Der
Fachkräftemangel im Pflege- und
Betreuungsbereich ist schon längere Zeit
kein Geheimnis mehr. Die großen
Wohlfahrtsverbände sahen schon vor 10-15
Jahren voraus, dass bis 2020 nicht nur in
ländlichen Regionen massiv Fachkräfte aus
diesem Bereich fehlen werden – diese
Entwicklung betrifft auch bevölkerungsreiche
Ballungszentren wie die Region Stuttgart.
Immer mehr nicht besetzte Arbeitsstellen
bleiben natürlich auch den auf
professionelle Unterstützung angewiesenen
Menschen in Krankenhäusern, Pflegeheimen
oder Betreuungseinrichtungen und deren
Angehörigen nicht verborgen – von den direkt
betroffenen Pflege- und Betreuungskräften
ganz zu schweigen.
Dass die
Situation für alle Betroffenen auf die ein
oder andere Weise schwierig ist, steht fest:
-Für die
auf Unterstützung angewiesenen Menschen ist
sie oftmals schlicht und ergreifend
gesundheitsgefährdent;
-Für die
sich kümmernden Angehörigen ist es
belastend, wenn Fragen auftauchen, ob der
oder die Angehörige wohl noch gut versorgt
ist in der Einrichtung;
-Das
Pflege- und Betreuungspersonal erlebt den
Personalmangel im Arbeitsalltag als
aufreibend, höchst stressig und mit den
eigenen ethischen Ansprüchen nicht mehr
vereinbar. Die in den letzten Jahren und
Jahrzehnten steigende Arbeitsverdichtung im
sozialen Bereich wird dadurch noch einmal
deutlich verschärft.
-Für immer
mehr Menschen, die aktuell (noch) nicht auf
die Betreuungs- und Pflegeleistungen
angewiesen sind, wächst (sorgenvolle)
Ungewissheit: Wie wird die Situation
aussehen, wenn ich selbst ins Krankenhaus
muss oder pflegebedürftig werde?
-Für die
Unternehmensleitungen stellt sich die Lage
ambivalent dar: Sie können einerseits
Personalstellen aufgrund mangelnder
(geeigneter) BewerberInnen nicht besetzen.
Damit können sie für diese Zeiträume
Personalkosten einsparen (1).
Andererseits wird die Situation des
Fachkräftemangels für sie zunehmend lästig –
wenn das Gewährleisten der Grundversorgung
zum Problem wird. Wenn also der Betrieb der
Einrichtung gefährdet wird. Oder wenn das
angestellte Personal, die auf Unterstützung
angewiesenen Menschen oder deren Angehörigen
Druck auf die Unternehmensleitung ausüben.
Prekäre
Arbeitssituationen aufgrund von
Personalmangel müssen dabei nicht nur zu
individuellen Kündigungen und damit
Vereinzelung der Beschäftigten führen
(2). Mittels
gemeinsam getragener Absprachen können
stattdessen kollektiv Erfolge für das
gesamte Personal erreicht werden, wie das
Beispiel eines Mitglieds der FAU Stuttgart
zeigt:
In einer
sozialen Pflege- und Betreuungseinrichtung
wurde die Arbeitssituation aufgrund der
mehrere Monate andauernden personellen
Unterbesetzung immer schwieriger:
Permanenter Stress, eine hohe
Arbeitsverdichtung und (daraus resultierend)
ein hoher Krankenstand unter den KollegInnen
waren neben dem Drei-Schicht-System Teil der
Ausgangslage. Das es so nicht länger
weitergehen konnte, stand fest. Die
KollegInnen redeten miteinander über ihre
Arbeitsbedingungen und über mögliche
Schritte, wie sie handeln könnten. Auch die
gewerkschaftliche Beratung und der
Erfahrungsschatz der FAU Stuttgart halfen
ihnen in dieser Situation weiter. Letztlich
entschieden sich die KollegInnen einerseits
für eine kollektive
Überlastungsanzeige (3)
(die von 90% der KollegInnen
unterzeichnet war). Andererseits war eine
durchdachte und gut vorbereitete
Gesprächsstrategie für die anstehenden
Treffen mit der Unternehmungsleitung
wichtig.
Nach den
Gesprächen zwischen Mitarbeitenden und
Unternehmensleitung konnten einige
Verbesserungen errungen werden: Mehr
eingeplante Personalstellen, Ausweiten der
Stellensuche und gleichzeitig attraktivere
Rahmenbedingungen für potentielle
BewerberInnen durch bessere Bezahlung aller
und mehr Urlaubstage für Schichtarbeitende.
Zusätzlich wurden Möglichkeiten erarbeitet,
wie das Personal entlastet werden kann.
Außerdem wurde eine weitere Stelle
geschaffen im Bereich der
Hauswirtschaft/Haustechnik, die für
zusätzliche Arbeitsentlastung für das
bisherige Personal sorgen soll. Diese neue
Stelle konnte auch sofort besetzt werden.
Dass die
Forderung nach mehr Arbeitsstellen bei
Personalmangel und Arbeitsverdichtung keine
einfache Lösung der Probleme darstellt, ist
klar. Denn wenn es regional (sowie
bundesweit) für die vielen unbesetzten
Personalstellen im Pflege- und
Betreuungsbereich zu wenig Fachkräfte gibt,
können die Unternehmensleitungen auch durch
größere und ehrliche Bemühungen nicht so
einfach neues Personal finden. Wie das
gerade beschriebene Beispiel vor Ort zeigt,
braucht es kreative Lösungen – Voraussetzung
dafür sind KollegInnen, die zusammen halten,
sich absprechen und den Rückhalt einer
Gewerkschaft im Rücken haben.
Fußnoten:
1: In vielen Bereichen im Pflege- und
Betreuungsbereich stellen die Personalkosten
der höchste Kostenfaktor für die Unternehmen
dar.
2: Auch wenn viele Beschäftigte dies Option
als (kurzfristigen) Ausweg als erstes in
Betracht ziehen.
3: Mit einer Überlastungsanzeige kann
formlos darauf hingewiesen werden, dass das
vorgegebene Arbeitspensum aktuell nicht zu
erfüllen ist.
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