Kalaschnikov - das Radiomagazin für militanten Pazifismus Pressedienst (KPD) - Nr. II/2001

Ostermärsche 2001 - nichts Neues unter der Frühlingssonne
Eine Sammelrezension verschiedener Aufrufe

Von Fritz Viereck

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Die Dekorationen in den Süßwarenabteilungen lassen keinen Zweifel: Weihnachten ist vergessen, Fasching vorbei, Ostern steht vor der Tür; und das bedeutet, daß die Kräfte des Friedens und Fortschritts wieder einmal mobil machen und zu ausgedehnten Spaziergängen durch die Innenstädte aufrufen. Die Ostermarschsaison ist eröffnet! Wir haben uns verschiedene Ostermarschaufrufe angesehen - damit ihr die nicht alle selber lesen müßt -, und im folgenden Beitrag verraten wir euch, was davon zu halten ist - damit ihr euch das nicht alles selbst überlegen müßt.

Es ist ein recht zwiespältiger Eindruck, den die Lektüre der Ostermarschaufrufe hinterläßt, welche die verschiedenen durchführenden Gruppen von Hamburg bis zum Bodensee, vom Rheinland bis Berlin formuliert haben. Die Tatsachenbehauptungen stimmen, viel richtiges wird gefolgert, und dennoch frappiert die Verschnarchtheit der Papiere. Der Ostermarsch und der dazugehörige, vom örtlichen, möglichst breiten Bündnis verabschiedete Aufruf - das sind so Traditionsbestände der Friedensbewegung, deren Wirksamkeit vielleicht auch in so unfreundlichen Zeiten wie diesen gesteigert werden könnte, wenn sie einmal gründlich durchgelüftet würden. Die Aufzählung von Fakten plus ein Forderungskatalog, der je nachdem als sanfte Politikberatung daherkommt oder als etwas radikalere Zuspitzung, dazu ein oder zwei Parolen, unter denen der Spaziergang dann stattfindet - ein fesselndes Programm ist das nicht. Diese Verbreitung friedenspolitischer Langeweile ist deshalb so schade, weil sich zumindest in einigen Aufrufen der ein oder andere Ansatzpunkt für eine konsequente Kritik der Militärpolitik dieses Landes findet. „Die Schaffung einer Interventionsarmee ist der eigentliche Inhalt der sog. Bundeswehrreform“, verrät, nicht originell aber zutreffend, der Berliner Aufruf, und: „Flüchtlinge sollen schon weit vor den Grenzen Zentraleuropas gestoppt werden, und nur noch die Menschen einwandern dürfen, die auf Kosten anderer hoch qualifiziert wurden.“

„Militär soll gesellschaftsfähig bleiben, weshalb im Rahme von öffentlichen Gelöbnissen vorgegaukelt wird, daß Soldaten und Armee ein normaler Bestandteil der Gesellschaft und der Demokratie seien.“ Der im Berliner Aufruf noch implizite grundsätzliche Antimilitarismus wird in einigen Aufrufen sogar noch zugespitzt: die „Abschaffung der Bundeswehr und aller Armeen weltweit“ findet sich als Forderung des „Internationalen Bodensee-Ostermarsches“, und in Hamburg wird neben „weitreichenden Abrüstungsschritten bis hin zur Auflösung der Bundeswehr“ gleich noch die „Auflösung der NATO“ gefordert.

So viel Konsequenz konnte ich natürlich nicht flächendeckend durchsetzen, da sei der geballte Realismus altgedienter Friedenskämpfer vor - immer schön langsam voran, in vermittelbaren Schritten, damit die ahnungslose Bevölkerung nicht allzu sehr ins Staunen gerät, sondern ihre Bereitschaft mitzuspazieren Schritt für Schritt reifen kann. Wo dieser Realismus herrscht, der uns bereits so viele schöne Erfolge beschert hat, so viele, daß man sich an einen konkreten gar nicht erinnern kann, ist es immerhin erfreulich, die Forderung nach Auflösung der „Einsatzkräfte und des Kommandos Spezialkräfte“ der Bundeswehr zu finden, wie etwa im Aufruf zum Ostermarsch Rheinland und Ruhr. Nicht fehlen aber darf selbstverständlich die Topforderung der Realpolitik im Jahre 2001, formuliert im Bremer Aufruf: „Wir gehen Ostern auf die Straße und treten ein für eine Verkleinerung der Bundeswehr zu einer ausschließlich defensiven Armee.“

Ob sich das lohnt? Hoffentlich ist zu Ostern wenigstens schönes Wetter in Bremen, denn sich für nichts und wieder nichts auch noch den Arsch abfrieren beim Eintreten auf der Straße, das wäre doch gar zu hart.

Obwohl man andererseits Leuten, die einem Aufruf unter dem Titel „Bundeswehr als Eingreif-Armee - wir sagen NEIN“ folgen und damit kundtun, daß sie gegen eine Bundeswehr als Präsenz-, Parade- und Imponierarmee nichts einzuwenden wissen, doch den ein oder anderen Hagelschauer wünschen sollte.

Die durchaus staatstragende Gut- und Friedenswilligkeit, der in Bremen so unverblümt Ausdruck verliehen wird, ist allerdings bloß die offene Äußerung einer Haltung, die sich auch andernorts immer wieder findet: das Vertrauen auf die Bewertungsmaßstäbe staatlicher Politik. Während man im Bremer Text der Vergangenheit nachtrauert -- „Nicht mehr die Verteidigung steht im Vordergrund, sondern die Bereitschaft für den Einsatz der Truppen außerhalb Deutschlands“ -, gleichzeitig seine Bereitschaft zu Friedensphrasen außerhalb der deutschen Sprache dokumentierend, einigte man sich in Stuttgart auf die Formulierung: „Die Bundesrepublik ist von Freunden umgeben. Die Bedingungen, die Bundeswehr drastisch zu verkleinern (...) sind so gut wie noch nie.“

Wahrscheinlich ist den Autoren gar nicht aufgefallen, daß sie damit der Friedensbewegung der 80er Jahre die Legitimation entziehen, und mit diesem Vorwurf konfrontiert, würden sie ihn empört zurückweisen.

Allerdings gab es damals Menschen, und möglicherweise mehr als heute, die der Auffassung, wonach die Bundeswehr bis 1989/90 lediglich zur Verteidigung dagewesen wäre, widersprochen und ihre Forderung nach umfassender Abrüstung nicht davon abhängig gemacht habe, ob die deutsche Regierung das von ihr verwaltete Land von Freunden umgeben sah oder nicht.

Gerade dieses Dementi von Forderungen der alten Friedensbewegung, deren Tradition man doch andererseits so gerne hochhalten will, erklärt die Schwäche vieler Aufrufe - das Schielen auf außenpolitische Opportunitäten, bei dem auch noch die regierungsamtlichen Maßstäbe zur Beurteilung von Freund und Feind ganz selbstverständlich übernommen werden, verhindert die Entwicklung eigenständiger Positionen. Man schafft sich die Argumentationsnot selber. Was bleibt, ist Lyrik, wiederum exemplarisch im verquälten und ängstlichen Bremer Aufruf, wo man eintreten möchte „für eine Kultur des Friedens zwischen den Völkern“.

Daß zur Zeit in diesem Land alles, was irgendwie militärkritisch daherkommt, kleine Brötchen backen muß, ist keine Schande; daß man dieses jämmerliche Geschäft nicht erledigen kann, ohne große Sprüche zu klopfen, schon.

Ein weiteres Traditionsgut ist das Beharren auf atomarer Abrüstung - immer praktisch, weil dagegen niemand etwas haben kann und man sehr gut gegen Atomwaffen sein kann, ohne das Militär grundsätzlich in Frage zu stellen. Hier öffnet sich traditionell ein weites Betätigungsfeld für breitestmögliche Bündnisse - auch eine Taktik, die dringend auf ihre Erfolge untersucht werden sollte. Es könnte sich herausstellen, daß man mit mehr Konsequenz weiter kommt.

Aber zu diesem Schritt sind die meisten Ostermarschaufrufe auch in diesem Jahr nicht in der Lage. Angst vor der eigenen Courage? Fast könnte es so scheinen. Statt wenigstens zu versuchen, Geschehnisse und Interessen zu analysieren, flüchtet man sich in den Jargon, der politischen Realismus vorgaukelt, weil alle Parlamentarier ihn gebrauchen, und der dazu erfunden wurde, hinter einer Kaskade von Worten das reine Nichts zu verbergen. Deutschland exportiert mehr Kriegswaffen als je zuvor, und was fällt dem Frankfurter Aufruf dazu ein?

„Unglaubwürdig ist auch die deutsche Rüstungsexportpolitik.“ Na, wenn wir unseren Rüstungslobbyisten nichts weiter vorzuwerfen hätten, als daß sie ein bißchen schwindeln ...

Der Kasseler Aufruf beginnt mit einer Formulierung, die in ihrer vollen Schönheit nur zu schätzen weiß, wer selber schon einmal Stunden seiner Lebenszeit der Erarbeitung eines solchen Papiers gewidmet hat: „Wir verurteilen alle Kriege und militärischen Konflikte wie die im Nahen Osten, Tschetschenien, Kongo, Kolumbien usw. Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien im Frühjahr 19998 stellte jedoch eine Zäsur in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland dar.“

Dies dürfte die auf den ersten Blick vollständig einleuchtende Quintessenz einer langen Diskussion sein - grob geschätztes Ende: 23.00 bis 23.30 Uhr; da mußte der Mißbilligung der deutschen Regierungspolitik (Forderung des radikaleren Flügels) unbedingt das Bekenntnis vorausgestellt werden, daß man auch an und für sich sehr für Frieden und gegen Krieg ist (Forderung der moderateren Gruppen, damit die Kritik an Deutschland nicht so einseitig ausfällt). Über derartigen Diskussionen und der Bekundung der prinzipiellen Gutartigkeit, mit der man die Massen zu beeindrucken hofft, gerät aus dem Blick, daß die Massen gegen die gegenwärtige Kriegspolitik der Regierung wahrscheinlich gar nicht so viel einzuwenden haben, eher schon gegen die Schließungen von Bundeswehrstandorten, wo sie die heimischen  Wirtschaft schaden oder gar den eigenen Arbeitsplatz gefährden könnten.

Daß aber die Bevölkerung, die es ansonsten vorzieht, sich politisch nicht zu äußern, grundsätzlich gegen die Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Aktionen in der Welt sei und sich dagegen nur nicht ausspreche, weil sie nicht so recht wisse, was im Moment eigentlich vor sich gehe, sie aber der Regierung schon Schwierigkeiten bereiten würde, wenn sie darüber aufgeklärt würde - das ist so ein Glaubenssatz der moderaten Kräfte, den man dringend einmal überdenken sollte. Möglicherweise sehen die breiteren Massen, ohne die man sich so recht keine politische Wirksamkeit vorstellen mag, in einem ganz komfortablen Gleichklang mit der herrschenden Klasse, was die auch militärische Sicherung und Durchsetzung deutscher Interessen angeht: Kriege werden aller Voraussicht nach in der nächsten Zeit eher weit weg geführt, in den Regionen, die so was, wir wissen es aus der Tagesschau, ohnehin gewöhnt sind, jedenfalls nicht bei uns. Daß also unsere Bundeswehr dafür fit gemacht wird, in solchen Konflikten zu bestehen -- warum sollte dagegen jemand, der seine Normalarbeitnehmerexistenz in Mitteleuropa darauf abgestellt hat, daß die wirtschaftliche und politische Macht in der Welt so verteilt bleibt, wie sie ist und der Zufluß von Rohstoffen, ohne die wir dabei nun einmal nicht auskommen können, gesichert bleibt, nun plötzlich ernsthaft aufmucken wollen? Die Bereitschaft, für humanitäre Zwecke zu spenden, muß dieser implizite Zynismus nicht verringern, vielleicht steigert er sie sogar, aber falls diese Haltung tatsächlich so weit verbreitet ist wie es den Anschein hat, dann dürfte es schwierig werden, auf die Wirkung von traditioneller friedenspolitischer Agitation zu hoffen.

Kaum ein Aufruf kommt in diesem Jahr ohne die Beschwörung der „zivilen Konfliktbearbeitung“ aus. In ihr wird offensichtlich das Mittel gesehen, Kriege zu verhindern; folglich wird oft beklagt, daß die Regierung viel zu wenig darin investiere. Es fehlt regelmäßig ein Versuch, wenigstens zu skizzieren, was mit diesem Schlagwort gemeint sein könnte, und wie es anzustellen wäre, die Regierung daran zu hindern, die zivile Konfliktbearbeitung als ein Mittel zur Begleitung oder „Nachbereitung“ von Militäreinsätzen zu nutzen.

Das Übergewicht dieser friedenspolitischen Diplomatie trägt viel zur Bräsigkeit des Milieus bei, das Ostermarschaufrufe erarbeitet. Auch in diesem Jahr bleiben die meisten Aufrufe langweilig - daß man aber diese ehrwürdig-verschnarchte Tradition der Friedensbewegung auch lebendiger gestalten könnte, wenn man denn wollte, zeigt der bislang beste Aufruf der Ostermarschsaison 2001: der Hamburger.

Er ist bezeichnenderweise der einzige, in dem ausdrücklich das Bleiberecht für Deserteure gefordert wird, in dem totale Kriegsdienstverweigerer vorkommen, in dem in mehreren Forderung direkt die Bundeswehr angegangen wird - vielleicht ist das ja ein kleines Hoffnungszeichen dafür, daß die Ostermarschbewegung doch nur scheintot ist, und der Geruch, den sie verbreitet, nur der von Langeweile ist und nicht von Verwesung.

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