Über mangelndes Ego konnte sich keine der beiden
Seiten beklagen, als die selbstbewussten
Staatspräsidenten der Französischen und der
Türkischen Republik am vorigen Freitag, den 05.
Januar 18 vor die Mikrophone traten. Ihre
gemeinsame Pressekonferenz im Elyséepalast bildete
einen der Höhepunkte des halbtägigen Staatsbesuchs,
den Recep Tayyip Erdogan in Paris absolvierte.
Aus Sicht Erdogans stellte die Tatsache, dass er
dort auf höchster Ebene empfangen wurde und direkte
Gespräche mit seinem Amtskollegen Emmanuel Macron
führte, einen diplomatischen Erfolg dar. Seit
anderthalb bis zwei Jahren ist der immer
autoritärer regierende türkische Staatspräsident in
der EU, aber zum Teil auch in Kreisen der NATO
nicht länger wohlgelitten. Einige der Ursachen
dafür sind die aus EU-Sicht maßlos
eskalierende Repression besonders nach dem
dilettantischen Putschversuch vom 15. Juli 2016,
die Inhaftierung auch deutscher Journalisten, aber
auch die strategische Annäherung an Russland und
den Iran mitsamt Aufteilung der Einflusssphären in
Syrien. Dass Erdogan der deutschen Bundesregierung
sowie dem niederländischen Kabinett auf
demagogische Weise „Nazimethoden“ vorwarf, nachdem
diese den Wahlkampf türkischer Regierungspolitiker
vor dem Referendum vom 16. April 2017 – die dabei
angenommene Verfassungsänderung weitet die
Machtbefugnisse des türkischen Präsidenten aus –
auf ihrem Boden eingeschränkt hatten, besserte das
zwischenstaatliche Klima nicht auf.
Emmanuel Macron allerdings schmierte Erdogan nicht
nur Honig um den Mund. Der junge Staatschef, der
auch bereits Wladimir Putin und Donald Trump zu
sich einlud und ihnen zugleich in einigen Punkten -
mindestens symbolisch bedeutsam - Kontra bot,
nutzte die Pressekonferenz, um Pläne zu einem
Beitritt der Türkei zur EU öffentlich zu knicken.
Zwar lagen diese Pläne schon seit längerem auf Eis,
und keineswegs nur aufgrund des stark autoritären
Charakters, den die türkische Innenpolitik in den
letzten Jahren angenommen hat. Bereits 1963 war der
Türkei ein Beitrittsprozess zur damaligen
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) in
Aussicht gestellt worden. 2005 waren
Beitrittsverhandlungen aufgenommen worden. Damals
schien die Türkei sich in einer Phase der
innenpolitischen Liberalisierung und
Demokratisierung zu befinden, und einige Schritte
in dieser Richtung waren durchaus real, auch wenn
sich im Nachhinein sagen lässt, dass sie der
regierenden AKP vor allem zur Entmachtung der alten
kemalistischen und militärischen Elite dienten.
Aber auch damals gab es bereits mächtige Stimmen,
die dagegen Stimmung machten. Zu ihnen zählte etwa
der von 2007 bis 2012 amtierende konservative
französische Präsident Nicolas Sarkozy. In seiner
Aufstiegsphase stützte dieser sich stark auf die
Wählerschaft der extremen Rechten, auch wenn diese
ihm ab 2009/10 enttäuscht wieder den Rücken kehrte.
Eines der Signale, die Sarkozy an dieses Segment
der Wählerschaft aussandte, war sein starker
Einsatz gegen einen EU-Beitritt der Türkei, der mit
Akzenten einer Verteidigung des christlichen
Abendlands unterlegt war.
Macron macht sich nun offensiv zu eigen, was auch
Nicolas Sarkozy damals vorschlug, ebenso wie viele
deutsche CDU/CSU-Politiker: eine „strategische
Partnerschaft“ mit Ankara statt einer
Beitrittsperspektive. Diese lässt die
innenpolitischen Verhältnisse in der Türkei
unangetastet, hält das Land aber aus der
Europäischen Union heraus und stärkt bestehende
militärische Allianzen. In diesem Sinne wurde
wenigen Minuten vor der Pressekonferenz der beiden
Präsidenten ein Vertrag zur Rüstungskooperation
unterzeichnet: Das französisch-italienische
Unternehmen Eurosam wird mit den türkischen Firmen
Aselsan und Roketsan bei der Entwicklung von
Raketen und Luftabwehrwaffen kooperieren. Dieses
neue Joint-Venture soll auch die Zusammenarbeit der
Türkei mit Russland auf diesem Gebiet – Letzteres
soll der Türkei S-400-Kurzstreckenraketen liefern –
eindämmen.
Zuvor hatte Erdogan im Dezember 17 mehrere
nordafrikanische Staaten besucht. In Tunesien wurde
sein Besuch in den letzten Tagen des Jahres um die
Hälfte der ursprünglich geplanten, zweitägigen
Dauer verkürzt. Verärgerung kam in der tunesischen
politischen Klasse auf, weil Erdogan im
Präsidentenpalast von Karthago einen Gruß
mit vier ausgestreckten Fingern und angewinkeltem
Daumen entbot. Ein solches Symbol gilt in
Nordafrika, seit der Entmachtung der
Muslimbrüder-Regierung in Ägypten 2013 und der
daraufhin einsetzenden harten Repression gegen
diese politische Strömung, als Wahrzeichen ihrer
Sympathisanten. Tage lang stritt daraufhin
allerdings die tunesische Presse darüber, ob es
sich nicht doch um ein spezifisches türkisches
Symbol handele, das im Lande Mustafa Kemal Atatürks
die Einheit der „vier Säulen“ – Flagge, Nation,
Vaterland und Regierung – repräsentiert. Auch aus
anderen Gründen erhielt Erdogan in Tunis jedoch
Gegenwind. Die Mitte-Links-Partei Al-Massar
boykottierte Empfänge für Erdogan wegen der
Repression in der Türkei, und die Onlinezeitung
Kapitalis titelte: „Roter Teppich für
einen Diktator.“ Dennoch wurden mehrere Abkommen
zur bilateralen Kooperation unterzeichnet.
Stärkere Erfolge verzeichnete Erdogan kurz zuvor im
Sudan, den er ebenfalls besuchte, wodurch er die
relative Isolierung des seit 1989 regierenden
Präsidenten Omar al-Baschir durchbrach. Gegen ihn
liegen seit 2009 und 2010 Haftbefehle des
Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag vor,
infolge von Verbrechen in der Provinz Darfur. Die
Türkei mietet nunmehr für 99 Jahre eine Insel im
Hafen von Suakin am Roten Meer, was Ägypten und
Saudi-Arabien verärgert. Offiziell geht es dabei um
die Entwicklung von Tourismus, es wird jedoch
vermutet, nach Qatar und Somalia wolle die Türkei
nunmehr in einem dritten Staat eine ständige
Militärpräsenz aufbauen. Suakin war bereits nach
der osmanischen Eroberung im Jahr 1517 zu einer
Militärbasis ausgebaut worden. Einmal mehr tritt
Erdogan in seiner Außenpolitik,
jedenfalls symbolisch, in die Fußstapfen
osmanischer Expansionspolitik.
Editorischer
Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe. Es handelt sich um eine ausführliche
Fassung eines Artikels, dessen Kurzform am 11.
Januar 18 in der Berliner Wochenzeitung Jungle
World erschien.
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