50 Jahre TET-Offensive(1)

von
Alfons Meyr

 

02/2018

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Der US-amerikanische Imperialismus erlebte in Vietnam seine empfindlichste Niederlage des Kalten Kriegs. Schwer davon gezeichnet, militärisch, ökonomisch und ideologisch verweigert er sich bis heute der kritischen Bewältigung und der Überwindung des Traumas durch eine Abkehr von Kapitalismus, Rassismus und Krieg. Stattdessen versucht er die Massen mit Brot und Spielen zu sedieren, durch Rassismus gegeneinander zu treiben und seine Kriege zu legitimieren und mit enormer Propaganda von Staat, Hollywood und rechten Think-Tanks die Niederlage umzudeuten. Zahlreiche Filme (Rambo II, Missing in Action) erklären den Imperialismus im Nachhinein zum Sieger, wenn ihn nicht die Liberalen und die Bürokraten im Weißen Haus daran gehindert hätten.

Schwadronierten vorher noch Präsident Johnson und General „Westmoreland“ vom baldigen Sieg, fiel mit der TET-Offensive das Kartenhaus des Papiertigers zusammen. Leider kam es dabei nicht zur Domino-Entwicklung, dass ein Land nach dem anderen kommunistisch wurde. Auch konnte nicht alle Ziele des Vietcongs erreicht werden und er verzettelte sich zu sehr in Einzelgefechte.

Vietnam unter imperialistischer Kontrolle

Im 19. Jahrhundert kam Vietnam wie auch der Rest des sog. Indochinas unter französische Kolonialherrschaft. Die Sicht der Imperialisten auf diese Länder zeigt der bescheuerte Begriff „Indochina“, der aus den Worten Indien und China zusammengesetzt. Die imperialistische Charaktermaske erlaubt es dem Imperialisten nicht die Menschen vor Ort zu verstehen, sondern sie nur ökonomisch als Ausbeutungsmasse und rassistisch als minderwertig zu betrachten. Wie sehr sich diese Arroganz der Macht rächt, hat sich zuerst in den Niederlagen gegen den japanischen Faschismus gezeigt. Widerstand dagegen organisierte in „Indochina“ hauptsächlich die kommunistische Partei, wohingegen sich die Vichy-Faschisten mit ihrem japanischen Gegenpart prächtig arrangierten und amüsierten. Nach dem Krieg versuchte das nun „demokratisierte“ Frankreich seine Herrschaft wiederherzustellen und scheiterte in seiner Arroganz famos in Dien Bien Phu. Nicht nur ging die französische Armee verloren, nein, die gepressten Soldaten aus dem Trikont liefen in Scharen zu den Viet Minh über und kämpften gemeinsam gegen die Imperialisten.

Leider kam es im Anschluss zur Teilung des Landes, wobei sich im Süden verschiedene Warlords einander an die Gurgel gingen und das Volk ausplünderten. Ab den 60er Jahren unter dem „Erneuerer“ Kennedy löste die USA Frankreich in der imperialistischen Rolle ab, eine Erneuerung ganz besonderer Art. Die südvietnamesische Regierung blieb nur noch die Rolle der Marionette, die sich nach Herzenslust bereichern und einem perversen Personenkult schwelgen durfte. Folgerichtig erhoben sich aus allen Teilen des Volkes der Widerstand: Bauern, Kleinhändler, Mönche und selbst Militärs (vgl. Bombardierung des Präsidentenpalastes am 27.02.1962).

Der Vietnamkrieg seit 1963

Die südvietnamesische Kompradorenbourgeoisie wurde selbst mit US-amerikanischen Beratern und massenhaft Kriegsmaterial zusehends zurückgedrängt. Deshalb sollten auch amerikanische Soldaten an den Kämpfen teilnehmen. Diese begannen mit einigen inszenierten Landungen an der Grenze der beiden Länder. Charakteristisch für die imperialistische Arroganz waren für den Widerstand die Kommunisten aus dem Norden schuld, die über die Grenze einsickerten. Denn der Imperialismus ist bekanntlich das Land, in dem Milch und Honig fließen, weswegen Kritik und Widerstand keine Existenz haben können und dieser nur von außen stammen kann. Also versuchten die US-Soldaten die Grenze zu schließen. Für sie überraschend, änderte das überhaupt nichts am Konflikt, nur dass nun auch amerikanische Soldaten in den Kämpfen getötet wurden. Wie sich bereits am ersten größeren Gefecht in Ap Bac studieren lässt, schoben die Imperialisten die Niederlage der angeblichen Unfähigkeit der südvietnamesischen Armee zu. Ein Paradebeispiel welchen Nutzen Rassismus hat um sich der Verantwortung zu entledigen, insb. als amerikanische Hubschrauber durch friendly fire die eigenen Verbündeten zusammenschossen. Um größere Verstärkungen der US-amerikanischen Streitkräfte zu rechtfertigen, wurde der Tonkin-Zwischenfall inszeniert. Damit stand auch endlich einer Bombardierung Nordvietnams nichts mehr im Wege. So fielen bis Ende des Krieges mehr Bomben auf das Land als im gesamten Zweiten Weltkrieg. Dieser Krieg sorgte auch in den USA für „Belebung“. Der „Kriegskeynesianismus“ sollte die schwächelnde Wirtschaft ankurbeln. Getragen von Steuern und Krediten gingen Milliardenaufträge an Rüstungsunternehmen, die wiederum über Löhne das Geld in den Umlauf brachte. Damit wollte man sich auch die amerikanischen Arbeiter zu Komplizen machen, da sowohl sie wie auch die Kapitalisten am Krieg verdienten. Tatsächlich gab es eben deshalb keinen wirkungsvollen Streik in der amerikanischen Rüstungsindustrie.(2) Die amerikanische Wirtschaft wurde aber nur zeitweise stabilisiert, bevor sie 1973 durch die Aufhebung des Bretton-Woods-Abkommens in eine schwere Krise geriet.

Die amerikanischen Truppen verteilten sich zwar über ganz Südvietnam und holten sich auch noch Verstärkung aus Südkorea, die vor allem mit Massakern agierte, Australien und Neuseeland. Einen Sieg konnten sie aber nicht erringen, auch wenn sie es jedes Jahr aufs Neue behaupteten. Ganz im Gegenteil schnürte sie der Vietcong in den Städten ein. Um die Überlandverbindungen zu sichern errichteten die Imperialisten zahlreiche Beobachtungsposten und Forward Operating Bases. Regelmäßig zogen sie allerdings aufs Land um die Kontrolle wiederherzustellen und Feinde aufzuspüren (search-and-destroy). Ganze Regionen wurden zu „Free-Fire-Zones“ erklärt, in dem auf alles geschossen werden durfte, was sich bewegte. Entsprechend zogen sie eine blutige Spur hinter sich und konnten es sich einfach nicht erklären, warum die Vietnamesen sie nicht liebten.

Der Generalplan für die TET-Offensive

Die US-Soldaten und ihre Marionetten waren auf befestigte Orte und Städte begrenzt. Die Verbindungen waren teilweise unterbrochen. Jetzt sollten sie fallen. Dabei war man in der nordvietnamesischen Führung– wie so häufig – zu enthusiastisch und hoffte auf landesweite Aufstände und wie in der Vergangenheit auf Meutereien der südvietnamesischen Armee. Beide Szenarien kannte man bereits vom Kampf auf dem Land und dachte, es wäre auf die Städte zu übertragen. Zur Ablenkung der US-Amerikaner griff man die Forward-Operating-Base Khe San an und band zehntausende amerikanische Truppen. Im nächsten Zug sollten alle größeren Städte genommen werden.

Die Amerikaner hatten auch einen Plan. Zum Neuen Jahr verkündeten sie nun schon zum dritten Mal, dass der Sieg kurz bevor stand und der Vietcong versprengt und am Ende seiner Kräfte sei.

Die Offensive

Unter der Nase der Amerikaner und ihrer Marionetten sammelten sich über 150.000 Soldaten des Vietcong und der nordvietnamesischen Armee zum Überraschungsangriff. Alle Städte und alle Forward Operating Bases wurden angegriffen. Insbesondere im Norden wurden die größten Siege errungen: Die Stadt Hue wurde befreit und damit ging der wichtigste Verkehrsknotenpunkt für den Norden verloren. Die Forward-Operating-Base Khe San wurde abgeschnitten und konnte nur noch aus der Luft versorgt werden – ein Plan, der ja bereits so gut in Dien Bien Phu von den französischen Imperialisten oder von Göring und Hitler in Stalingrad umgesetzt wurde. Die Basis Khe San diente vor allem der Aufklärung der Bewegung im Norden und in den angrenzenden Gebieten Laos und Kambodschas. Ihre zweite Funktion war die des Feuerleitstandes für Bomber und Artillerie. Durch ihren Verlust im April 1968 wurden die US-Militärs in einem großen Bereich blind.

Große Erfolge konnten die vietnamesische Armee und der Vietcong auch im damaligen Saigon, heute Ho-Tschi-Minh-Stadt, erringen. Das US-Militär wurde zwar nicht aus dem Land gejagt, noch nicht einmal ernsthaft geschwächt, aber sie kamen für zwei Tage aus ihrem Lagern nicht mehr hinaus. Diese Zeit nutzten kleinere Einheiten um andere empfindliche Einrichtungen zu zerstören: Das CIA-Hauptlager wurde genommen und dabei Akten über Helfer und Sympathisanten erobert. Der Angriff auf die US-Botschaft scheiterte. Das Hauptquartier des südvietnamesischen Heeres wurde zerstört und ein Teil des Generalstabes umgekommen. Ganze Offiziersstäbe der Luftwaffe waren gefallen. Mehrere Minister wurden getötet. Kleinere Einheiten des Vietcong machten in der Stadt Jagd auf Offiziere und Spione, deren Daten man gerade erst der CIA entwendet hatte.


Bildquelle: Wikipedia

 Mit der TET-Offensive wurden die Führung der südvietnamesischen Armee und ihre Aufklärung ausgeschaltet. Auch wenn die Kampfkraft der südvietnamesischen Armee eher gering war, waren sie zum einen dennoch ein Gegner und zum anderen kannten sie sich im Gegensatz zum amerikanischen Koloss im Land aus, sprachen selbstverständlich die Sprache und konnten sich auf ein Netzwerk von Sympathisanten, Helfern und bezahlten Spionen verlassen. Diese Vorteile gingen nun verloren.

Auch wenn sich diese Erfolge in den ersten Tagen gut anhörten, konnten die meisten befestigten Lager und Städte nicht genommen werden, v.a. weil 150.000 Soldatinnen dafür auch unzureichend waren. Die meisten Orte wurden nur belagert und wurden innerhalb weniger Tage entsetzt. Nur im Norden zog sich die Schlacht um Hue bis April 1968 hin, weshalb die Forward Operating Base Khe San aufgegeben werden musste. Eine vollständige Einkesselung gelang auch nicht und die amerikanischen Truppen konnten leider entkommen, auch wenn sie die Basis verloren.

Der amerikanische Gegenschlag hatte aber wenig damit zu tun wie in Hollywood inszeniert, selbst in einem kritischen Film wie Full Metal Jacket. Gegen das Mittel der Guerilla setzten sie das Mittel des Massakers. Stadtteile und Dörfer wurden bombardiert, Infanteristen massakrierten die Bewohner: Das Massaker von My Lai im März war das bekannteste. In Saigon wurde das „Chinesenviertel“ Cholon niedergebrannt und alle Bewohner deportiert. Viele weitere Massaker wurden landauf-landab begangen. Der Widerstand des Vietcong war damit aber nicht gebrochen. Das imperialistische Märchen vom Schutz der Vietnamesen fiel damit in sich zusammen. Denn mit diesen Massakern gab der Imperialismus zu, dass das ganze Land gegen ihn ist und damit jede Person ein Feind sei. Hat die Bevölkerung erst einmal die imperialistische Ideologie durchbrochen, so ist es für den Imperialismus zwangsläufig notwendig diese Bevölkerung zu vernichten.

Die Folgen

Die TET-Offensive konnte gegen die amerikanischen Imperialisten nur kleine Erfolge erringen, sie aber so lange in ihren Lagern festsetzen bis die Führung der südvietnamesischen Armee und die militärische Aufklärung ausgeschaltet wurde. Das war der Anfang vom Ende des Imperialismus in Vietnam. Ohne Aufklärung und Verbündete tapsten die Amerikaner hilflos durch den Dschungel Vietnams, wenn sie sich überhaupt noch aus den Städten und Lagern wagten. Ihre einzigen Mittel waren die Bombardierung Nordvietnams und das Massakrieren oder Deportieren der Landbevölkerung in Wehrdörfer, wo sie als Hilfsarbeiter, fliegende Händler oder Prostituierte arbeiten konnten, nachdem sie von ihrem Land vertrieben wurden. Unfähig und rassistisch voreingenommen gelang den Amerikanern auch nie die Reorganisation der südvietnamesischen Armee oder der Aufbau einer funktionierenden Verwaltung. Staat und Armee wurde nach ihren entsetzlichen Verlusten in der TET-Offensive sogar noch von den Anhängern Kys gesäubert und damit weiter geschädigt. Als wesentliche Stütze schied das südvietnamesische Militär damit aus.

Die amerikanische Vergangenheitsbewältigung sieht sich als eigentlichen Gewinner des Vietnamkrieges, wenn diese „verdammten Liberalen“ und die Presse nicht für Kriegsmüdigkeit gesorgt hätten. In Wahrheit zeigte die TET-Offensive, dass der amerikanische Imperialismus nur ein Papiertiger ist und seine vollmundigen Ankündigungen vom baldigen Sieg zerstoben. Durch den Verlust ihrer südvietnamesischen Marionetten und den Zerfall der Moral der amerikanischen Truppen, waren keine großen Offensiven mehr möglich. Die Amerikaner igelten sich in ihren Städten und Basen ein. Die wehrpflichtigen Mannschaften verweigerten sich im Heimatland und an der Front und ließen sich nicht mehr für die Sache der amerikanischen Kapitalisten einspannen und töten. Immer häufiger wurden Angriffsbefehle missachtet und ruhmsüchtige Offiziere durch „friendly fire“ und „fragging“ (eigener Granatenbewurf) umgebracht. Das amerikanische Militär reagierte mit dem Umbau der Streitkräfte zu Spezialisten und Berufssoldaten auf dieses Dilemma.

Bis zum Abzug der Amerikaner führte keine der beiden Seiten große Operationen gegeneinander durch. Sie versuchten nur die jeweilige Logistik / Nachschubwege zu unterbrechen und den Gegner auszuhungern. Einheiten der US-Imperialisten versuchten zwar mittels Patrouillen den Vietcong aufzustöbern, was aber kaum gelang. Der Vietcong dagegen baute die zivilen Strukturen für die Organisation der alltäglichen Dinge des Lebens auf: Landreform, Gesundheit, Bildung, Wasser.

Anmerkungen

1) Die Tet-Offensive war eine Reihe militärischer, offensiver Operationen der nordvietnamesischen Armee und des Vietcong zwischen dem 30. Januar und dem 23. September 1968 im Rahmen des Vietnamkrieges. Sie begann als Überraschungsangriff am Vorabend des vietnamesischen Neujahrsfestes, des Tết Nguyên Đán, das am 31. Januar 1968 stattfand.
 

2) Eine neue Form ideologischer Zurichtung zeigt sich seit den 80er Jahren in Zusammenarbeit mit der National Rifle Association. Um den wirtschaftlichen Zusammenhang des militärisch-industriellen Komplexes zu verschleiern, bemüht man das Recht jedes Amerikaners eine Waffe tragen zu dürfen. Damit wird jeder Produzent einer Waffe zum Verteidiger der Verfassung geadelt und jede verkaufte Waffe als Widerstand gegen Bevormundung und Autoritarismus. Jede Bewegung dem Imperialismus seine Machtmittel durch internationale Solidarität in den eigenen Metropolen zu entziehen, wird damit zum Feind der Freiheit erklärt. Eine geniale Idee, wenn man bedenkt, dass es in Wahrheit der Imperialismus ist, der für Bevormundung und Autoritarismus steht.

Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.