Dem Front National (FN) scheint es in Lyon zu
gefallen. Und so eröffnete er seinen
Präsidentschaftswahlkampf – die beiden Durchgänge
der Wahl finden am 23. April und 07. Mai dieses
Jahres statt – an diesem ersten
Februar-Wochenende 2017 vom Lyoner
Kongresszentrum aus. Dort hatte der FN zu diesem
Zweck rund 5.000 Menschen versammelt, über einen
großen Saal und zwei Vorsäle mit
Bildschirmübertragung verteilt. Bereits Ende 2014
hatte er am selben Ort seinen bisher letzten
Parteitag abgehalten. Vielleicht zieht der
Veranstaltungsort im Lyoner Norden den FN auch
deswegen an, weil der damals massiv beworbene
antifaschistische Protest im November 2014 dort
zum Flop wurde.
Es war nicht die größte politische Veranstaltung
an diesem Wochenende in Lyon. Am Samstag
respektive Sonntag (04. bzw. 05. Februar 17)
versammelten der sozialliberale frühere
Wirtschaftsminister Emmanuel Macron sowie der
Linkssozialist Jean-Luc Mélenchon - zwei andere
Präsidentschaftskandidaten - jeweils mehr
Menschen auf einem Fleck. Beide hielten ihre
Veranstaltungen ebenfalls in Lyon ab, Mélenchon
wurde zudem noch per 3D-Übertragung als
„Hologramm“ in einen Pariser Vorort projiziert.
Allerdings liegt Marine Le Pen, was die
Stimmabsichten betrifft, in Vorwahlumfragen vor
diesen beiden und anderen Mitbewerbern in
Führung.
Nach derzeitigem
Stand der Dinge würde sie im ersten Durchgang der
Wahl rund 25 Prozent der Stimmen erhalten und auf
dem ersten Platz landen, Macron oder der –
aufgrund von Selbstbedienungsaffären bei
Staatsgeldern in Turbulenzen geratene –
konservative Kandidat François Fillon auf dem
zweiten. Allerdings muss es als ausgesprochen
unwahrscheinlich gelten, dass Marine Le Pen im
zweiten Durchgang die Stichwahl gewinnen könnte,
wofür eine absolute Mehrheit der Stimmen
erforderlich wäre. Im Augenblick werden ihr
maximal rund vierzig Prozent der Stimmen für die
zweite Runde vorhergesagt. Allerdings könnte die
Krise der Konservativen, aufgrund der
Fillon-Affäre(n), dem FN noch neue Wähler oder
Anhängerinnen zutreiben.
Am frühen Samstag Nachmittag heizte der Film- und
Theater-Schauspieler Franck de Lapersonne im
Lyoner Kongresszentrum den Saal auf. Am Vormittag
war ein großer „Volksschauspieler“ angekündigt
worden, manche im Publikum hatten bereits von
Alain Delon – dessen rechte politische Ansichten
bekannt sind – oder gar Gérard Depardieu zu
träumen begonnen. De Lapersonne weist nicht
denselben Bekanntheitsgrad auf. Problematisch ist
allerdings, dass er vormals eher der Linken nahe
stand und bei der Präsidentschaftswahl vor fünf
Jahren noch Mélenchon unterstützte.
Erstmals macht ein wenigstens halbwegs
prominenter Vertreter der Kulturwelt damit offen
Werbung für den Front National, der in diesem
Milieu bislang erhebliche Schwierigkeit hatte,
erklärte Unterstützung zu finden. De Lapersonne
erging sich in schlecht gedichteten Reimzeilen
und verkündete schließlich: „Victor Hugo hat in
der Schule kein Arabisch gelernt, das freut
mich!“ Diese Passage kam im Saal am besten an,
das Publikum antwortete: On est chez nous!,
also sinngemäß: „Wir sind die
Herren im Haus“ (Frankreich)!
Am Abend trafen zwar nur wenige hohe
Parteifunktionäre, doch einige Basismitglieder
sowie in der Öffentlichkeit weniger bekannte
Persönlichkeiten des FN in einer anderen
Örtlichkeit zusammen. Die außerparlamentarische
rechtsextreme „identitäre Bewegung“ führte in
ihrem Veranstaltungslokal La Taraboule
am Freitag und Samstag zwei „Patrioten-Abende“
durch. Bei ihnen wurden auch offen rassistische
sowie homophobe Aussprüche getätigt, in einer
Deutlichkeit, wie man sie beim FN vor laufenden
Kameras wohl unterlassen würde, und sei es nur
aus Sorgt um den Wahlerfolg. Dort wurden an
diesem 04. Februar auch zwei in der formalen
Parteistruktur nicht auftauchende, aber in
Wirklichkeit wichtige Funktionsträger des FN
gesichtet: Frédéric Chatillon und Axel Loustau.
Beide kommen historisch aus der gewalttätigen
Studentenvereinigung GUD (Groupe Union –
Défense).
Chatillon ist ein persönlicher Freund von Marine
Le Pen – die damals noch nicht als Parteichefin
amtierende FN-Politikerin wurde im Frühjahr 2003
in dessen Wohnung wegen nächtlicher Ruhestörung
polizeilich verwarnt. Er leitet mehrere
Security-Firmen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm
unter anderem vor, 2012 betrügerische Angaben zu
Walkampfkosten des FN – die für Druckaufträge an
einer seiner Firmen ausgegeben worden sein soll –
getätigt zu haben, um Staatsgelder bei der
Wahlkostenrückerstattung zu erschleichen.
Deswegen laufen seit 2015 mehrere Strafverfahren
gegen ihn, unter anderem unter dem Vorwurf des
Betruges. Im April 2016 berichtete die liberale
Pariser Abendzeitung Le Monde,
Chatillon sei auch in einen Steuerbetrug
verwickelt, bei dem größere Summen über Hongkong
und Panama in Steuerfluchtparadiese in der
Karibik transferiert worden seien. Darüber hinaus
ist Frédéric Chatillon in Frankreich als
Propagandist für die Interessen des syrischen
Regimes tätig.
Am Sonntag, den 05.
Februar verkündete Marine Le Pen dann im
Kongresszentrum ihre 144 Programmpunkte zur
Präsidentschaftswahl. Diese waren zwar formal bei
mehreren „Runden Tischen“ im Laufe des
Wochenendes erarbeitet worden, unterscheiden sich
aber inhaltlich in Wirklichkeit kaum vom bereits
2012 verwendeten Wahlprogramm. An den Grundlinien
hat sich nichts geändert – den erwarteten
„wirtschaftlichen Aufschwung“ unter einer
rechtsnationalen Regierung sollen das Ausland und
die Ausländer bezahlen: durch Ausschluss von
Arbeitsmigranten aus den Sozialkassen,
„Inländerbevorzugung“ bei Sozialleistungen und
Arbeitsleistungen und einen Rückzug aus den
EU-Verpflichtungen, welcher angeblich Frankreich
sanieren würde.
In Sachen
Behandlung von Eingewanderten hat sich der Tenor
der Vorschläge sogar noch verschärft.
Nicht-französische Staatsbürger sollen beim
Eheschluss mit einem/r Staatsangehörigen kein
einklagbares Recht auf Einbürgerung mehr haben,
„illegale Ausländer“ sollen auf keinerlei
gesetzlichen Grundlage mehr „legalisiert“ werden
können und von der Gesundheitsversorgung
ausgeschlossen sein. Allerdings hat sich der
Tonfall leicht geändert: Marine Le Pen betonte in
ihrer Rede, sie wolle „10.000 Aufenthaltstitel im
Jahr“ erteilen – statt derzeit jährlich rund
200.000 -, und der früher vertretene Slogan „Null
Zuwanderung“ wird formal abgemildert.
Erheblich ist eher, was nicht mehr im Programm
enthalten ist. So ist erstmals seit Gründung des
FN nicht mehr von der Rückkehr zur (1981
abgeschafften) Todesstrafe die Rede, deren
Wiedereinführung allerdings in Umfragen in den
letzten Jahren anders als früher auch keine
Mehrheit mehr findet. Der FN nutzt diese
Positionierung, um seine relative „Mäßigung“ zu
unterstreichen, im Hinblick auf den zweiten
Wahlgang der Präsidentschaftswahl, bei dem er
Wähler/innen aus anderen politischen Lagern
herüberziehen möchte. Allerdings hält die Partei
sich eine Hintertür offen, denn über eine
„Volksinitiative für ein Referendum“ – nach
Vorbild von schweizerischen Abstimmungen - soll
eine Wiedereinführung dennoch möglich sein.
Heruntergeschraubt
wurde unterdessen auch der Aspekt der sozialen
Demagogie. Denn der vormalige, ihn stark
betonende Sozial- und Wirtschaftsdiskurs der
Partei hatte ihr Angriffe eingetragen: Die
Konservativen griffen den FN seit 2015 massiv
wegen seines angeblich „linksradikalen“, für eine
Rechtspartei „unveranwortlichen“
Wirtschaftsdiskurses an. Auch intern gab es
Streit, weil die Interessen der Walkämpfer des FN
in Nordostfrankreich – wo die rechtsextreme
Partei vor allem in die Arbeiterwählerschaft
eindringen konnte – sich von denen einer stärker
durch Kleinunternehmer und wohlhabende Rentner in
Süd- und Südostfrankreich geprägten Basis
unterscheiden.
2012 hatte der FN
noch eine Erhöhung aller tiefen Löhne um je 200
Euro versprochen, was allerdings vor allem durch
den Abbau von Arbeitnehmer- und
Arbeitgeber-„Sozialabgaben“ und also ein
Austrocknen der Sozialkassen finanziert werden
sollte. Nichts dergleichen findet sich mehr im
Wahlprogramm. Dort bleibt allein eine
Sondersteuer in Höhe von drei Prozent auf alle
Importprodukte bestehen. Diese soll angeblich
dazu führen, dass eine „Kaufkraftprämie“ von
achtzig Euro monatlich an gering verdienende
Lohnabhängige ausbezahlt werden kann.
Editorischer Hinweis
Den
Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
Überarbeitete Langfassung erschien am 06. Februar
17 bei „Blick nach Rechts“ (BnR) in einer
Kurzfassung.
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