EDITORIAL
Notizen über (Selbst)ermächtigung

von Karl-Heinz Schubert

02/2019

trend
onlinezeitung

Ob es sich bei Venezuela um einen "sozialistischen Rentier-Staat" handelt oder um ein sozialistisches Projekt, das im Staatskapitalismus zu veröden droht, sei einmal dahingestellt. Seit dem Machtantritt von Chavez 1998, der versprach den Ölreichtum Venezuelas - die Ölvorkommen waren seit 1976 verstaatlicht - für eine sozialistische Umgestaltung zu nutzen, war Venezuela im Fokus der Politik der USA. Denn Venezuela ist für sie ein wichtiger Dominostein auf dem Weg zur Wiedererlangung der Vorherrschaft in Lateinamerika.

Seit Maduros Machtantritt 2013 entwickelten sich Misswirtschaft und  Selbstbedienungsmentalität  rasant in einem reziproken Verhältnis zum wirtschaftlichen Niedergang der auf regelmäßigen Zufluss von Einnahmen (ca. 90%) aus dem Ölhandel ausgerichteten Volkswirtschaft. Die politische Entmachtung der mehrheitlich mit Maduro-Gegnern zusammengesetzten Nationalversammlung durch Maduros Installation einer verfassungsgebenden Versammlung 2017, sowie die Wiederwahl von Maduro zum Staátspräsidenten 2018 und schließlich sein Amtsantritt am 10.1.2019 brachte seine Gegner in Massen landesweit auf die Straße.

Die US-Administration - jahrzehntelang erfahren im Initiieren und Ausnutzen von Volksbewegungen zum Sturz von Regierungen, die ihren imperialistischen Zielen im Wege stehen - nutzte die Gunst der Stunde, als Juan Guaidó, Präsident der Nationalversammlung, sich selber am 23. Januar 2019 bei einer Kundgebung vor seinen Anhängern in Caracas zum Staatspräsidenten ernannte. Juan Guaidó wurde postwendend von Trump mit einem ausdrücklichen Dankeschön im Amt bestätigt.

Seitdem bestimmt die US-Administration das Untergangsszenario des Maduro-Regimes.

Guaidós medienwirksam inszenierte Selbstermächtigung erweist sich von daher weniger als psychosoziale Handlung zur Erlangung von Autonomie und Eigenmacht auf dem persönlichen Karriereweg, sondern entspricht nach Gablers Wirtschaftlexikon eher der

"US-amerikanischen Bezeichnung für vom Management initiierte Maßnahmen, die die Autonomie und Mitbestimmungsmöglichkeiten von Mitarbeitern rund um ihren Arbeitsplatz erweitern".
https://wirtschaftslexikon.gabler.de/

Für diese Sichtweise stehen alle sofort ergriffenen Maßnahmen der Trump-Regierung, die internationalen Geldflüsse nach Caracas zu stoppen, um sie auf Konten ihres Mitarbeiters Guaidó umzuleiten. Als Begleitmusik werden Menschenrechtsverletzungen in Venezuela angeführt und militärische Drohungen ausgestoßen. Gleichzeitig wird Vasallentreue von den Staaten abgerufen, die der US-Imperialismus für seine Lateinamerikapolitik an seiner Seite braucht.

Die dadurch ausgekreisten Staaten stellen sich folgerichtig auf die Seite Maduros und hoffen die bestehenden ökonomischen Beziehungen zu Venezuela zumindest zu erhalten.

Und es gibt bereits schon erste Gewinner dieses Putsches:

"Nun da das Land möglicherweise vor einem Machtwechsel steht, sind die Kurse der Anleihen kräftig in die Höhe geschossen. Und Goldman Sachs als Halter der vorübergehend fast wertlosen Schuldtitel ist plötzlich wieder dick im Geschäft."
www.welt.de vom 31.01.2019

Außenminister Heiko Maas praktizierte in diesen bewegten Tagen auch  eine Art von "Selbstmächtigung". Während die Bundesregierung sich wegen der Ereignisse am 23.1.2019 in Venezuela noch politisch aufstellte, gab Maas am 24.1.2019 schon mal vorab gegenüber der Deutschen Welle während seines Besuchs bei den Vereinten Nationen in New York die Linie vor:

"Wir sind nicht neutral in dieser Frage, sondern wir unterstützen das, was Guaidó dort tut." www.n-tv.de vom 24.1.2019

Am 26.1.2019 folgte die Bundesregierung ihrem Opinionleader. Über Twitter verbreitete Regierungssprecherin Martina Fietz:

"Das Volk Venezuelas muss frei und in Sicherheit über seine Zukunft entscheiden können...Werden nicht binnen acht Tagen Wahlen angekündigt, sind wir bereit, Juan Guaido als Interimspräsidenten anzuerkennen, der einen solchen politischen Prozess einleitet." www.tagesschau.de vom 26.1.2019

Am selben Tag erkannte das EU-Parlament der Weisung von Heiko Maas folgend Guaidó als Interimspräsidenten an.

Während angesichts dieser Faktenlage bei Guaidó besser von ERMÄCHTIGUNG DURCH DRITTE anstelle von "Selbstermächtigung" die Rede sein sollte, steht das politische Vorpreschen des Bundesaußenministers im Hinblick auf die Legitimierung des Putsches in Venezuela eher für eine psychosoziale Praxis, mit der imperialistische Führungsqualitäten für höhere Ämter ausgewiesen werden soll. Oder anders: Wenn ein Sozialdemokrat imperialistische Politik betreibt, dann kann mensch ihn mit Fug und Recht SOZIALIMPERIALIST nennen.

Der Putsch in Venezuela hat die Linke schnell auf den Plan gerufen, um entsprechende Proteste zu formulieren. Wir dokumentieren 20 in wenigen Tagen nach dem 23.1.2019 erschienene Stellungnahmen. In ihnen spiegeln sich alle relevanten ideologischen Strömungen links der Sozialdemokratie wieder. Wäre es jetzt nicht an der Zeit zugunsten einer antiimperialistischen Solidarität und Praxis für Venezuela die bestehenden teilweise tiefen Widersprüche untereinander zurück zu stellen?

Vor 50 Jahren wurde dies in Sachen Vietnam-Solitarität möglich, weil unsere antiimperialistische Selbstermächtigung nicht nur eine ideologische, sondern vor allem auch ein praktisch-politische war.

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Stand 01.02.2019

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