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Die Kritik am Zins

eine Sackgasse der Kapitalismuskritik

Vortrag von Nadja Rakowitz (Frankfurt) gehalten 
am 15. November 2000

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Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist das Anliegen, linke Kapitalismuskritik zu betreiben, die alle Sphären kapitalistischer Verhältnisse kritisiert und nicht die Freiheit und Gleichheit des Äquivalententauschs, also die Verhältnisse der Zirkulation, affirmativ denen der Akkumulation, also des Kapitals entgegensetzt. Mein Ausgangsproblem ist also die Kritik von Marx am Frühsozialismus, die meines Erachtens bis jetzt nicht in ihrer ökonomischen und schon gar nicht in ihrer politischen Dimension adäquat rezipiert worden ist. In den Grundrissen schreibt er Folgendes:

»Es ergibt sich daher der Irrtum jener Sozialisten, namentlich der französischen, die den Sozialismus als Realisation der von der französischen Revolution nicht entdeckten, sondern historisch in Umlauf geworfnen bürgerlichen Ideen nachweisen wollen, und sich mit der Demonstration abmühen, daß der Tauschwert ursprünglich (in der Zeit) oder seinem Begriff nach (in seiner adäquaten Form) ein System der Freiheit und Gleichheit aller, aber verfälscht worden sei durch Geld, Kapital etc. … Das Tauschwertsystem und mehr das Geldsystem sind in der Tat das System der Freiheit und Gleichheit. Die Widersprüche aber, die bei tieferer Entwicklung erscheinen, sind immanente Widersprüche, Verwicklungen dieses Eigentums, Freiheit und Gleichheit selbst; die gelegentlich in ihr Gegenteil umschlagen. Es ist ein ebenso frommer wie alberner Wunsch, daß z. B. der Tauschwert aus der Form von Ware und Geld sich nicht zu der Form des Kapitals oder die Tauschwert produzierende Arbeit sich nicht zur Lohnarbeit fortentwickeln soll.« (Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 916.)

Ähnliche Passagen findet man 1847 in seiner ersten Proudhonkritik in Das Elend der Philosophie. Dort nennt Marx dies eine philanthropische Position, die die Notwendigkeit des Gegensatzes beim Begreifen der bürgerlichen Gesellschaft leugne und aus allen Menschen Bourgeois machen wolle. »Sie will die Theorie verwirklichen, soweit dieselbe sich von der Praxis unterscheidet und den Antagonismus nicht einschließt. Selbstverständlich ist es in der Theorie leicht, von den Widersprüchen zu abstrahieren, auf die man auf jedem Schritt in der Wirklichkeit stößt. Diese Theorie würde alsdann die idealisierte Wirklichkeit werden. Die Philanthropen wollen also die Kategorien erhalten, welche der Ausdruck der bürgerlichen Verhältnisse sind, ohne den Widerspruch, der ihr Wesen ausmacht und der von ihnen unzertrennlich ist. Sie bilden sich ein, ernsthaft bürgerliche Praxis zu bekämpfen, und sie sind mehr Bourgeois als die anderen.« (Karl Marx, Das Elend der Philosophie, MEW 4, S. 142 f.)

Meines Erachtens gerät eine Kapitalismuskritik, die als Zinskritik auftritt und dagegen »Marktwirtschaft ohne Kapital« setzt, in genau diese Sackgasse. Das will ich heute Abend in folgenden Schritten darstellen:
1. will ich die Kritik am Kapitalismus, die Christoph Deutschmann in seinem 1999 veröffentlichten Büchlein Die Verheißung des absoluten Reichtums. Zur religiösen Natur des Kapitalismus übt, vorstellen;
2. will ich auf die Kritik am Zins von Silvio Gesell und
3. kurz auf den Frühsozialisten Pierre Joseph Proudhon und seine Arbeitswertlehre eingehen;
4. die Marxsche Kritik am Wert und die aus diesem folgende Notwendigkeit des Geldes im Sinne der Kritik der politischen Ökonomie, so wie ich sie verstehe, darstellen.

1. Aktuelle Kritik am Zins

Aktien zu kaufen und zu verkaufen scheint in letzter Zeit zum Volkssport geworden zu sein, und es erscheint den Leuten so, als ob aus Geld einfach durch Kauf und Verkauf, also in der Zirkulation, mehr Geld, aus G G+DG bzw. G' werden könnte. In dieser Formel stellt sich der Zins – wie Marx schreibt – »sozusagen im Lapidarstil«, als bloßes Resultat ohne Vermittlung dar. (Vgl. Karl Marx, Das Kapital Bd. I, MEW 23, S. 170.) Die Aktienkäufer beziehen sich affirmativ darauf, natürlich interessiert sie auch nur das Resultat, nämlich G'.

Umgekehrt wird der Zins gerade als solcher von manchen Kritikern des Kapitalismus kritisiert: Politisch, wie z. B. Mitte Juni in Frankfurt beim »Fest der Menschlichkeit«, zu dem unter dem Motto »Gegen die Macht des großen Geldes« ein breites Bündnis alternativer Gruppen aufgerufen hatte. In der Frankfurter Rundschau konnte man dazu Folgendes lesen: Einer der Initiatoren des Festes, der Gründer der Initiative »Ordensleute für den Frieden«, Pater Gregor Böckermann, »spricht sich seit Jahren unermüdlich für die Abschaffung des Zinssystems aus, das dazu führe, dass ›zehn Prozent der Bevölkerung auf Kosten der anderen‹ lebten. Böckermann geißelte virtuelle Geldkreisläufe und Spekulationen in Billionenhöhe als Auswüchse einer nicht gesellschaftlich und politisch gebändigten Wirtschaft« (FR, 17. 6. 2000). Zugleich forderte dieses Bündnis eine neue Aufklärung in Europa gegen die »Allmacht des großen Geldes« (Neues Deutschland, 19. 6. 2000). Der Forderung nach Aufklärung kann ich mich nur anschließen, deshalb kritisiere ich solche Veranstaltungen wiederum anders als die theoretischen Positionen. Gerade darum meine ich aber, diese Aufklärung müsste auch über den Geld- bzw. Zinsfetisch aufklären und insofern Aufklärung über das Kapitalverhältnis und damit notwendigerweise auch über kapitalistische Produktion sein.

Eine theoretisch zunächst viel versprechende Kapitalismuskritik, die im Titel ausdrücklich über die religiöse Natur des Kapitalismus aufklären will, lieferte zuletzt Christoph Deutschmann. Wer sich hiervon Aufklärung erhofft hatte, den will ich hier gleich enttäuschen: Ausgehend von der These, dass sich die Kapitalbewegungen auf den Finanzmärkten von denen der »sachlich fixierten Kapitalformen« (Christoph Deutschmann, Die Verheißung des absoluten Reichtums. Zur religiösen Natur das Kapitalismus, Frankfurt a. M./New York 1999, S. 163) abgekoppelt hätten, kritisiert er am Geld, dass dieses über seine »Vermögenseigenschaft« den absoluten Reichtum verheiße. Wie Deutschmann versucht, im Anschluss an Simmel und Marx das Geld zu begreifen, interessiert mich hier jetzt nicht; worauf ich hier hinauswill, sind seine Schlussfolgerungen. Er will eine andere, »von der Droge des absoluten Reichtums entwöhnte«, also nicht-kapitalistische Gesellschaft entwerfen: Wie diese aussehen könnte – meint Deutschmann –, »ist längst bekannt und in allen Einzelheiten ausgearbeitet; das Modell – die neoklassische Theorie des statischen Marktgleichgewichts und das auf ihm aufgebaute Parsonianische Modell des sozialen Systems – liegt vor und genießt höchste akademische Reputation. Sein ›Schönheitsfehler‹ ist nur …, daß in ihm das Keynes'sche Programm der ›Euthanasie des Rentiers‹ bereits als vollzogen gedacht ist. Das Geld funktioniert in [diesem Modell, NR] … nur als Tauschmittel, die Wirtschaftssubjekte sind nur am Gütererwerb interessiert, der wirtschaftliche Prozeß dreht sich um nichts anderes als um die Allokation knapper Ressourcen zur Befriedigung gegebener Bedürfnisse … Der Mangel an Bodenhaftung [dieses Modells, NR] geht auf die Vernachlässigung der Vermögensform des Geldes, der Verheißung des absoluten Reichtums zurück.« (Christoph Deutschmann, S. 178.) Weiter unten kommt dann konsequenterweise der Verweis auf Silvio Gesell, auf den ich während der Lektüre schon die ganze Zeit gewartet hatte:

»Es reicht nicht aus, das Gute nur zu wollen, man muß auch wissen, worin es besteht. Wer nach diesem Wissen strebt, kommt nicht umhin, sich zunächst mit dem schwierigen Problem der Rolle von Geld und Kapital in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Gesells und Keynes' Desiderat, die Kapitaleigentümer von ihrer Vorstellung abzubringen, sie hätten einen Anspruch auf einen ›Ertrag‹, müßte in seiner ganzen Tragweite verstanden und praktisch in Angriff genommen werden.« (Christoph Deutschmann, S. 180.) In einer Fußnote verweist er dann auf verschiedene gesellianische Projekte (Wörgl etc.), die von Gerhard Senft beschrieben werden, und auf die ökonomischen Analysen von Christoph Binswanger als Beleg für die Triftigkeit seiner Argumentation (Christoph Deutschmann, S. 181 f.). Deutschmanns Kritik am gegenwärtigen Kapitalismus zielt auf die »Wiederherstellung« von Zuständen, in denen es noch kein Kapital gab.

Ich zitiere weiter: »Wie und wann immer dieses Ziel erreicht werden mag: Das Ergebnis wäre jedenfalls mitnichten das Ende des Wirtschaftens. Das System, das entstehen würde, hat Schumpeter … in allen Einzelheiten dargestellt. Danach könnte es nach wie vor Märkte für Produktionsmittel, Konsumgüter, Arbeit (verstanden als ein bestimmtes Spektrum konkret in der Gesellschaft institutionalisierter, bezahlter Dienstleistungen), ja selbst Geld geben, nicht aber mehr für Kapital. Der normale Reproduktionsprozeß der Gesellschaft würde vom Imperativ der Innovation und Akkumulation abgekoppelt, die ›Erwerbswirtschaft‹ in eine ›Versorgungswirtschaft‹ … rückverwandelt. Die Produktion könnte dann in der herkömmlichen Weise fortgeführt werden, auch wenn sie keine Mehrwertkomponente mehr enthält und nur noch konkreten, keinen absoluten Reichtum mehr liefert – es müßten nur die Kosten gedeckt werden. Arbeit wäre nun als ein nach Maßgabe politisch auszuhandelnder Kriterien auf die ganze Gesellschaft zu verteilender ›Fonds‹ bestimmbar; sogar ›Arbeitswerte‹ ließen sich berechnen.« (Christoph Deutschmann, S. 182.)

Was man hier bei Deutschmann findet, ist die – ich weiß nicht wievielte – Neuauflage eines immer wiederkehrenden, auf Silvio Gesell zurückgreifenden Vorschlags zur vermeintlichen Abschaffung des Kapitalismus mit dem Ziel einer Marktwirtschaft ohne Kapital.

2. Religion des Vulgären –
Silvio Gesells »natürliche Wirtschaftsordnung«

Silvio Gesell war ein Schweizer Großkaufmann, geboren 1862, gestorben 1930. Sein theoretisches Hauptwerk Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freigeld und Freiland ist 1911 erschienen; in einem Roman Der abgebaute Staat hat er dann seine Utopie weiter beschrieben. Politisch ist er während der Bayerischen Räterepublik kurz in Erscheinung getreten; dort war er auf Vorschlag von Ernst Niekisch am 7. April 1919 zum Volksbeauftragten für Finanzen berufen worden. Er entging dem Schicksal von Gustav Landauer (erschlagen) und Erich Mühsam (jahrelange Festungshaft) dadurch, dass er – wie sein Mitarbeiter Rolf Engert schreibt – den Konterrevolutionären glaubhaft versichern konnte, nur in die Regierung eingetreten zu sein, »um dem Einfluss der Kommunisten entgegenzuwirken« und um die Wirtschaft wieder aufzubauen (Peter Nowak, »Volk ohne Geld. Zur Aktualität des Freiwirtschaftlers Silvio Gesell«, in: WOZ – Die Wochenzeitung [Zürich] Nr.24, 17. 6. 1994). Er hat auch bei der Zeitung Deutsche Freiwirtschaft – Monatszeitschrift zur Überwindung der kapitalistischen und sozialistischen Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld mitgearbeitet und von 1921 bis zu seinem Tode 1930 die Landkommune »Oranienburg-Eden« geleitet, »wo neben vegetarischer Ernährung ›deutsch-völkische Gesinnung‹ und ›deutsches Ariertum‹ Voraussetzung für die Aufnahme waren« (Peter Nowak, ebd.).

Mich interessiert Gesell – als Neuauflage des Frühsozialismus –, weil er als Kritiker des Kapitalismus und zugleich als Kritiker des Sowjetkommunismus auftrat (J.M. Keynes nennt dies »antimarxistischen Sozialismus«) und weil er zum einen in der Ökologiedebatte , zum anderen immer wieder von bestimmten Anarchisten als Ökonom in Anspruch genommen wird.

Wachstum wird als »unnatürlich« dargestellt, dagegen wird die »natürliche Wirtschaftsordnung« gestellt. Diese ist gekennzeichnet durch
– Geld, das nur Tauschmittel ist (nicht die »Fähigkeit hat, Zinsen zu erzwingen«)
– Menschen sind gedacht als einzelne isolierte Individuen
– Wettbewerb unter den Menschen (Sozialdarwinismus)
– Marktwirtschaft ohne Kapital (das mit Zins identifiziert wird)
– Gründe für Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten etc. sieht er im Bodenunrecht und im Metallgeld

Wie will er die »natürliche Wirtschaftsordnung« herstellen?

Mit Schwundgeld (Geld, das die gleiche Eigenschaft hat wie Waren, nämlich zu verrotten): Vom Staat oder einer entsprechenden Behörde wird dafür gesorgt, dass das Geld monatlich einen gewissen Schwund erleidet, damit das Geld ständig zirkuliert …

Produktion wird zum einen als einfache Warenproduktion vorgestellt, in der jeder einzelne für sich produziert und dann seine Waren verkauft; zum anderen tauchen – quasi natürlich, wie in allen diesen Utopien – Lohnarbeiter und Unternehmer auf, die zwar eigentlich nicht ins Modell passen, aber dann irgendwie ideologisch eingepasst werden (Unternehmerlohn, Miete für die geliehenen Produktionsmittel etc.).

Die »natürliche Wirtschaftsordnung« weist also folgende Charakteristika auf:
– Äquivalententausch
– Privateigentum
– Warenproduktion
– Lohnarbeit
– Wettbewerb/Konkurrenz
– Akkumulation

Die Kritik am Zins ist bei Gesell und seinen modernen Anhängern die gleiche wie die Kritik am Wucher durch z. B. den heiligen Thomas von Aquin: Das Verleihen von Geld für eine bestimmte Zeit wird kritisiert, denn »die Zeit ist allein Gottes«, heißt es bei den Kirchenvätern. Gesells angebliche Kapitalismuskritik kritisiert den Wucher, den er mit dem Zins identifiziert; sie geschieht deshalb aus einer vorkapitalistischen Perspektive. Denn es ist historisch gerade ein Charakteristikum des Kapitalismus, dass sich die Form des Kredits und des Zinses allgemein durchgesetzt haben quasi als Kritik am Wucher. In der Politischen Ökonomie ist ein allgemeiner Zins deshalb im 17. Jahrhundert diskutiert und gefordert worden.

Das Kapital und die moderne Form des Kredits und des Zinses setzen sich meines Erachtens als Emanzipation vom Privileg des Wuchers und als Verallgemeinerung der Freiheit und Gleichheit der Kapitalarten durch. Deshalb lässt sich eine moralische Unterscheidung zwischen den verschiedenen Kapitalformen nicht aus den Verhältnissen begründen.

Ökonomietheoretisch ist man hier meines Erachtens beim Kern des Problems. Die »natürliche« Wirtschaftsordnung ist nichts anderes als eine zirkulationistisch verkürzte Vorstellung von Ökonomie, wobei die Zirkulation genau genommen vorgestellt wird wie ein »unmittelbarer« Produktentausch, bei dem das Geld bloß als Tauschvermittler, als Zirkulationsmittel funktioniert. Diese Vorstellung von Geld ignoriert nach meiner Interpretation zum einen die Notwendigkeit des Geldes im Äquivalententausch und damit die erste Funktion des Geldes, nämlich Maß der Werte und Maßstab der Preise zu sein. Zum anderen verschließt sie sich der Konsequenz des widersprüchlichen Geldbegriffs. Geld ist als entwickeltes ohne das Kapitalverhältnis nicht denkbar.

Damit wiederholt sich bei Gesell und seinen Anhängern die Proudhonsche Misere. Sie ignorieren, dass das Geld als Zirkulationsmittel im Äquivalententausch voraussetzt, dass die Dinge als Waren in die Zirkulation kommen, also schon einen Preis, eine Geldform haben. Diese muss aber erklärt werden. Es gilt, wie Marx im Kapital schreibt, »zu leisten, was von der bürgerlichen Ökonomie nicht einmal versucht ward, nämlich die Genesis dieser Geldform nachzuweisen, also die Entwicklung des im Wertverhältnis der Waren enthaltenen Wertausdrucks von seiner einfachsten unscheinbarsten Gestalt bis zur blendenden Geldform zu verfolgen« (K I, S. 62).

3. Pierre Joseph Proudhon

Im Gegensatz zu Proudhon, auf den er sich sonst gerne beruft, meinte Gesell, man könne das Problem des »so genannten« Wertes ignorieren, weil der Wert »eine Schätzung [ist], die durch den Abschluß des Handels in eine genau gemessene Menge Tauschgüter in den Preis übergeht. Den Preis kann man haarscharf messen, den Wert kann man nur schätzen … Eine besondere Theorie des Wertes ist überflüssig« (NWO, S. 123).

Hier hat Proudhon ein genaueres Verständnis der Zusammenhänge. Deshalb will ich hier kurz auf ihn eingehen, weil ich denke, dass Marx in der Auseinandersetzung mit dessen Arbeitswertlehre seinen kritischen Begriff von Wert und Geld erst entwickeln konnte. Während der Wert, so Proudhon, für Äquivalenz und Gleichheit stand und wieder stehen soll, steht das Geld bei Proudhon für Ungerechtigkeit und Ungleichheit, denn das klingende Geld sei »der Despot der Zirkulation«. Weil Silber und Gold unter den Waren den ersten Platz einnähmen, würden sie den anderen Waren ihren Wert geben. Aus diesem Privileg erklärt er den Zins. Diesen hält auch Proudhon für das Hauptproblem des Kapitalismus, dem er dann in der Philosophie de la Misère sein Ideal einer gerechten Gesellschaft gegenüberstellt: Es ist eine Gesellschaft, die nun endlich wirklich Äquivalente tauscht. Er will im Rückgriff auf Adam Smiths und David Ricardos Werttheorie alle Waren dem Geld gleichmachen. Da der Wert einer Ware durch die individuell dafür aufgebrachte Arbeit konstituiert und deshalb in Arbeitszeit gemessen werde, dürfe das Geld nichts anderes sein als ein Arbeitsstundenzettel. Damit sei gewährleistet, dass wirkliche Äquivalente getauscht würden, und dies gilt ihm als Garant für gesellschaftliche Gleichheit und damit Gerechtigkeit. Das soziale Gleichheitsideal der Französischen Revolution wird von Proudhon ökonomisch reduziert auf ein Gleichgewichtsmodell, wie wir es bei Gesell und in der bürgerlichen Ökonomie finden.

Gesellschaft ist ganz ähnlich bestimmt wie bei Gesell:
– Universale Konkurrenz (als Ausdruck der universalen individuellen Freiheit)
– Arbeitsteilung
– Einfache Warenproduktion, das heißt, er will die »Waarenproduktion verewigen und zugleich den Gegensatz von Geld und Waare, also das Geld selbst, denn es ist nur in diesem Gegensatze, abschaffen« (MEGA II/5, S.5 4)

Hergestellt werden soll diese Gesellschaft durch eine Tauschbank, die die Arbeitsstundenzettel verwaltet. (Dass diese die Funktionen eines despotischen Staates erfüllen muss, zeigt Marx in den Grundrissen; würde sie tatsächlich nur verwalten, müsste die Gesellschaft schon anders als nach Äquivalenz- und damit Konkurrenzprinzipien organisiert sein; dann bräuchte man aber auch keine Wertberechnung mehr …)

Soweit zu Proudhons Vorstellungen, die Ideale der Zirkulation zu verwirklichen und damit den Kapitalismus abzuschaffen zugunsten einer wirklichen Marktwirtschaft mit Äquivalententausch. Auch bei Proudhon hat diese Vorstellung der Herrschaft des Zinses und der entsprechenden Abschaffung des Zinses antisemitische Vorstellungen zur Konsequenz, die er in den Texten zur »Tauschbank« offen beschreibt.

4. Marx’ Kritik an der einfachen Zirkulation, an Wert und Geld

In der Lesart der »Kritik der Politischen Ökonomie«, die ich hier zur Debatte stelle, geht es in den ersten drei Kapiteln des Kapitals um eine Kritik der einfachen Zirkulation und der darin herrschenden Kategorien. Sie stellen also eine Kritik an Wert und Geld dar, wie eine Kritik an den damit notwendig zusammenhängenden Vorstellungen von Freiheit, Gleichheit und Privateigentum. Damit wird hier nicht nur die bürgerliche Politische Ökonomie kritisiert, sondern auch der Proudhonismus und mit ihm alle naiven Sozialismusvorstellungen. In einem Brief von 1859, also nach Erscheinen von Zur Kritik der Politischen Ökonomie, wo ja nur die einfache Zirkulation dargestellt und kritisiert wird, schreibt Marx an Engels, dass dieser in der Rezension nicht vergessen dürfe, dass damit »der Proudhonismus in der Wurzel vernichtet ist« (MEW29, S.463).

Wie stellen sich in der Kritik der Politischen Ökonomie Wert, Geld, einfache Zirkulation dar? Ich will hier kurz die Darstellungsschritte vorführen, ohne jetzt die Marxsche Argumentation und Begründung ausführen zu können:

Marx beginnt seine Darstellung mit dem Reichtum, wie er in Gesellschaften mit kapitalistischer Produktion erscheint: als ungeheure Warenansammlung; ihre Elementarform ist die Ware. Diese wird im Fortgang analysiert. Was macht auf dieser Ebene der Erscheinung die Dinge zu Waren? Ihr Preis, der sich als Wertform darstellt.

Diese wird im Folgenden analysiert, und es ist der Anspruch, zu zeigen, dass die Wertform aus dem Wertbegriff entspringt. Das heißt, dass der Wert nicht ohne das Geld gedacht werden kann. Ich versuche in meinem Buch Einfache Warenproduktion (Freiburg 2000), an der »Kritik der Politischen Ökonomie« nachzuzeichnen, dass es der Anspruch der Wertformanalyse ist, zu zeigen, dass der Wert sich nicht bestimmen lässt ohne das Geld. Den Wert zu bestimmen wäre aber die Voraussetzung für all jene Utopien, die die gerechte gleiche Gesellschaft einführen wollen, auf Basis von »wirklicher« Äquivalenz. Marx zeigt im Weiteren – auch das habe ich versucht darzulegen –, dass auch das Geld innerhalb der einfachen Zirkulation seine Funktionen nur erfüllen kann, indem es in Widersprüche gerät.

All diejenigen, die das Geld wieder zum bloßen Tauschmittel machen wollen, verschließen sich der Konsequenz dieses widersprüchlichen Geldbegriffs. Marx zeigt, dass das Geld als Tausch- oder, wie er sagt, Zirkulationsmittel in Widersprüche gerät und notwendig übergehen muss zum Geld als Geld bzw. Weltgeld. Als solches gerät das Geld vollends in Widersprüche und treibt über sich hinaus.

In seiner letzten, vollendeten Bestimmung erscheine, so Marx in den Grundrissen, das Geld nun nach allen Seiten als ein Widerspruch, der sich selbst auflöse bzw. zu seiner eigenen Auflösung treibe. »Als allgemeine Form des Reichtums steht ihm die ganze Welt der wirklichen Reichtümer gegenüber. Es ist die reine Abstraktion derselben, – daher so festgehalten bloße Einbildung Andrerseits, als materieller Repräsentant des allgemeinen Reichtums wird es bloß verwirklicht, indem es wieder in Zirkulation geworfen, gegen die einzelnen besondren Weisen des Reichtums verschwindet.«

Wenn das Geld aber in der Zirkulation ist und dort bleibt, stellt es nicht Reichtum für das schatzbildende Individuum dar. Aber nur, indem man es zirkulieren lässt, kann man das Geld als Reichtum sichern. Als Reichtum verwirklichen kann man es dagegen nur, indem man es in Waren eintauscht und diese konsumiert. »Ich kann sein Sein für mich nur wirklich setzen, indem ich es als bloßes Sein für andre hingebe. Will ich es festhalten, so verdunstet es unter der Hand in ein bloßes Gespenst des wirklichen Reichtums.« Aber auch die Schatzbildung erweist sich nicht als adäquates Mittel, seinen Reichtum zu vermehren. Die Aufhäufung von Geld, »daß seine eigne Quantität das Maß seines Werts ist«, ergibt keinen Sinn, wenn sich auf der anderen Seite nicht Waren aufhäufen. Das Geld verliert dann seinen Wert in dem Maß, in dem es aufgehäuft wird. Die Vermehrung der Menge an Geld erscheint zwar als Vermehrung des Reichtums, das es ausdrücken soll, ist in der Tat aber seine Abnahme. »Seine Selbständigkeit ist nur Schein; seine Unabhängigkeit von der Zirkulation besteht nur in Rücksicht auf sie, als Abhängigkeit von ihr.« Was die ökonomische Wissenschaft als Besonderheit des Geldes gegenüber der Ware versuchte herauszustellen, wird von Marx hier in seiner Widersprüchlichkeit dargestellt. Obwohl das Geld doch – als Ergebnis der Wertformanalyse – als allgemeine Ware erschien, unterliegt es nun den gleichen Bestimmungen wie jede besondere Ware. Sein Wert scheint sowohl von Nachfrage und Zufuhr abzuhängen als zu wechseln mit seinen spezifischen Produktionskosten. Damit repräsentiert das Geld selbst nur ein identisches Quantum von veränderlichem Wert, obwohl es doch den Wert als solchen oder, wie bei Proudhon, den authentischen Wert repräsentieren soll. Marx resümiert: »Es hebt sich daher auf als vollendeter Tauschwert Als bloß allgemeine Form des Reichtums negiert, muß es also sich verwirklichen in den besondren Substanzen des wirklichen Reichtums; aber indem es so sich wirklich bewährt als materieller Repräsentant der Totalität des Reichtums, muß es zugleich sich erhalten als die allgemeine Form. Sein Eingehn in die Zirkulation muß selbst ein Moment seines Beisichbleibens und sein Beisichbleiben ein Eingehn in die Zirkulation sein. D. h. als realisierter Tauschwert muß es zugleich als Prozeß gesetzt sein, worin sich der Tauschwert realisiert.« (Vgl. GR, S. 160 ff.)

Dieser Prozess kann nur einer sein, der systematisch Mehrwert produziert – und dies, ohne das Prinzip der Äquivalenz auf der Ebene der Zirkulation zu verletzen. Es muss kapitalistischer Produktionsprozess sein. Dieser muss dann aber auch als durch das Kapitalverhältnis formbestimmter gedacht werden.

Damit sind nach meiner Interpretation bestimmte, historisch sehr wirksame politische Lesarten des Kapitals ausgeschlossen. Weder lässt sich das Kapital in den ersten Kapiteln historisch lesen als Beschreibung einer Gesellschaft, die gemäß der einfachen Zirkulation produziert, also als eine Gesellschaft mit einfacher Warenproduktion. So kann man das z. B. bei Ernest Mandel, Wolfgang Fritz Haug et al. nachlesen. Noch lässt es sich so lesen, dass aus der einfachen Zirkulation eine Utopie entwickelt werden könnte, dergemäß im »Sozialismus« erst wirklich individuelle Freiheit und Gleichheit herrschen würden, weil in diesem nun endlich wirkliche Äquivalente getauscht werden könnten. Dies ist eine Tradition, die mit Friedrich Engels anfängt und über August Bebel et al. fortgeführt wird. Als aktuelle Variante kann man sie wieder finden beim so genannten »Bielefelder Ansatz« von Christa Müller und Veronika Bennholdt-Thomsen.

Zusammenfassung

Die Darstellung der einfachen Zirkulation in ihrer Totalität zeigt, dass sie als selbstständige nicht denkbar ist, sondern nur unter der Voraussetzung des Kapitalverhältnisses, also kapitalistischer Produktion. Wert ist nur denkbar unter der Voraussetzung des Mehrwerts. Erst nachdem die Mehrwertproduktion mit all ihren Voraussetzungen und Implikationen dargestellt worden ist, kann sinnvoll von Zirkulation gesprochen werden. Diese ist dann aber Zirkulation des Kapitals. Und erst wenn der Mehrwert dann als Zirkulationskategorie, also als Profit dargestellt werden kann, kann man sinnvoll von einem Moment des Profits, nämlich dem Zins reden. Damit ist aber Zins genauso eine kritikwürdige Kategorie wie Profit, bzw. Finanzkapital genauso kritikwürdig wie jede andere Form von Kapital. Den Zins zu kritisieren hat nur einen Sinn, wenn man das Kapitalverhältnis in seiner Totalität kritisiert. Der Zins lässt sich demnach nur abschaffen, wenn man seine Voraussetzung abschafft, das Kapitalverhältnis selbst. Dieses ist selbst notwendige Voraussetzung der einfachen Zirkulation. Solange man an dieser und den in ihr herrschenden Ideologien festhält, hält man am Kapitalverhältnis fest. Will man dies nicht, muss man sich über die »Demokratisierung der Produktion« Gedanken machen, muss man sich überlegen, wie Freiheit und Gleichheit anders gedacht (und organisiert) werden können als bloß als individuelle Freiheit und Wert-Gleichheit.