Kommentierte Chronologie 
der marktwirtschaftlichen Produktion und Betreuung 
einer Seuche

der Gruppe Landplage
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"Man kann keine unnötigen Risiken in Bezug auf die Volksgesundheit eingehen."
  EU-Kommissar David Byrne, 1984.

1985

Auf einer Farm in West-Sussex treten mehrere Fälle einer Rindererkrankung auf, die am 19 September 1985 von einem Arzt der britischen Veterinärmedizin als Transmissille spongiforme Enzepfalogathien (TSE), später als BSE bekannt, erkannt werden. Das wird aber  "erst später bekannt", wie es heißt. Die Sorge, was die Entdeckung einer neuen Seuche, samt der dann erforderlichen Maßnahmen ihrer Einhegung, für die britische Rinderzucht auf nationalem wie europäischem Konkurrenzfeld bedeuten würde, lässt die britische Veterinärmedizin eben lieber fünfmal nachkontrollieren, bevor sie sich dazu entschließt, Seuchenalarm zu geben.

Dass die britische Veterinärwissenschaft sich über ihre Entdeckung bei den europäischen Handelspartnern gezielt ausschweigt, braucht keinen zu wundern. Die britische Veterinärmedizin geht nämlich zu Recht davon aus, dass das Schutzinteresse des gemeinsamen europäischen Marktes nicht bei ihr angesiedelt ist. Ihr Schutzobjekt ist die britische Rinderzucht; das Schutzinteresse des europäischen Marktes ist getrennt davon in Brüssel angesiedelt. Es existiert als ein Katalog von Pflichten Englands gegenüber Brüssel und einem Katalog von Rechten Brüssels, gegenüber dem EU-Mitglied Großbritannien, die Brüssel geltend machen darf, aber auch muss. In diesem Verhältnis ist der Standpunkt der borniert am je nationalen Interesse orientierten Seuchenpolitik in erster Instanz als Recht des jeweiligen Mitgliedlandes ausdrücklich anerkannt und zementiert. Im Interesse eines für ihn offenen Agrarmarktes anerkennt der jeweilige Exportstaat dann allerdings auch das aus Brüssel kommende Kontrollregime gegen sich an. So geht offener Agrarmarkt.

Dieses vertraglich im Interesse eines offenen EU-Agrarmarkts geregelte zwischenstaatliche Verhältnis, macht sich so in allen Phasen der Seuche geltend als ewig  verspätete  Reaktion Brüssels auf eine  britische Verantwortungslosigkeit. So sieht es wenigstens immerzu die Moral der praktisch genau andersherum eingerichteten Verhältnisse. Gerade der Beschluss der europäischen Staaten, einen offenen europäischer Binnenmarkt als Konkurrenzfeld ihrer jeweiligen nationalen Landwirtschaft und Ernährungsindustrie einzurichten, verlangt eben einerseits, dass das Maß an zugestandener Vergiftung von Vieh und Mensch, wie auch das Maß an Kontrolle über durch auswärtige Ware ins Land eingeschleppte Infektions- und Seuchengefahr kleinlichster zwischenstaatlicher Vereinbarung bedarf sowie andererseits, dass diese gemeinschaftlichen Kontrollregularien ständig neu gegeneinander durchgesetzt, behauptet, kontrolliert und eingefordert werden müssen

Gerade weil der EU-Agrarmarkt frei ist, sind die beteiligten Staaten mit dem Problem konfrontiert, dass von ihnen und ihrem zwischenstaatlich ins Recht gesetzten Standpunkt - ihre Sorge gilt weiterhin einem nationalen Viehbestand und seinen Geschäftsbedingungen - die allergrößte Gefahr ausgeht. In Betätigung ihrer nationalen Verantwortung kommen epidemiologische Studien von britischen Ärzten zu dem ersten Ergebnis, dass die Krankheit durch infiziertes Tiermehl im Rinderfutter übertragen worden sein könnte. Sie vermuten, dass die Rinder an einer bisher nur an Schafen festgestellten Krankheit namens Scrapie erkrankt seien. Das ist eine schon seit mehr als 200 Jahren bekannte Schaferkrankung, von der die britische Veterinärmedizin bis dahin der Meinung war, sie sei nicht auf andere Arten übertragbar und auch für den Menschen ungefährlich. Von ihrem Standpunkt aus gab es deshalb nichts einzuwenden, wenn verseuchte Schafkadaver systematisch in die Produktion von Tierfutter wanderten.

1986

Der erste Fall von BSE als neuer, eigener Erkrankung von Rindern wird offiziell diagnostiziert.

1987

Eine erste Beschreibung der Krankheit wird in der Fachliteratur veröffentlicht. Die neue Rinderseuche betritt damit offiziell die Bühne der marktwirtschaftlichen Seuchenbekämpfung.

Auf Grund der Sorge, welche Katastrophe es für die britische Rinderzucht und ihre Konkurrenzbedingungen bedeuten würde, sollte die britische Veterinärmedizin Seuchenalarm geben müssen, sind inzwischen also mindestens 3 Jahre ins Land gegangen, in denen sich die Seuche ausbreiten konnte. Die bloße Möglichkeit einer neuen Tierseuche, war für die Ausrufung des worst case  eben nicht hinreichend. Dazu mussten schon genügend gesicherte Beweise vorliegen. Die lagen jetzt, nach Ausbreitung der Seuche, eben vor. Also führt die britische Regierung eine Meldepflicht für erkrankte Tiere ein und siehe da: es stellt sich heraus, dass der Rinderwahn bereits über ganz Großbritannien Verbreitung gefunden hat.

1988

Die britische Regierung verbietet die Verfütterung von Tiermehl an Rinder. Die nächsten zwei Jahre versucht die britische Futtermittelindustrie sich wenigstens einigermaßen schadlos zu halten, indem sie ihr auf dem Heimatmarkt zu Sondermüll erklärtes wertvolles Produkt vermehrt als Billigware auf den europäischen Markt wirft, wo europäische Rinderzüchter offenbar in ihrer Kostenkalkulation zu einem solchen Angebot ganz einfach nicht nein sagen können. Im Jahr 1990, warum erst so spät, siehe oben, schiebt die EU diesem Geschäftsgebaren der europäischen Rinderzüchter einen Riegel vor und verbietet Großbritannien den weiteren Export von Tiermehl auf den europäischen Markt.

Die britische Regierung erläßt die Verordnung, dass erkrankte Tiere geschlachtet und vor allem vernichtet werden müssen und nicht wieder zu Tierfutter verarbeitet oder gar in den Handel gebracht werden dürfen.

Erst durch das Verbot einer sonst als Konkurrenzmittel unumgänglichen Praxis lassen sich die betroffenen Farmer einigermaßen davon abbringen ihre eigenen Rinderbestände zu verseuchen. So hintenrum geht eben Marktwirtschaft, die deshalb im wörtlichen Sinne hintenrum auch munter so weitergeht, schließlich ist es auch in England nicht vorgesehen hinter jede Kuh einen Polizisten zu stellen.

Im gleichen Jahr noch wird eine Arbeitsgruppe unter Sir Richard Southwood eingerichtet, die vor allem das Bedrohungspotenzial von BSE für die Volksgesundheit untersuchen soll. Das schließt man zwar zuallererst, wieder wegen der weitreichenden ökonomischen Folgen, aus. Aber kennen will man es eben doch. Auch hier wird die Gefahr geleugnet nach dem Motto: wegen einer bloß möglichen, wenn auch lebensbedrohenden Gefährdung für den Menschen, bringt man doch nicht mutwillig den Absatzmarkt seiner Viehzucht zum Erliegen. Man sollte sich deshalb auch nicht wundern, dass die wissenschaftliche Einordnung der Seuche, die absurde Form eines  zähen Kampfes  mit allen erlaubten bis unlauteren Mitteln zwischen  Abwieglern  und  Warnern  annimmt, bis letztere auf Grund nachgewiesener Fälle die Überhand gewinnen.

Southwood erklärt als erstes Ergebnis der Arbeit seiner Gruppe salomonisch, "dass es für Menschen kaum ein Gesundheitsrisiko gibt, wenn keine Tiere mit Krankheitssymptomen verzehrt würden".  Dem etwas anderslautenden Urteil anderer ("Wir können nicht 20 Jahre warten, um zu sehen, ob BSE vom Vieh auf den Menschen übertragen wird. Wir können keine katastrophenartige Ausbreitung der Krankheit unter Menschen hinnehmen." Prof. Richard Lacey, britischer Seuchenexperte, 1990) wird von oben bedeutet, dass die pure Eventualität nicht hinreicht, um den Katastrophenfall auszulösen. Dafür braucht es bessere  Beweise, als ein die  übliche Rate  nur  leicht übersteigendes  Quantum an Creutzfeld-Jakob-Toten.

1989

Soweit es die Rücksichtnahme auf die möglichen Folgen für den Produktionszweig erlaubt, also neben ihren Dementis einer nicht mehr hinnehmbaren Gefahr, ergreift die britische Regierung dann doch erste zaghafte Maßnahmen, um einer möglichen Gefährdung der Volksgesundheit entgegenzutreten. Auf Drängen der Regionalregierungen verbietet sie zuerst in England und Wales, den Zentren der Seuche, später auch in Schottland, die Vermarktung von möglicherweise stark befallenem, Risikomaterial wie Hirn, Rückenmark, Thymusdrüse, Milz, Tonsilien und Gedärmen.

Gleichzeitig erlässt sie eine Entschädigungsordnung: betroffene Farmer werden mit dem halben Marktwert der geschlachteten BSE-Kuh entschädigt. Schließlich ist ihr ja an der Wiederherstellung der britischen Rinderzucht und nicht an ihrer Stilllegungen gelegen.

In der Republik Irland erkranken zehn einheimische Rinder an BSE. Der erste handfeste Beleg, dass es sich, wo auch immer der Seuchenherd gelegen sein mag, bei BSE nicht um ein alleiniges Seuchenproblem der Engländer handelt, ist damit in der Welt.

1990

Die Zahl der erkrankten Rinder hat inzwischen einen Level von 300 pro Woche erreicht. Damit die Seuche nicht die ganze Branche ruiniert, und um die Farmer dazu zu bewegen, ihre Fälle von BSE wenigsten zu melden, erhöht die britische Regierung den Kompensationspreis auf den vollen Marktpreis.

Schon im Juli 1989 hat sich die EU zu Wort gemeldet. Das britische Seuchenproblem betrifft sie schließlich schon im Ausgangspunkt elementar. Der gemeinsame Agrarmarkt, den sie verwaltet, ist die allgemeine Geschäftsbedingung der europäischen Konkurrenz auch auf dem Fleisch-, Vieh- und Futtermittelsektor und seine Sicherung deshalb allgemeines und gemeinsames Interesse aller auf ihm agierenden Konkurrenzgeier.

Zum Schutz der kontinentaleuropäischen Rinderzucht verhängt sie ein Exportverbot für mehr als einjährige Kälber, bzw. für alle Kälber, die in von BSE-befallenen Herden aufgewachsen sind. Im März 1990 belegt sie England mit einer Meldepflicht aller neuen BSE-Erkrankungen und im April 1990 verhängt sie ein Exportverbot für Risikomaterial.

Deutschland macht sich in der EU zum Vorreiter aller Maßnahmen, die darauf zielen, das längst entgrenzte Seuchenproblem durch gemeinsamen politischen Beschluss doch auf England zu begrenzen. Es beschließt einseitig ein Importverbot für englisches Rindfleisch und begründet dies mit einer möglichen Gefährdung des Verbrauchers.

Dem radikalen Standpunkt der Einhegung des Schadens auf Großbritannien stellt sie eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für die deutsche Rinderzucht und deren Produkte zur Seite. Das ist zwar angesichts des über Futtermittel- und Zuchtrinderhandel längst gelaufenen Imports der Seuche lächerlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass deutsche Herden längst infiziert sind, ist aber für die Politik auch hierzulande kein hinreichender Grund, den Seuchennotstand auszurufen. Vielmehr erklärt sich die deutsche Regierung zum Schutzpatron der Unversehrtheit ihrer Rinder und damit ihres Rindermarktes und organisiert eine geschlossene Front ihrer kontinentaleuropäischen Partner gegen England. Der (zeitweilige) Ausschluß Englands vom gemeinsamen europäischen Agrarmarkt erlaubt dessen Aufrechterhaltung für alle Länder, die per gemeinsamer politischer Definition - wo kein nachgewiesener eindeutig nationaler BSE-Fall, da auch keine Seuche - ebenso BSE-frei sind wie Deutschland. Mit dem Standpunkt, sich gegen die aus Großbritannien kommende Gefahr schützen, also auch das Eindringen der englischen Krankheit über Drittländer verhindern zu müssen, setzt es seine Embargopolitik gegen England als europäische Linie durch.

Noch im Jahr 1990 und in Folge der göttlichen Fügung, dass der europäische Agrarmarkt nicht nur in Hinsicht auf einträgliche landwirtschaftliche Ware, sondern auch auf deren wenig bekömmliche Eigenschaften ein gemeinsamer Binnenmarkt ist, treten erste BSE-Fälle in der Schweiz und in Portugal auf.

Die EU-Kommission warnt vor nationalen Alleingängen ihrer Mitgliedstaaten, insofern diese die Gefahr des Zusammenbrechens des EU-Agrarmarktes, also des gemeinsamen Konkurrenzfeldes, beinhalten.

1990 ist auch das Jahr, in dem die englische Beschwichtigungspolitik bezüglich der Unbedenklichkeit des marktwirtschaftlichen Drecks eine nach den Regeln demokratischer Vertrauensbildung im Volk, wenn schon nicht schwere, so doch denkwürdige Schlappe erleben muss: Der britische Landwirtschaftsminister will öffentlichkeitswirksam seiner vierjährigen Tochter einen Hamburger hineinstopfen und was macht das gesundheits-, aber wenig nationalbewusste Gör: es verweigert die Nahrungsaufnahme.

1991

Von der EU wird England der Export von Risikomaterial verboten, dann auch der Gebrauch dieses Materials zur Düngerproduktion. Das Kalb einer erkrankten Kuh erkrankt an BSE, was auf die Möglichkeit der Übertragung von BSE durchs Blut hinweist. Versuche an Mäusen und Affen, denen BSE verseuchtes Material gespritzt wird, verlaufen positiv. Dass BSE im Unterschied zu Scrapie die Artenschranke überspringen kann, ist damit keine bloße Vermutung mehr.

Die Übertragung auf den Menschen wird weiterhin als bloße Möglichkeit abgetan und so lange dies gilt, ist der Standpunkt des angestrengten Nicht-Zur-Kenntnisnehmens in England weiterhin patriotische Pflicht.

Staatsunabhängigen Forschern wie Harash Narang wird von der britischen Regierung untersagt, weiter über die möglichen Risiken von BSE für den Menschen zu forschen. Es erfolgt eine nationale Kampagne gegen  Nestbeschmutzer; das Vogel-Strauß-Prinzip wird zum (national-)wissenschaftlichen Ethos.

1992

Die EU verbietet den Handel mit Rinder-Embryos. Die Seuche erreicht in Großbritannien mit 36 000 erkrankten Rindern ihren vorläufigen Höhepunkt.

Durch eine Kennzeichnungspflicht versucht die britische Regierung die gängige Praxis zu unterbinden, weiterhin Tiere aus infizierten Herden auf den Markt zu bringen. Die von der britischen Regierung eingesetzte CJK Kommission vergleicht 30 verschiedene Scrapie-Stämme mit dem einzigen BSE-Stamm und kommt zu dem Ergebnis, dass es zwischen der Schafskrankheit Scrapie und dem Rinderwahn doch eine  Ähnlichkeit  gibt, die These von der erwiesenen Nichtübertragbarkeit also auch von dieser Seite her nicht zu halten ist.

1993

In England taucht die Forderung auf, dass alle infizierten Herden geschlachtet und die Neuaufzucht mit nicht-englischen Tieren neu begonnen werden sollte. Eine Anzahl von englischen Schulen nimmt Rindfleisch vom schulischen Speisezettel. Versuche an Mäusen und Affen, denen BSE verseuchtes Material gespritzt wird, verlaufen positiv. Dass BSE die Artenschranke überspringen kann, ist somit erwiesen.

Zwei Farmer, deren Herden mit BSE infiziert waren, sterben an Creutzfeld-Jakob.

1994

Ein 16 Jahre altes Mädchen in North Wales, das nachweislich BSE-verseuchtes Rindfleisch gegessen hat, stirbt an CJK.

Die britische Regierung führt eine Kennzeichnung  "sicheres Rindfleisch" ein und fordert Deutschland auf, sein Importverbot aufzuheben. Deutschland weigert sich.

Im Juni einigen sich die EU-Staaten auf das Verbot der Verfütterung von aus Säugetiergewebe gewonnenen Futtermitteln an Wiederkäuer.

Nur Fleisch von Tieren aus Herden, in denen seit 6 Jahren kein BSE aufgetaucht ist, darf noch in den EU-Raum exportiert werden. Immer mehr kranke Rinder, die erst nach dem Tiermehlverbot geboren wurden, werden entdeckt.

1995

Zwei weitere Farmer sterben, bei deren Herden BSE aufgetreten ist. Es stellt sich heraus dass 90% aller Milchkühe in England in infizierten Herden leben. 1995 erläßt die englische Regierung ein Verbot von Separatorenfleisch aus Rinderwirbelsäulen als Nahrungsmittelbestandteil (inzwischen ist experimentell nachgewiesen, dass ein Gramm infektiöses Nervengewebe ausreicht, um beim Kalb BSE auszulösen). Sie beharrt allerdings weiterhin auf ihrem Standpunkt einer nicht vorhandenen Gefahr für die Bevölkerung.

Zwei Mädchen erkranken an CJK. Immer mehr Schulen nehmen Rindfleisch vom Speisezettel. Der Rindfleischverbrauch in England sinkt auf ein historisches Tief.

1996

Elf Jahre nach der ersten Entdeckung von BSE gibt die britische Regierung den Standpunkt der Unbedenklichkeit von BSE für die menschliche Gesundheit auf. Sie läßt erklären, dass nach ihrem Kenntnisstand in Großbritannien bisher zehn Menschen an der neuen Form von CJK erkrankt und acht bereits gestorben sind. Sie anerkennt, dass diese Erkrankungen wahrscheinlich durch die Aufnahme von BSE-verseuchter Nahrung erfolgt sind.

Zur Begrenzung der Infektionsgefahr schlägt sie vor, alle mehr als 30 Monate alten Rinder zu schlachten und aus der Nahrungsmittelkette zu nehmen. Die EU fordert England auf dies durchzuführen. Überdies verhängt die EU über Großbritannien ein allgemeines Embargo für Rindfleisch und Rindfleischerzeugnisse. England beklagt sich über die Art und Weise der EU-Embargopolitik. Das BSE-Problem dürfe nicht dazu benutzt werden, die britische Rinderzucht gegenüber der Konkurrenz zu diskriminieren und aus dem Markt zu schmeißen. Es müsse gemeinsam festgelegt werden, welche Maßnahmen die britische Regierung ergreifen soll und welche Ergebnisse hinreichend wären, für eine Wiederzulassung auf dem EU-Agrarmarkt. Außerdem verlangt England Entschädigung für seine Maßnahmen zur Eingrenzung der Seuche.

Im Sommer 1996 wird festgestellt, dass BSE auf Schafe übertragen werden kann. England, aber auch Frankreich verbannen das entsprechende Risikomaterial von Schafen aus der Nahrungskette.

1997

Im Februar beantragt Großbritannien die Aufhebung des Exportverbotes für Rinder aus BSE-freien Herden aus Schottland. Zehn Monate später einigt man sich auf die Modalitäten. Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen in England ist inzwischen auf 6000 gesunken. Dies wird als Erfolg der Vereinbarungen von Florenz (Embargovereinbarung) gewertet. Insbesondere das Schlachten von 1,7 Millionen Tiere über 30 Monaten wird als  effektiv  gewertet. Die Einigung auf einen gesamteuropäischen Risikostandard zur Wiederherstellung des gewohnten Konkurrenzfeldes namens freie EU-Markt macht, wie man sieht, Fortschritte.

1998

Im März hebt die EU das Embargo gegen England für den am geringsten durchseuchten Teil Nordirlands wieder auf, ordnet aber gleichzeitig verstärkte Kontrollen an. Im April führt die EU zum ersten Mal Schnelltests ein.

Im Herbst sendet die EU eine  Notfall-Kommission  nach Portugal. Dort steigt die Zahl der BSE-Fälle dramatisch an, von 30 im Jahr 1997 auf 66 im folgenden Jahr. Es gibt Hinweise, dass BSE-Material wiederverwertet wird. Die Kommission beschließt ein Embargo gegen Portugal für lebende Tiere und eine Exportpause für neun Monate für Fleischprodukte.

Im gleichen Monat nimmt die EU Grundsätze für die Wiederaufnahme von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen aus England an.

1999

Ab Juni 1999 hebt die EU das Embargo gegen Großbritannien wieder auf und ersetzt es durch das Gebot eines Herkunftsnachweises aus nicht infizierten Herden. Die Zahl der neuen BSE-Fälle in England beträgt für 1999 noch rund 2000 Fälle, was verglichen mit dem Maximum von 1992 als Erfolg in Folge der ergriffenen Maßnahmen verstanden wird.

Deutschland und Frankreich bleiben auf gemeinsamer Linie und halten das Exportverbot aufrecht. In Verfolgung seiner Linie, BSE-frei zu sein, blockiert Deutschland den EU-Beschluss, BSE-Risikomaterialen aus der Nahrungsmittelkette zu nehmen. Die EU beschwert sich.

Der europäische Gesundheitskommissar David Bryan erklärt, Fleisch aus Großbritannien sei "nicht gefährlicher als jedes andere in Europa".

2000

Im Januar reicht die EU-Kommission, in Erfüllung ihrer Pflicht die EU-Regelungen auch national durchzusetzen, Klage gegen Frankreich ein, da dort das Einfuhrverbot britischen Rindfleisch nicht aufgehoben wird. (Der freie Zugang auf den gemeinsamen Agrarmarkt ist eben auch das Recht jedes Mitgliedstaates, sofern er sich an die vereinbarten Bedingungen hält.)

Im Februar erhebt sie die gleiche Klage gegen Deutschland. Im März anerkennt auch Deutschland seine Unterordnungspflicht.

Dänemark nimmt seinen Anspruch, BSE-frei zu sein, zurück und beschließt, der Aufforderung der EU zur Entfernung von Risikomaterial aus der Nahrungskette zu entsprechen.

Im April legt die EU fest, dass ihre Mitgliedstaaten ab 2001 Schnelltests durchzuführen haben. Während insgesamt inzwischen eine Zahl von an die 90 BSE-Toten, vor allem in England aufgelaufen ist, muss auch Frankreich zugestehen, in dieser Hinsicht betroffen zu sein. In Frankreich werden drei Fälle von CJK bekannt, "drei weitere Opfer dürften in Kürze offiziell bestätigt werden", heißt es. Frankreich beschließt daraufhin, in größerem Ausmaß Schnelltests durchzuführen, verlässt also den bisher mit Deutschland gemeinsam aufrechterhaltenen Standpunkt der BSE-Freiheit und des Nicht-Hinsehen-Wollens.

Damit ist Deutschland in der EU zunehmend isoliert und wird von den Partnern sogar der ungerechtfertigten Vorteilsnahme beschuldigt.

Die Auswertung der ersten 6000 Tests in Frankreich zeigt ein erheblich größeres Ausmaß der Seuche, als vorher angenommen, an die 100 Fälle. Die französische Regierung erläßt jetzt ein generelles Verbot von Tiermehlfütterung und ein Verbot von T-Bone-Steaks.

Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Bartels fordert ein striktes Importverbot für Rindfleisch und Rindfleischprodukte aus Frankreich. Der Sorgegegenstand EU-Fleischmarkt löst sich zunehmend in wechselseitige Beschuldigungen auf.

Im Frühjahr schon hat die deutsche Regierung eine Kommission eingesetzt, die Studien über das mögliche Szenarium erstellen soll, mit dem die deutsche Regierung bei Anerkennung der Existenz der Seuche in Deutschland rechnen müsse. Auf seine eigene, näher rückende Beschlußlage, will man eben vorbereitet sein.

Im Juli beschließt die EU eine Verstärkung der Überwachung durch Schnelltests. Den Mitgliedstaaten wird ein jährlich festzulegendes Überwachungsprogramm auferlegt.

Die EU beschließt ebenfalls, ihre Mitgliedstaaten auf den Ausschluß von Risikomaterial aus der Nahrungs- und Futtermittelkette zu verpflichten.

August: Das Steering Committee, das höchste wissenschaftliche Beratergremium der EU kommt zu dem Schluss, dass sich die Erreger der BSE-Seuche "wahrscheinlich auch in Deutschland"  ausgebreitet haben, was allerdings bislang wegen mangelnder Untersuchungen noch nicht nachgewiesen werden konnte.

Die Studie geht davon aus, dass alle EU-Staaten mit hoher Wahrscheinlichkeit noch Ende der Achtziger BSE-infizierte Tiere oder BSE-verseuchte Futtermittel importiert haben. Allein Deutschland führte in den Jahren zwischen 1980 und 1993 über 13 000 Rinder ein. (Das Bedeutende an dieser Aussage ist nicht die Entdeckung, sondern, dass dies jetzt eine offizielle EU-Kommission sagt, deren Beratungskompetenz im Prinzip alle Mitgliedstaaten anerkennen, weil sie sie dafür eingerichtet haben.) Die Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche bewerten die EU-Experten als unzureichend und kritisieren das auch in Deutschland praktizierte passive Untersuchungssystem, bei dem Landwirte infizierte Tiere melden müssen. Die Sprachregelung  "passives Untersuchungssystem"  beschreibt die Tatsache, dass die deutsche Regierung sich weigert, von sich aus Untersuchungen durchzuführen!

Im deutschen Bundeslandwirtschaftsministerium wird die Studie  mit Skepsis  betrachtet. "Die Fachleute der EU-Kommission haben zu wenig berücksichtigt, welche Rassen aus welchen Gebieten Großbritanniens nach Deutschland importiert wurden", erklärt Sprecherin Ursula Horetzky. Dabei handelte es sich ihren Angaben nach um Rassen, die auch in Großbritannien nur selten an BSE erkranken, beispielsweise Galloway-Rinder. Und Thomas Schlicht vom Bundesgesundheitsministerium ergänzt: "Solange das Internationale Tierseuchenamt in Paris (OIE) Deutschland als BSE-frei erklärt, gibt es für uns keinen Grund, diese Einschätzung zu ändern." Wobei das internationale Tierseuchenamt immer wieder klarstellt, dass seine bisherigen nationalen Unbedenklichkeitsbescheinigungen einzig auf den Daten beruhen, die die einzelnen Mitgliedstaaten herausrückten, weil es selbst zu einem  unabhängigen  Überprüfen nicht befugt war.

In den vier von den Wissenschaftlern aufgestellten Risikogruppen zählt Deutschland zur Gruppe III. Zu Gruppe IV, derjenigen mit dem höchsten BSE-Risiko, zählen lediglich Großbritannien und Portugal. Deutschland beharrt auf seiner Seuchenfreiheit: Seit 1990 sei - zumindest legal - kein Tiermehl mehr aus Großbritannien eingeführt worden, die eigene Produktion arbeite seit 1976 mit Methoden, die als  sicherer  eingestuft werden: Erhitzung auf mindestens 133 Grad Celsius und 3 bar Druck für 20 Minuten. Dass Prionen auch Temperaturen bis 600 Grad mühelos überstehen, ist zwar nachgewiesen, geht aber nicht in die Beschlußlage ein.

Bis zu diesem Zeitpunkt sind in Deutschland sechs Kühe an BSE verendet. Per deutscher Herkunftsdefinition keine originär deutschen natürlich: fünf der Tiere blökten eindeutig englisch, eines ausgeprägt Schweizerisch, so dass ihre Existenz in Deutschland gar kein Hinweis auf die Existenz der Seuche in Deutschland sein kann.

Im September wird ein Etikettierungssystem für Fleischherkunft eingeführt, wobei lediglich eine Referenznummer auf das Herkunftsland hinweist. Demgegenüber besteht das immer noch BSE-freie Deutschland auf Klartext bei britischem Rind.

Die Kennzeichnung, wo ein Tier geboren und gemästet wurde und wo es gelebt hat, wird vom deutschen Bundesrat allerdings abgelehnt. Europa als Lebensraum deutscher Rinderzucht will eben erhalten sein.

Im Oktober verfügt die EU den Ausschluß von verendeten Tieren und Scheiße aus der Futtermittelkette (der in Hühnerkot enthaltene hohe Mangananteil gilt als möglicher Katalysator von BSE).

Gesundheitsministerin Fischer zeigt sich im Oktober überrascht und erschüttert, weil sie erfahren muss, dass erst drei EU-Länder jene Rindfleisch-Etikettierung praktizieren, die im Frühjahr als Ersatz für das aufgehobene Importverbot von britischem Rindfleisch beschlossen worden war. Im gleichen Monat klärt uns Landwirtschaftsminister Funke auf, warum dies so erschütternd ist: "Wir haben erreicht, dass bei Rindfleisch klar ersichtlich ist, in welchem Mitgliedstaat das Tier, von dem das Fleisch stammt, geboren, gemästet, geschlachtet und zerlegt wurde. Damit sind die Genießer deutschen Rindfleisch auch in Zukunft auf der sicheren Seite."

Er will eben immer noch nicht erkennen, dass die deutsche Position immer unhaltbarer und ihr Nutzen längst immer fragwürdiger geworden ist, so dass eigentlich nur das erste deutsche BSE-Rind fehlt, für den Beschluß, die veränderte Lage doch anzuerkennen. Am 24. November ist es dann so weit. In der zunehmend unhaltbaren Lage fällt die erste, von Deutschland als original deutsch anerkannte, Kuh auch wirklich tot um.

Deutschland  muß  anerkennen, das es nicht mehr BSE frei ist. Mit ihrer Position, die dem deutschen Rindfleisch bis zuletzt den Rinderrücken freigehalten hat, hat sie sich selbst in eine Position manövriert, die sie als Verlust ihrer Handlungsfreiheit beklagt.

Worin jetzt genau der Gau besteht: In dem Verlust der Richtlinienkompetenz in Brüssel, in der Tatsache, dass man es jetzt mit einer gesundheitsgefährdenden Seuche zu tun hat, über deren Umfang man systematisch nicht Bescheid wissen wollte, oder ob der Gau mehr im Zusammenbruch des Rindfleischmarktes zu sehen ist, der Tatsache also, dass sogar der brave deutsche Verbraucher den heimischen Rinderprodukten seine Kaufkraft verweigert, all das will und kann jetzt gar nicht mehr unterschieden werden. Die Frage lautet also: wie kommt man unter den neuen Bedingungen eigentlich wieder zu normalen Verhältnissen zurück. Die Gesundheitsschädigung bei Mensch und Tier will unter Kontrolle gebracht sein und das Verbraucherverhalten soll wieder geschäftsdienlich funktionieren. Um all das wird sich seither ausführlichst bemüht.

Übrigens, eins ist sicher: "Wenn alle EU-Maßnahmen in den Mitgliedstaaten implementiert werden, kann der Konsument volles Vertrauen in die Sicherheit von Rindfleisch haben." (28.11.) Das sagt schon einmal die EU und wenn sich jetzt Deutschland erst forsch wieder an die Spitze der EU-Maßnahmen gestellt hat, dann ist zumindest in dieser Hinsicht wieder alles im Lot.