Quelle: Kalaschnikov - das Radiomagazin für militanten Pazifismus 
Pressedienst KPD V/2000

Mirz, Mirz 

Kosovo-Krieg

Läßliche Sünde oder ethische Notwendigkeit?

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Vor einem Jahr, am 24. März 1999, griffen Nato-Luftstreitkräfte das Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien an. Die Nato ist ein Militärbündnis, das nach dem eigenen Statut dann zur Kriegführung berechtigt ist, wenn ein Mitgliedsstaat von außen angegriffen wird; darüber hinaus ist nach den bisher für gültig erklärten Regeln des Völkerrechts eine militärische Aktion zulässig, wenn sie in Vollstreckung eines Mandates der UNO erfolgt. Keine dieser Bedingungen war in diesem Fall gegeben. Seit einem Jahr also tobt unter renommierten Wissenschaftlern die helle Empörung über den dreisten Völkerrechtsbruch, den sich die mächtigsten Staaten dieser Erde erlaubt haben, und den sie sich erlauben konnten, eben weil sie die mächtigsten sind - sollte man meinen. Denn schließlich droht ja den renommierten Wissenschaftlern, vor allem den Völkerrechtlern, letztlich die Arbeitslosigkeit, wenn sich die Behandlung juristischer Regeln nach der Fetzen-Papier-Doktrin in der Weltpolitik durchsetzt. Aber mit dieser Vermutung hat man die Nerven der betreffenden Kapazitäten unterschätzt. Ein Flugblatt, mit dem einige renommierte wissenschaftliche Organisationen zu einer Veranstaltung einladen, während der über die „Rechtmäßigkeit des Kosovo-Krieges“ debattiert werden soll, erklärt uns, was die akademische Welt in diesem Jahr tatsächlich umgetrieben hat:

„Vor einem Jahr intervenierte die Nato militärisch im Kosovo. Seitdem wird eine kontroverse Debatte sowohl um die moralisch-ethische Rechtfertigung als auch um die rechtliche Zulässigkeit der Nato-Intervention unter renommierten Wissenschaftlern geführt. In diesem Kontext steht die Frage im Mittelpunkt, ob unter den gegebenen Prämissen des geltenden Völkerrechts mit der Intervention im Kosovo das Völkerrecht gebrochen worden ist. Wenn ja, war dies lediglich ein ‘läßliche Sünde’ oder gar eine ethisch notwendige Maßnahme.“

Es sollte nicht übermäßig erstaunen, daß unsere wissenschaftlichen Koryphäen nicht in der Lage sind, in einer einigermaßen überschaubaren Lage zu erkennen, ob eine Bruch des Völkerrechts vorliegt: denn wenn es tatsächlich einer war, dann ist die Prämisse, die sich die Gelehrten gegeben haben, klar: es waren ja die eigenen Leute, die sich da etwas zuschulden kommen ließen. Dieser Kontext erklärt sowohl die Kontroversität als auch die lange Dauer der Debatte; und ebenso die Entschuldigungen, die für den Fall des Falles in der Fragestellung gleich mitgeliefert werden: wenn’s nicht sowieso wurscht bzw. „ethisch notwendig“ war, dann war’s auf jedenfalls eine „läßliche Sünde“. Meine Güte, wer wird denn alles so eng sehen wollen ... unter uns Pastorentöchtern ...

Die Pastorentöchter, die hier unter den gegebenen Prämissen diskutieren möchten, heißen elsa, IALANA und MIRZ. Es sind dies die „European Law Students’ Association“, die „International Association of Lawyers Against Nuclear Arms“; und schließlich ein, bitte anschnallen und das Rauchen einstellen: „Marburger Institut Recht und Zukunftsverantwortung“.

Liebe Hörerinnen und Hörer! An dieser Stelle wollen wir kurz innehalten, uns besinnen, und, sofern ohne weiteren Aufwand möglich, einen Schluck Bier oder Wein trinken.

„Marburger Institut Recht und Zukunftsverantwortung“
Da war es wieder!
„MIRZ“

Haben Sie’s gehört? Es existiert auf dieser Welt neben allen Dingen, guten und schlechten, solchen, auf die wir Einfluß haben, und solchen, die uns kalt lassen können, nun auch das: „Marburger Institut für Recht und Zukunftsverantwortung“, kurz „MIRZ“.

Wir wagen nicht zu spekulieren, worum es sich dabei handeln mag. Vielleicht haben sich dort renommierte Wissenschaftler zusammengefunden, um im Kontext der gegebenen Prämissen die ein oder andere Frage des geltenden Völkerrechts in den Mittelpunkt zu stellen und um sie herum kontrovers zu debattieren, bis sowohl die moralisch-ethische Rechtfertigung als auch die rechtliche Zulässigkeit schwarz geworden sind. Was uns jedoch fasziniert, ist die bloße Benennung - Sie erinnern sich ...?

„MIRZ“
Was bedeuten soll?
„Marburger Institut für Recht und Zukunftsverantwortung“

Liebe Hörerinnen und Hörer! Genug der haltlosen Polemik, werden Sie sagen, zurück zur Argumentation in den Sachfragen! Aber wer würde lieber sachlich diskutieren als wir! Dafür allerdings braucht es schon ein paar halbwegs haltbare Prämissen und die Möglichkeit, sie in einen sinnvollen Kontext zu stellen - und womit will man uns abspeisen? Mit einem Verein, der sich Institut nennen muß, weil am wissenschaftlichen Renommee die sachlichsten Einwände abprallen, die bezüglich einer Windbeutelei wie „Zukunftsverantwortung“ gemacht werden sollten. Es handelt sich hier ganz schlicht um die Vortäuschung einer Auseinandersetzung, die eine tatsächliche Kritik des Nato-Krieges gar nicht mehr zuläßt - siehe die Prämissen, die uns die Wissenschaftsrenommisten vorgeben wollen: war er eine ‘läßliche Sünde’ oder gar ethisch notwendig ...

Die Diskutanten werden sich da sicherlich nicht weh tun, und das sollen sie ja auch nicht. Denn erstens handelt es sich bei ihne um eine Richter am Oberverwaltungsgericht Münster, einen Referenten im Bundesjustizministerium, einen Sozialethiker von der Philipps-Universität und einen ehemaligen Justizminister des Landes Hessen; und zweitens kann man alles von zwei Seiten sehen - wie das geht, demonstriert der weitere Flugblattext im Referat der Positionen, die sich da angeblich gegenüberstehen. Da wären zunächst die Befürworter der Kosovo-Intervention; sie „reklamieren ein neues Nothilferecht, wonach militärische Interventionen nicht nur im Hinblick auf angegriffene Staaten, sondern auch auf die Zivilbevölkerung eines Staates zulässig sein soll“.

Wir erkennen hieran, was eine Auseinandersetzung unter renommierten Wissenschaftlern auszeichnet: vor allem das schlechte Deutsch. „Militärische Interventionen im Hinblick auf angegriffene Staaten“ - was soll das eigentlich heißen? Wer führt da im Zweifelsfall Krieg gegen wen? Wir möchten nicht pingelig sein, aber im Hinblick auf Handlungen, deren unmittelbares Ergebnis der Tod vieler Menschen sein wird, hätten wir es gern ein bißchen deutlicher. Gleichfalls wäre es wohl geraten, deutlich zu sagen, weshalb das Nothilferecht, das die Kriegsbefürworter reklamieren, neu ist: weil sie es sich passend für den von ihnen befürworteten Krieg ausgedacht haben. Aber so ist das mit den sachlichen Debatten im MIRZ-Spektrum - wenn der allergrößte Unsinn nur im Jargon der Wissenschaftlichkeit vorgetragen wird: factum est. Da kannste nix machen.

So soll denn also Krieg auch im Hinblick auf die Zivilbevölkerung eines Staates zulässig sein, aber natürlich nur für edle Zwecke; nämlich „sofern deren fundamentale Menschenrechte mißachtet und in flagranter Weise verletzt werden. Dies soll selbst dann möglich sein -“ - nicht die flagrante Verletzung fundamentaler Menschenrechte, sondern die militärische Intervention in einem solchen Fall; aber wie gesagt, mit dem Deutsch ist’ s nicht weit her bei unseren Völkerrechtlern - „Dies soll selbst dann möglich sein, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit Blick auf eine solche Situation keine Bedrohung oder keinen Bruch der internationalen Sicherheit und des internationalen Friedens festgestellt hat, und mithin ein durch eine Resolution des Sicherheitsrates vermitteltes Mandat nicht erteilt worden ist.“

Eine schöne Argumentation post festum: erst schafft die Nato Fakten, dann setzen sich die Ideologieproduzenten hin und schaffen den Rechtstitel dafür. Auf diese Art und Weise hat schon das Römische Imperium in der ganzen Dauer seines Bestehens ausschließlich gerechte, also Verteidigungskriege geführt. Und eine so lange Tradition begründet doch sicherlich die Diskussionswürdigkeit eines Arguments.

So weit die Argumentation der Kriegsbefürworter, aber elsa, IALANA und MIRZ wissen schon auch noch Einwände. „Es gebe kein Völkergewohnheitsrecht zur ‘humanitären’ Intervention durch einzelne Staaten oder Staatengruppen, da es dazu an der hierzu -“ - können wir die letzte Stilfigur noch einmal einspielen?

„ - da es dazu an der hierzu -“

Man kann sagen, was man will: Juristen können zwar kein Deutsch, aber den Rhythmus, den haben sie einfach im Blut.

„ - da es dazu an der hierzu erforderlichen, übereinstimmenden

Rechtsüberzeugung in der Staatengemeinschaft mangele. Im Übrigen seien militärische Interventionen nach geltendem Völkerrecht nur dann rechtmäßig, sofern durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein diesbezügliches Mandat im Wege des Beschlusses einer Resolution erteilt worden ist.“

Interessant würde die Diskussion nun werden, wenn dem Argument der Kriegsbefürworter, das Völkerrecht entwickele sich zur Zeit eben progressiv weiter, die Frage entgegengehalten würde, warum, auf wessen Veranlassung und im Dienste welcher Interessen es das tue. Damit allerdings hätten wir die juristische Debatte hinter uns gelassen und wären in die Politik eingedrungen; also in das Gebiet, auf dem die Frage nach Rechtfertigung und Wirkung des Nato-Krieges überhaupt erst sinnvoll zu diskutieren wäre. Die von den europäischen Jurastudenten, den Rechtsanwälten, die etwas gegen Atomwaffen haben, und den Marburger Zukunftsverantwortlichen organisierte Spiegelfechterei geht an den Tatsachen der aktuellen Politik ignorant vorbei; etwa in der Behauptung, „Die Ausdehnung bzw. Umdeutung des Völkerrechts sei aus Gründen der Rechtssicherheit sowie aus friedens- und sicherheitspolitischen Erwägungen nicht zu rechtfertigen.“

Aus Gründen der Rechtssicherheit hat der deutsche Außenminister auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen Ende letzten Jahres auf die Dringlichkeit einer Reform des Sicherheitsrates hingewiesen, mit der die Nato ihren etwaigen Kriegseinsätzen auch die juristischen Legitimation wird verschaffen können. Und die Sicherheitspolitik der westlichen Machtstaaten besteht gegenwärtig darin, jedes eventuelle Risiko letztlich mit militärischen Mitteln unter Kontrolle zu halten. Es kann der Nato nur recht sein, ihr Vorpreschen in diese Richtung unter der Alternative ‘läßliche Sünde’ oder ethisch notwendig diskutiert zu sehen - die beste Garantie dafür, daß dieses Bündnis auch in Zukunft jede Menge Verantwortung übernimmt.

cax

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