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CDU-Krise, Parteienkrise oder Systemkrise? 

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                Man hat internationale Großunternehmen wegen ihrer Macht und Größe öfters mit ganzen Staaten verglichen. Mit gleichem Recht kann man Staaten und ihren Apparat mit einem Großunternehmen vergleichen: Die Bundesregierung hat rund 500.000 Bundesbedienstete, Daimler-Chrysler 420.000 Mitarbeiter. Sieht man den politischen Apparat des Bundes als ein Großunternehmen an mit Geschäftsführung, Aufsichtsrat, Betriebsrat und Belegschaft, dann betrachtet man ihn aus gewerkschaftlicher Sicht, also aus Sicht und Erfahrungen der Lohn­abhän­gigen.

                Die Sachverhalte, um die es in der Spendenaffäre geht - Bestechlichkeit, Bilanzfälschung, Führung von schwarzen Kassen und Belügen der Öffentlichkeit wie der eigenen Untergebenen -, sind Geschäftspraktiken, die - wie im Fall Holzmann - auch von normalen Großunternehmen bekannt sind.  

1. Der bundesdeutsche „Aufsichtsrat“

                Den „Aufsichtsrat“ unserer Regierung stellen die Herren in den Konzernspitzen der BRD. Der Wirtschaftsjournalist Günter Ogger schätzt diesen Personenkreis auf „kaum mehr als 200 Personen“, die „den weitaus größten Teil der deutschen Industrie mitsamt der Fi­nanzwirtschaft“ kontrollieren. Dieser „Aufsichtsrat“ war und ist Geldgeber und Ratgeber der hohen Politik. Man wird nicht ganz falsch liegen, wenn man annimmt, dass Kiep, Kanter, Kohl und Konsorten nicht nur ihre Spendengelder, sondern auch ihre Finanzpraktiken aus der Geschäftswelt geschöpft haben. Ein Bundeskanzler und Parteivorsitzender Kohl hatte das mit dem Ministerpräsidenten Glogowski gemeinsam: Als „politische Geschäftsführer“ unseres Staates waren sie Vertraute und Lehrbuben ihrer „Aufsichtsratsbosse“ aus Bigbusiness.

                Geschäfts­führer und Aufsichtsräte bleiben gemeinsame Nutznießer und enge Freunde, solange das Geschäft gut geht. Erst wenn es im Management schief läuft, besinnen sich beide Seiten auf die offizielle „Arbeitsteilung“, die sicherstellt, dass der Aufsichtsrat von nichts nie etwas gewusst hat und für nichts verantwortlich ist, was die eigene Geschäftsführung tut. Im Fall Holzmann wurden jahrelang die Bilanzen gefälscht, ohne daß der Aufsichtsrat auch nur hingeguckt hat. Im Fall Kohl wurden unsere Auf­sichtsratsbosse öffentlich aufgefordert, zu bekennen, aus welcher Tasche das Geld in die CDU-Kasse geflossen ist. Sie haben sich bedeckt gehalten, als ginge sie die ganze Affäre nichts an und wollten vergessen machen, dass zur Bestechung immer zwei Seiten gehören, auf die sich das gegenseitige Geben und Nehmen verteilt.  

2. Der bundesdeutsche „Betriebsrat“

                Die Rolle des Betriebsrates auf Bundesebene sollte das Parlament, der deutsche Bundestag, spielen. Unsere bundesdeutschen „Betriebsräte“ oder Abgeordneten haben ihre „Be­troffenheit“ heruntergebetet und sich damit als Unschuldslämmer, wenn nicht gar als dumme Lämmer hingestellt. Sie waren weder willens, noch in der Lage, eine parla­mentarische Kontrolle im „System Kohl“ auszuüben. Für die Abgeordneten der CDU-Fraktion ist sogar erwiesen, dass sie sich an den Bilanzfälschungen durch schwarze Kassen beteiligt haben, indem sie in Verschwörermanier das Bargeld kofferweise herumgeschleppt ha­ben, statt das Bankkonto der Fraktion zu benutzen.

                Jawohl, unser deutscher Bundestag hat einen Untersuchungsausschuss eingerichtet! Aber in jeder Gerichtsverhandlung sind Zu­schauer zugelassen, gibt es wenigstens noch Öffentlichkeit. Die „Zuschauer­demokratie“ in den Gerichtssälen geht unseren Abgeordneten schon zu weit. Ihre Untersuchungsausschüsse tagen hinter verschlos­senen Türen. Das Krisenmanagement wollen die Herren Politiker unter sich ausmachen.

                In jedem Betrieb haben die Belegschaftsmitglieder ein Vorschlagsrecht für ihre Betriebsratskandidaten und ist Persönlichkeitswahl möglich. Auf eine Bundestagswahlliste kommen aber nur Leute, die die Parteioberen aus­gesucht haben. Jeder Betriebsrat in deutschen Unternehmen ist demokratischer gewählt und daher kritischer gegenüber seiner Betriebsführung als unser bundesdeutscher „Betriebsrat“.  

3. Die bundesdeutsche Presse

                Bleiben noch die Medien als sogenannte vierte Kraft im Staat. Auch hier ist eine Analyse aus betrieblicher und gewerkschaftlicher Sicht möglich und sinnvoll: In den Großunternehmen haben wir erstens eine Unternehmenszeitung und häufig auch eine Gewerk­schaftszeitung. Presse und Medien in der Bundesrepublik wollen „ausgewogen“ sein, das heißt beide Rollen gleichzeitig spielen. Manchmal erfüllen sie die Funktionen von braver Unternehmenszeitung und oppositioneller Gewerkschaftszeitung auch nacheinander: Während des Kosovokrie­ges unterstützten die Medien blind die Bundesregierung in diesem Angriffskrieg. In der Spendenaffäre sind die Medien dann ein bisschen umgeschwenkt und haben die Rolle der Ge­werkschaftszeitung übernommen.

                Trotzdem war und ist die bundesdeutsche Presse auch in der Spendenaffäre nicht einmal so gut wie unsere betrieblichen Gewerkschaftszeitungen. Dort werden nicht nur Missstände aufgezeigt, son­dern auch Forderungen erhoben, wie diese Missstände beseitigt oder gemildert werden können. Weder haben Journalisten die Spendenaffäre aufgedeckt - das waren brave Finanz­beamte, die einige Herren von der früheren CDU-Führung wegen Steuerhinterziehung ins Visier nahmen - noch trauen sich unsere Journalisten vernünftige Vorschläge zu machen, wie der politische Sumpf ausge­trocknet werden könnte: nämlich indem die Machtvollkommenheit unserer Politikerklasse kräftig be­schnitten wird.

4. Was wird folgen?

                Spätestens, wenn die anstehenden Landtagswahlen vorbei sind, werden die deutschen Medien wieder von ihrer Rolle als oppositionelle „Gewerkschaftszeitung“ umschwenken auf Schmusekurs mit den neuen Leuten in den Spitzenämtern von Regierung und Parteien. Sie werden wieder wie gewohnt Imagepflege für ihre Stichwortgeber  in Politik und Wirtschaft treiben.

                Die PDS wird - solange sie ordentliche parlamentarische Opposition betreibt wie während des Kosovokrieges - weiteren Zulauf gewinnen, so dass ihre dauerhafte Existenz im Parteienspektrum gesichert bleibt. Der PDS wird dann die Oppositionsrolle zufallen, die die Grünen aufgegeben haben.

                Am deutlichsten wird aber die Zahl der „Nichtwähler“ zunehmen, die nicht nur in Opposition zur Regierung oder zu einigen Parteien stehen, sondern zum ganzen parlamentarischen System. Neben dieser radikalen negativen Systemopposition wird mit der Zahl und dem Einfluss von Bürgerinitiativen auch wieder die radikale positive Systemopposition wachsen.

                In diesem System gilt es als ausgemacht, dass nur einige Wenige das Sagen haben und das für eine schrecklich lange Zeit - nicht einmal ein Rentenalter gibt es für unsere Politiker. Die Bewegungen für Elemente der direkten Demokratie werden daher weiter an Kraft gewinnen: Für Volksentscheide, kurze Amtszeiten, Abschaffung des Berufsbeamtentums usw.

                Solche radikalen Änderungen des politischen Systems werden aber nicht nur als allgemeine Regeländerungen mit zunehmendem Nachdruck gefordert, sondern auch punktuell innerhalb des bestehenden Systems schon verwirklicht: Die Entscheidung gegen den Bau des Transrapids hat das Volk gegen den Willen der Bundesregierung und ihrer „Aufsichtsratsbosse“ durchgesetzt - auch ohne formellen Volksentscheid. Für die Herren Glogowski und Schäuble wurde eine einjährige Amtszeit schon eingeführt. Es kommen wieder lustigere Zeiten.

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