Wohnst Du noch, oder lebst Du schon?
Das DDR-Wohnungsbauprogramm

von Hanns Graaf

02/2020

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Der bekannte Werbeslogan von IKEA enthält mehr ernst zu nehmenden Inhalt, als es sich die Marketing-Experten wohl gedacht haben. Schon Friedrich Engels wies darauf hin, von welch großer Bedeutung die Wohnverhältnisse für die gesamten Lebensverhältnisse sind. Man könne, so meinte er mit Blick auf die Wohnumstände der Arbeiterklasse, die Menschen mit einer Wohnung auch „erschlagen“. Leben ist nicht nur Wohnen, aber Wohnen ist immer ein Stück Leben.

Engels vertrat die Auffassung, dass der Kapitalismus letztlich die Wohnungsnot – sowohl den Mangel an Wohnraum als auch die mangelhafte Qualität der Wohnungen der Massen – nicht generell beheben kann. Nun meinen manche Linke, dass dem nicht so sei – zumindest in Ländern wie Deutschland, wo es an sich genug Wohnraum gibt und Wohnungsnot oder Obdachlosigkeit eher  marginale Probleme sind. Allerdings abstrahiert eine solche Position von der Situation des globalen Kapitalismus, wo schlechter oder fehlender Wohnraum eines der Hauptprobleme von Milliarden von Menschen ist. Dazu kommt, dass selbst das, was hierzulande als „gute Wohnung“ gilt, oft nur eine Art Wohn-Minimum darstellt, das höheren Bedürfnissen keineswegs gerecht wird. Schließlich impliziert die dargestellte Position auch eine Wohn- und damit Lebensweise, welche sich nach bürgerlichen Strukturen wie Familie und dazugehörigem privaten Kleinhaushalt richtet. Dagegen ist grundsätzlich einzuwenden, dass eine andere, bessere Gesellschaft wohl kaum anders oder gar besser funktionieren kann als eine bürgerliche, wenn sie in einem so wichtigen Lebensbereich wie dem Wohnen dieselben Strukturen und Gewohnheiten aufweist wie die bürgerliche oder gar vorbürgerliche Gesellschaft.

Das DDR-Wohnungsbauprogramm

Das Wohnungsbauprogramm wurde vom Zentralkomitee der SED auf seiner 10. Tagung am 2.10.1973 beschlossen und ging auf einen entsprechenden Beschluss des VIII. Parteitags 1971 zurück. Es wurde zum Kern des „sozialpolitischen Programms“ der SED. Die Wohnungsfrage als sozialpolitisches Problem sollte so in der DDR bis 1990 gelöst sein.

Das unter Honecker ab Anfang der 1970er forcierte Wohnungsbauprogramm gilt nicht zu Unrecht als eine der größten sozialpolitischen Leistungen der DDR. 1970, zu Beginn des Wohnungsbau-Programms, lag der Wohnungsbestand bei 5,9 Millionen. Bei etwa 17 Mill. Einwohnern entsprach das ca. 345 Wohnungen je 1.000 Einwohner. Bis 1988 stieg die Zahl der Wohnungen auf 7 Millionen – bei gleichzeitig leicht gesunkener Einwohnerzahl, die 1988 noch 16,66 Millionen betrug. Der Zuwachs von rechnerisch nur 1 Million erklärt sich auch aus der erheblichen Zahl von Wohnungen, die in dieser Zeit wg. Unbewohnbarkeit, Fehlnutzung oder Abriss aus dem Bestand heraus fielen. Auch die Ausstattung der Wohnungen verbesserte sich und die Quadratmeterzahl pro DDR-BürgerIn erhöhte sich in dieser Zeit von 20,6 auf 27m² (alle Zahlen aus: Statistisches Taschenbuch der DDR 1989). Von 1971-89 wurden etwa 3,3 Mill. Wohnungen gebaut und modernisiert, davon über 2 Millionen in Plattenbautechnik.

Das sind durchaus beeindruckende Fakten – und doch verweisen sie zugleich auf zentrale Probleme der „Lösung des Wohnungsproblems“ unter den Bedingungen des Stalinismus. So wurde z.B. sehr viel Wohnraum für Büro- oder sogar für Produktionszwecke zweckentfremdet genutzt, der zudem  dafür meist total ungeeignet war. Anstatt also zuerst diese Ressourcen zu erschließen und Zweckbauten zu errichten, wurden zuerst (die bezüglich des Baubedarfs aufwändigeren) Wohnhäuser gebaut.

Unter Honeckers Vorgänger Ulbricht entstand die gute Idee, mehrere Verwaltungen räumlich zusammen zu fassen. Angesichts des enormen Umfangs an staatlicher und politischer Verwaltung hätte das zu erheblichen Einspar- und Rationalisierungseffekten geführt und viele Wohngebäude wieder ihrer eigentlichen Zweckbestimmung zugeführt. Doch selbst diese, an sich bescheidene Idee wurde fast nie umgesetzt.

Neubauwut

Das Wohnungsbauprogramm bestand zum größten Teil aus der Errichtung von Neubauten aus Beton-Fertigteilen, der „Platte“. Diese Bautechnik war für Neubauten durchaus rationell und relativ billig, was allerdings auch mit einer oft bescheidenen Ausstattung sowohl der Wohnungen selbst als auch der Wohngebiete mit öffentlichen Service-Einrichtungen wie Kneipen, Jugendclubs, Kinos usw. einher ging. Dass der Neubau so dominant war, erklärt sich als Notwendigkeit rein statistisch allerdings kaum, denn das Verhältnis von 17 Mill. Einwohnern zu 6 Mill. Wohnungen vor Beginn von Honeckers Bauprogramm verweist nicht gerade auf eine akute Wohnungsnot – zudem viele Menschen, die z.B. in Altersheimen, in Kasernen, Gefängnissen oder in Internaten lebten, keine eigene Wohnung hatten.

Der hohe Bedarf an Neubauten erklärt sich v.a. daraus, dass die Instandhaltung nach Kriegsende sträflich vernachlässigt worden war. Das führte dazu, dass viele Wohnungen schlecht ausgestattet, mangelhaft oder sogar unbewohnbar waren. Trotz des enormen Neubauvolumens, v.a. in der Hauptstadt Berlin, gab es landesweit zugleich sehr viele Wohnungen, die leer standen, weil sie nicht bewohnbar waren. So wurde in den 1970ern die Jugend-Initiative „Dächer dicht“ gestartet, weil die Bauwirtschaft es nicht schaffte, die Dächer instand zu halten. Im Kabarett witzelte man, dass „das Land einen Dachschaden“ habe. Dabei wäre die Sanierung deutlich effizienter gewesen, wie eine Zahl zeigt: 1988 standen 110.511 Neubauwohnungen 108.732 modernisierte Wohnungen gegenüber (in den Jahren davor war das Verhältnis zwischen Neubau und Sanierung noch weit mehr zugunsten des Neubaus verschoben). Doch der Bau-Aufwand für Neubauten war fast 6mal so hoch wie der bei Sanierungen.

Wir können tatsächlich sagen, dass der massenhafte Verfall von Wohnraum erst zur Voraussetzung des riesigen Neubauprogramms wurde. Dazu kam, dass auch die Verteilung des vorhanden Wohnraums schlecht bzw. bürokratisch geregelt war. So war es oft sogar schwer, eine größere gegen eine kleinere Wohnung zu tauschen. Das enorme Ausmaß der Subventionierung der Mieten hat die Fehlnutzung von Wohnraum noch begünstigt. So gab es Leute, die trotz niedrigen Einkommens eine sehr große Wohnung hatten, die sie an sich nicht unbedingt brauchten. Es kam sogar vor, dass manche Leute sich, ohne wirklichen Bedarf zu haben, zwei Wohnungen leisten konnten, wovon dann mitunter eine (illegal) untervermietet und – auf Kosten der Gesellschaft – zur zweiten Einkommensquelle wurde.

Der private Hausbau sah sich enormen Problemen gegenüber. Diese waren weniger finanzieller Art, Geld oder Kredit war durchaus verfügbar. Das große Problem war die Beschaffung von Material und von Handwerkern. Die Bau-Eigenleistung war deshalb genauso usus wie das „Abzweigen“ von Material aus den Betrieben (Spötter zitierten das Ulbricht-Motto: „Aus unseren Betrieben ist noch viel mehr rauszuholen.“) oder die Nutzung der „normalen“ Arbeitszeit für private Arbeit.

Meist wurden auf der grünen Wiese riesige Satellitenstädte gebaut, anstatt in den Zentren die vielen Baulücken zu schließen, die es v.a. durch den Krieg gab oder Dachgeschosse auszubauen. Das zog riesige Investitionen für die Erschließung und die infrastrukturelle Anbindung nach sich. Es entstanden in fast allen größeren Städten Neubausiedlungen, aber auch Neubaublöcke in vielen Dörfern, was dem ländlichen Charakter meist nicht entsprach. Der größte zusammenhängende Stadtneubau war Halle-Neustadt mit mehr als 93.000 Einwohnern (Stand 1981).

Auch Ost-Berlin breitete sich enorm in die Fläche aus, obwohl die Einwohnerzahl fast gleich blieb. Berlin ist auch in anderer Hinsicht ein fast makabres Beispiel für bürokratische Bauwut. Insgesamt wurden im Ostteil Berlins nach dem 2. Weltkrieg 360.000 Wohnungen gebaut, davon 273.000 in Plattenbauweise. D.h. fast eine halbe Million Berliner – von ca. 1,3 Millionen – erhielt eine neue oder ausgebaute Wohnung. Selbst die Kriegsschäden können aber eine derart hohe Neubauquote nicht begründen, zudem gerade Berlin im Vergleich zu anderen deutschen Städten eine relativ junge Bausubstanz hatte.

1976 hatte das SED-Politbüro die „Aufgaben zur Entwicklung der Hauptstadt der DDR, Berlin, bis 1990“ beschlossen. Diese sahen u.a. vor, dass von den fast 500.000 Wohnungen Ost-Berlins bis 1990 rund 80.000 abgerissen werden sollten, „weil die Substanz verschlissen ist“. (Berliner Zeitung, 27./28.3.76) Wer das Wohnungsproblem dadurch lösen will, dass er Wohnraum in der Dimension einer Großstand mit über 200.000 Einwohnern abreißt, muss sich nicht wundern, dass sein Vorhaben riesige Ressourcen verbraucht, die natürlich woanders fehlen. „Wir bauen unser eigenes Grab“, meinten hinter vorgehaltener Hand denn auch einige DDR-Ökonomen.

Sozialistisches Wohnen?

Doch die hohen und in der Art der Verwendung tw. unsinnigen Bauaufwendungen sind nur eine – allerdings typische – Seite der bürokratischen Planung und des Ausschlusses der demokratischen Mitwirkung der Bevölkerung. Ein anderer, nicht weniger bedeutender Aspekt ist die Frage, was gebaut wurde: welche Art Wohnung, welche Art von „behaustem Leben“?

Die gesichts- und geschichtslosen Plattenbausiedlungen der DDR sahen oft nicht anders aus als ähnliche Projekte im Westen. Von einer anderen, stärker kollektiven Lebensweise, die auch eine andere Art von Wohnbauten erfordert hätte, konnte in der DDR keine Rede sein. Allein das Fehlen von Gemeinschaftsräumen zeigt die ungebrochene Orientierung auf Kleinfamilie und privaten Minihaushalt. Proletarische Traditionen von häuslicher Gemeinschaftlichkeit (Geselligkeit, gemeinsames Wäschewaschen oder Kochen) wurden allgemein ignoriert. Auch darüber gab es jedoch keine öffentliche Diskussion. Eine solche Gemeinschaftlichkeit des Wohnens unabhängig von der Familienstruktur gab es allenfalls in Form von Studenten-WGs bzw. Studentenwohnheimen. Doch sollten diese, v.a. dem Sparzwang geschuldeten, „Zwangsgemeinschaften“ auf niedrigem Niveau nicht mit einem freiwilligen Kooperieren von Menschen auf möglichst hohem materiellen und kulturellen Stand verwechselt werden.

Der Autor kann sich noch gut an seine Studentenzeit Ende der 1970er in Potsdam erinnern. Ein Teil der Studenten wohnte und lernte in Potsdam-Babelsberg in ehemaligen Villen der Ufa-Stars. Diese waren als Studentenheim oder für Lehrveranstaltungen völlig ungeeignet. Auch die Instandhaltung litt unter unter der ständigen Fluktuation der BewohnerInnen und ihrem Desinteresse an der Ausgestaltung und Pflege dieser ehemals noblen, aber immer mehr verfallenden  Häuser. Die nur 10 DDR-Mark Monatsmiete (inkl. Bettwäschenutzung) machten zudem eine Kostendeckung komplett unmöglich.

Solche Beispiele für eine völlig unangemessene Nutzung von Wohnraum gab es zuhauf. Sie verweisen darauf, wie unmöglich es ist, Wohnraum effektiv zu nutzen, wenn einerseits das Privateigentum an Wohnraum abgeschafft, es andererseits aber nur durch eine bürokratische Verwaltung ersetzt wurde. Haben der Privateigentümer wie auch die Nutzer an sich ein Interesse an der Erhaltung und sinnvollen Nutzung von Wohnraum – ob nun aus Profitgründen oder deshalb, weil man gut wohnen möchte, hat eine Bürokratie dieses Interesse nicht oder allenfalls in vermittelter Form. In der DDR waren aber beide – die Privateigentümer wie die Nutzer – enteignet. Die Folgen: Verantwortungslosigkeit, Gleichgültigkeit, Ohnmacht der BewohnerInnen und Ausschaltung ihrer Interessen, Fähigkeiten und Kenntnisse.

Ein Beispiel soll zeigen, dass mehr Kollektivität aber sogar erhebliche materielle Vorteile für den Einzelnen bzw. die „Familie“ wie für die Gesellschaft insgesamt haben kann. Üblich war – im Osten wie im Westen -, dass jeder Haushalt über eine Waschmaschine verfügte. Bei zehn Haushalten in  einem städtischen Mehrfamilienhaus sind das 10 Geräte. Würde das Haus über einen Gemeinschaftsraum zum Wäschewaschen verfügen, könnten dort 3 oder 4 Waschmaschinen aufgestellt werden, dazu Trockner oder sogar eine Bügelmaschine, für die in einer Wohnung gar kein Platz wäre und die auch nicht wirklich ausgenutzt werden könnten. Auch das Waschen verschiedener Wäschearten – bunte, weiße – gleichzeitig wäre so möglich. Zudem brauchte man insgesamt weniger Waschmaschinen und hätte mehr Platz im „privaten“ Bad, was den Zusatzbedarf eines Raumes im Haus ökonomisch ausgleichen würde. Zudem würde der „Waschsalon im Haus“ auch erhebliche Zeiteinsparung gegenüber dem Weg zu einem solchen im Kiez bedeuten.

Die konkrete Bauweise ist nur die bauliche „Hülle“ für eine bestimmte Lebensweise. Typisch für die DDR (und den Stalinismus insgesamt) war dabei eine Melange aus Mißachtung des Individuums, seiner Bedürfnisse und Fähigkeiten, und den Machtstrukturen der Bürokratie mit  strikt bürokratisch geregelten tw. pseudo-demokratischen Mechanismen. Hier spiegelte sich konkret nur der allgemeine Umstand wider, dass zwar das Privateigentum abgeschafft und der bürgerliche Staatsapparat zerschlagen waren, jedoch nur, um durch einen neuen, der Form nach ebenfalls bürgerlichen Apparat ersetzt zu werden. Dieser, dem Stalinismus zugeschriebenen Vorgehensweise,  begegnen wir allerdings auch schon von allem Anfang an in der Politik der Bolschewiki nach 1917.

Auf dem DDR-Wohnungssektor hieß das v.a.: bürokratische Verwaltung der Wohnungen in Verbindung mit – letztlich fast einflusslosen „Kollektivstrukturen“ wie den Hausgemeinschaften. Alle wesentlichen wohnungspolitischen Fragen wurden innerhalb der Bürokratie entschieden, ohne dass die Bevölkerung oder auch Expertengremien außerhalb der Partei- und Ministerialbürokratie wirklich eingebunden gewesen wären. Das war auch schon deshalb ausgeschlossen, weil diese kaum Informationen hatten, auf deren Basis sie hätten etwas sinnvoll beurteilen, vorschlagen oder gar entscheiden können, was mit sinnvoller Planung zu tun gehabt hätte. Natürlich war es auch im Wohnungssektor unmöglich, eine kollektive „Insel der Seeligen“ zu errichten, wenn es ansonsten in der Gesellschaft so war, dass die Bürokratie alles entschied und organisierte und nicht die Basis.

Auch die ökonomisch völlig unnütze massive Subventionierung der Mieten, die weit unter den realen Kosten für die Instandhaltung lagen, führte dazu, dass das Interesse der Mieter am Erhalt bzw. der Verbesserung des Wohnraums gering und eine permanente Unterfinanzierung der Instandhaltung gegeben war. Hier zeigte sich auf fatale Weise aber nur konkret das allgemeine Problem, dass das Preissystem durch die Subventionen und staatlich willkürlichen Preisfestlegungen völlig verzerrt war. Das „Soziale“ der Honeckerschen Sozialpolitik bestand weitgehend in der absurden Vorstellung von Preisstabilität. In einem Gebirge von Subventionen ging notwendigerweise der Überblick über die realen wirtschaftlichen Zusammenhänge und Verhältnisse verloren. Es war allgemein bekannt, dass selbst die extrem billigen Mieten nicht von allen Mietern pünktlich oder überhaupt bezahlt wurden, so dass sie von den Mitarbeitern der Wohnungsverwaltungen eingetrieben werden mussten, indem diese von Tür zu Tür gingen, um die Sämigen zu ermahnen. Der Aufwand dafür lag oft über dem, was dann überhaupt eingetrieben wurde.

Die Verwaltung der Wohnungen durch (v.a. ehrenamtliche) VertreterInnen der MieterInnen hätte nicht nur die Effektivität von Entscheidungen merklich verbessern können. Ein solches System hätte auch ermöglicht, enorme materielle und personelle Ressourcen der Wohnungs-Verwaltungs-Bürokratie einzusparen und in produktive Bereiche umzuleiten. Landesweit hätten so schlagartig abertausende Wohnungen, in denen die kommunalen Wohnungsverwaltungen (KWV) saßen, wieder als Wohnraum genutzt werden können.

Ein simples Beispiel, das der Autor selbst erlebt hat, soll den kompletten Aberwitz der DDR-Wohnungsverwaltung illustrieren. Wenn ein Fenster oder eine Tür zu streichen war, musste man als Mieter zur KWV gehen. Nachdem man dort mehr oder weniger lange warten musste, konnte man einen Antrag auf Handwerkerleistungen stellen. Da alle Seiten grundsätzlich davon ausgingen, dass diese aber (aufgrund des Mangels an Handwerkern oder weil sie im Wohnungsneubau eingesetzt waren) gar nicht verfügbar waren, konnten, sollten und mussten die Malerarbeiten dann in Eigenleistung erfolgen. Die Materialkosten – nicht die Arbeitskosten (!) – wurden von der KWV bezahlt. Falls die Eigenleistung nicht möglich war, erhielt man einen Schein, mit dem man zum Handwerker ging, damit der dann eventuell irgendwann oder auch nie die Reparatur ausführte. Dieses absurde Prozedere war typisch für die dem Kapitalismus „historisch überlegene“ Gesellschaft des „Realsozialismus“.

In keiner Statistik sollten (und konnten) solche Dinge aufscheinen. Stattdessen verglich man abstrakte Quadratmeterzahlen von Wohnungen in Ost und West, ohne dabei aber z.B. die wichtige Frage zu beleuchten, wie es um die (im Westen deutlich höhere) Wohnqualität beschaffen war.

Die bürokratischen und völlig unökonomischen Strukturen des DDR-Wohnungswesens, die letztlich  nicht nur keine Verbesserung bewirkten, sondern sogar zur zunehmenden Verschlechterung der Wohnsituation der Massen im Vergleich zur BRD beitrugen, wurde in der Statistik wegretuschiert – nicht aber in der Realität und auch nicht im Bewusstsein der Menschen. Um die „Grandiosität“ des Wohnungsbaus in der DDR etwas „einzuordnen“, soll hier erwähnt werden, dass in der BRD der Anteil des Wohnungsbaus an der gesamtwirtschaftlichen Leistung in allen Jahren nach 1945 höher war als in der DDR.

Eine neue Gesellschaft muss auch daran erkennbar sein, wie und was sie baut. Selbst die bürgerliche Gesellschaft unterschied sich dabei stark von der feudalen. Die DDR u.a. Länder des Ostblocks haben insgesamt keine andere Art des Bauens oder der Bauten hervorgebracht als der Kapitalismus. Was hier wie dort als Wohnungen massenhaft gebaut wurde, waren nichts anderes als Bauhüllen für eine (klein)bürgerliche Wohnkultur und Lebensweise. Das einzig Markante am Bauen im Osten waren vielleicht die allgegenwärtigen Plattenbauviertel, die nicht zufällig – und trotzdem sie begehrt waren – diverse pejorative Bezeichnungen bekamen wie Wohnsilos oder Arbeiterschließfächer.

Es mag Zufall gewesen sein, dass die erste anti-stalinistische Massenbewegung der DDR im Juni 1953 auf den Baustellen an der Berliner Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee) begann. Auf jeden Fall war sie symbolträchtig, denn die dort im stalinschen pompösen Zuckerbäckerstil gebauten Häuser (dem Baustil der Nazis sehr ähnlich) waren mit ihrem hohen Bauaufwand und ihrer unökonomischen Struktur mit viel Zierrat und sehr hohen Räumen (niedrige Energieeffizienz) geradezu ein Hohn angesichts der Wohnungsnot nach dem Krieg. Jedem Arbeiter war wohl klar, dass man so das Wohnungsproblem nicht beheben konnte und diese Repräsentationsbauten wohl mehr für Funktionäre als für ArbeiterInnen gedacht waren.

Nicht nur die proletarischen Wohn-Traditionen und Erfahrungen wurden von der Bürokratie missachtet, auch die in manchen Belangen fortschrittlichen Bauhaus-Konzepte, die ja mit ihren historischen Zentren Dessau und Weimar gerade in der DDR von besonderem Interesse hätten sein müssen, wurden kaum aufgegriffen und nicht wirklich weiter entwickelt – es sei denn in dem Sinn, dass das ganze Land mit den ewig gleichen Betonquadern zugestellt wurde.

Dass trotz des enormen Umfangs des Wohnungsbaus das Wohnungsproblem zwar deutlich gemildert, aber keineswegs gelöst worden war, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass es Ende 1989 bei den zuständigen Ämtern noch fast 800.000 Anträge auf Wohnungs- bzw. Wohnraumzuweisung gab. Die Ursache dafür war auch, dass parallel zu den Neubauten viele Altbauten weiter verfielen und unbewohnbar wurden, was man z.B. in Leipzig oder Dresden sehen konnte. Da lt. der offiziellen Regelung viele Menschen mit einer bestimmten Wohnung „endversorgt“ waren, hatte ein Antrag für eine bessere Wohnung oft kaum eine Chance, so dass er oft erst gar nicht gestellt wurde. Diesen Umstand eingerechnet, wäre die Zahl der Wohnungsanträge noch weit höher gewesen.

Das Wohnungsbauprogramm hat die Wohnsituation von Millionen zweifellos verbessert – eine „sozialistische Wohnkultur“ jedoch wurde nicht einmal in Ansätzen verwirklicht. Auch die bürokratische Bauwut erwies sich – wie alle anderen sozialpolitischen Maßnahmen der SED – als nichts anderes als eine Form bürgerlicher Sozialstaatspolitik. Die Menschen wurden mit ihrer Plattenbauwohnung befriedet – aber nicht befriedigt.

Editorischer Hinweis

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