Am Samstag (04. Februar 17) wurde der Protest in
den Saal getragen, und kurzzeitig wurde sogar die
Fernsehübertragung aus dem Kongresszentrum in
Lyon gestört. Dort hatte der Front National rund
5.000 Menschen – über einen großen Saal und zwei
Vorsäle mit Bildschirmübertragung verteilt –
versammelt, um seinen Präsidentschaftswahlkampf
zu eröffnen. Bereits Ende 2014 hatte er am selben
Ort seinen letzten Parteitag abgehalten. Es
schien dem FN im Lyoner Norden gut zu gefallen,
vielleicht auch gerade deswegen, weil der damals
massiv beworbene antifaschistische Protest im
November 2014 zum Flop wurde, im Zusammenspiel
von taktisch mehr als ungeschickt vorgehenden
Autonomen und einer aggressiven Polizei. Die
Demonstration wurde damals in drei Teile zerlegt
und konnte nicht bis zum geplanten Abschlussort
vordringen.
An diesem Samstag waren es dann auch nicht
Antifaschist/inn.en, die sich spektakulär vor den
Kameras im Saal bemerkbar machten, sondern
Taubstumme. Ihre Lyoner Vereinigung Accès
Cible – ein Wortspiel mit
accessible, „zugänglich“ – beklagte, im
Unterschied zu den beiden Großveranstaltungen an
diesem Wochenende in derselben Stadt sei das
Meeting von Marine Le Pen für Taubstumme nicht
zugänglich. Bei dem Sozialliberalen Emmanuel
Macron und dem Linkssozialisten Jean-Luc
Mélenchon, die am Samstag respektive Sonntag
jeweils mehr Menschen zu ihren Veranstaltungen
anzogen als Le Pen, die aber beide in den
Umfragen zu Stimmabsichten hinter ihr liegen, war
eine Übersetzung in Gebärdensprache vorgesehen.
Beim FN war dies nicht der Fall.
Auch Antifaschist/inn/en protestierten zwar auf
den Straßen. Deren Demonstration am Samstag
Nachmittag hatte jedoch keinen ernsthaften
Bündnispartner, sondern war sehr linksradikal
geprägt und prangerte neben dem Front National
gleich die ganze „Wahlmaskerade“
als solche an, welche es zu „sabotieren“
gelte. Rund 40 Protestierende wurden
vorübergehend eingekesselt.
Drinnen im Saal heizte unterdessen, zur selben
Stunde, der Film- und Theater-Schauspieler Franck
de Lapersonne den Saal auf. Am Vormittag war ein
großer „Volksschauspieler“ angekündigt worden,
manche im Publikum hatten bereits von Alain Delon
– dessen rechte politische Ansichten bekannt sind
– oder gar Gérard Depardieu zu träumen begonnen.
De Lapersonne weist nicht denselben
Bekanntheitsgrad auf. Problematisch ist
allerdings, dass er vormals eher der Linken nahe
stand und bei der Präsidentschaftswahl vor fünf
Jahren noch Mélenchon unterstützte.
Erstmals macht ein wenigstens halbwegs
prominenter Vertreter der Kulturwelt damit offen
Werbung für den Front National, der in diesem
Milieu bislang erhebliche Schwierigkeit hatte,
erklärte Unterstützung zu finden. De Lapersonne
erging sich in schlecht gedichteten Reimzeilen
und verkündete schließlich: „Victor Hugo hat in
der Schule kein Arabisch gelernt, das freut
mich!“ Diese Passage kam im Saal am besten an,
das Publikum antwortete: On est chez nous!,
also sinngemäß: „Wir sind die
Herren im Haus“ (Frankreich)!
Am Sonntag, den 05.
Februar 17 verkündete Marine Le Pen ihre 144
Programmpunkte zur Präsidentschaftswahl. Diese
waren zwar formal bei mehreren „Runden Tisch“ im
Laufe des Wochenendes erarbeitet worden,
unterscheiden sich aber inhaltlich in
Wirklichkeit kaum vom bereits 2012 verwendeten
Wahlprogramm. An den Grundlinien hat sich nichts
geändert – den erwarteten „wirtschaftlichen
Aufschwung“ unter einer rechtsnationalen
Regierung sollen das Ausland und die Ausländer
bezahlen, durch Ausschluss von Arbeitsmigranten
aus den Sozialkassen, „Inländerbevorzugung“ bei
Sozialleistungen und Arbeitsplätzen und einen
Rückzug aus den EU-Verpflichtungen, welcher
angeblich Frankreich sanieren würde. In Sachen
Behandlung hat sich der Tenor der Vorschläge
sogar noch verschärft. Nicht-französische
Staatsbürger sollen beim Eheschluss mit einem/r
Staatsangehörigen kein einklagbares Recht auf
Einbürgerung mehr haben, „illegale Ausländer“
sollen auf keinerlei gesetzlichen Grundlage mehr
„legalisiert“ werden können und von der
Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sein.
Allerdings hat sich der Tonfall leicht geändert:
Marine Le Pen betonte in ihrer Rede, sie wolle
„10.000 Aufenthaltstitel im Jahr“ erteilen –
statt derzeit jährlich rund 200.000 -, und der
früher vertretene Slogan „Null Zuwanderung“ wird
formal abgemildert.
Erheblich ist eher, was nicht mehr im Programm
enthalten ist. So ist erstmals seit Gründung des
FN nicht mehr von der Rückkehr zur – 1981
abgeschafften - Todesstrafe die Rede, deren
Wiedereinführung allerdings in Umfragen in den
letzten Jahren anders als früher auch keine
Mehrheit mehr findet. Der FN nutzt diese
Positionierung, um seine relative „Mäßigung“ zu
unterstreichen, im Hinblick auf den zweiten
Wahlgang der Präsidentschaftswahl, bei dem er
Wähler/innen aus anderen politischen Lagern
herüberziehen möchte. Allerdings hält die Partei
sich eine Hintertür offen, denn über eine
„Volksinitiative für ein Referendum“ – nach
Vorbild von schweizerischen Abstimmungen - soll
eine Wiedereinführung dennoch möglich sein.
Heruntergeschraubt
wurde unterdessen auch der Aspekt der sozialen
Demagogie. Denn der vormalige, ihn stark
betonende Sozial- und Wirtschaftsdiskurs der
Partei hatte ihr Angriffe eingetragen: Die
Konservativen griffen den FN seit 2015 massiv
wegen seines angeblich „linksradikalen“, für eine
Rechtspartei „unveranwortlichen“
Wirtschaftsdiskurses an. Auch intern gab es
Streit, weil die Interessen der Walkämpfer des FN
in Nordostfrankreich – wo die rechtsextreme
Partei vor allem in die Arbeiterwählerschaft
eindringen konnte – sich von denen einer stärker
durch Kleinunternehmer und wohlhabende Rentner in
Süd- und Südostfrankreich geprägten Basis
unterscheiden. 2012 hatte der FN noch eine
Erhöhung aller tiefen Löhne um je 200 Euro
versprochen, was allerdings vor allem durch den
Abbau von Arbeitnehmer- und
Arbeitgeber-„Sozialabgaben“ und also ein
Austrocknen der Sozialkassen finanziert werden
sollte. Nichts dergleichen findet sich mehr im
Wahlprogramm. Dort bleibt allein eine
Sondersteuer in Höhe von drei Prozent auf alle
Importprodukte bestehen. Diese soll angeblich
dazu führen, dass eine „Kaufkraftprämie“ von
achtzig Euro monatlich an gering verdienende
Lohnabhängige ausbezahlt werden kann.
Editorischer Hinweis
Den
Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
Eine
Kurzfassung dazu erschien am Dienstag, den 07.
Februar in der Tageszeitung Neues Deutschland (ND).
Zum Thema FN folgen in Kürze weitere Artikel vom
Autor dieser Zeilen.
|