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Die Verwertung des Subjektiven als Grundlage eines neuen Akkumulationsregimes

von Dietmar Lingemann

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Der gesellschaftspolitische Diskurs des vergangenen Jahrzehnts hatte als zentrale Schlüsselbegriffe „Neoliberalismus“ (vorwiegend von links besetzt) und „Globalisierung“ (von rechts bevorzugt), mit deren Klärung die derzeitigen Umbrüche des Kapitalismus gefaßt werden sollten. Das auf diesem Verständnis basierende strategische linke Gegen-Projekt - ohne es hier im einzelnen ausformulieren zu wollen - , hat in wichtigen europäischen Staaten zur Ablösung der konservativen Regierungen geführt. Die Tatsache aber, das nach einem „kurzen Winter Lafontaines“ dieses Gegenprojekt praktisch widerstandslos ausgetauscht werden konnte gegen eine neue „Dritte-Weg-Programmatik“, muß nachdenklich machen auch in Bezug auf die Reichweite unseres theoretisches Verständnisses der derzeitigen Umbrüche. Die Strategie einer europäischen Linken, die alles auf die zwei Standbeine des gesellschaftlichen Konflikts in der Fabrik und der Kontrolle des Staatsapparates gesetzt hatte, steht unübersehbar vor einem Trümmerhaufen. Die Bildung einer neuen Strategie kann allerdings an der Hypothese anknüpfen, daß sich nach dem Ende des „fordistischen Akkumulationsregimes“ und zwanzig Jahren neoliberaler „Abrisspolitik“ der Nachkriegsgesellschaft nunmehr die Konturen eines neuen Akkumulationsregimes herausschälen.

An dieser Stelle läßt sich das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente (oder besser: Momente) dieses neuen sozio-ökonomischen Arrangements natürlich nicht in Toto ausführen. Die italienische Diskussion der „Post-Operaisten“, die französische Diskussion der sog. Regulationsschule und die deutsche „crossover“-Debatte bewegen sich, in der Sache jeweils nuanciert und mit unterschiedlichen Begriffsapparaten, letztlich aber gemeinsam mit Riesenschritten auf eine theoretische Entschlüsselung jener kapitalistischen Gesellschafts­formation hin, für die im Moment noch kein tragfähiger, akzeptierter Begriff existiert. Im Folgenden will ich mich auf einen Aspekt beschränken, dessen Verständnis mir aber zentral zu sein scheint.

Der empirisch zu beobachtende Umbau des gesamten Produktionsapparates, der Kampf um herausragende Weltmarktpositionen, die Konzentration der Unternehmen auf das sog. Kerngeschäft, die Konzentrations­prozesse bei gleichzeitiger relativer Verschlankung, der damit verbundene strategische (und dauerhafte!) Arbeitsplatzabbau lassen sich offenbar nicht allein (quantitativ) als kapitalistische Ausdehnungs­bewegung (Globalisierung, emerging markets) und zunehmende Marktförmigkeit aller sozialen Prozesse (Neoliberalismus) fassen, sondern - so ist hier die These - auch der qualitative Kern von Produktion, die unmittelbaren Arbeitsbeziehungen, formiert sich neu. Diese Umbrüche in den Arbeitsbeziehungen bestehen dabei aber nicht allein in der „Fraktalisierung“ von Arbeitsverhältnissen und Arbeitsmärkten, im Anwachsen sog. atypischer Beschäftigungs­verhältnisse sowie im oft thematisierten Angriff auf die Organisationsformen der Lohnabhängigen, sondern es vollzieht sich auch ein radikaler Wechsel in bezug auf Wertschöpfung und Ausbeutung.

Die in der oben angesprochenen Literatur vorgebrachte Argumentation dazu soll hier kurz skizziert werden.

Von ganz rechts bis ganz links herrscht Einigkeit darüber, daß die in den letzten Jahren und Jahrzehnten vorgenommenen Umwälzungen der Produktionsstrukturen einen neuen Typus von Arbeit hervorgebracht haben, der von italienischen Autoren als „immaterielle Arbeit“ bezeichnet wird. Dabei ist die Arbeit in den neuen Branchen gewissermaßen prototypisch für die veränderte Art der Arbeitsbeziehungen. Dieser Typ von Arbeit ist davon gekennzeichnet, daß die Subjektivität der Arbeitenden im Vordergrund steht. Ihre Kreativität, Spontaneität, ihr gesamtes Wissen und ihre gesamte Persönlichkeit gehen in ihren Arbeitsprozeß ein. Rund um die Uhr erreichbar zu sein, ist nicht länger Markenzeichen von Unternehmensvorständen und Workoholics, sondern normale Anforderung im "Kommunikationskapitalismus". Rund um die „Immaterialität“ von Kommunikation, von Implementation von Wissenschaft, von der Nutzung der kulturellen Seite der Ware wird eine Entfaltung von Subjektivität angeschoben und ihre Verwertung organisiert.

Dies bildet offensichtlich einen Gegensatz zur bisherigen Gestalt von Arbeit, die davon gekennzeichnet ist, das die Subjektivität des Arbeitenden gerade ausgeschlossen wurde, der „Arbeiter zum Anhängsel der Maschine“ gemacht wird, seine Fähigkeiten und Potenzen vom kapitalistischen Produktionsprozeß in hohem Maße verschleudert werden. Der Taylorismus ("die wissenschaftliche Betriebsführung" im deutschen) organisierte die Auseinanderlegung von Hand- und Kopfarbeit, vollzog immer stärker den Übergang aller Planungselemente und Kompetenzen ins Management, was umgekehrt eine dauernde Dequalifizierung der einfachen Arbeit zur Folge hatte. Dequalifizierung bedeutet hier weit mehr als nur rein auf den vorhandenen Produktionsapparat bezogenes technisches Handlungswissen. So besaß der "Massenarbeiter" z.B. der Automobilindustrie sicherlich noch weniger Qualifikation als der Facharbeiter oder der Handwerker, auch wenn er mit einem Produktionsapparat umgehen mußte, der technisch höher entwickelt war. Mit der Zurichtung auf generelle Verfügbarkeit, Austauschbarkeit, „Homogenisierung“ der Arbeit gingen auch die sinnstiftenden, identitätsbildenden Momente der Arbeit früherer Epochen verloren.

Der "subjektive Faktor" des Arbeitsprozesses wurde vom "objektiven Faktor" so strukturiert, daß die Fülle menschlicher Fähigkeiten nicht genutzt, sondern auf weniges reduziert wurde. Subjektivität im obigen Sinne dagegen durften nur diejenigen einbringen, die entweder direkte Herrschaftsfunktionen wahrnahmen oder sich in einem Freiraum wie Wissenschaft oder Kunst bewegen konnten.

Wenn man in der Begrifflichkeit von Ausbeutung als der systematischen Verwertung des menschlichen Lebens bleibt, ist unmittelbar klar, daß die bisherigen Formen der Ausbeutung mit ihren der Form der Arbeitsteilung geschuldeten Reduktionen und der massiven "Verschleuderungen" menschlicher Potenzen aus kapitalistischer Sicht suboptimal waren.

Ganz anders nun der neue Charakter von (Massen-)Arbeit, der in den rasch wachsenden Branchen der New Economy zu beobachten ist und der den Einsatz von Subjektivität erfordert:

Hier schließt manuelle Arbeit intellektuelle Arbeit mit ein, die Trennung von Konzeption und Ausführung, von Mühe und Kreativität wird aufgehoben, die Tätigkeit der Informationsverarbeitung ist obligatorisch, zentrales Moment der Arbeit ist die Fähigkeit, Kooperationen in Gang zu setzen und zu leiten, was ebenso selbstverständlich Kontrollaufgaben beinhaltet wie die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen.

Also „aktive Subjekte“ sind erforderlich, wenn „die Seele der Beschäftigten Teil des Unternehmens“ werden soll und dies schließt ein völlig neues Verhältnis von Hand- und Kopfarbeit ein.

Dieser Grad von Aktivität und Subjektivität bringt aber das tradierte Lohnarbeitsverhältnis in die Krise, denn die Unterwerfung der Arbeit ist nicht mehr länger nur formell. Die Voraussetzung für das traditionelle Lohnarbeitsverhältnis ist die Trennung der Arbeitskraft von ihrem personalisierten Träger, sonst kann er sie nicht als Ware verkaufen. Jetzt aber ist es die lebendige Arbeit als lebendige mit ihrer geistigen, aber auch affektiven, sprachlichen, kulturellen Kraft, die genutzt werden muß. Lohnarbeit und die direkte Unterwerfung unter einen gegebenen Produktionsablauf sind daher nicht länger die Hauptgestalt, die das Vertragsverhältnis zwischen Kapitalist und Arbeiter annimmt. Der Verkauf der Arbeitskraft, die Vernutzung in der Zeit wird internalisiert, der immateriell Arbeitende wird zum Selbstverwalter, zum Unternehmer seiner Arbeitskraft. Er geht daher von Unternehmer zu Unternehmer ein ökonomisches Vertragsverhältnis ein, in dem eine qualitativ definierte Leistung verkauft wird. Für die Herstellung dieser Leistung, gewissermaßen die unmittelbare Ausbeutung, ist er selbst verantwortlich.

Daß diese Entwicklung die Gewerkschaften vor ungeheure Probleme stellt, ist bekannt. Solange die Gesamtstruktur der Arbeitnehmervertretungen auf das traditionell kodifizierte Lohnarbeitsverhältnis ausgerichtet ist und das neue vertragliche Moment mit Verweis auf die darin enthaltenen Abhängigkeitsverhältnisse (Scheinselbständigkeit) lediglich als Unterlaufen von Arbeitnehmerrechten gesehen wird, bewegen sich Arbeitnehmer und Gewerkschaften von Niederlage zu Niederlage, weil sie nur eine Strategie entlang einer zerbrechenden Form und keine Strategie entlang des Inhaltes der Arbeit entwerfen können. Wer noch Spaß an Hegel-Marxschen Kategorien besitzt, kann sagen: es ist der neue Inhalt, der die alte Form zerreißt.

Das Ende des Taylorismus und die neue Zentralität des Subjektiven

Blicken wir kurz zurück in die Geschichte dieser Veränderung der Form der Teilung gesellschaftlicher Arbeit.

Vor gut einem Jahrhundert ermöglichte die Einführung des elektrischen Stromes in der „zweiten industriellen Revolution“ die grundsätzliche Neustrukturierung des Arbeitsprozesses in den Fabriken. Nicht mehr wurden gleiche Arbeiten in Abteilungen zusammengefasst wie im „mechanisierten Raum“ der Dampfmaschinen-Zeit, sondern die verschiedenen Spezialmaschinen, unabhängig voneinander elektrisch angetrieben, konnten in funktionaler Reihenfolge angeordnet werden. Damit einher ging die wissenschaftliche Analyse und Optimierung der funktionalen Zusammenhänge des Arbeitsprozesses. War schon im 19. Jahrhundert der Arbeiter zum „Anhängsel des Maschinensystems“ geworden, so ermögliche die neue lineare Fabrik nunmehr ein optimales Zeitmanagement aus der Sicht des Unternehmers (Taylorismus bzw. „wissenschaftliche Betriebsführung“). Mit der Einführung des Fließbandes und der standardisierten Massenfertigung (Fordismus) vollendete sich die grundlegende Trennung von Kopf- und Handarbeit in der nunmehr tayloristisch-fordistischen Gestalt. Sie ermöglichte die bekannte ungeheure Produktivitätsentwicklung, die allerdings eine Lösung der Frage des Absatzes dieses Produktionsvolumens verlangte. Die systematisch Anwendung der Logik der „economies of scale“ führt infolge wachsender Arbeitsproduktivität zu immer weiter sinkenden Stückkosten bei steigenden Produktionszahlen; im Verbund mit (im Rahmen der Produktivitätszuwächse) steigenden Löhnen ermöglichen die sinkenden Stückkosten eine laufend wachsende Nachfrage. Auch wenn die Unternehmerkollegen von Old Henry seine Strategie, hohe Löhne zu zahlen, zunächst nicht verstanden, erwies sich doch dieses System als äußerst effizient, weil es (zunächst) die Fähigkeit besitzt, die Gesamtheit der Bedingungen der eigenen Reproduktion zu generieren.

Nach dem zweiten Weltkrieg setzte sich daher im Westen als Gesellschaftsmodell der keynesianische Wohlfahrtsstaat durch, dessen Leitmotiv Wachstum ist. Wachsende, an die Produktivität gebundene Löhne, an die hohen Löhne gebundene wachsende Massennachfrage, an die volle Nutzung der Produktionskapazitäten gebundene wachsende Profite und wachsende Investitionen in technologischer Innovation und neuen Werken waren die ökonomischen Kennzeichen dieses „Akkumulationsregimes“.

Der produktive Kern dieser Konfiguration ist allerdings sehr spezifisch ausgeprägt.

Die Struktur des Arbeitsprozesses ist charakterisiert von einer rigiden vorherbestimmten und unveränderbaren Abfolge formalisierter und spezialisierter Produktionsakte, sie besitzt eine - in der Begrifflichkeit der Organisationstheorie - sehr starke serielle Interdependenz (long-linked technology). Dadurch, das alle Produktionsschritte hochgradig aufeinander abgestimmt sind, jeder einzelne Produktionsakt angewiesen ist auf den parallelen Vollzug der anderen Produktionsakte, ist der Kern der fordistischen Produktion gänzlich unfähig auf „Störungen“ oder Ansprüche der Umgebung zu reagieren, umgekehrt, er muß seinen Takt wahren, muß vor den Turbulenzen der Umgebung geschützt, „isoliert“ werden, mittels eines schützenden Gürtels, der im fordistischen System im Inneren hergestellt wird durch das dichte Netz an Stocking-Kapazitäten, von den Lagerhallen vor dem Fließband bis zu denen an seinem Ende. Außen wird das System geschützt durch die großen Lagerplätze für die produzierten Waren, durch das Netz der Groß- und Vertragshändler, wo die Waren abgeladen werden, die im lange Zeit vorher festgelegten und unveränderlichen Rhythmus aus der Fabrik fließen. Die Zulieferbetriebe werden vertikal, d.h. hochabhängig in die Produktionspyramide integriert. Vor allem aber braucht das System einen Markt, der im Stande ist, die Produkte im konstanten Rhythmus zu absorbieren, der bei Anstieg der Arbeitsproduktivität und der Kosten mitwächst, und der zur Zeit der technischen Planung des Unternehmens vorhersehbar und planbar ist. Dieser Markt muß den output eines Produktionsprozesses, der so rigide ist, dass er nicht in der Lage ist, die Effekte der Rückwirkungen eventueller „Störungen“ auf seiten der Nachfrage auf den eigenen technologischen Kern auszuhalten, praktisch unbegrenzt absorbieren (können). Daher die in der Endphase des Fordismus zu beobachtende Tendenz, das der Staat immer stärker marktstabilisierend in das ökonomische Geschehen eingreift, immer stärker öffentliche Nachfrage generiert, durch immer aufwendigere Großprojekte Investitionssicherheit zu schaffen sucht. Die „Verstaatung“ der Gesellschaft, die (positive oder negative) Vision einer vollkommen durchregulierten Gesellschaft besitzt einen strukturellen Zusammenhang mit der hochrationalen, aber unflexiblen Matrix der Produktion.

Die immer konkreter werdende Erfahrung der gesellschaftspolitischen und ökonomischen Unmöglichkeit von grenzenlosem Wachstum erzeugt daher eine massive Konfliktualität zunächst nicht so sehr in der Fabrik, sondern in der Gesellschaft, weil die Zurichtung der Lebensverhältnisse Widerstand erzeugen und dazu beitragen, „neue soziale Bewegungen“ auf den Plan zu rufen.

Gleichzeitig zog die Unsicherheit in Bezug auf die Expansionsmöglichkeiten der vorhandenen Märkte, der Verlust von Sicherheit, Kontrolle und Planbarkeit, eine „Investionsblockade“ nach sich. Ab Mitte der siebziger Jahre beginnt ein irreversibles Wachstum von Arbeitslosigkeit in den kapitalistisch verfassten Gesellschaften.

Für die Unternehmen bedeutete der Rückgang von Investitionssicherheit, die deutlicher werdende Enge der Märkte verschärften Wettbewerb. Die erste (betriebswirtschaftliche) Reaktion war daher in der ersten Hälfte der 80er Jahre der Versuch, in Fortsetzung der bisherigen Unternehmensstrategien mit offensiver Automatisierung die eigene Haut zu retten. Riesige Investitionen in Roboterisierung und der Versuch der sog. „systemischen Rationalisierung“ (d.h. Einbezug der Informationstechnologien) der Gesamtproduktion waren getragen von der „Utopie der menschenleeren Fabrik“. Diese „computerintegrierte Fabrik“ (CIM) mit ihrem weiterhin hohen Grad an Arbeitsteilung und Hierarchie zeigte aber nur punktuell verbesserte Produktivität und Produktqualität, dagegen wuchs aber die Störanfälligkeit und vor allem verschlechterte sich vielfach die Kapitalrentabilität. Die Kombination von komplexer, flexibler Technologie mit herkömmlichen tayloristischen Organisationsstrukturen erwies sich als nicht zukunftsträchtig.

Auf einem anderen Weg verlief bekanntlich die japanische Entwicklung in den achtziger Jahren:

Das japanische Wirtschaftssystem mit hoher Integration des Sozialen in das Unternehmensgeschehen, aber andererseits auch mit einer de-facto-Unkündbarkeit der Arbeitnehmer verhielt sich zu einem Doppelproblem:

Einerseits reagierte es auf die oben skizzierte Problematik mit einer Strategie von laufender Senkung der Kosten ohne Erhöhung der Produktionsvolumina bei gleichbleibenden Profiten. Dabei konnte die Kostensenkung aber nicht in Massenentlassungen bestehen.

Andererseits bemerkten die japanischen Unternehmen, das infolge der quasi lebenslangen Zugehörigkeit der Arbeitnehmer zum Unternehmen sich das innere Verhältnis von fixem Anteil des konstanten Kapitals (Produktionsmittel) zum variablen Kapital (Lohnsummen) praktisch verkehrte: nicht die Fabrikanlagen waren das langlebige Element, an das die Arbeitskräfte fallweise angepaßt wurden, sondern infolge der de-facto-Unkündbarkeit veralteten die Produktionsmittel, die Arbeitskräfte aber blieben. Daher war es rational, nunmehr diese als das eigentliche fixe Kapital aufzufassen und in die Arbeitskräfte und Arbeitszusammenhänge systematisch zu investieren. Der Begriff des Humankapitals bekam eine neue Bedeutung.

Diese aufeinander bezogenen Strategieelemente machten das „Toyota Production System“ aus: der teure Schutzgürtel um den produktiven Kern wird radikal entweder abgebaut oder in die Gesellschaft ausgelagert, d.h. laufender Abbau von Lagerkapazität, Null-Fehler-Strategie, Optimierung von Materialfluss und -einsatz etc. Die Aufgabe der Optimierung aller Prozesse und der laufenden Kostensenkung wird den Mitarbeitern übertragen; ihr (bislang informelles) Produktionswissen soll nicht Hemmschuh sein, sondern über systematische Organisation der Kooperationsbeziehungen (Gruppenarbeit etc.) formell eingebracht werden zur Perfektionierung der Arbeitsabläufe:

"Es scheint, daß sich Arbeiter - unabhängig von der Höhe ihres Lohns - heutzutage nicht mehr mit herkömmlicher repetitiver Arbeit zufrieden geben. Sie erwarten von ihrer Arbeit auch kreative Inhalte, wie z. B. die Möglichkeit, sich Gedanken über die Abläufe der eigenen Arbeit zu machen und über Änderungen entscheiden zu können.

Daher muß das Management die Arbeit so strukturieren, daß den Mitarbeitern genügend Möglichkeiten zum Mitdenken und Mitentscheiden geboten werden. (...)

Ein solches Design bedingt notwendigerweise ein Hinterfragen der herkömmlichen Rollen von Management und Mitarbeitern. Die traditionelle Rolle des Managements besteht im Planen, Verwalten und Kontrollieren, während der Arbeiter lediglich Vorgegebenes auszuführen hat. (...)

Der Arbeiter von heute will jedoch neben körperlichen auch seine geistigen Fähigkeiten einsetzen. Daraus erfolgt eine neue Rollenverteilung: der Arbeiter plant, führt aus und kontrolliert, und das Management motiviert die Arbeiter zu höherer Produktivität. (...) Die Grundphilosophie besteht dabei darin, möglichst viel Verantwortung für Planung und Kontrolle an die Arbeiter zu delegieren und sie damit zu höherer Produktivität und Qualität zu motivieren" ( der Präsident von Mitsubishi Space Software zitiert nach Imai 1992 ).

Die hier ausgesprochene Philosophie der "lean-produktion" deutet an, wie der ursprüngliche Versuch, schlank zu werden, Kosten zu senken, ohne auf „economies of scale“ zurückgreifen zu können, zu einer strukturellen Veränderung von Hand- und Kopfarbeit führt. Denn die unternehmerische Führungsaufgabe, das Marx’sche „kapitalistische Kommando“, kann nicht länger dadurch geleistet werden, daß das technische und organisatorische Wissen des Produktionsprozesses in der Unternehmensführung monopolisiert wird. Andererseits zeigt sich lean-production nunmehr nur als Übergangsphase: Denn der Arbeiter, der nun seinen Arbeitsprozess selbst planen und optimieren soll, ist zwar kreativ, wenn er plant, aber weiterhin repetetiv, wenn er ausführt. Die grundlegende, rigide, tayloristische Form der Arbeit bleibt ja erhalten, der Arbeitnehmer kann nur die Verdichtung seiner eigenen Felder und Bereiche organisieren. Er kann zwar die tayloristische Arbeitskonfiguration laufend verbessern, dies bedeutet aber ja für ihn selbst dann, wenn er arbeitet, daß er das Opfer immer rigiderer Anforderungen wird, seine Zeittakte enger werden, seine Fehler immer stärker ausgemerzt werden, der Druck, dem er ausgesetzt ist, immer härter wird. Der „Toyotismus“ bleibt ein „Postfordismus“, er kann aus innerer Widersprüchlichkeit eine neue stabile Konfiguration in der Nachfolge des Fordismus nicht generieren. Er bereitet aber auf breiter Front (denn der sog. 2. Japan-Schock, d.h. die Rezeption der MIT-Studie brachte das europäische und amerikanische Management ebenfalls auf „lean“ie) den Umschlag vor in einen neuen Typ dezentraler, unmittelbar gesellschaftlicher Wertschöpfung.

Zwei Aspekte verdienen, herausgehoben zu werden, sowohl weil sie für die politische (und nicht für die arbeitssoziologische) Dimension entscheidend wichtig sind, als auch um Missverständnissen vorzubeugen:

1. These ist, daß die Subjektivität zum nunmehr eigentlich wertschöpfenden bzw. wertbildenden Element wird. Dies ist für die sog. „Kreativ-Bereiche“ der gesellschaftlichen Produktion sofort nachvollziehbar.

Das entscheidende bei dieser These ist aber, das dieser Umschlag allgemein gilt, nicht etwa nur in den Bereichen der „immateriellen Arbeit“; sie sind nur die Kristallisationspunkte, von wo aus eine grundsätzliche Restrukturierung sich entfaltet. Vielmehr handelt es sich also um den Umschlag des generellen Prinzips.

Es gilt also auch in denjenigen Bereichen, in denen eine fordistisch-tayloristische Arbeitsorganisation noch vorherrscht. Allerdings erkennt der Marktprozess nunmehr die hineingesteckte Arbeitszeit nicht mehr wie vordem an, sondern bewertet die erbrachte Leistung anders, nämlich zunehmend schlechter. Während die Zeit vordem eine überragende Rolle spielte, weil die Fabrikorganisation selbst die Qualität der Arbeit in der Zerlegung und tayloristischen Neuzusammensetzung der Produktion gleichmachte, „homogenisierte“, um sie verfügbar, ersetzbar, planbar zu haben, daher im Resultat die bloße Quantität der Arbeitsverausgabung, also die Arbeitszeit das entscheidende im Wertbildungsprozess war, tritt die Zeit (als quantifizierendes Moment, als Maßstab) insofern jetzt in den Hintergrund, als das sie nun an bestimmte Qualitäten der Arbeit (wieder an-)gekoppelt wird. Das andauernde Absinken der Löhne und Einkommen in den "alten" Industriestrukturen setzt sich zwar durch in Konkurrenzprozessen, auch globalen Konkurrenz­prozessen, begründet wird es aber durch die abnehmende ökonomische Anerkennung der dahinterstehenden Organisierung von Wertschöpfung.

2. Die immaterielle Arbeit konstituiert sich unmittelbar kollektiv, nach Lazzarato könnte man sogar davon sprechen, daß sie nicht anders als in der Form von Netzwerken oder Strömen existiert. „Ein kollektiver Lernprozeß rückt ins Herz der Produktivität, da es nicht länger darum geht, bereits kodifizierte professionelle Kompetenzen in unterschiedlicher Weise zusammenzusetzen oder zu organisieren, sondern es nach neuen zu suchen gilt“. Sicherlich kann man die auf das einzelne Arbeitssubjekt bezogenen und von ihm geforderten Qualifikationen benennen: z.B. IuK-Wissen, soziale Kompetenz, Kommunikationsfähigkeit, Flexibilität und Identifikation (mit dem Unternehmensziel). Aber die Anwendungen dieser Qualifikationen, z.B. der Fähigkeit, aktiv Teil einer Gruppe zu werden, organisierend und kommunizierend in soziale Prozesse einzugreifen, produktive Synergien freizusetzen etc. offenbaren sofort ihren gesellschaftlichen Charakter. Jede Marktoperation schafft gewollt oder ungewollt ein ganzes Bündel externer Effekte. In einer Welt wechselseitiger Abhängigkeiten und gegenseitiger Verbindungen lassen sich die Effekte des Handelns und Kommunizierens in keiner Weise mehr präzise lokalisieren und zurechnen. Den Input eines Individuums in den gesellschaftlichen Produktionsprozeß bestimmen zu wollen und in der Folge dann davon abhängig, „gerecht“ zuzuweisen, was es dem Ganzen wiederum entnehmen darf, ist strukturell unmöglich. Andererseits, wenn die Verausgabung von Subjektivität immer eine von auf die Gesellschaft bezogener Subjektivität ist, wenn sich auch Individualität nur in Hinblick auf Gesellschaft konstituieren kann, so wird verständlich, das auch die neuen Verwertungsstrategien von vornherein auf jene Netzwerke und Ströme, auf die Gesamtheiten immaterieller Produktion zielen.

So hat den der Begriff der Verschlankung einen völlig neuen Inhalt, eine neue Radikalität erhalten: Das mondialisierte Unternehmen legt sich „crossboarder“, als „Regenbogenunternehmen“ über die Kontinente, um alle differenten Qualitäten, die diversen kulturellen Kräfte, in seine Verwertung einzubeziehen. Es bedarf dazu nicht der formalen Subsumierung möglichst breiter Wertschöpfung in einem Riesenunternehmen. Überhaupt verliert das „Unternehmen“ dabei in hohem Maße die Bedeutung von „Fabrik“ und operiert im gesellschaftlichen Raum. In der Entwicklung, in der Dynamik findet die wesentliche Wertschöpfung statt, auf die der „Global Player“ zielt. Die Entwicklung neuer Märkte (statt der Besetzung vorhandener Märkte) schiebt daher sowohl diese Art hochproduktiver Tätigkeit an, wie sie auch geeignet ist, zu partizipieren an der von vornherein gesellschaftlichen Wertschöpfung. Der scheinbare Widerspruch des Rückzuges auf die Kernkompetenzen einerseits und der gigantischen Fusionen im Weltmaßstab andererseits findet darin seine Erklärung. Beides dient der Fähigkeit, Märkte zu entwickeln, zu strukturieren und zu behaupten, was wiederum die modernste Art ist, Wertschöpfung zu betreiben.

 

Literatur :

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