Thesenpapier zum Partisan.net-Plenum am 11.April 2000

Freiheit oder Arbeit?
Eine Kritik am Krisis-Manifest gegen die Arbeit

von Ulrich Weiß (Demokratischer Presseclub)

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Gruppe Krisis, Manifest gegen die Arbeit,
Eigenverlag, Moosdruck Leverkusen 1999, 50 Seiten, 5,00 DM


Die Gruppe Krisis hat eine populäre Kurzfassung des voluminösen Schwarzbuch des Kapitalismus von Robert Kurz herausgegeben, ein Manifest gegen die Arbeit. Es endet mit der Losung: „Proletariar aller Länder, macht Schluß!“
(49) Da wird kein neues Arbeiterbewegungs-Gespenst in Europa beschworen, auch keine sogenannte Zurückdrängung der Kapitaldominanz unter Nutzung bürgerlich-kapitalistischer Institutionen. Ersteres wird als beendet erklärt und letzteres als Unsinn. Die Manifestler ziehen statt dessen gegen etwas vermeintlich Un-Totes zu Felde - gegen die Arbeit. Mit schwerem Geschütz geht es dabei nicht gegen deren historisch vergängliche Formen, etwa gegen die Lohn-Arbeit, sondern gegen die Arbeit überhaupt. „Der Papst und die Weltbank, Tony Blair und Jörg Haider, Gewerkschaften und Unternehmer, deutsche Ökologen und französische Sozialisten [hier fehlen die Kapital-Bändiger der PDS - UW]. Sie alle kennen nur eine Parole: Arbeit, Arbeit, Arbeit!“(5) Dieser Ruf sei völlig widersinnig, denn „die von der Arbeit beherrschte Gesellschaft erlebt keine vorübergehende Krise, sie stößt an ihre absolute Schranke.“ Dies sei eine unumkehrbare Entwicklung, weil sich “die Reichtumsproduktion [...] im Gefolge der mikroelektronischen Revolution immer weiter von der Anwendung menschlicher Arbeitskraft entkoppelt.“ (5)

Wenn mit „entkoppelt“ gemeint ist, daß für die reale kapitalistische Wertproduktion immer weniger lebendige (Lohn-)Arbeit benötigt wird, dann ist das eine millionenfache Erfahrung von Menschen, die für ihr Arbeitsvermögen vergeblich einen Käufer suchen, also im kapitalistischen Sinne kein Recht auf Existenz haben. Hier geht es jedoch gegen die Arbeit überhaupt und „entkoppelt“ heißt demzufolge: Es ist für die Autoren völlig irrelevant, daß jede reale kapitalistische Reichtumsproduktion, auch die elektronikgestützte, stets an mindestens eine Bedingung gegnüpft bleibt, eben an die Lohn-Arbeit. Daß die nationale bzw. globale kapitalistische Reproduktion nicht mehr dauerhaft funktionieren kann, wenn die Masse der verausgabten Arbeitskraft beständig drastisch sinkt und die Warenproduktion zugleich beständig steigt und steigen muß, daß also das System als Ganzes bereits aus dieser Sicht zur Disposition steht, das ist die eine Sache. Diese Erkenntnis zu verbreiten, ist ein völlig berechtigtes Anliegen von Krisis. Das Manifest jedoch ignoriert, daß, so wie die kapitalistische Wertschöpfung nie von menschlicher Arbeit abgekoppelt sein kann, auch jede andere menschliche Gesellschaft auf menschliche Arbeit angewiesen ist. Nun wollen die Krisis-Leute gewiß nicht mit der Verneinung von Arbeit überhaupt auch jegliche menschliche Existenz infrage stellen. Dann ist es aber eben unklar, wogegen sie eigentlich anrennen, wenn sie auf die Arbeit eindreschen. So werden wirklich interessante Fragen überhaupt nicht stellbar, z. B. die, ob sich innerhalb der kapitalistischen Produktion selbst (also nicht nur in ihren katastrophalen Folgen und in der Tatsache, daß die kapitalistische Reproduktion sich selbst zunehmend infrage stellt) und in den Mentalitäten ihrer Träger auch solche Widersprüche und zugleich Möglichkeiten entwickeln, die über die kapitalistische Produktionsweise hinaustreiben können. Ein Anti-Arbeits-Manifest muß seine Anhänger unvermeidbar sozusagen vom Nichts ins Nichts treiben. Schade.

Mit diesem diffusen Anrennen gegen die Arbeit überhaupt kann allerdings die Gefühlslage von vielen kapitalkonform denkenden Menschen getroffen werden, die die Zukunft „ihrer“ Gesellschaft und damit ihre eigene Perspektive zunehmend als eine Art Schwarzes Loch empfinden. Die explosive Steigerung von Arbeitsproduktivität ermöglicht eine dramatische Zunahme von (lohn-)arbeitsfreier Zeit. Was für Sozialisten, also für Leute, die eine Gesellschaft suchen, die ihnen und anderen ein nachhaltig angenehmes Leben ermöglicht, eigentlich eine höchst erfreuliche Tatsache sein müßte, erscheint aber heute in Form der (Lohn-)Arbeitslosigkeit den Betroffenen oder Bedrohten tatsächlich meist nur als Katastrophe. Genau dieses Empfinden bedient das Manifest mit seinem begriffslosen Feindbild von der Arbeit überhaupt. Damit wird jeglicher Zusammenhang, aber auch der wirkliche Gegensatz zwischen der heutigen kapitalistisch formierten (Lohn-)Arbeit und der Produktionstätigkeit in einer möglichen kommunistischen Gesellschaft vollkommen zerrissen.

Krisis macht allerdings überzeugend deutlich, warum die mit Arbeitslosigkeit oft verbundenen Versager- und Minderwertigkeitsgefühle durch Staat und Parteien auch noch gefördert werden. Das für einen wachsenden Teil der Menschen widersinnig gewordene alte (Lohn-)Arbeitsethos erhalten sie mittels Ideologie und Zwang künstlich aufrecht. Einst parallel zur ursprünglichen Akkumulation etwa in England und dem frühen Sowjetrußland auch mit Blut und Terror in Hirne und Herzen gepreßt, ist dies Ethos unverzichtbar für die Aufrechterhaltung des überfälligen Kapitalismus, für die ideologische Bindung möglichst aller Menschen an ihn. Es stellt tatsächlich eine Barriere dar für die Suche nach alternativen Lebens- und Arbeitsformen. „Die vermeintliche arbeitsgesellschaftliche Normalität soll durch Beschäftigungsprogramme’, kommunale Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger, Standortssubventionen, Verschuldung und andere politische Maßnahmen weitersimuliert werden.“ Der chancenlose Arbeits-Etatismus bleibt so immer noch „ideologischer Bezugspunkt für breite, vom Absturz bedrohte Bevölkerungsschichten.“(9) Was „linke“ Parteien als Wahlschlager anpreisen, der öffentliche Beschäftigungssektor, ist laut Krisis in der „Praxis alles andere als emanzipatorisch“. Es wird nachvollziehbar beschrieben, was sich statt dessen in der Logik von „New Labour“ und sonstigen Simulationen von Beschäftigung entwickelt: neo-sozialstaatliche Apartheid (9ff).

Das Establishment von (Lohn-)Arbeitsfetischisten ist gezwungen, beständig Arbeit für alle Deutschen und den als Hilfstruppen zugelassenen Ausländern als Bedingung der kapitalistischen Gesellschaft und des Selbstbewußtseins der Bürger zu propagieren. Etwas mit der dritten industriellen Revolution unerfüllbar Gewordenes wird als unersetzbare Grundlage für die weitere Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft beschworen. Die Krisis-Leute sehen dieses tatsächliche Dilemma als Chance zur Begründung einer neuen Lebens- und Produktionsweise. Diese Möglichkeit verorten sie allerdings vorrangig im Kapitalistisch-Katastrophischen. Hierzu wird auch Marx bemüht: „Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein [...] bricht die auf dem Tauschwert ruhnde Produktion zusammen und der unmittelbare materielle Produktionsprozeß erhält selbst die Form der Notdürftigkeit und Gegensätzlichkeit abgestreift.“ (MEW 42/601) Da die Manifestler aber nur den Verwertungsprozeß, die abstrakte Arbeit und den damit verbundenen Warenfetischismus im Auge haben, nicht aber den konkrete, sachlichen Arbeitsprozeß, können sie etwa Marx’ akribische Analyse der Zusammenhänge zwischen der Entwicklung des unmittelbaren Fertigungsprozesses (von der Manufaktur bis zur automatisierten Industrie) und der Entfaltung der Kapitalverhältnisse (formelle und reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital) nicht tatsächlich für die Frage des möglichen Ausbruchs aus der kapitalistischen Produktionsweise nutzbar machen. Gerade das angeführte Marx-Zitat ist in den Grundrissen unmittelbar in eine Analyse der durch die vorausgesagte Automatisierung qualitativ veränderten Stellung des unmittelbaren Produzenten eingebettet. Es ist nicht begreifbar, wieso angesichts der von ihr bemühten dritten industriellen Revolution die Krisis-Gruppe ausgerechnet diese Marxschen Gedanken und die ihnen sozusagen entgegenwachsenden heutigen Realitäten ignoriert. Sie lassen gerade das „links“ liegen, was bei aller Trübnis zu historischem Optimismus berechtigen kann: Aus den Proletariern, die in der großen Industrie über Jahrzehnte in den extremen Formen der knechtenden (fordistisch-tayloristischen) Arbeitsteilung die Lücken in der Maschinerie ausfüllten und noch ausfüllen, können nach Marx Dirigenten und Kontrolleure des zunehmend automatisierten Produktionsprozesses, also selbstbestimmte Individuen, werden. Nicht nur, weil dann nicht mehr die Summe der angewandten Arbeitszeiten die Quelle von Reichtum sein kann und dies einer auf Wert gegründeten Gesellschaft den Boden entzieht, wird eine andere Produktionsweise möglich und notwendig. Es sind vor allem die geänderten Stellungen von Produzenten im bzw. zum Fertigungsprozeß, also Elemente, die der Kapitalismus heute tatsächlich selbst produziert, durch die erst die materiellen und geistigen Möglichkeiten (das ist nicht mit der realisierten Wirklichkeit zu verwechseln) dafür entstehen, daß Produzenten auf der Basis höchster Produktivität (damit Wohlfahrt, gemessen auch an Freizeit) die tatsächlichen Herren von Produktion werden können. Die Tatsache, daß die kapitalistischen Produktionsformen die emanzipatorischen Potenzen dieses realen Prozesses nicht zur Geltung kommen lassen, sondern, wie von Krisis richtig beschrieben, zu einer entfalteten Form der Subsumtion von Arbeit unter das Kapital (etwa durch die nahezu Selbstdisziplinierung und -kontrolle hochqualifizierter Produzenten) führt, sollte theoretisches Denken nicht dazu verführen, eben diese historisch neuartigen Emanzipationmöglichkeiten nicht zu erkennen. Die Wirklichkeit stellt heute geradezu faßliche Bilder für etwas zur Verfügung, wofür zu Marx’ Zeiten noch eine ungeheure Abstraktionskraft erforderlich war.

Die Fixierung von Krisis auf das Katastrophische bringt statt Widerstand eher eine Ästhetik des Schreckens hervor. Diese ist in Kurz’ Schwarzbuch extrem ausgeweitet. Eine solche Ästhetik, der die Feuilletons der groß-bürgerlichen Medien breite Aufmerksamkeit widmen, wird offenkundig gegenüber dem normalen kapitalistischen Geschäft als ungefährlich angesehen. Sie kann Menschen erschrecken lassen, regt einzelne vielleicht zum Verweigern, Zerstören und Sabotieren an, orientiert aber nicht auf die Begründung neuer Gesellschaftlichkeit. Mit ersterem wird die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft immer fertig, das zweite könnte deshalb ihr tatsächliches Ende bedeuten, weil es für die Mehrheit der Menschen eine positive Perspektive einschließt. Das Manifest verbaut gerade diesen Zusammenhang, statt verbreitetes Unbehagen an der kapitalistischen Gesellschaft mit konkreten Utopien zu verbinden, die für Menschen nachvollziehbar sind, die alltäglich für sich klären müssen, wovon sie denn morgen leben können. In der völlig berechtigten Suche nach Wegen jenseits aller bürgerlichen kapitalkonformen Projekte verfällt das Manifest mit seiner Arbeits-/Kapitalismuskritik auf die reine schlechte Negation. Faktisch baut sie mit ihrem Angriff aus die Arbeit den Kapitalismus als ein unaufhebbares Monster auf. Gerade das macht es auch „linken“ Kritikern, etwa den Regierungssozialisten in spe, denen Marx-Nähe bereits als Beweis für Dogmatik gilt, leicht, mit dieser Schrift einschließlich ihrer tatsächlich anregenden Inhalte fertig zu werden. Wer fest daran glauben will, daß der gegenwärtigen Rücknahme von bürgerlich-kapitalistischer Zivilisation durch irgendeine fähige Regierung etwa mittels Bewahrung und Rekonstruktion des sogenannten fordistischen Gesellschaftsvertrages, mit sozialdemokratischer, keynesianistischer Regulierung usw. beizukommen sei und wer mit Arbeitsdienstfreaks und Bill Clinton meint „Jeder Job ist besser als keiner“ (1998), braucht es sowieso nicht zu lesen. Wer aber so wie die Krisis-Gruppe etwas höchst Notwendiges und Spannendes wagt, nämlich den scheinbar festgefügten Kapitalismus als System in Frage zu stellen, dem/der bietet die Lektüre eine anspruchsvolle Provokation nach der anderen:

- „Sozialisten und Konservative, Demokraten und Faschisten haben sich bis aufs Messer bekämpft, aber [...] immer gemeinsam dem Arbeitsgötzen geopfert. ‘Die Müßiggänger schiebt beiseite’ [...] und ‘Arbeit macht frei’. [...] Am Ende des 20. Jahrhunderts haben sich alle ideologischen Gegensätze nahezu verflüchtigt. Übrig geblieben ist das gnadenlose gemeinsame Dogma, die Arbeit sei die natürliche Bestimmung des Menschen.“(12)

- „Die politische Linke hat die Arbeit [...] nicht nur zum Wesen des Menschen erhoben, sondern sie damit auch zum vermeintlichen Gegenprinzip des Kapitals mystifiziert. Nicht die Arbeit galt ihr als Skandal, sondern bloß ihre Ausbeutung durch das Kapital. Deshalb war das Programm sämtlicher ‘Arbeiterparteien’ auch immer nur die ‘Befreiung der Arbeit’, nicht aber die Befreiung von Arbeit. Der soziale Gegensatz von Kapital und Arbeit ist aber bloß der Gegensatz unterschiedlicher [...] Interessen innerhalb des kapitalistischen Selbstzwecks. Der Klassenkampf war die Austragungsform dieser gegensätzlichen Interessen auf dem gemeinsamen gesellschaftlichen Boden des warenproduzierenden Systems. Er gehörte der inneren Bewegungsdynamik der Kapitalverwertung an.“(16)

- „Die Arbeiterbewegung wurde so selber zu einem Schrittmacher der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft.“ (25) In ihren Parteistrukturen („Führer und Geführte, Promis und Fußvolk, Seilschaften und Mitläufer“) erwies sich die Arbeiterbewegung als „integraler Bestandteil“ kapitalistischer Systemlogik. „Spätestens seit den Nazis sind alle Parteien Arbeiterparteien und gleichzeitig Parteien des Kapitals. In den ‘Entwicklungsgesellschaften’ des Ostens und Südens mutierte die Arbeiterbewegung zur staatsterroristischen Partei der nachholenden Modernisierung; im Westen zu einem System von ‘Volksparteien’ mit auswechselbaren Programmen und medialen Repräsentationsfiguren. (26)

- „Der Klassenkampf ist zu Ende, weil die Arbeitsgesellschaft am Ende ist.“ (26)

- „Wenn die Produktivkräfte über das System der Arbeit hinauswachsen, läuft das positive staatliche Recht ins Leere, das sich immer nur auf Subjekte der Arbeit beziehen kann. [...] Die transnationalen Konzerne zwingen die [...] Staaten zum Steuerdumping, Sozialdumping und Ökodumping“, zu reinen Krisenverwaltern. „Die Staatsapparate verwildern zu einer korrupten Kleptokratie, das Militär zu Mafia-Kriegsbanden, die Polizei zu Wegelagerern. Diese Entwicklung kann durch keine Politik der Welt mehr aufgehalten oder gar rückgängig gemacht werden. [...] Das Ende der Arbeit wird zum Ende der Politik.“(30f)

- Es wird davor gewarnt, mit der Propaganda gegen die Kasinokapitalisten, die Spekulanten, und mit der Hoffnung auf „ehrliche Arbeit“ so wie Rechtsradikale und Autonome, biedere Gewerkschaftsfunktionäre und keynesianistische Ostalgiker ein billiges Feindbild zu pflegen. „Die wenigsten sind sich bewußt, daß es von da bis zur Remobilisierung des antisemitischen Wahns nur noch ein kleiner Schritt ist. Das ‘schaffende’ nationalblütige Realkapital gegen das ‘raffende’ international-‘jüdische’ Geldkapital zu beschwören, droht das letzt Wort der geistig verwahrlosten Arbeitsplatz-Linken zu werden.“(34)

- Zur Forderung nach einem garantierten Existenzgeld oder Mindeseinkommen: „Ignorant wird das ewige Weiterfunktionieren der globalen Arbeitsgesellschaft vorausgesetzt, denn woher sonst sollte das Geld kommen, um dieses staatlich garantierte Grundeinkommen zu finanzieren, wenn nicht aus den gelingenden Verwertungsprozessen? Wer auf eine solche ‘Sozialdividente’ baut [...], muß gleichzeitig klammheimlich auf eine privelegierte Position des ‘eigenen’ Landes in der globalen Konkurrenz setzen. Denn nur der Sieg im Weltkrieg der Märkte würde es vorübergehend erlauben, einige Millionen kapitalistisch ‘überflüssiger’ Mitesser zuhause durchzufüttern.“(40)

Im Manifest gibt es auch Aussagen darüber, wie „die unter dem Diktat des kapitalistischen Selbstzwecks undenkbare gesellschaftlich-institutionelle Identität von Produzenten und Konsumenten“ (42) hergestellt und wodurch „die entfremdeten Institutionen von Markt und Staat“ abgelöst werden könnten. Die Krisis-Leute prüfen eine Reihe von Brücken, von denen in der Geschichte angenommen wurde und von denen einige Linke heute noch behaupten, sie könnten vom Spätkapitalismus aus in die sozialistisch-kommunistische Gesellschaft führen. Das Ergebnis: Proletarische Klassenkämpfe und Diktaturen seien hierfür ebenso ungeeignet wie die demokratischsten Parlamente, Parteien und irgendwelche Staatsapparate. Da die Autoren mit nachvollziehbaren Argumenten auch davon ausgehen, daß mit derartigen Institutionen auch die Funktionsfähigkeit der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, setzen sie sich konsequent zwischen alle einst und heute in Ost und West etablierten Stühle. Wie sie diese allesamt als brüchig beschreiben, ist sehr erfrischend, wirft allerdings mehr Fragen auf, als beantwortet werden. Der Mut, sich mit neuer Sicht den Realitäten zu stellen, ist aber allemal realistischer als etwa alle begriffs- und machtlosen Versuche, aus der kapitalistischen Produktionsweise mittels Tobin-Steuern, Beschäftigungsprogrammen und sonstigen Tricks doch noch ein wenig Zivilisation herauszuquetschen (und dies auch nur für eine relativ kleine elitäre Schicht von Standortprivilegierten).

Bis zum Schluß bleibt völlig unklar, warum nicht ein Manifest gegen die LOHN-Arbeit geschrieben wurde. Natürlich kann man die kommunistische Form der zweckmäßigen „Aneignung des Natürlichen“, der ewigen „Naturbedingung der menschlichen Existenz“ (Marx, MEW 13/23f) auch als Tätigkeit bezeichnen. Obwohl es nicht zwingend ist, könnte es durchaus Sinn machen, den gegenüber der Lohn-Arbeit gänzlich anderen Charakter dieser kommunistischen Tätigkeit/Arbeit (schöpferisch, nicht entfremdet, zeitlich drastisch beschränkt, unmittelbar auf Bedürfnisbefriedigung assoziierter Konsumenten/Produzenten und nicht mehr auf einen äußeren Zweck, etwa Verwertung von Wert, gerichtet) auch dadurch hervorzuheben, daß man ein anderes Wort nutzt, also etwa Tätigkeit statt Arbeit sagt. Im Wesen geht es jedoch darum, die „Tauschwert setzende“, also „eine spezifisch gesellschaftliche Form der Arbeit“ (ebd., hervorgehoben UW) aufzuheben. Wer in seine Analyse den Form-Unterschied etwa zwischen kapitalistischer Lohn-Arbeit und der freien kommunistischen einbezieht, der vermag auch nicht nur den revolutionären Bruch zwischen kapitalistischen und kommunistischen Produktionsweisen zu erfassen, sondern auch den Zusammenhang zwischen beiden. Der/die kann und wird sich nämlich der Frage stellen, warum und wie die neue Produktionsweise überhaupt auf der Grundlage der alten entstehen kann. Kommunismus kann nicht als eine von den in der noch alten Gesellschaft lebenden Menschen unerfaßbare Gottesschöpfung entstehen, nicht samt plötzlich völlig neuen Menschen aus einem Supergau hervorgehen. Die Elemente der neuen Gesellschaft müssen im Schoß der alten schon weitgehend vorgeprägt sein. Ist dies nicht der Fall (oder sieht man wie Krisis die alte Gesellschaft nur als katastrophalen Irrtum an), lohnt auch kein Gedanke an eine Aufhebung von Kapitalismus und ein praktischer Versuch müßte immer wieder in Don-Donquichotterie enden. Theorie, wenn sie allgemeinmenschliche Emanzipation aus ist, muß diese Voraussetzungen benennen können. Mit ihrem Arbeitsbegriff jedenfalls dringen die Krisis-Leute nicht zu dieser Marxschen Tiefe vor (auch nicht im Schwarzbuch). Damit gewinnt nicht nur ihre Kritik bisheriger historischer Formen der Arbeit einen moralisierenden, denunziatorischen Charakter. Es wird sogar der Eindruck hervorgerufen, es wäre bereits in vergangenen historischen Epochen, etwa zur Zeit der Maschinenstürmer, ein Ausbruch aus der (Lohn-)Arbeit, also eine sozialistische Umwälzung, möglich gewesen, als sei dies nur eine Frage der Einsicht in die Schändlichkeit von (Lohn-)Arbeit, des Maßes an Widerstand der späteren Proletarier gegen ihre kapitalkonforme Zurichtung gewesen. Die Jahrhunderte der kapitalistischen Epoche werden so nur als Ausdruck mangelnder Aufklärung und ungenügenden Freiheitsstrebens verstanden. Mit dieser Methode (und nicht etwa mit der Charakteristik des systemimmanenten Wirkens der bisherigen Arbeiterbewegung - dem ist m. E. zuzustimmen) wird schlicht der ganze Marx über Bord geworfen, angefangen von den Feuerbachthesen und der Deutschen Ideologie bis zu allen Kritiken der Politischen Ökonomie. Das Enttäuschende daran: Dies geschieht ohne erkennbaren Gewinn für irgendeine emanzipatorische Bewegung bzw. Theorie. Marx wird nur als ein flankierender Zitatengeber genutzt. Dessen Geschichtsmaterialismus wird dadurch faktisch als Unsinn erklärt (siehe auch Schwarzbuch, S. 72f, 100), daß der Kapitalismus lediglich als ein bösartiger Irrtum behandelt wird, eben als ein schwarzes Loch, in dem unwiderruflich alle Zivilisation verschwand bzw. verschwindet. Zugleich wird wie aus einem Steinbruch aus Marx’ Erkenntnissen die Theorie des Warenfetischismus herausgerissen (als sei dies kein konstituierende Element seines Geschichtsmaterialismus und umgekehrt). Sie wird dann sozusagen als isolierte Geheimwaffe genutzt, dem derart unverstandenen Kapitalismus nun endlich eher moralisch-eifernd als theoretisch den Garaus zu machen. Alle noch im kapitalistischen Arbeitsprozeß Stehenden bzw. (Lohn-)Arbeitssuchenden können nach dieser Auffassung ihre Befangenheit in den Kategorien der kapitalistischen Warenproduktion grundsätzlich nicht durchbrechen. Mittels eines verballhornten Marx werden sie so bezüglich ihrer möglichen Potenzen, selbst alternative sozialistische Formen von Leben und Arbeiten zu begründen, zu hoffnungslosen Idioten erklärt.

Den Krisis-Autoren geht es wie Zimmerleuten, die eigentlich ein wunderschönes helles Holzhaus bauen wollen, in einem dichten Redwood aber vor lauter Dunkelheit kein Baumaterial und keine anderen Handwerker erkennen. Im leidenschaftlichen Drang nach Wärme, Licht und Geborgenheit beschwören sie die Zeiten der Maschinenstürmer, als - um im Bild zu bleiben - rinsum erst dünne Stengel wuchsen, geeignet für primitive Laubhütten. Auf tatsächlichen Gestank und allgegenwärtigen Qualm verweisend, setzen sie auf einen sowieso unvermeidbaren großen Brand, der die Dunkelheit vernichtet und dann eine weite Sicht für alle schafft, einen riesigen Ting-Platz für die freien Assoziationen der Zukunft.

Mit Marx’ Methode sind, wie gesagt, durchaus Gründe dafür zu erkennen, warum gerade mit den jetzigen Umbrüchen in der kapitalistischen Produktionsweise die Chancen ihrer Überwindung wachsen (dies nicht nur und nicht vorrangig deshalb, weil die kapitalistische Form der Produktion immer zivilisationsunverträglicher wird). Bei der Krisis-Methode bleibt es jedoch (abgesehen eben von der Beschwörung derzeitiger und unmittelbar bevorstehender Katastrophen) völlig rätselhaft, warum gerade zukünftig ein Ausbruch aus der (Lohn-)Arbeit möglich sein sollte. Auch die nun wirklich brennende Frage nach den möglichen Formen der sozialen Kämpfe, die diesen Ausbruch ermöglichen können (im Gegensatz etwa zu denen des Real-„Sozialismus“ und den im ML propagierten), kann so nicht mit der notwendigen Tiefe beantwortet, ja nicht einmal sinnvoll gestellt werden. Ganz zu schweigen davon, daß eine solche Theorie auf tatsächlich immer wieder praktizierte Versuche alternativen Lebens und Arbeitens orientieren bzw. deren kritische Begleiterin sein könnte. Hinweise auf Räte und freie Assoziationen (43) bzw. auf „neue Formen sozialer Bewegungen“ und auf „Brückenköpfe [...] für eine Reproduktion des Lebens jenseits der Arbeit“ (49) sind hier nicht begründet. Es können nämlich keinerlei Angaben gemacht werden, aufgrund welcher materiellen und mentalitätsmäßigen Voraussetzungen, die über Jahrhunderte nicht gegeben waren, diese Alternativen nun entstehen und geschichtsmächtig werden könnten. Auch die Auffassung von Krisis, daß es wohl nicht die Klassenkämpfe der Arbeiterklasse sein können, die die Existenzbedingung dieser Klasse selbst, die kapitalistische Lohnarbeit, aufheben können, daß es nicht um die Erringung der (Staats-)Macht sondern um Auflösung von Staat und Politik durch die „Konstitution einer Gegengesellschaft“(49) geht, all das hängt argumentativ hinsichtlich der Begründung dieser Alternativen in der Luft. Genau dieser Begründungsmangel hinsichtlich der Hoffnungen auf Räte und auf die die bürgerlich-kapitalistische Staatlichkeit aufhebende Gegengesellschaften ist zu beheben. Das muß im Gegensatz zu diesem Manifest gerade dadurch geschehen, daß die auch von Krisis ins Auge gefaßten Alternativen als Aufhebung von etwas Bestimmtem gefaßt werden. Es geht darum, theoretisch und praktisch zu entdecken, inwiefern in den heute noch kapitalistisch formierten materiellen Elementen der Produktion auf dem konkreten Niveau der postfordistischen dritten industriellen Revolution und in den damit verbundenen widersprüchlichen Mentalitäten etwas steckt, das sozialistisch-kommunistisch aufgehoben werden könnte. Es geht darum, die Formen der sozialen Bewegungen zu entdecken bzw. eventuell schon längst reale Praxen zu erkennen, durch die diese Befreiung erfolgen könnte. Im geschichtsmaterialistischen Sinne liegt hier für Theorie, die auf allgemeinmenschliche Emanzipation gerichtet ist, die entscheidende Aufgabe. Mit dem engen geistigen Rüstzeug eines theoretischen Angriffs auf die Arbeit überhaupt können zwar verbreitete und berechtigte Zukunftsängste bedient und kurzatmige rebellische Gefühle von freischwebenden Geistern befördert werden. Dem Kapitalismus beizubekommen ist so aber wohl nicht.

Natürlich ist nicht auszuschließen, daß der Rezensent das Ganze einfach nicht begriffen hat. Doch wie auch immer, eine Diskussion gerade über das Manifest halte ich für sehr sinnvoll. Gerade weil die Krisis-Leute den Mut finden, überhaupt das zentrale Thema Arbeit öffentlich zur Diskussion zu stellen und das eben mit dem Blick auf eine Überwindung des Kapitalismus, sollte z. B. über ihre Gründe für die Verengung des Arbeits begriffes gesprochen werden. Daß sie ihre Auffassungen auf eine provokativ-aufregende Weise präsentieren, ist bei der derzeitigen Abneigung vieler „Linker“, den Kapitalismus überhaupt als überwindbar zu denken, eher verdienstvoll. Für Sozialisten jedenfalls dürfte eine Diskussion über dieses Manifest gegen die Arbeit sinnvoller sein, als an Programmen über die Frage zu basteln, wie denn etwa über wahlkämpfende TV-Stars und Ministerposten an die alten abgenuddelten Schräubchen staatskapitalistischer Regulierungen heranzukommen sei.

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