Betrieb &  Gewerkschaft
Walter AG: Werksschließung in Frankfurt/M
200 Industriearbeitsplätze gehen verloren!


von Red. Arbeit-Zukunft

02/2020

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Am 20. Januar 2020 wurde der Belegschaft des Frankfurter Präzisionswerkzeugherstellers Günther & Co. eröffnet, dass bis spätestens Anfang des kommenden Jahres der Standort geschlossen sein wird und die gesamte Belegschaft entlassen wird. Die 130-jährige Geschichte eines Frankfurter Traditionsunternehmens findet damit ein Ende.

Dass es ernst wird, als der Vorstand der Walter AG beim Frankfurter Tochterunternehmen Günther & Co. kurzfristig zur Betriebsversammlung einlud, war wohl allen klar – als aber die komplette Schließung des Werks in Frankfurt verkündet wurde, traf das alle vollkommen unvorbereitet. Denn nach eigenem Bekunden des Vorstandsvorsitzenden Richard Harris arbeitet Günther & Co. profitabel.

Tatsächlich lobt Harris Frankfurt als leistungsfähigen Standort mit hart arbeitenden Menschen – aber in einem von Richard Harris geführten Unternehmen wird gute Leistung und harte Arbeit nicht belohnt, sie spielen bei seinen Entscheidungen schlicht und ergreifend ebenso wenig eine Rolle wie das Schicksal von 200 Menschen.

Ein absolutes Novum war auch die Präsenz von acht Personenschützern, die Harris und seine Vorstandskollegen in die Betriebsversammlung begleitet haben. Das hat es bisher in der Geschichte von Günther & Co. nicht gegeben, dass ein Vorstand vorsorglich eine gut trainierte Truppe engagiert, wenn es galt, eine schlechte Nachricht zu verkünden. Doch damit machen Richard Harris und Konsorten klar, in welchem Verhältnis sie sich zu hart arbeitenden Menschen sehen: Sie halten diese für potentielle Verbrecher, vor denen sie sich schützen müssen.

Oder wie Brecht in seinem „Lied – Im Gefängnis zu singen“ fragt: „Haben sie denn so mächtige Feinde?“

Dass diese Nachricht übrigens gerade an diesem 20. Januar verkündet wurde, kann nicht zufällig gewesen sein, denn am Folgetag veröffentlichte die Sandvik AB, die Eigentümerin der Walter AG, in Stockholm ihr eher enttäuschendes Quartalsergebnis. Der Aktienkurs hat sich dank dieser Massenentlassungen in Frankfurt jedoch rasch wieder erholt, schließlich rechnet die Sandvik AB mit ca. 11 Millionen EUR Einsparungen pro Jahr. Bei kalkulierten 36,5 Millionen EUR Kosten sollen sich Werksschließung und Verlagerung in etwas mehr als drei Jahren vollständig amortisiert haben.

Auch steht das Frankfurter Werk in direkter Nachbarschaft zu expandierenden IT-Unternehmen, denn die Stadt ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einem der weltgrößten Internetknotenpunkte gewachsen. Bereits Jahre zuvor sind im Zuge von Teilschließungen bei Günther & Co. Werkshallen an ein Internet-Unternehmen veräußert worden, das diese mit Servern für Internet und Cloud gefüllt hat. Auf dem ehemaligen Parkplatz von Günther & Co. ist jüngst ein Serverzentrum der in Frankfurt ansässigen Europäischen Zentralbank entstanden. Zudem hat die gleichfalls in der Nachbarschaft ansässige Continental (ehemals Teves) in der Vergangenheit händeringend nach Platz für ihre Entwicklungsabteilung gesucht. Das Grundstück hat also erheblichen Wert und soll versilbert werden.

Für die Arbeiterinnen und Arbeiter des Frankfurter Standortes bedeutet der Verlust ihrer Arbeitsplätze dagegen einen langfristigen Einkommensverlust, denn im Rhein-Main-Gebiet sind gut bezahlte Stellen im Fertigungsbereich rar gesät. Für viele geht es um die Existenz, auch um die Zukunft ihrer Familien. Zwar verspricht die Walter AG den Betroffenen Qualifizierungsmaßnahmen, doch sind viele der Beschäftigten zu jung für die Rente und zu alt für den Arbeitsmarkt und damit auch bei guter Qualifikation nur schwer zu vermitteln. Zudem solche Maßnahmen im Wesentlichen von der Arbeitslosenversicherung gezahlt werden. Die Brosamen, die Harris den Leuten hinwerfen will, muss er also noch nicht einmal selbst bezahlen.

Der Frankfurter Erste Bevollmächtigte der IG Metall, Michael Erhardt, hat sich bereits eingeschaltet und will laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die „Plausibilität der unternehmerischen Maßnahmen prüfen“ und Schritte zur Beschäftigungssicherung vorschlagen. Mit dem Schlüsselwort „Qualifizierung“ hat die Walter AG bereits eine Steilvorlage der Gewerkschaft aufgenommen. Ziel muss aber der Erhalt des profitablen Standorts Frankfurt mit allen Arbeitsplätzen sein!

Die Belegschaft muss die kommenden Verhandlungen aktiv verfolgen, begleiten und notfalls handeln. Die Friedenspflicht ist erloschen, die Belegschaft kann also auch mit harten Bandagen für ihre Interessen kämpfen. Legal ist zwar nur der Arbeitskampf für einen Sozialplan, je teurer dieser jedoch wird, desto weniger attraktiv ist die Schließung des Werks. Die Gewerkschaftsbasis muss hier aktiv werden!

Und wer sagt, dass die Frankfurter Belegschaft ihren Kampf alleine führen muss? Die Walter AG verliert 200 von 1.300 Produktionsarbeitsplätzen, denn trotz Verlagerung von 82 Maschinen aus Frankfurt an andere Standorte in China und Frankreich sollen dort keine neuen Stellen geschaffen werden, vielmehr soll die Arbeit von den dortigen Belegschaften zusätzlich erledigt werden. Das bedeutet Mehrarbeit, zunehmende Hetze und Arbeitsverdichtung, aber keineswegs vergrößerte Sicherheit für den eigenen Arbeitsplatz. Denn welchen Wert harte Arbeit für Richard Harris hat, hat er jetzt in Frankfurt demonstriert: Keinen!

Editorischer Hinweis

Wir übernahmen den Beitrag von Arbeit-Zukunft, wo er am 22.1.2020 erschien.