Nach Tunesien und Sudan
Recep Tayyip Erdogan bei Emmanuel Macron

von Bernard Schmid

02/2018

trend
onlinezeitung

Über mangelndes Ego konnte sich keine der beiden Seiten beklagen, als die selbstbewussten Staatspräsidenten der Französischen und der Türkischen Republik am vorigen Freitag, den 05. Januar 18 vor die Mikrophone traten. Ihre gemeinsame Pressekonferenz im Elyséepalast bildete einen der Höhepunkte des halbtägigen Staatsbesuchs, den Recep Tayyip Erdogan in Paris absolvierte.

Aus Sicht Erdogans stellte die Tatsache, dass er dort auf höchster Ebene empfangen wurde und direkte Gespräche mit seinem Amtskollegen Emmanuel Macron führte, einen diplomatischen Erfolg dar. Seit anderthalb bis zwei Jahren ist der immer autoritärer regierende türkische Staatspräsident in der EU, aber zum Teil auch in Kreisen der NATO nicht länger wohlgelitten. Einige der Ursachen dafür sind die aus EU-Sicht maßlos eskalierende Repression besonders nach dem dilettantischen Putschversuch vom 15. Juli 2016, die Inhaftierung auch deutscher Journalisten, aber auch die strategische Annäherung an Russland und den Iran mitsamt Aufteilung der Einflusssphären in Syrien. Dass Erdogan der deutschen Bundesregierung sowie dem niederländischen Kabinett auf demagogische Weise „Nazimethoden“ vorwarf, nachdem diese den Wahlkampf türkischer Regierungspolitiker vor dem Referendum vom 16. April 2017 – die dabei angenommene Verfassungsänderung weitet die Machtbefugnisse des türkischen Präsidenten aus – auf ihrem Boden eingeschränkt hatten, besserte das zwischenstaatliche Klima nicht auf.

Emmanuel Macron allerdings schmierte Erdogan nicht nur Honig um den Mund. Der junge Staatschef, der auch bereits Wladimir Putin und Donald Trump zu sich einlud und ihnen zugleich in einigen Punkten - mindestens symbolisch bedeutsam - Kontra bot, nutzte die Pressekonferenz, um Pläne zu einem Beitritt der Türkei zur EU öffentlich zu knicken. Zwar lagen diese Pläne schon seit längerem auf Eis, und keineswegs nur aufgrund des stark autoritären Charakters, den die türkische Innenpolitik in den letzten Jahren angenommen hat. Bereits 1963 war der Türkei ein Beitrittsprozess zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) in Aussicht gestellt worden. 2005 waren Beitrittsverhandlungen aufgenommen worden. Damals schien die Türkei sich in einer Phase der innenpolitischen Liberalisierung und Demokratisierung zu befinden, und einige Schritte in dieser Richtung waren durchaus real, auch wenn sich im Nachhinein sagen lässt, dass sie der regierenden AKP vor allem zur Entmachtung der alten kemalistischen und militärischen Elite dienten. Aber auch damals gab es bereits mächtige Stimmen, die dagegen Stimmung machten. Zu ihnen zählte etwa der von 2007 bis 2012 amtierende konservative französische Präsident Nicolas Sarkozy. In seiner Aufstiegsphase stützte dieser sich stark auf die Wählerschaft der extremen Rechten, auch wenn diese ihm ab 2009/10 enttäuscht wieder den Rücken kehrte. Eines der Signale, die Sarkozy an dieses Segment der Wählerschaft aussandte, war sein starker Einsatz gegen einen EU-Beitritt der Türkei, der mit Akzenten einer Verteidigung des christlichen Abendlands unterlegt war.

Macron macht sich nun offensiv zu eigen, was auch Nicolas Sarkozy damals vorschlug, ebenso wie viele deutsche CDU/CSU-Politiker: eine „strategische Partnerschaft“ mit Ankara statt einer Beitrittsperspektive. Diese lässt die innenpolitischen Verhältnisse in der Türkei unangetastet, hält das Land aber aus der Europäischen Union heraus und stärkt bestehende militärische Allianzen. In diesem Sinne wurde wenigen Minuten vor der Pressekonferenz der beiden Präsidenten ein Vertrag zur Rüstungskooperation unterzeichnet: Das französisch-italienische Unternehmen Eurosam wird mit den türkischen Firmen Aselsan und Roketsan bei der Entwicklung von Raketen und Luftabwehrwaffen kooperieren. Dieses neue Joint-Venture soll auch die Zusammenarbeit der Türkei mit Russland auf diesem Gebiet – Letzteres soll der Türkei S-400-Kurzstreckenraketen liefern – eindämmen.

Zuvor hatte Erdogan im Dezember 17 mehrere nordafrikanische Staaten besucht. In Tunesien wurde sein Besuch in den letzten Tagen des Jahres um die Hälfte der ursprünglich geplanten, zweitägigen Dauer verkürzt. Verärgerung kam in der tunesischen politischen Klasse auf, weil Erdogan im Präsidentenpalast von Karthago einen Gruß mit vier ausgestreckten Fingern und angewinkeltem Daumen entbot. Ein solches Symbol gilt in Nordafrika, seit der Entmachtung der Muslimbrüder-Regierung in Ägypten 2013 und der daraufhin einsetzenden harten Repression gegen diese politische Strömung, als Wahrzeichen ihrer Sympathisanten. Tage lang stritt daraufhin allerdings die tunesische Presse darüber, ob es sich nicht doch um ein spezifisches türkisches Symbol handele, das im Lande Mustafa Kemal Atatürks die Einheit der „vier Säulen“ – Flagge, Nation, Vaterland und Regierung – repräsentiert. Auch aus anderen Gründen erhielt Erdogan in Tunis jedoch Gegenwind. Die Mitte-Links-Partei Al-Massar boykottierte Empfänge für Erdogan wegen der Repression in der Türkei, und die Onlinezeitung Kapitalis titelte: „Roter Teppich für einen Diktator.“ Dennoch wurden mehrere Abkommen zur bilateralen Kooperation unterzeichnet.

Stärkere Erfolge verzeichnete Erdogan kurz zuvor im Sudan, den er ebenfalls besuchte, wodurch er die relative Isolierung des seit 1989 regierenden Präsidenten Omar al-Baschir durchbrach. Gegen ihn liegen seit 2009 und 2010 Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag vor, infolge von Verbrechen in der Provinz Darfur. Die Türkei mietet nunmehr für 99 Jahre eine Insel im Hafen von Suakin am Roten Meer, was Ägypten und Saudi-Arabien verärgert. Offiziell geht es dabei um die Entwicklung von Tourismus, es wird jedoch vermutet, nach Qatar und Somalia wolle die Türkei nunmehr in einem dritten Staat eine ständige Militärpräsenz aufbauen. Suakin war bereits nach der osmanischen Eroberung im Jahr 1517 zu einer Militärbasis ausgebaut worden. Einmal mehr tritt Erdogan in seiner Außenpolitik, jedenfalls symbolisch, in die Fußstapfen osmanischer Expansionspolitik.

Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Es handelt sich um eine ausführliche Fassung eines Artikels, dessen Kurzform am 11. Januar 18 in der Berliner Wochenzeitung Jungle World erschien.