Quelle: www.internationalesozialisten.de  

Das Lotterie-System
Droht ein Schwarzer Freitag an den Aktienbörsen?

von Francis Byrne

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Die Weltwirtschaft dümpelt ...

Die internationale Wirtschaftslage hat in den 90er Jahren das Kapital nicht gerade zu Freudensprüngen veranlasst. In den meisten wichtigen Wirtschaftszentren der Welt dümpelten die Wachstumsraten bei 1,5 bis 3% vor sich hin.
Die Hoffnungsträger des Kapitals, die ostasiatischen Tigerstaaten - mit jährlichen Wachstumsraten von um die 7% - rutschen am Ende der 90er Jahre in eine tiefe Krise. Zur gleichen Zeit schlitterten auch Russland und der ökonomische Riese Japan in schwere Krisen. Alle drei Wirtschaftsregionen haben sich auch nicht nur annähernd von diesem Schreck erholt.

... aber der Aktienmarkt boomt?

Ganz anders die Stimmung an den Aktienmärkten. Besonders die Werte für neue Technologien und Medien ließen die Aktiennotierungen in den letzten Jahren rasant ansteigen. Euphorie macht sich bei den Börsianern breit. Der Dow Jones Index, der DAX und der Neue Markt (der Aktienindex für moderne Technologiewerte) schwingen sich von Rekord zu Rekord.
Weltweit sucht eine riesige Menge an Kapital profitträchtige Anlagemöglichkeiten. Das Verhältnis von eingesetztem Kapital zu erwirtschaftetem Gewinn, die Profitrate, ist mit Einsetzen der Krise Mitte der 70er Jahre drastisch gefallen. Und so bewegen sich immer größere Summen Kapital weg vom produzierenden Bereich hin zu dem, was US-Notenbankpräsident Alan Greenspan kürzlich das »Lotterie-System« nannte - zu den Aktienmärkten.
Es ist auch Alan Greenspan, der seit längerer Zeit vor »irrationalen Übertreibungen« an den internationalen Aktienmärkten warnt.
Denn tatsächlich haben sich die Notierungen der Aktienwerte schon längst in irrationale Höhen hinaufgeschwungen, die von der realen Wirtschaftsleistung bei hunderten von Unternehmen oder von deren Gewinnen und Reserven völlig abgekoppelt sind. Die Werte an den Börsen haben nichts mehr mit der realen Wirtschaftsleistung gemein. Und die Kurse steigen weiter und steigen und steigen und ...?
Ein Grund für den Börsenaufschwung waren die Aktienwerte von neuen Technologien. Besonders bei den Internet-Papieren sind sie bombastisch: Seit ihrem Börsengang verbuchte AOL ein Plus von 53.377%, Yahoo eines von 6.299%, eBay plus 929%.
Gerechtfertigt sind die riesigen Werte in der Realität aber nicht. Beispiel: Internet Anbieter, Suchmaschine und Info-Forum Yahoo. Bei einem Umsatz von 1,1 Mrd. DM, einem Gewinn von 0,1 Mrd. und weltweit 1.200 Mitarbeitern (Zahlen für 1999) hat Yahoo einen Aktienwert von 176 Mrd. DM.
Das ist ein größerer Aktienwert als der von Volkswagen, Veba, BASF, Metro und Lufthansa zusammen (siehe Grafik). Zusammengerechnet haben sie einen Aktienwert von 174 Mrd. DM. Und das bei einem Umsatz von 327 Mrd., einem Gewinn von 8,98 Mrd. und einer Mitarbeiteranzahl von 563.000. Es fehlt jede Verhältnismäßigkeit.
'Die Zeit' vom 3. Februar 2000 schrieb: »Internet-bezogene Unternehmen bringen es nach Schätzungen auf eine Börsenkapitalisierung von 1.000 Milliarden US-Dollar; demgegenüber fällt ihr Jahresgewinn in Höhe von 28 Millionen Dollar geradezu lächerlich niedrig aus.«
Ein anderes Beispiel: Mit der Idee, Bücher per Internet zu bestellen und sie ohne Portokosten frei Haus zu liefern fand Amazon eine Lücke im Markt, deren Wachstumschancen als riesig eingeschätzt werden. Die Aktie von Amazon gilt demnach als Kauftip, überall auf der Welt.
Was aber nicht beachtet wird, ist die Rentabilität dieser Unternehmung. Seit 1996 konnte sie ihren Verkauf um 3.774% steigern. Weil aber zu jedem versandten Buch etwa 6,-DM hinzugeschossen werden müssen, stieg dementsprechend auch der Verlust: Seit 1996 wuchsen die Verluste um 1.894%. Je größer der Handel, desto größer also die Verluste.
'Der Spiegel' Nr. 5/00 schreibt:
»Vor allem die Hightech-Papiere, also Computer, Handy, Internet, sind derart davon gezischt, dass man, je nach Naturell, staunen oder erschrecken kann: Warum ist die Hälfte von Microsoft mehr wert als alle Stahlkonzerne der Welt? Wieso schaffen die 548 Mitarbeiter der Verlustfirma Brokat denselben Börsenwert wie der Sportwagenhersteller Porsche, der das80 fache umsetzt und auch noch Gewinne abliefert?«
An den Börsen der Welt wird derzeit mit etwa 30 Billionen Dollar ein riesiges Roulette gespielt. Das historische Durchschnittsverhältnis von Aktienwert zu Gewinnen liegt in den USA bei 15 zu 1. In den letzten zehn Jahren hat sich dieser Wert auf 35 zu 1 hochgeschraubt.
Die Blase des Aktienmarktes hat sich zudem schon längst in die Gewinn- und Umsatzzahlen von Banken und Industrieunternehmen eingeschlichen. Das für das Kapital gefährliche Spiel höhlt die realen Werte von immer mehr Firmen aus. 'Der Spiegel':
»Denn die Gewinnzahlen sind keine verlässliche Größe mehr. Fast alle Firmen halten Beteiligungen an anderen Firmen, und da sie deren Aktien von Zeit zu Zeit verkaufen, steigt mit enormen Wachstumsraten das so genannte Finanzergebnis, das in den Gewinnzahlen versteckt ist. Was sich da im Inneren der Zahlenwerke abspielt, lässt selbst Bilanzexperten frösteln: Bei Microsoft etwa resultiert der Gewinnanstieg im letzten Quartal zu 30 Prozent aus dem firmeneigenen Investitionsgeschäft, bei Intel explodierte kürzlich der Kurs, weil die Entwicklung des sechs Milliarden Dollar schweren Aktienportfolios die Analysten begeistert hatte. Die Gewinnsteigerung der Chase Manhattan Bank im vierten Quartal resultierte zu 44 Prozent aus Aktiengeschäften, und ähnlich sieht es auch bei den anderen Geldhäusern aus. So drängt sich die Phantasie der Börse allmählich in die Bilanzen, mit deren Vorlage neue Anleger vom ,inneren Wert' der Aktie überzeugt werden. Dass sich da auf dem steilen Weg nach oben eine Blase gebildet hat, ist mittlerweile deutlich zu sehen.«
Sollte diese Blase platzen, stehen nicht nur diejenigen vor dem Ruin, die den größten Teil ihres Vermögens an der Börse "angelegt" haben. Die riesigen Aktien- und Spekulationsgewinne finden sich auch in den Bilanzen von produzierenden Betrieben und Konzernen auf der Gewinnseite wieder. Sollten diese Gewinne einbrechen, stehen viele Konzerne vor der Pleite. Eine Situation wie der Crash von 1929 ist denkbar.

Schwarzer Freitag?

Die meisten bürgerlichen Ökonomen und Banker wiegeln aber jede Sorge vor einem Crash mit dem Hinweis auf die minimale Inflationsrate ab.
»Existiert aber erst einmal eine Blase, gibt es viele weitere Faktoren außer einer Inflation, die die Blase platzen lassen kann«, schreibt Chris Harman, in 'Socialist Review' vom Februar 2000. »Der bekannteste Crash der Geschichte, 1929, folgte auf eine Periode in der es keinerlei allgemeine Preissteigerungen gab, obwohl die Aktien und die Immobilienwerte sprunghaft anstiegen - ganz so wie heute.«
aktien'Der Spiegel':
»Auch der Großen Depression der dreißiger Jahre ging eine märchenhafte Boomperiode voraus. Vor allem die Amerikaner glaubten in den ,goldenen Zwanzigern' an ein ewiges Wirtschaftswunder: Unser Öl, unsere Autoindustrie, unser Optimismus - und unsere Kredite. Denn berauscht von den anfangs noch moderaten Kurssteigerungen der Konzernaktien, begannen zu Beginn der zwanziger Jahre immer mehr Amerikaner auf Pump zu spekulieren. Die Aktienkredite verzehnfachten sich vor dem Crash, immer neue Liquidität schoss in die Märkte. ... Am 24. Oktober 1929 war die Party vorbei, so unvermittelt, wie sie begonnen hatte. Die Kurse schossen lawinenartig nach unten. Die Banken hatten ihre Kreditnehmer regelrecht zum Verkauf der Aktien gezwungen, was die Geschwindigkeit des Absturzes enorm beschleunigte. Das Land versank zu Beginn der dreißiger Jahre in der Großen Depression ­ Bankenpleiten, Massenarbeitslosigkeit, antikapitalistische Grundstimmung. ... Um ein Abflachen der Wachstumskurve, ein so genanntes Soft Landing, bemüht sich Notenbankchef Alan Greenspan seit längerem schon. Mit Zinserhöhungen will er das Geld teurer machen, die Liquiditätszufuhr drosseln, die Kauflust bremsen. Wenn das nicht bald gelingt, wird die Spekulationsblase von allein platzen ­ in zwei Wochen, zwei Monaten oder in zwei Jahren.«
Das verzweifelt nach gewinnträchtigen Anlagemöglichkeiten suchende Kapital steht vor einem Dilemma. Nach wie vor durchlebt die Wirtschaft in den USA und Europa eine Aufschwungsphase, sei sie auch noch so minimal. Japan und die ostasiatischen Tigerstaaten erholen sich zwar langsam von ihrem Einbruch in den letzten Jahren, haben jedoch nicht die wesentlichen Probleme des privaten Staatskapitalismus auch nur ansatzweise gelöst. Wichtige Wirtschaftsregionen wie Rußland und Südamerika stehen seit Jahren mit einem Bein im Desaster.
Nur die Aktienkurse lassen die Sektkorken in den Chefetagen knallen. Doch genau diese Aktienkurse sind nicht auf Dauer haltbar und haben sogar die Bilanzwerte vieler Firmen verfälscht. Alan Greenspan versucht, durch vorsichtige Zinserhöhungspolitik der Hausse an der Börse ein wenig an Kraft zu nehmen. Doch jeder noch so vorsichtige politische Eingriff oder jeder Unkenruf, der die Überbewertung beklagt, droht, das ganze Gebäude einstürzen zu lassen. Und so tanzen die Aktienhändler weiter auf dem Vulkan; frei nach dem Motto: Bis hierhin ging's noch ganz gut.
Die deutsche Regierung hatte 1998 Aktienfonds steuerlich begünstigt. Dies hat dazu geführt, daß es einen Ansturm von Kleinsparern gab, die ihr Geld auch an den Aktienmärkten anlegen wollten. Zudem haben Analysten festgestellt, dass der deutsche Aktienmarkt für ausländische Anleger zunehmend interessant geworden ist. Das trieb den DAX und den "Neuen Markt" besonders in die Höhe und führte auch zu einem sprunghaften Anstieg des Aktienwertes im Verhältnis zum Nominalwert der Aktien. Dieses Missverhältnis stieg in den letzten Jahren dramatisch. Der DAX wird den Dow Jones Index der USA bald einholen.
Klar ist, dass der tiefer werdende Abschwung mit seinen begleitenden Krisen seit Mitte der 70er Jahre nicht zu Ende ist und nicht durch einen virtuellen Aufschwung an den Börsen abgelöst wurde. Im Gegenteil: Die Tiefe der Krisen wird künftig zunehmen. Wir Marxisten müssen uns theoretisch auf diese kommenden Krisenzeiten vorbereiten und eine Alternative für eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus, sei es nun des privaten oder des Staatskapitalismus, bereithalten.

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