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Pressedienst
KPD V/2000

Die Kaisersehnsucht der PDS

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Stefanie Hertel ist zur Zeit der Star der deutschen Volksmusikszene. Vom "Musikantenstadl" bis zum "Frühlingsfest der Volksmusik", überall trällert Stefanie ihre Weisen über Liebe, Heimat und kleines Glück. Warum wir das an dieser Stelle erwähnen? Darum: Die Mehrzahl der Fans und Anhänger von Stefanie Hertel wählt, das haben Berliner Musiksoziologen ans Licht gebracht, die Partei des Demokratischen Sozialismus, die PDS. Werte wie Geborgenheit, Sicherheit und Familie stehen bei Freunden der gepflegten volkstümlichen Musik ganz oben auf der Wunschliste. Offenbar liebt es der durchschnittliche PDS-Wähler mit Tante, Oma, Mutter und den Kindern zu Hause schunkelnd auf der kuscheligen Bank zu sitzen. Dabei singt man dann über böse Menschen, die keine Lieder hätten, während draußen vor dem Fenster der Sturm tobt, unangenehm naß und kalt.

Was bedeutet aber eine derartige Konstellation für Form und Inhalt des Leitantrages des Bundesvorstandes der Partei zum Thema internationale Krisen- und Konfliktbewältigung? Denn Anfang April machen sich die PDS'lerInnen nach Münster auf. Parteitag ist angesagt. Da wollen solche Dinge besprochen werden.

Richtig, zunächst beauftragt der Parteivorstand einen altgedienten Volks- und Bänkelsänger, der die Thesen fürs Parteivolk niederschreiben soll. Den Part übernahm Dr. Dieter Dehm, der vor Jahrzehnten als "Lerryn" engagiertes Liedgut zur Klampfe dem Publikum näherbrachte und mit der Gruppe bots "das weiche Wasser bricht den Stein" und ähnlich wohlwollendes Getute produzierte. Bots heißt jetzt aber Pia, denn die Marburgerin Pia Maier, die ehemals als ASTA-Vorsitzende nicht gerade für ihre friedenspolitische Kompetenz bekannt wurde, assistierte ihm neben Michael Schumann bei der Formulierung des Antrags. Herausgekommen ist allerdings dasselbe wohlwollende Getute wie einst. Das alte Volkslied über Geborgenheit, Sicherheit und Völkerfamilie. Das Hohelied auf die UNO, die zukünftig alle Probleme richten soll, spätestens dann, wenn sie die notwendigen Mittel dafür hat:

"Die der UNO verfügbaren internationalen Sicherheitsmechanismen reichen für die Sicherung des Friedens nicht aus und sind bis heute überdies nur selten in politische Realität umgesetzt worden. Imperiale Großmachtinteressen, von Banken, großen Fonds und transnationalen Industrieunternehmen getragene rücksichtslose Konkurrenz, wachstumsbesessenes Ausplündern von Umweltressourcen, bedrohliche Klimaveränderungen, inhumane Politik des IWF und der Weltbank gegenüber Entwicklungs- und Schwellenländern und zunehmender Hunger in weiten Teilen der Welt stehen in krassem Gegensatz zu Geist und Gründungsprogrammatik der Vereinten Nationen. Dennoch gilt der PDS die UNO als universale politische Institution zur Lösung großer Fragen unserer Zeit und damit als unverzichtbar."

Die Durchsetzung der Interessen von Großmachtstaaten, von Banken und transnationalen Industrieunternehmen, das Wirtschaftswachstum auf Kosten der Umwelt, IWF und Weltbank - das alles soll in "krassem Gegensatz zu Geist und Gründungsprogrammatik der Vereinten Nationen" gestanden haben? Die UN-Charta als zivilisatorischer Meilenstein mit der Aufschrift "Kapitalismus und Profitwirtschaft verboten", nicht nur - was auch schon falsch ist - antifaschistisch, sondern gar antikapitalistisch?

Sozialistische Politik in Deutschland 2000: Der kapitalistische Weltmarkt wird nicht mehr bekämpft, sondern einfach per Parteitagsbeschluß a posteriori untersagt. Und die Klientel weiß: Wir stehen nicht ohnmächtig und allein vor dem stürmischen Wüten des globalisierten Weltmarktes. Denn Höheres, zivilisatorische Vereinbarung gebietet dem Ärgsten Einhalt. Ein erster Funke von Geborgenheit und Sicherheit beginnt die noch kalte Stube langsam zu erwärmen.

Die PDS beschwört die UNO "als universale politische Institution zur Lösung großer Fragen unserer Zeit", die alternativlos und unverzichtbar sei. Universal, groß, alternativlos, unversichtbar - so sprechen Gläubige gemeinhin über ihren Gott, der z. B. sozialistische Oktoberrevolution heißt. Natürlich, das muß auch der demokratische Sozialismus zugeben, hat die UNO auch ihre Mängel. Aber da kann sie schließlich nix für:

"Diese Mängel hängen nicht in erster Linie mit der UNO, ihrer Struktur, ihrer Verfasstheit oder ihrem Apparat zusammen. Internationale Staatenorganisationen können nicht besser sein als die Welt, in der sie existieren ..."

Die arme Frau UNO, sie wollte ja ein guter Mensch sein, jedoch die böse, böse Welt ließ es nicht zu. Denn das Sein bestimmt eben doch noch immer das Bewußtsein. Spätestens an dieser Stelle zeigt sich die Mythologisierung der UNO durch die PDS. Natürlich verfolgen Staatengemeinschaften Interessen, die wiederum den Interessen der relevanten Mitglieder der Gemeinschaften entsprechen. Sie sind also nicht - um dem analytischen Jargon der PDS zu folgen - gut oder böse oder besser. Diese Abhängigkeit trifft aber auch auf die Verfaßtheit, den Apparat und die Struktur etwa der UNO zu. Warum sollten diese besser sein "als die Welt, in der sie existieren"? Das Makellose der UNO, das von Pia Meyer und Dieter Dehm besungen wird, ist offenbar ein von der Welt getrenntes, ein von ihr Erhobenes, um nicht zu sagen ein Erhabenes.

Wolf-Dieter Narr bezeichnete einmal den Weltstaatgedanken, der hinter den Pro-UNO-Debatten steckt, als "eine Art neuzeitlicher Kaisersehnsucht, der Sehnsucht nach dem irdischen Erlöser". Damals, 1992, wendete sich Narr mit seinem Artikel "Endstation Sehnsucht: Weltstaat - oder die trügerische Entlastung von der eigenen Verantwortung" gegen Positionen in der SPD, die den Ausbau der UNO zur "Weltpolizei" anvisierten. Daß wir heute in diesem Kontext SPD durch PDS ersetzen können - das dürfte Absicht der Parteistrategen sein.

Soviel zur Exposition des alten Volksliedes. Das Thema lautete: die UNO ist in ihrem Sein nicht besser als die fiese Umwelt, in ihrem Wesen ist sie aber gut, ja sogar antikapitalistisch. Man könnte auch von einem jesusmäßigen Doppelcharakter sprechen. Formal und musikalisch gedacht kommen wir jetzt zur Durchführung, inhaltlich und theologisch betrachtet fahren wir jetzt gen Himmel, denn die gute, die erhabene Seite der UNO ist - so das Vorstandspapier - zu stärken.

Das funktioniert naturgemäß nicht ohne den Einsatz von militärischer Gewalt. Denn darum geht es. Die PDS möchte die Parteiprogrammatik der Beschlußlage in Bundesvorstand und Bundestagsfraktion anpassen. Der Einsatz von militärischer Gewalt soll nicht mehr prinzipiell ausgeschlossen werden. Der Frieden muß bewaffnet sein - hieß das früher mal. Im Antrag lautet das dann so:

"Die PDS lehnt gewaltsame Interventionen ohne Mandat der UNO ab. Auch von der UNO mandatierte Einsätze müssen abgelehnt werden, wenn zivile Maßnahmen zur Konfliktlösung ungenutzt bleiben. Im übrigen wird die PDS nach eingehender Analyse von Ursachen und Entstehungsgeschichte eines Konfliktes sowie der Interessenlagen der Konfliktparteien, von Großmächten oder anderen intervenierenden Staaten prüfen, ob im Ausnahmefall - wie im Falle der Republik Haiti und Osttimor - der notwendige Stopp eines Völkermords oder einer Aggression mit militärischen Mitteln durch den UN-Sicherheitsrat akzeptiert werden kann..."

Das klingt in etwa so kompliziert wie die katholische Lehre vom "gerechten Krieg", an der auch ein Arschvoll von Bedingungen hängt. Die PDS postuliert hier auch nichts weniger als die Voraussetzungen für einen "gerechten Krieg", aber es wäre wohl allzu polemisch zu behaupten, sie täte dies nur aus Gründen der ideologischen Absicherung - so wie die katholische Kirche, die dann doch noch jeden Krieg der Herrschenden abgesegnet hat.

Im Falle der UNO-Mission auf Osttimor hat die Mehrheit der PDS-Fraktion im Bundestag nicht gegen den Einsatz von militärischen Truppen gestimmt. Auch beim Volkslied von Pia und Dieter firmiert Osttimor als Fall, bei dem militärische Gewalt gerechtfertigt ist. Aber weder hat die UNO dort alle Möglichkeiten zur zivilen Konfliktbewältigung genutzt - im Gegenteil, die schlampig vorbereitete Volksbefragung kann eher als Mittel zur zivilen Konflikteskalation charakterisiert werden -, noch geht es auf der Insel nördlich Australiens um Völkermord. Auch wenn's zynisch klingt: es fehlt an Massengräbern; die Interfet-Mission konnte kaum einen Beleg für Massaker im vergangenen Jahr durch indonesische (Para-)Militärs erbringen. Wie paßt dann also das Beispiel Osttimor in das PDS-Schema des gerechten Krieges?

Die Gefahr militärischer Einsätze könnte das Publikum allerdings seines gerade erst gewonnenen Gefühls der Sicherheit und Geborgenheit berauben. Schließlich müssen auch irgendwelche konkreten Soldaten intervenieren, Soldaten, die Gefahr laufen, verletzt oder totgeschossen zu werden. Aber auch diese Bedrohung vermag der Antrag des PDS-Bundesvorstandes zu bannen:

"Die PDS ist der Auffassung, dass bei Mandatierungen gemäß Kapitel VII der UN-Charta die Metropolenstaaten, d.h. Großmächte mit globalen Interessen, ausgeschlossen bleiben sollten. Neben historischen Gründen ist diese Überlegung ausschlaggebend dafür, dass wir unverändert jeden internationalen Einsatz der Bundeswehr ablehnen. Wir haben aus historischer Erfahrung die Überzeugung gewonnen, dass gerade Deutschland seine internationale Verantwortung vor allem als Zivilmacht wahrnehmen sollte - als eine Macht, die ihr Gewicht bewusst nicht über ihre militärische Kraft definiert und zur Geltung bringt."

Wenn man aus historischen Gründen jeden Einsatz der Bundeswehr im Ausland ablehnt und gleichzeitig wie hier die PDS in einer militärischen Logik verfangen bleibt, müßte man die Intervention von Großmächten prinzipiell befürworten, die Intervention der Anti-Hitler-Koalition nämlich zum Beispiel. Offenbar hätte es die PDS lieber gesehen, wenn statt der Eröffnung einer zweiten Front 1944 unter Beteiligung der USA und Großbritanniens militärische "Kleinstaaten" wie Kanada und Australien alleine interveniert hätten.

Reichlich zynisch mutet ein Konzept an, das zwar militärische Interventionen als moralisch gerechtfertigt wertet, aber nur von solchen Truppen, deren technische Ausrüstung auf denkbar schlechtem Niveau sich befindet. Von Staaten, die nicht wie die USA oder ihre Verbündeten in der Lage sind, Menschenopfer in den eigenen Reihen durch hohen rüstungstechnologischen Aufwand zu vermeiden. Hat ja auch eine gewisse Logik, eine neue "internationale Solidarität" sozusagen: da die Völkerscharen des Trikont in erster Linie den Trouble machen (siehe Osttimor! siehe Haiti!), sollen sie die Suppe gefälligst auch selbst auslöffeln.

Damit wäre die kleinbürgerliche Idylle perfekt, wären Sicherheit, Geborgenheit und Familiensinn gewährleistet. Die Botschaft: wir sind nicht ohnmächtig den Unbilden des Weltmarktes, der Umweltzerstörung usw. ausgeliefert. Es gibt etwas Höheres, das uns hilft und uns schützt. Und wenn es mal hart auf hart kommt, dann müssen halt die unten in Afrika oder sonstwo ihren schwarzen oder gelben Arsch hinhalten, während wir weiter mit Oma, Mutter und den Kindern im kuschligen Zimmer sitzen, schunkeln und singen, daß böse Menschen keine Lieder haben...

Zum Papier des PDS-Vorstandes zur Revision der außen- und sicherheitspolitischen Parteilinie auf dem Münsteraner Parteitag liegen jede Menge weiterer Anträge vor. Die meisten sind kritisch bis ablehnend und bringen gute Gründe dafür vor. Das Verhältnis zu Militärinterventionen der UNO wird das Thema in Münster sein. Proteste gegen den Vorstands- und Fraktionskurs gibt es von allen Seiten. Und doch wird der Antrag des Vorstandes im wesentlichen angenommen werden. Der alte Bänkelsänger Dieter Dehm weiß genau, wie die Volksmusik zu spielen hat. Es kommt nicht darauf an, die Wahrheit zu sagen. Vielmehr geht es darum, eine heile Welt zu imaginieren, von der jeder weiß, der es wissen will, daß es sich nur um ein Phantasieprodukt handelt. Die Sehnsucht nach dem Erlöser, nach dem Kaiser wird bedient, die Entlastung von der eigenen Verantwortung versprochen. Mehr nicht. Denn das reicht vollkommen. So funktioniert die Musik bei Stefanie Hertel, so funktioniert's beim volkstümlichen Duo Pia und Dieter - oder wie wir die beiden nennen: Lady Pi and Mister Die.

rbr

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