ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 435 / 17.02.2000

Erklärung zur Verhaftung von Axel H., Harald G. und Sabine E.
Berliner Bündnis für Freilassung

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Mittlerweile läuft die Solidaritäts- und Unterstützungsarbeit für die drei Inhaftierten an, die am 19. Dezember in Berlin und Frankfurt a.M. wegen angeblicher RZ-Mitgliedschaft verhaftet wurden. Im folgenden dokumentieren wir einen Auszug aus einer ersten Erklärung des Berliner Bündnisses für Freilassung, das sich in der Stadt zusammengefunden hat, um eine Kampagne für die Freilassung von Axel H., Harald G. und Sabine E. auf die Beine zu stellen. Eine vollständige Fassung der Erklärung, ebenso wie weiter aktuelle Informationen sind unter www.freilassung.de  zu finden.
  • Zur Verhaftung von Axel H., Harald G. und Sabine E., zur Abschiebung von Frank L. und Alisia L. und zur Erstürmung des MehringHofes

Am Sonntag, 19. Dezember 1999, stürmten um 6.00 Uhr schwer bewaffnete Spezialeinheiten von Polizei und Bundesgrenzschutz die Privatwohnungen von Axel H. und Harald G. in Berlin. Anschließend wurden sie nach Karlsruhe gebracht, wo ihnen am 20.12.1999 Haftbefehle verkündet wurden. Im selben Zusammenhang erfolgte in Frankfurt a.M. die Verhaftung von Sabine E.

Zeitgleich wurde die Umgebung des MehringHofes in Berlin-Kreuzberg - der Arbeitsstelle von Axel und Harald - von ca. 1.000 PolizeibeamtInnen umstellt. BeamtInnen verschiedener Bundesländer und Bundesgrenzschutz samt Spezialeinheiten durchsuchten mit Schnüffelhunden den MehringHof nach einem Sprengstoff- und Waffendepot, das sich dort befinden sollte. Hohlräume wurden aufgestemmt, Türen aufgebrochen, bis spät in den Abend hinein wurden alle Räume durchsucht - gefunden wurde nichts.

Festgenommen wurden bei der Durchsuchung Frank L. und Alicia L., zwei Flüchtlinge, die sich gegen Ende einer Fete noch am Morgen im MehringHof aufgehalten haben. Sie wurden in Abschiebehaft genommen und sind mittlerweile nach Weißrussland und Bolivien abgeschoben.

Die Verhaftungen und Durchsuchungen werden von der Bundesanwaltschaft damit begründet, dass Tarek Mousli - der wenige Wochen vorher von der Bundesanwaltschaft (BAW) wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen (RZ) verhaftet worden war - Axel H., Harald G. und Sabine E. mit Aussagen belastet habe.

Axel H. soll danach Mitglied der RZ sein und ein Sprengstoff- und Waffendepot im MehringHof "betreut" haben. Harald G. und Sabine E. sollen gleichfalls Mitglieder der RZ bzw. der Roten Zora sein und an einem Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber in Berlin im Februar 1987 beteiligt gewesen sein.

Tarek Mousli soll weiter behauptet haben, dass Harald G. und Sabine E. bei den Schüssen auf die Beine des damaligen Vorsitzenden Richters des Bundesverwaltungsgerichts Günter Korbmacher im Jahre 1987 beteiligt gewesen seien. Außerdem soll Sabine im Jahre 1986 einen Anschlag auf den einstigen Leiter der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg mitgewirkt haben - strafrechtlich sind letztere Vorwürfe nach Angaben der BAW verjährt.

Harald hat 1994 die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) mit begründet. Die FFM ist vor allem durch ihre kritische Recherche und durch ihre Publikationen zu den Auswirkungen der Festung Europa auf Flüchtlinge in den Grenzregionen sowie in den mittel- und osteuropäischen Ländern bekannt geworden. In den mittlerweile fünf Jahren FFM hatte Harald entscheidenden Anteil an der Recherche- und Öffentlichkeitsarbeit. So hat er die Dokumentationsstelle "Menschenrechtsverletzungen an der Grenze" mit aufgebaut. Er hat den Versuch der staatlich erzwungenen Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen in die Ausgrenzung von Flüchtungen und MigrantInnen anhand der Verurteilungen von TaxifahrerInnen an den östlichen Grenzen Deutschlands recherchiert und öffentlich gemacht. Zuletzt beteiligte er sich an der Beobachtung eines Prozesses in Cottbus. Dort stehen junge Nazis vor Gericht, die im Februar 1999 einen algerischen Flüchtling in Guben in den Tod gehetzt hatten. Die Verhaftung von Harald reißt nicht nur eine große Lücke in die ohnehin personell schwierige Situation der FFM, sondern auch in die flüchtlingsunterstützenden Netze wie den Flüchtlingsrat Brandenburg, dem Harald ebenfalls angehört. Eines seiner künftigen, von ihm bereits mit vorbereiteten Projekte ist die Mitarbeit am "Internationalen Menschenrechtsteam an der Grenze"; damit soll die kritische Beobachtung der polizeilichen Fahndungs- und Behandlungspraxis gegenüber Flüchtlingen an der östlichen Schengener Außengrenze zum regulären Aufgabenfeld international anerkannter Menschenrechtsgruppen werden.

Axel ist mit dem MehringHof seit seinem Bestehen eng verbunden. Bevor er die Stelle als Hausmeister antrat, war er Mitglied des Kneipenkollektivs Spectrum, das er seinerzeit mit gründete. Das legendäre "Specci" war eine der ersten kollektiv geführten Berliner Szenekneipen und zog 1980 mit den ersten Projekten in den MehringHof ein. Das Spectrum war ein Ort, wo regelmäßig Solidaritätskonzerte, -feten und politische Veranstaltungen zu den verschiedensten Themen stattfanden, die die Linke in den 80er Jahren bewegten. Nach Auflösung des Kollektivs wurde der Gewinn in ein Schulbauprojekt in Nicaragua gesteckt und in eine Seifenmanufaktur für salvadorianische Flüchtlingsfrauen. Gegen Ende der 80er Jahre hatte Axel an der Errichtung eines kommunalen Radios im Süden Nicaraguas mitgewirkt. Bis zu seiner Verhaftung war er in dem Initiativkreis gegen den Schlussstrich aktiv, der sich in Berlin im Zusammenhang mit dem geplanten Mahnmal für die ermordeten europäischen Jüdinnen und Juden gebildet hatte. Der Initiativkreis wendet sich dagegen, dass mit dem Holocaust-Mahnmal ein historischer Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit gezogen wird und es als Symbol einer abgeschlossenen Geschichte funktionalisiert wird. Axel, wie viele andere von uns, gehört jener Generation an, für deren Politisierung die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus ausschlaggebend gewesen ist.

Bei der Erstürmung des MehringHofes nahmen die strafverfolgenden Behörden gezielt in Kauf, dass durch die Durchsuchung wieder einmal das politische und kulturelle Projekt MehringHof, das über 30 Gruppen, Initiativen und Gewerbebetriebe unter seinem Dach vereint und über 120 Menschen einen Arbeitsplatz bietet, zum Vorführ-Objekt verschiedener JournalistInnen und PolitikerInnen wurde. Die zwanzigjährige Geschichte des MehringHofes steht für eine unabhängige, unbequeme und vielfältige Kultur des Protestes und für ein Engagement für eine gerechte Gesellschaft. Neben gewerblichen Einrichtungen wie Verlagen, einer Druckerei, einem Fahrradladen und einem linken Buchladen finden hier unterschiedliche soziale, kulturelle und politische Initiativen Platz. In der letzten Zeit hat der gesamte MehringHof eine übergreifenden Initiative für "Flüchtlinge ohne Papiere" beschlossen. So entschieden sich anlässlich des 20-jährigen Jubiläums alle MieterInnen für die praktische Solidarität mit Flüchtlingen, MigrantInnen und Illegalisierten durch die Übernahme einer Patenschaft.

  • Zum Sonder-Beweismittel des Bundeskriminalamts und der Bundesanwaltschaft: "Kronzeuge" Tarek Mousli

Die Durchsuchung des MehringHofs und die Haftbefehle beruhen - nach Angaben der Ermittlungsbehörden - ausschließlich auf den Anschuldigungen des "Kronzeugen" Tarek Mousli. Der Vorwurf, dass im MehringHof Sprengstoff und Waffen gelagert wären, wurde bereits zu Beginn der Polizeiaktion zu einem Schlag ins Wasser: im MehringHof wurde nichts davon gefunden. Tarek Mousli hat sich offensichtlich als "Kronzeuge" den Ermittlungsbehörden angedient, belastet sich selbst und hofft nun darauf, durch Angaben, die andere belasten, ungeschoren davon zu kommen.

Diesen Rollenwandel im laufenden Ermittlungsverfahren versucht die Bundesanwaltschaft (BAW) mit Hilfe der am 31.12.1999 ausgelaufenen Kronzeugenregelung durchzusetzen. Die Mehrheit der Richter- und Anwaltschaft bezeichnet den Rollenwandel vom potenziellen Angeklagten zum Zeugen der Anklage wie insgesamt die Kronzeugenregelung als Verstoß gegen ein fundamentales strafprozessuales Prinzip. Kronzeugen werden von den Ermittlungsbehörden bei so genanntem Ermittlungsnotstand aufgebaut, das heißt in Situationen, in denen es keine Beweismittel gibt. Die strafverfolgenden Behörden verhören den Kronzeugen während der Ermittlungen und Strafprozesse weiter und können sie, die sich auf das Versprechen des Straferlasses und des späteren Zeugenschutzprogramms eingelassen haben und sich in absoluter Abhängigkeit von ihren Verhörern befinden, je nach Opportunität auf neue Fährten setzen. Damit ist der Manipulation der Ermittlungsverfahren und der Strafprozesse durch BKA, BAW und andere Behörden Tür und Tor geöffnet. Sie verschaffen sich damit ein von ihnen selbst kontrolliertes Instrument der Beweisproduktion.

In der Praxis hat dieses Sonder-Beweismittel mehrfach dazu geführt, dass die Kronzeugen in den Strafverfahren angesichts ihrer sinkenden Glaubwürdigkeit immer absurdere Beschuldigungen vorbrachten. Denn sie klammern sich in ihrer Angst, den Erwartungen der Justiz nicht entsprechen zu können, an das Versprechen, dass der Strafnachlass um so höher ausfallen wird, je gravierender die Taten sind, von denen Kronzeugen angeblich sprechen können.

Die Partei der Grünen, die im Vorwahlkampf zu den letzten Bundestagswahlen die ersatzlose Streichung nicht nur der Kronzeugenregelung, sondern auch des Paragrafen 129 a und aller anderen politischen Sondergesetze der 70er Jahre beantragte, schrieb am 11.12.1997 zur Kronzeugenregelung: "Sie provoziert zum einen Falschaussagen und eröffnet die Möglichkeit der Einflussnahme durch die Ermittlungsbehörden auf den Zeugen. Dies wird eindrücklich durch den Fall Nonne belegt, der im Zusammenhang mit der Aufklärung des Mordes an Alfred Herrhausen steht. Nonne widerrief seine bereits zuvor gestandene Beteiligung an dem Anschlag und seine Angaben über den Tathergang und die Tatbeteiligten. Seine Falschaussagen seien unter Druck der Ermittlungsbehörden mit Geldzusagen veranlasst worden."

Wir fordern die sofortige und bedingungslose Freilassung von Axel H., Harald G. und Sabine E. und protestieren gegen die Abschiebung von Frank L. und Alicia L.!

In einer Zeit,

- in der jährlich Zehntausende von Menschen an den Außengrenzen Europas verhaftet, drangsaliert und zurückgeschoben werden,

- in der auf Grund der EU-Abschottungspolitik Tausende ums Leben kommen,

- in der die rechte und rechtsextreme Mobilisierung politisch wie kulturell einen für das Europa der Nachkriegszeit noch nie da gewesenen Aufschwung erfahren hat,

- in der sich die rassistische Stigmatisierung und Ausgrenzung von Flüchtlingen und MigrantInnen auf allen gesellschaftlichen Ebenen zugespitzt hat,

- in der Menschen anderer Hautfarbe die berechtigte Angst haben, jederzeit Opfer eines rassistischen Angriffs zu werden,

- in der alleine aus Deutschland jährlich über 30.000 Menschen per Flugzeug abgeschoben werden,

- in der antisemitische Überfälle, Anschläge auf jüdische Friedhöfe, die Schändung von Gedenkstätten erschreckend zunehmen,

- in der die Bundesregierung den ersten Angriffskrieg nach 1945 gegen Jugoslawien mit Auschwitz rechtfertigt,

- in der sich eine unwürdige und schäbige Verhandlungstaktik von Seiten der beteiligten Firmen über die Entschädigung für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hinzieht, brauchen wir vielfältige Politikformen, die diesen Entwicklungen gegensteuern und sie aufhalten.

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