauenquote von 50 Prozent etwa verabschiedeten sich die Gewerkschafter schon bei der Gründung: Lediglich sechs der 19 Vorstandsmitglieder sind weiblich; unter den vier Stellvertretern Bsirskes findet sich gerade mal eine Frau.

Auch von der anfangs propagierten Formel, mit Verdi etwas völlig Neues zu schaffen und die alten Apparate zu zerschlagen, ist nichts übrig geblieben. Stattdessen wurden die fünf Organisationsstrukturen aneinander gestrickt, natürlich nicht ohne die alte Funktionärsschicht ausreichend mit Posten versorgt zu haben. Eine Gründungssünde, die sich noch rächen dürfte: Denn obwohl das inhaltliche Profil der Verdi noch nicht gefunden ist, gibt es bereits Zwist über das Bündnis für Arbeit. Bsirske findet es nicht schlimm, wenn hier über Tarifpolitik geredet wird. IG Metall-Chef Klaus Zwickel hingegen drohte dem Bundeskanzler am Wochenende mit dem Ausstieg aus der Konsensrunde, sollte er an dieser Idee festhalten.

Auch darüber, dass auf den Auflösungskongressen mehrere Delegierte darauf hinwiesen, den Bündnis-Gesprächen fehle das gewerkschaftliche Verhandlungsmandat, geht der Verdi-Chef großzügig hinweg. Schließlich habe man es ja mit einer »befreundeten« Regierung zu tun. Und die brüskiert man nicht - schon gar nicht, wenn man wie Bsirske ein Grüner ist und der Partei der ohnehin kleine Gewerkschaftsflügel mittlerweile völlig abhanden gekommen ist. Aus Frust über die unternehmensnahe Politik von Rezzo Schlauch, Margarete Wolf und Thea Dückert sowie wegen des mangelnden Einflusses der Parteilinken auf die Bundestagsfraktion haben viele Gewerkschafter mit grünem Parteibuch die Partei seit deren Regierungseintritt 1998 verlassen.

Das Agieren der Verdi-Führungsriege nährt zudem den Verdacht, sie befinde sich auf dem Weg zur Staatsgewerkschaft. So vertraute die Parteitagsregie beim Gründungsakt am Montag nicht mal mehr auf die Kraft der Mitglieder, sondern holte sich mit Gerhard Schröder und Bundespräsident Johannes Rau lieber gleich die obersten Repräsentanten der politischen Klasse des Landes ins Haus.