Überwachung
Wie die Linkspartei beim Staatstrojaner einknickt

von Marie Bröckling

02/2019

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Die Linke ist die letzte Partei in Deutschland, die konsequent gegen Überwachungssoftware in den Händen von Polizist:innen stimmt. Doch ausgerechnet im rot-rot regierten Brandenburg schlägt die dortige Linksfraktion nun eine Kehrtwende ein und schreibt Staatstrojaner in das geplante Polizeigesetz.

Als letzte Partei hat die Linke noch nie für den Einsatz von Staatstrojanern gestimmt, weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Und darauf war sie stolz. Die Berliner Arbeitsgemeinschaft Netzpolitik verkündete erst letzten Herbst, dass „unter Regierungsbeteiligung der Linken in Thüringen, Berlin und Brandenburg, bisher sämtliche Bestrebungen zu Beschaffungen oder gar Einsatz von Staatstrojanern erfolgreich abgewehrt wurden“.

Diese Erfolgsgeschichte könnte nun ein jähes Ende nehmen: Die Linksfraktion in Brandenburg ist drauf und dran, den Einsatz von Staatstrojanern bei polizeilichen Ermittlungen zu erlauben. Die Netzpolitik-Expertin der Linken im Bundestag zeigt sich entsetzt. Der zuständige innenpolitische Sprecher in Brandenburg geht auf Tauchstation.

Das heimliche Hacken von privaten Handys durch Polizei oder Verfassungsschutz ist eines der wirkungsmächtigsten Überwachungsinstrumente überhaupt und damit besonders problematisch. Zudem bleibt als Kollateralschaden die allgemeine IT-Sicherheit auf der Strecke, denn die Nutzung von unbekannten Sicherheitslücken sorgt dafür, dass sie offen bleiben und somit alle gefährden. Zu Recht trägt der Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaft Netzpolitik der Linken den Titel: „Staatstrojaner zerstören Privatsphäre, Demokratie und IT-Sicherheit“.

Laufenden Verfassungsbeschwerden zum Trotz haben in den letzten Jahren alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien mindestens ein Mal für den Einsatz von Staatstrojanern gestimmt, meist auf Landesebene. Zuletzt führte das bei den Grünen zu Widerstand innerhalb der eigenen Partei.

Gegen „potenzielle Straftäter“ und ihre Freund:innen

Ob sich die Linksfraktion in Brandenburg bewusst war, welche Brisanz das Thema Staatstrojaner für die Glaubwürdigkeit der eigenen Partei hat? Im gemeinsamen Entwurf von SPD und Linke für ein neues Polizeigesetz wird der Einsatz der Überwachungssoftware jedenfalls besonders umfangreich genehmigt. Zukünftig dürften Polizist:innen in Brandenburg dann heimlich Schadsoftware auf Computern, Tablets und Handys installieren und Kommunikationsdaten ausleiten. Der Einsatz soll als sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) stattfinden. Dabei werden beispielsweise WhatsApp-Nachrichten vor ihrer Verschlüsselung ausgelesen und heimlich an die Ermittlungsbehörden übermittelt. Bei einer ersten Anhörung gab es deshalb viel Kritik von unabhängigen Jurist:innen.

Besonders heikel: Finden die Ermittlungen aufgrund eines Verdachts statt, also noch bevor eine Straftat begangen wurde, soll die Spähsoftware nicht nur gegen den vermeintlichen „potenziellen Straftäter“, sondern auch gegen dessen „Kontakt- und Begleitpersonen“ eingesetzt werden dürfen. Einen derartig großflächigen Einsatz dieser höchst umstrittenen Maßnahme sogar bei unverdächtigen Personen hat sonst nur Bayern. Noch nicht einmal das unionsgeführte Innenministerium in Nordrhein-Westfalen, wo ebenfalls kürzlich der Staatstrojaner erstmals erlaubt wurde, hat das fertiggebracht.

Kritik von linker Netzpolitik-Expertin im Bundestag

„Ich hoffe, dass auch dort [in Brandenburg] kein Staatstrojaner mit Beteiligung der Linken eingeführt wird“, sagt die netzpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Anke Domscheit-Berg, gegenüber netzpolitik.org. Erst kürzlich hat die Politikerin in einer Fernsehdebatte rund um den aktuellen Doxing-Angriff und die IT-Sicherheitspolitik der Bundesregierung den CSU-Staatssekretär Stephan Mayer öffentlich demontiert.

Dass Bundestagsabgeordnete zur Landespolitik Stellung nehmen, ist ungewöhnlich und zeigt: Staatstrojaner sind ein brenzliges Thema innerhalb der Linken. Domscheit-Berg verweist auf die jahrelange Arbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen, die „in der Fraktion, in Ausschüssen, Reden und bei jeder sich bietenden Gelegenheit, Forderungen für mehr IT-Sicherheit vertreten“. Diesen Bemühungen steht das Gesetzesvorhaben in Brandenburg diametral entgegen. Für den dort geplanten polizeilichen Einsatz von Staatstrojanern werden IT-Sicherheitslücken gezielt offen gehalten.

Auch an der Basis herrscht Unmut, es folgten bereits die ersten Austritte. Unter ihnen sind bekannte Gesichter, etwa zwei ehemalige Mitglieder des Kreisverbands Potsdam, die nun aus Protest gegen die Pläne zur Verschärfung des Polizeigesetzes aus der Partei ausgestiegen sind. Sie schreiben: „Aus unserer Sicht ist dies gerade für die LINKE als Nachfolgepartei der SED, mit ihrer Verantwortung und Erfahrung aus 40 Jahren DDR – staatlicher Überwachung und Repression unverantwortlich“.

Die Verantwortlichen schweigen

Die Linksfraktion im Brandenburger Landtag hüllt sich unterdessen in Nebel. Der zuständige innenpolitische Sprecher Hans-Jürgen Scharfenberg taucht zunächst ab, auf mehrfache Interviewanfragen von netzpolitik.org antwortet er nicht. Später schickt er politische Floskeln: Mit der Kritik aus der Expertenanhörung wolle er sich „ernsthaft auseinandersetzen“ und sich dann über das weitere Vorgehen mit der SPD „verständigen“.

Auch der Linke-Abgeordnete Thomas Domres wusste auf einer Diskussionsveranstaltung am vergangenen Wochenende in Perleberg keine klare Haltung seiner Partei zum Polizeigesetz zu präsentieren. Und auf der Webseite der Fraktion findet sich nicht einmal eine Pressemitteilung zum Thema.

Furcht vor der AfD

Warum also geht die Linke in Brandenburg jetzt auf Konfrontationskurs mit der eigenen Partei? Schließlich gab es im Koalitionsvertrag noch kein Wort zum Einsatz von Staatstrojanern, schon gar nicht in dieser breiten Anwendung. Dort heißt es lediglich: „Die Koalition wird das Polizeigesetz für eine noch wirksamere Bekämpfung von Straftaten fortentwickeln.“

Vieles spricht dafür, dass es die Furcht vor einer Mehrheit für die AfD bei der kommenden Landtagswahl im Herbst ist, die die rot-rote Regierung in Potsdam umtreibt. Mit harter „Law and Order“-Politik will man augenscheinlich auf Stimmenfang in rechten Gefilden gehen. Die Linke in Brandenburg muss sich dabei jedoch bewusst sein, dass alle jetzt eingeführten Überwachungsinstrumente unter einer möglichen zukünftigen AfD-Regierung missbräuchlich genutzt werden könnten. Das gilt insbesondere für den wirkmächtigen und kaum kontrollierbaren Staatstrojaner.

„Ich bin optimistisch“

Bisher haben nur Regierungen mit Unionsbeteiligung Staatstrojaner eingeführt. Dass nun mit Brandenburg ein rot-rotes Bundesland, also ganz ohne CDU-Beteiligung, den Staatstrojaner einführen könnte, ist neu. Domscheit-Berg äußert sich gegenüber netzpolitik.org dennoch optimistisch, dass das Polizeigesetz in seiner jetzigen Form von den Linken „verhindert“ wird. Noch besser wäre: Ein liberales Polizeigesetz mit Vorbildfunktion schaffen und die Grundrechte schonende Alternativen zum Staatstrojaner fördern.

Editorische Hinweise

Wir übernahmen den Artikel von NETZPOLITIK.ORG, wo er am 22.1.2019 erstveröffentlicht wurde. Die Autorin lebt in Berlin, studiert Politikwissenschaft und Chinesisch und schreibt seit Februar 2018 bei netzpolitik.org. Hier berichtet sie vor allem über die Polizei.

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