Jeder neue
französische Präsident in den vergangenen zehn
Jahren, egal ob Nicolas Sarkozy, François Hollande
oder jetzt Emmanuel Macron, versicherte, nun sei es
aber wirklich vorbei. Ja, ein neokoloniales System,
ein Geflecht von Sonderbeziehungen, staatlichen und
privaten Privilegien – das man unter die
Bezeichnung »Françafrique« fassen könne – habe es
gegeben, aber eben in der Vergangenheit. Jetzt aber
nicht mehr, definitiv, ganz bestimmt. Nur, um fünf
Jahre später den jeweiligen Nachfolger sagen zu
hören, dieses Mal sei es gewiss, und so weiter.
Den Begriff
»Françafrique« prägte ursprünglich ein Abgeordneter
im französischen Parlament während der Jahre
unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, Félix
Houphouët-Boigny. Er meinte damit ein enges
politisches Beziehungssystem, das er als eine Art
dauerhafte Symbiose darstellte. Nach der
Unabhängigkeit seines Landes, der Côte d’Ivoire
(deutsch: Elfenbeinküste), im Jahr 1960, wurde er
deren Präsident – und blieb es bis zu seinem Tod im
Amt im Dezember 1993.
An der Leine von
Paris
Houphouët-Boigny war
der charakteristische Vertreter einer
Kompradorenbourgeoisie, die ihr Heil ausschließlich
in der engen politischen und ökonomischen Bindung
an die frühere Kolonial- und jetzige neokoloniale
Hegemonialmacht in West- sowie Zentralafrika sah.
Im Falle der Côte d’Ivoire hing und hängt noch
deren wirtschaftliche Rolle vom Export der
Monokulturprodukte Kakao und Kaffee ab. In anderen
Staaten lebt diese Kompradorenbourgeoisie hingegen
eher vom Export mineralischer Rohstoffe wie Erdöl
(Gabun, Kongo-Brazzaville) oder Uran (Niger). In
manchen der betreffenden Länder herrschen brutale
Diktaturen, wie im Tschad, in Kongo-Brazzaville
oder im westafrikanischen Togo. In anderen regieren
kleptomanische Autokraten, die sich eher mittels
Korruption und Klientelwirtschaft denn durch blanke
Repression an der Macht halten. Dies trifft etwa
auf Gabun und Kamerun zu, wobei auch dort auf
Protestbewegungen schnell mit Gewalt reagiert wird.
In einer Minderheit der Staaten herrschen halbwegs
demokratische Verhältnisse, auf denen allerdings
der Schatten der Korruption lastet, wie in Bénin,
Mali oder Senegal.
Houphouët-Boigny
trieb die vorgebliche »Liebesbeziehung« mit
Frankreich vielleicht am weitesten. Heute ist eine
seiner Urenkelinnen, Cécile Houphouët-Boigny, mit
einem gewissen Samuel Maréchal verheiratet. Dieser
agile Geschäftsmann war in den neunziger Jahren ein
aufstrebender Jungpolitiker der rassistischen und
neofaschistischen Partei Front National – und
damals der Schwiegersohn von Parteiboss Jean-Marie
Le Pen, dessen Tochter Yann Le Pen er geehelicht
hatte. Nach seiner Scheidung im Jahr 2007 zog es
ihn an die Seite der Urenkelin des »Patriarchen«
der Côte d’Ivoire. Dafür konnte Altpräsident Félix
Houphoët-Boigny, der zu dem Zeitpunkt bereits
unter der Erde lag, nichts. Allerdings kannten sich
die Familien des damaligen Staatsoberhaupts und des
früheren Front-National-Chefs recht gut.
Houphouët-Boigny besaß ein Schloss aus dem 17.
Jahrhundert in dem kleinen Ort Bombon einige
Dutzend Kilometer südöstlich von Paris. Dort
empfing er auch Mitglieder der »politischen Klasse«
Frankreichs. Zu seinen Gästen zählte unter anderem
auch Jean-Marie Le Pen. Der rechtsextreme
Kolonialnostalgiker seinerseits startete seinen
ersten Präsidentschaftswahlkampf im Frühjahr 1987
mit einer Reise in die Exkolonien Côte d’Ivoire und
Gabun. Damit wollte er sein »internationales
Format« unter Beweis stellen. Nebenbei erhielt Le
Pen dort mutmaßlich auch nicht unbeträchtliche
Finanzmittel von den jeweiligen Potentaten, denen
an einer guten Beziehung zu allen relevanten
Fraktionen der politischen Kaste in der »Metropole«
Frankreich gelegen war.
Nach dem Ableben von
Félix Houphouët-Boigny erhielt der Begriff
»Françafrique« eine andere Bedeutung, als jene, die
der ausgesprochen kollaborationswillige Präsident
ihm beimessen wollte. Im Jahr 1998 erschien ein
Buch des Schriftstellers François-Xavier Verschave
unter dem Titel »Françafrique: Der längste Skandal
in der Geschichte der Republik«. Es löste in
Intellektuellenkreisen und den Medien einen
veritablen Eklat aus. Verschave schilderte darin
die französische Verwicklung in Rohstoffraub,
großflächige Korruptionspraktiken und in Massaker –
damals war das Beispiel des Bürgerkriegs im
ölfördernden Kongo-Brazzaville mit 40.000 Toten
besonders aktuell, wobei der französische
Erdölkonzern Elf Aquitaine (heute Total) dem jetzt
noch amtierenden Staatspräsidenten Denis
Sassou-Nguesso dabei half, sich auf blutige Weise
an die Macht zurückzuputschen. Nach einer kurzen
Oppositionspause in den Jahren 1992 bis 1997 setzte
Sassou-Nguesso seine langjährige Herrschaft fort.
Kein
»Kontinuitätsbruch«
Im Wahlkampf 2006/07
versprach dann jedoch ausgerechnet der
rechtskonservative Präsidentschaftskandidat Nicolas
Sarkozy ziemlich lautstark einen »Kontinuitätsbruch
mit der Françafrique«. Er verkündete diese Absicht
unter anderem als damaliger Innenminister bei einem
Staatsbesuch in Bénin im Mai 2006. Das Vorhaben
schien zunächst zumindest teilweise ernstgemeint,
da in manchen wirtschaftsnahen und neoliberalen
Kreisen im Hinblick auf die französische Präsenz in
Afrika das »Abschneiden alter Zöpfe« gepredigt
wurde.
Nach deren Auffassung
geriet das System der Vorherrschaft, das u. a. den
Unterhalt ständig stationierter französischer
Truppen bzw. von Militärbasen in mehreren Ländern
Afrikas (Senegal, Gabun, Dschibuti) bedeutete, zu
kostspielig. Den darüber erreichten Vorteil, also
den privilegierten Zugang zu Rohstoffen, könne man
mit anderen Mitteln – etwa durch das Aushandeln von
Verträgen – billiger haben, so die Behauptung. In
Malis Hauptstadt Bamako rief Sarkozy, konfrontiert
mit protestierenden Demonstranten, ganz in diesem
Sinne aus: »Frankreich braucht Afrika nicht!«
Gemeint war damit: in wirtschaftlicher Hinsicht.
Sinngemäß fügte er nämlich hinzu, man wolle
historisch gewachsene Beziehungen nicht gänzlich
abreißen lassen.
Nach wenigen Monaten
im Amt vollzog Nicolas Sarkozy dann jedoch eine
radikale Kehrtwende. Die Kosten-Nutzen-Rechnung
schien nunmehr zu ergeben, dass die französische
Wirtschaft erhebliche Sondervorteile und
Extraprofite zu verlieren hätte, gäbe Paris seine
bisherige privilegierte Stellung in Afrika auf.
Nicolas Sarkozy dachte dabei wohl unter anderem
auch an seinen Duzfreund Vincent Bolloré, einen
französischen Milliardär und Chef eines
multinationalen Konzerns. Bolloré hatte ein von
seinen Eltern ererbtes kleines Tabakunternehmen
darauf spezialisiert, Agrar- und andere Rohstoffe
aus Afrika abzutransportieren und investierte dabei
in Infrastruktur und Logistik. Heute kontrolliert
der Geschäftsmann die Mehrheit der Häfen an der
Atlantikküste Afrikas, besitzt entsprechende
Konzessionen unter anderem in Senegal, Guinea, in
der Côte d’Ivoire, in Togo, Kamerun und Gabun.
Sarkozys erste
Ankündigungen zur Afrikapolitik erwiesen sich also
als heiße Luft. Diese Erfahrung musste sein
Staatssekretär für internationale Zusammenarbeit
und frankophone Länder, Jean-Marie Bockel, im
Frühjahr 2008, ein gutes halbes Jahr nach der
Regierungsbildung unter dem frischgebackenen
Präsidenten, machen. Das dem Außenministerium
zugehörige Amt, das Bockel, damals zugleich
Bürgermeister der elsässischen Industriestadt
Mulhouse, angenommen hatte, hieß früher einmal
»Kolonialministerium«.
Bockel hatte die
Sache mit dem angekündigten »Kontinuitätsbruch«
offensichtlich etwas zu ernst genommen. Die
liberale Pariser Abendzeitung Le Monde
nannte eine Woche nach seinem erzwungenen Abgang
drei Namen, die erfolgreich auf seinen Sturz
hingewirkt hätten: die der afrikanischen
Präsidenten Omar Bongo (Gabun), Paul Biya (Kamerun)
und Denis Sassou-Nguesso (Kongo-Brazzaville). Alle
drei bedienen bzw. bedienten sich (Omar Bongo wurde
nach seinem Tod im Juni 2009 und nach 42jähriger
Präsidentschaft ohne Unterbrechung durch seinen
Sohn Ali Bongo im Amt abgelöst) ähnlicher
autoritärer Herrschaftsmethoden. Und zum Teil sind
sie miteinander verwandt: Nach dem Tod seiner
vormaligen Ehefrau hatte Sassou-Nguesso seinem
Amtskollegen Omar Bongo die eigene Tochter zur
Gattin gegeben. Edith Bongo wurde die neue First
Lady der Republik Gabun. Ein wenig erinnerte das an
die frühere Heiratspolitik des europäischen Adels.
Präsidenten mit
Einfluss
Wie aber kam es dazu,
dass quasi-monarchisch regierende Potentaten bei
der Auswechselung von Regierungsmitgliedern in
einem Staat wie der Französischen Republik ein
Wörtchen mitzureden hatten? Jean-Marie Bockels
Malheur bestand darin, unter anderem diese Sätze
ausgesprochen zu haben: »Eines der wichtigsten
Entwicklungshemmnisse ist die ›mauvaise
gouvernance‹ (ungefähr: Misswirtschaft von
Regierungen; B. S.), die Vergeudung öffentlicher
Güter, die Selbstbedienung durch manche
Regierenden. Wenn der Rohölpreis bei 100 Dollar pro
Barrel liegt und manche Erdöl produzierenden
Staaten es nicht schaffen, sich zu entwickeln, dann
ist die Wirtschaftsweise ihrer Regierungen in Frage
zu stellen.« Die Adressaten dieser Kritik hatten
wohl verstanden. Anlässlich seiner an die Presse
gegebenen Neujahrswünsche für 2008 – ein Ritual,
dem sich alle französischen Regierungsmitglieder
unterziehen, um ihre Agenda zu verkünden – hatte
Bockel ferner noch hinzugefügt: »Ich möchte die
Sterbeurkunde der Françafrique unterzeichnen.« In
Wirklichkeit hatte er sein eigenes politisches
Todesurteil unterschrieben. Danach verblieben ihm
noch zwei Monate im Amt.
Sein Nachfolger wurde
Alain Joyandet. Diesen führte Claude Guéant, der
damalige Sonderberater Sarkozys und spätere
Innenminister (inzwischen wegen erwiesener
Korruption zu einer mehrjährigen Haftstrafe
verurteilt) noch im April 2008 zu einem
Antrittsbesuch bei Omar Bongo in Gabuns Hauptstadt
Libreville ein, der in der französischen Presse
starke Beachtung fand. Der Potentat hatte Druck auf
seinen Amtskollegen Nicolas Sarkozy ausgeübt, der
ihm auch demonstrativ recht gab.
Selbst wenn man in
Paris gewollt hätte, wäre es einem amtierenden
französischen Präsidenten vermutlich
schwergefallen, einen »Freund« wie Omar Bongo
einfach fallenzulassen. Diese »Freunde« setzen
nicht mehr ausschließlich auf die Neokolonialmacht
Frankreich, sondern werben parallel auch um
Unterstützung durch das rohstoffhungrige China: Die
»Werkbank der (kapitalistischen) Welt« benötigt
Rohöl, Holz und landwirtschaftliche Anbauflächen in
Afrika. Von Kongo-Brazzaville bis zum Sudan, wo
Frankreich jedenfalls bis ins erste Jahrzehnt des
21. Jahrhunderts einen gewissen Einfluss (in der
vormals britischen Kolonie) erlangen konnte,
spielen die Staatschefs und Minister Paris und
Beijing mitunter erfolgreich gegeneinander aus. Zum
anderen wissen langjährige Herrscher wie Omar Bongo
oft schlichtweg viel zu viel über ihre
französischen Politikerkollegen, denn sie hatten
jahrzehntelang Zeit, kompromittierendes Material
anzuhäufen. Nicht zufällig drohte Omar Bongo zum
Jahreswechsel 2000/01 – damals waren Pariser
Untersuchungsrichter »französisch-afrikanischen
Interessen« bei ihren Ermittlungen ein bisschen zu
nahe gekommen – in der französischen Presse
ziemlich unverhohlen, er könne »die Fünfte Republik
zehnmal hochgehen lassen«, wenn er nur wollte.
Neokoloniale
Arroganz
Allerdings wurde
immerhin eine Konsequenz aus dem ursprünglichen
Ansatz Sarkozys im Jahre 2006 gezogen: die
Reduzierung der militärische Präsenz Frankreichs
zumindest an der Westflanke des Kontinents. Die
Militärbasis im Senegal wurde im Hochsommer 2011 an
die dortigen Behörden übergeben – im Sinne der im
offiziellen »Weißbuch Verteidigung« von 2008
festgelegten Doktrin. Demnach sei es
kostengünstiger und effizienter, die Zahl der
permanent in Afrika stationierten Truppen zu
verringern und im Bedarfsfall zusätzliche Soldaten
vom französischen Territorium aus einzufliegen.
Es blieb zunächst bei
zwei größeren Basen, in Libreville an der
Atlantikküste sowie in Dschibuti am Horn von
Afrika. Allerdings kommt seit 2014 die
Stationierung der »Streitmacht Barkhane« in der
Sahelzone hinzu, deren Hauptquartier in der
tschadischen Hauptstadt N’Djamena angesiedelt
wurde. Gerechtfertigt wird diese neuerliche
Truppenentsendung – es geht um ständig stationierte
4.000 Soldaten – mit der Präsenz der
dschihadistischen Bedrohung in der Region. Dabei
dürften die Dschihadisten eher leichteres Spiel
haben, Anhänger in Ländern wie Mali rekrutieren zu
können, wenn sie sich als »Widerstandskämpfer gegen
die neuen und alten Kolonisatoren« gerieren. Denn
obwohl die islamistischen Milizen selbst in der
Periode, während derer sie 2012/13 die abgespaltene
Nordhälfte Malis vorübergehend beherrschten, nichts
als Leid und Terror über die Zivilbevölkerung
brachten, ging diese Rechnung in Teilen auf. In
Nordmali, das zum Einsatzbereich der »Streitmacht
Barkhane« gehört, verringerte sich der Einfluss der
Dschihadisten jedenfalls nicht, und deren
bewaffnete Überfälle gehören dort nach wie vor zum
Alltag.
Sarkozys Nachfolger
François Hollande hatte seinerzeit im Wahlkampf
2011/12, als damaliger Oppositionspolitiker, den
Mund nicht ganz so voll genommen. Dennoch stellte
auch er das Ende »umstrittener« neokolonialer
Praktiken in Afrika in Aussicht. Parallel dazu
bereiste allerdings sein Berater, der spätere
Außenminister und heutige Präsident des
Verfassungsgerichtshofs in Paris, Laurent Fabius,
mehrere afrikanische Länder. In einigen Fällen
offenkundig in der Absicht, den dort amtierenden
Autokraten zu versichern, dass sie aus Paris keinen
Bruch mit der bisherigen Praxis zu fürchten hätten.
So hielt Fabius sich im Februar 2012 in Gabun bei
Ali Bongo auf, der drei Jahre zuvor seinen Vater im
Amt beerbt hatte.
Aufgrund seines
Reichtums an Petrodollars spielte speziell Gabun
Jahrzehnte hindurch eine Schlüsselrolle in der
französischen Politik. Denn das Land fungierte auch
als Geldwäscheanlage für illegale
Parteienfinanzierung in Paris. Davon profitierten
alle größeren Parteien mit Ausnahme der
französische KP – wobei es bei deren früherem
Vorsitzenden Robert Hue, heute ist er ein rechter
Sozialdemokrat, diesbezüglich noch manche Zweifel
gibt.
Und Emmanuel Macron?
Der amtierende Präsident hat von Afrika schlicht
und ergreifend wenig Ahnung, auch wenn er sein
Verwaltungspraktikum als Absolvent der
Elitehochschule ENA für ein paar Monate in Nigeria
ableistete. Der starke Mann für Afrikapolitik ist
François Hollandes früherer Verteidigungs- und
Macrons jetziger Außenminister Jean-Yves Le Drian.
Er gilt französischen Militärkreisen und den
Regimes in den afrikanischen
»Stationierungsländern« als sehr nahestehend.
Macron hatte seine erste offizielle Visite in der
neokolonialen Einflusszone Frankreichs zwischen dem
27. und dem 30. November dieses Jahres, rund um den
EU-Afrika-Gipfel in Abidjan (Côte d’Ivoire). An der
Universität in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina
Fasos, hielt er dabei am ersten Tag seiner kleinen
Rundreise eine viel erwartete Rede. Dabei zitierte
er gar einen Slogan des 1987 ermordeten,
revolutionär-marxistisch orientierten burkinischen
Präsidenten Thomas Sankara: »Oser l’avenir« (»Die
Zukunft wagen«). Was die Ermordung Sankaras und die
mutmaßliche französische Mitwirkung daran betrifft,
versprach Macron – anders als seine Vorgänger –
dieses Mal eine Öffnung der bislang verschlossenen
Archive. Leute wie der Burkina-Faso-Kenner und
Buchautor Bruno Jaffré bleiben da jedoch skeptisch.
Vorwürfe, Frankreich
betreibe noch immer eine neokoloniale Praxis,
perlten an Macron ab. Jene der anwesenden 800
Studierenden, die entsprechende Fragen stellten,
duzte er kumpelhaft und fügte hinzu, er wolle gar
nicht für alles in Afrika verantwortlich sein. Als
Studierende sich über die mangelhafte
Stromversorgung beklagten, nutzte der französische
Präsident die Gelegenheit, darauf hinzuweisen,
dafür fühle er sich nicht zuständig. Als sein
burkinischer Amtskollege Roch Marc Christian Kaboré
kurz den Saal verließ, wohl um zu telefonieren,
lästerte Macron: »Er ist wohl die Klimaanlage
reparieren gegangen!« Ein Scherz sollte das sein,
der Beweis, wie locker er auftritt. Doch die
Äußerungen trugen ihm erst recht den Vorwurf
neokolonialer Arroganz ein, weil er damit seinen
Amtskollegen symbolisch zum Dienstboten degradiert
habe.
Wesentlich
ausweichender beantwortete Macron unterdessen
Fragen nach der wirtschaftlichen Abhängigkeit der
früheren Kolonien von Frankreich. Als wenigstens
zwei Studenten wissen wollten, warum Staaten der
CFA-Franc-Währungszone in Afrika mindestens 50
Prozent ihrer Devisenreserven dauerhaft bei der
französischen Zentralbank einlagern müssen, wehrte
er ab: »Der CFA-Franc ist in Frankreich kein
Thema!«¹
Korsische Gangster
Etliche der Akteure
des Systems der Françafrique verfolgen ihre ganz
eigenen, sehr spezifischen Sonderinteressen. Das
gilt etwa für korsische Seilschaften, die in Afrika
eifrig tätig sind. Korsika wurde nach einer kurzen
Phase der Selbstbestimmung als eigenständige
Republik, ein Ergebnis des Austritts aus der
Republik Genua, 1768 durch Frankreich militärisch
erobert. In der Folgezeit behandelte
Festlandfrankreich die Mittelmeerinsel wie eine
Kolonie. Durch Zollschranken wurden Importe vom
Festland erleichtert, Ausfuhren erschwert und die
Landwirtschaft zerstört. Heute lebt die Insel
hauptsächlich vom Tourismus und von halb- bis
illegalen Aktivitäten. Eine historische
Besonderheit war dabei jedoch, dass die Bevölkerung
Korsikas Jahrzehnte, ja Jahrhunderte lang als
Personalreservoir für die Besiedlung des restlichen
Kolonialreichs und für die Aufstockung von Armee
und Polizei diente, weshalb viele Pariser
Polizeifunktionäre korsische Namen tragen und
weshalb die korsische organisierte Kriminalität bis
heute Geld im Glücksspielsektor in halb Afrika
schöpft.
Eine der
Schlüsselfiguren dabei ist Michel Tomi, der auch
als »König des Glücksspiels in Afrika« gilt und
gegen den seit 2015 in Frankreich wegen
Steuerhinterziehung und Korruption ermittelt wird.
Dies unter anderem aufgrund undurchsichtiger
Geschäftsbeziehungen zum amtierenden
Staatspräsidenten Malis, Ibrahim Boubacar Keïta
(genannt »IBK«). Tomi soll darin involviert gewesen
sein, an den staatlichen Instanzen vorbei
umgerechnet 30,5 Millionen Euro für den Kauf eines
neuen Präsidentenflugzeugs für »IBK« zu beschaffen.
Eine teure Marotte, da Mali bereits über einen
Präsidentenflieger verfügte und die staatlichen
Institutionen kein grünes Licht dafür erteilen
wollten. Jean-Louis Codaccioni, ein 54jähriger
Mafioso, der am 5. Dezember dieses Jahres am
Flughafen von Bastia auf Korsika angeschossen und
schwer verletzt wurde und der am vergangenen
Mittwoch verstorben ist, galt als einer der
zentralen Helfer Tomis. Codaccioni war in früheren
Jahren »Sicherheitsbeauftragter« beim PMU, also der
Anstalt für Pferdewetten, in der afrikanischen
Erdölrepublik Gabun, einer wahren Geldfabrik.
So lange in
Frankreich der korsischstämmige, mafianahe
Konservative Charles Pasqua Innenminister war –
dies war von 1986 bis 1988 sowie von 1993 bis 1995
der Fall, Phasen, die mit autoritären Schüben in
der französischen Polizei- sowie Ausländerpolitik
einhergingen –, hielt er seine schützende Hand über
diese Seilschaften. Heute verfügen sie nicht mehr
über eine derart zentrale Andockstelle im
Staatsapparat. Dennoch besitzen diese Seilschaften
weiterhin ausreichenden Einfluss, ihre Interessen
haben sich aber zum Teil verselbständigt.
War die Françafrique
ursprünglich, unter ihrem »Architekten« Jacques
Foccart, einflussreichster Berater von Präsident
Charles de Gaulle (von 1958 bis 1969 im Amt),
direkt durch Staatsapparat und -konzerne wie dem
damaligen Ölriesen Elf geprägt, so dominieren heute
eher private Wirtschaftsinteressen die neokoloniale
Einflusszone Frankreichs in Afrika. An führender
Stelle finden sich dabei unter anderem der
Rechtsnachfolger von Elf, also der nunmehrige
Privatkonzern Total, oder Bolloré. Noch immer
sichert der französische Staat diese teils
privatkapitalistischen, teils mafiösen
Beziehungsgeflechte durch seine Politik und mit
seiner Armee ab. Und die internationale Position
Frankreichs ergibt sich auch aus dem Umstand, dass
anderthalb Dutzend afrikanische Staaten bei der
UN-Vollversammlung oft geschlossen mit dem
französischen Vertreter abstimmen.
Anmerkung
1 Diese Währung hieß
ursprünglich »Franc des colonies françaises
d’Afrique«, abgekürzt Franc CFA; ihr heutiger Name
lautet »Franc de la communauté financière
d’Afrique« – unter demselben Kürzel. Sie wird noch
immer von der französischen Zentralbank verwaltet,
zusammen mit je einer west- und einer
zentralafrikanischen Zentralbank. Und sie ist durch
einen festen Wechselkurs an den virtuell
fortbestehenden französischen Franc – und über
diesn an den Euro – angekoppelt.
Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel zur
Zweitveröffentlichung. Er erschien am 18.12.2017 in
der Tageszeitung "Junge Welt". |